Ahnenverehrung

Die A. (engl. ancestor worship), die Verehrung der Vorfahren, basiert auf dem > Ahnenglauben, der von der Einflussnahme der Ahnen auf die Lebenden ausgeht. Sie gestaltet sich von Kultur zu Kultur unterschiedlich, schließt in der Regel jedoch Gebete, inständiges Bitten und Opfergaben der Verbliebenen ein, die den Ahnen zu Ehren dargebracht werden und sie wohlwollend stimmen sollen. Die Annahme von der Einwirkung der Ahnen auf das hiesige Leben ist die Triebfeder jeglichen Ahnenkultes, wobei die Grenzen zwischen Kult und Verehrung unscharf gezogen sind. Dabei ist die Verehrung der Ahnen nicht auf die Vorfahren einer Familie beschränkt, sondern bezieht alle Toten einer Gemeinschaft, auch schon längst Verstorbene, mit ein (Ohm). A. kann als das Kernstück der Totenverehrung betrachtet werden.
Eine besondere Form der A. drückte sich in dem römischen „Recht auf Bilder“, ius imaginum, aus (> Manen). Vornehme römische Bürger konnten sich danach Wachsmasken von ihren Vorfahren anfertigen lassen, die dann von Schauspielern bei Bestattungen eines Familienmitgliedes getragen wurden. Diese Schauspieler, die außerdem die Kleider des betreffenden Ahnen trugen, gingen vor der Leiche her und sollten die Aufnahme des Verstorbenen in den Kreis darstellen. Auch bei den Germanen wurden die Ahnen hoch geschätzt, so dass diese sogar zu höheren Himmelsgöttern emporstiegen.
Masken haben besonders in Afrika sowie in Melanesien eine wichtige Funktion im Ahnenkult. Hier sind sie das Medium, durch das der Ahne sich ausdrücken, d. h. handeln und sprechen kann. Der > Ahnenglaube bleibt dabei auf dem Niveau der Verehrung stehen und geht nicht in Gottesanbetung über. Die Verbindung zum höchsten Wesen, dem Schöpfergott, bleibt unangetastet über der Gemeinschaft mit den Ahnen bestehen.
Im biblischen Israel gab es vermutlich keinen Ahnenkult, auch wenn > Totenbefragung praktiziert wurde (1 Sam 28,7ff; Jes 8,19; 29,4). Möglicherweise existierte jedoch in Kanaan, wahrscheinlich sogar in Mesopotamien, eine kultische Verehrung der Ahnen. Grundsätzlich lässt sich der alttestamentliche Glaube an Jahwe jedoch nicht mit einem solchen Kult vereinbaren (Lev 19,28; Dtn 14,1).
In Ägypten wurde der Ahnenkult nach Ablauf der Periode des personenbezogenen Ahnenkultes in der dritten bis fünften Generation gewöhnlich durch kollektive Kultformen abgelöst. Spätestens für die römische Zeit verdichten sich die Belege einer andauernden Nutzung von Mumien im Ahnenkult (Fitzenreiter).
In Amerika spielt A. nur bei wenigen Völkern eine Rolle, am ehesten noch bei den Muisca Kolumbiens und den Inka in den Anden Perus. Hier wurden den Verstorbenen Hilfsmittel auf die schwierige Reise ins Jenseits mit in das Grab gegeben, so z.B. Nahrung oder auch ein Hund, wie von den Azteken bekannt ist. Auch Frauen oder Diener wichtiger Persönlichkeiten wie etwa Fürsten konnten diesem Zweck dienen und zur Verbesserung der Lebensbedingungen in der anderen Welt beitragen, d.h. sie wurden geopfert und gemeinsam mit dem verstorbenen Fürsten bestattet. In der nachklassischen Mayazeit war es Brauch, aus den Schädeln von Fürsten Masken herzustellen und zusammen mit Ahnenbildern aufzubewahren. In Nordamerika ist nur von den Zuni, einem Stamm der Pueblo, Ahnenkult bekannt. Sie nannten ihre > Ahnengeister Katchina und stellten sich dabei freundliche Wesen vor, die einmal im Jahr in ihr irdisches Heimatdorf zurückkehrten, um dort Gutes zu tun.
In Ostasien (China, Japan, Korea) ist die A. weit verbreitet und hat großen Einfluss auf das Gesellschafts- und Privatleben. Noch heute ist es in China, wo seit den Anfängen der Kultur A. geübt wurde, Sitte, aus Seidenpapier gebastelte prachtvolle Kleidchen, auch Geld und Tücher zu verbrennen – den Ahnen im Jenseits zur Ehre.
Für die Hindus wird die A. in den Kontext der Befreiung aus dieser Welt eingebunden, sie steht also nicht im Widerspruch zum > Reinkarnationsglauben. Durch eine besondere mit Opfern verbundene Zeremonie, sapindikarana, am 12. Tag nach dem Tod (bei bestimmten Kasten auch erst ein Jahr danach) gelangt der Verstorbene zu seinen Ahnen, ist nun selbst Ahne und hat damit Anspruch auf die Ahnenopfer. Diese Opfer sollen den guten Verlauf der Wiedergeburten fördern, den Ahnen ein glückliches Dasein im Jenseits ermöglichen, so dass diese wiederum den Lebenden hilfreich sein können (Hänggi, 35f. bzw. 34f.).

Lit.: Caland, W.: Die altindischen Toten- und Bestattungsgebräuche. Amsterdam, 1896; Frazer, Th.: The Belief in Immortality and the Worship of the Dead. 3 Bde. London, 1913-24; Krickeberg, W. u.a.: Die Religionen des alten Amerika. Stuttgart: Kohlhammer, 1961; Nötscher, Friedrich: Altorientalischer und alttestamentlicher Auferstehungsglauben. Darmstadt: Wiss. Buchges., 1970; Biardeau, Madeleine: Clefs pour la Pensée Hindoue. Edition Seghers, 1972; Bertholet, Alfred: Wörterbuch der Religionen. Stuttgart: Kröner, 41985; Ohm, Th.: Ahnen, Ahnenkult. In: Lexikon für Theologie und Kirche. Bd. 1. Freiburg i.Br.: Herder, 1986; Hänggi, Hubert: Reinkarnation und Ahnenverehrung im Glauben der Hindus. In: Hubert Hänggi/Carl A. Keller u.a.: Reinkarnation – Wiedergeburt – aus christlicher Sicht. Zürich: Paulus Verlag, 1987, S. 25-37; Resch, Andreas: Fortleben nach dem Tode. Innsbruck: Resch, 41987 (Imago Mundi; 7); Waldenfels, Hans (Hg.): Lexikon der Religionen. Freiburg: Herder, 1987; Bürkle, Horst: Ahnen, Ahnenverehrung. In: Lexikon für Theologie und Kirche. Bd. 1. Freiburg: Herder, 1993; Fitzenreiter, M.: Zum Ahnenkult in Ägypten. Göttinger Miszellen. Beiträge zur ägyptologischen Diskussion (1994) 143, 51-72; Eliade, Mircea: Die Religionen und das Heilige. Frankfurt/M. u.a.: Insel, 1998; Müller-Ebeling, Claudia u.a.: Hexenmedizin. Aarau, CH: AT, 21999.
Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.