Kanonisationsverfahren

Kanonisationsverfahren oder Heiligsprechungsverfahren befassen sich mit der Heiligkeit des Lebens einer Person und der Bestätigung derselben durch ein Wunder zur Befürwortung einer Selig- oder Heiligsprechung durch den Papst.
Die erste sicher überlieferte Kanonisation durch einen Papst ist die des hl. Ulrich von Augsburg durch Papst Johannes XV. auf der Lateran-Synode 993. Dabei ist noch zu bemerken, dass sich der Begriff „canoniz
are“ erstmals wohl im Zusammenhang mit der Heiligsprechung des hl. Simeon von Padolirone durch Benedikt VIII. (1016) findet. Ab Mitte des 12. Jahrhunderts wird der Begriff „canonizare“ dann ständig verwendet. Als erster Papst gebrauchte das Wort Alexander III. (1159-1181), der durch das Dekretale Audivimus die Rechtsgrundlage für die formelle Zuständigkeit des Papstes im Hinblick auf eine Kanonisation legte, die später in leichter Veränderung in die Dekretalien Gregors IX. (1227-1241) aufgenommen wurde. Mit dem Inkrafttreten dieser Dekretalien (1234) fiel die Kanonisation zwar in die ausschließliche Zuständigkeit des Apostolischen Stuhls, doch wurde damit die Entstehung lokaler Kulte nicht verhindert. Dies gelang erst 400 Jahre später Urban VIII. (1623-1644) mit den berühmten Dekreten de non cultu (1625). Von da an durfte ohne Erlaubnis des Hl. Stuhls kein öffentlicher Kult mehr eingeführt werden. Urban VIII. erließ für die Durchführung von Kanonisationsverfahren detaillierte Gesetze, die im 17. und 18. Jh. weiter verbessert wurden und schließlich in den Codex Iuris Canonici von 1917 Eingang fanden.
Die Dekretalien Gregors IX. sind jedoch nicht nur für die Gesetzgebung von Bedeutung, sondern auch für die Frage der Wunder. Im Kommentar zum Kapitel Audivimus dieser Dekretalien verlangt Innozenz IV. (1243-1254) für eine Kanonisation die Prüfung des Glaubens, des herausragenden Lebens und der Wunder.
Dies blieb Jahrhunderte lang die Lehre der Theologen und Kanonisten sowie die Praxis des Hl. Stuhls. Auch Benedikt XIV. (1740-1758), dessen umfangreiches Werk De Servorum Dei Beatificatione et Beatorum Canonizatione die bis heute umfassendste Darlegung des Themas darstellt, betont die Notwendigkeit des Wunders. Dabei stellte er für die Beurteilung von Wunderheilungen folgende Kriterien auf:

1. Die Krankheit muss schwer und ihre Heilung nach dem Urteil von Fachärzten extrem schwierig bis unmöglich sein.
2. Die Krankheit darf sich nicht schon kurz vor dem Abklingen befinden. Es spricht jedoch keineswegs gegen ein Wunder, wenn die Krankheit auf die übliche Weise mit Medikamenten oder anderen ärztlichen Mitteln behandelt werden könnte, diese Mittel dort aber fehlen, wo sich das Wunder ereignet.
3. Es dürfen keine Medikamente verabreicht worden sein, die eine solche Krankheit heilen könnten. Es muss ferner sicher sein, dass sich die eventuell verwendeten Medikamente als unwirksam erwiesen.
4. Die Heilung muss plötzlich erfolgen.
5. Die Heilung muss vollständig sein. Es dürfen lediglich harmlose Folgeerscheinungen zurückbleiben, etwa eine Narbe.
6. Der Heilung darf keine Krise vorausgegangen sein. Nach Galenus könne die Natur eine Heilung nämlich auf dreifache Weise bewirken: durch Dekubitus, durch Krise und durch einfache Remission.
7. Die Heilung muss sich als stabil und dauerhaft erweisen.

Die heutige Beurteilung von Wunderheilungen wird von der neuen Gesetzgebung für das Kanonisationsverfahren geregelt, die mit der Konstitution Divinus perfectionis Magister vom 25. Januar 1983 in Kraft trat. Im neuen Codex Iuris Canonici, der ebenfalls 1983 geltend wurde, findet sich diesbezüglich jedoch nur die von Papst Johannes Paul II. erlassene Konstitution Divinus perfectionis Magister. Sie legt für die Vorgangsweise bei der Prüfung angeblicher Wunder folgende grundsätzliche Bestimmung fest:

Ein Kanonisationsverfahren nimmt seinen Ausgang mit dem diesbezüglichen Verfahren auf Diözesanebene, das durch die von der Heiligsprechungskongregation herausgegebenen Richtlinien für die Bischöfe bei den Erhebungen in Heiligsprechungsverfahren geregelt ist.

Wie bekannt, wurde bei der Heiligsprechungskongregation ein Ärzteverzeichnis erstellt, aus dem zunächst die amtlichen Experten (periti ex officio) für eine vorhergehende Untersuchung der als Wunder angesehenen Heilungsfälle und dann die anderen Sachverständigen für die Consulta Medica ausgewählt werden. In besonderen Fällen, vor allem bei Nicht-Heilungsfällen, kann die Kongregation die Gutachten weiterer Spezialisten einholen, die in ihrem Ärzteverzeichnis nicht aufscheinen.
Während für die ärztlichen Fachexperten vor allem die klinische Dokumentation zählt, sind für die Theologen zur Begutachtung des Falles in erster Linie die Augenzeugenberichte von Bedeutung, die im Verlauf der Diözesanerhebung gesammelt wurden.
Nachdem die Gutachten der Theologenkonsultoren im Druck vorliegen und der Positio super miraculo beigefügt sind, wird über den Fall in einer Congregatio ordinaria der Kardinäle und Bischöfe, die Mitglieder der Heiligsprechungskongregation sind, beraten.
Im Anschluss daran informiert der Präfekt der Heiligsprechungskongregation den Papst über das Ergebnis der Congregatio ordinaria. Dem Papst ist das letzte Urteil vorbehalten.
Bei Approbation der Beschlussfassung der
Congregatio ordinaria durch den Papst ordnet dieser den Erlass des diesbezüglichen Decretum super miraculo an. Damit wird die wissenschaftlich für nicht erklärbar erachtete Heilung oder das Ereignis zur Wunderheilung bzw. zum Wunder.
Wird der Kult für die Gesamtkirche vorgeschrieben, handelt es sich um eine Heiligsprechung. Der mit der Heiligsprechung vorgeschriebene Kult verpflichtet alle Gläubigen zur Anerkennung der Heiligkeit des betreffenden Dieners Gottes, jedoch nicht zur obligatorischen Feier des Festes in der Gesamtkirche. Dafür bedarf es einer speziellen päpstlichen Genehmigung.

Lit.: Resch, Andreas: Heiligsprechungsverfahren und Wunderheilung, in: Ders.: Paranormologie und Religion (Imago Mundi; 15). Innsbruck: Resch, 1997, S. 343-377; Veraja, Fabijan: Heiligsprechung. Kommentar zur Gesetzgebung und Anleitung für die Praxis. Übers. u. hg. v. Andreas Resch. Innsbruck: Resch, 1998.

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