Andreas Resch: Grenzerfahrungen

Grenzerfahrungen sind das Lebenselexier jedweder Lebensgeschichte. Diese können dabei so individuell sein, dass sie nur mitgeteilt werden können, aber nicht miterlebar sind. In diesem Zusammenhang möchte ich hier solche Grenzerfahrungen aus meinem Leben anführen, die zudem die Eigenart des Außergewöhnlichen haben.

 Sterbebettvision

Es war beim Sterben meines Vaters, Franz Resch, 1969. Der Vater lag bereits am dritten Tag in Agonie. Er war in keiner Weise mehr ansprechbar. Gegen Mittag des dritten Tages wurden die Zeichen des nahenden Todes immer offensichtlicher. Die Atmung wurde langsamer, die Nase immer farbloser. Während die anderen Anwesenden sich zum Mittagessen zurückzogen, blieb ich in Erwartung des bevorstehenden Todes allein bei ihm. Ich saß auf der Kante seines Bettes im stillen Gebet und beobachtete seine immer schwächer werdende Atmung und das Schwinden seines Gesichtsausdruckes.
Auf einmal öffnete er die Augen und sagte mit strahlendem und freudigem Gesicht ganz laut: „Nocklwirtin, Du kommst mich holen?“ Ich sprach ihn sogleich ganz laut an, um mit ihm in ein Gespräch zu kommen. Das war allerdings ein großer Fehler, weil ich so seine weiteren Worte übertönte, anstatt sie in Aufmerksamkeit entgegenzunehmen. Der Vater reagierte auf meine Worte in keiner Weise, sodass ich annehmen musste, dass er mich gar nicht hörte. Er war auf einer anderen Ebene, die mir unzugänglich war. So hörte ich auch weder die „Nocklwirtin“ noch konnte ich sie sehen. Das Gespräch war damit zu Ende. Der Vater schloss die Augen, blieb aber wie verklärt und tat nach einigen Minuten seinen letzten Atemzug.
Der
„Nocklwirt“ war eine frühere volkstümliche Bezeichnung des heutigen Gasthofs Stern, den mein Vater gut kannte und somit auch die damals schon seit längerem verstorbene Wirtin. Ich selbst musste mich erst erkundigen, was der Name bedeutete.

Erscheinung der Mutter bei ihrer Beerdigung

Eine ganz eigenartige Grenzerfahrung hatte ich auch bei der Beerdigung meiner Mutter. Ich selbst stand als Priester der Beerdigung vor. Bei den Gebeten auf dem Friedhof vor dem Sarg, bei der sogenannten Einsegnung, sah ich auf einmal meine Mutter in ihrem Sonntagskleid rechts neben mir stehen und hörte nicht nur, wie sie lautstark die Beerdigungsgebete mitsprach, sondern nahm auch ihr Gesicht und einen Teil ihres Oberkörpers wahr. Der andere Teil war durch meine liturgischen Gewänder verdeckt. Besonders markant war ihr Gesicht und die Mundbewegungen beim Gebet waren sehr ausgeprägt, da sie alle Texte in einer solchen Betonung laut und auswendig mitsprach, dass ich Mühe hatte, meine Gebetsform einzuhalten, zumal ich in der vollen Öffentlichkeit stand. Dabei war für mich das Mitbeten der Mutter, die doch vor mir im Sarg lag, so unverständlich, dass ich bei allen Gedanken an Einbildung und Wunschvorstellungen die Echtheit der Gegenwart der Mutter annehmen musste. Das Bild der mitbetenden Mutter hat sich damals so stark eingeprägt, dass ich es noch heute jederzeit abrufen kann.

 Außerkörperliche Erfahrung

Am 20. Mai 2013 lag ich infektionsbedingt (Toxocara, Spulwurm von Hund oder Katze) völlig unbeweglich und bis an die Grenzen geschwächt, jedoch bei vollem Bewusstsein auf der Kardiologie der Universitätsklinik Innsbruck und sinnierte vor mich hin. Plötzlich zog sich bei vollem Wachbewusstsein eine Fläche in der Breite meines Bettes in den Raum, die schließlich meinen ganzen Horizont füllte. Gleichzeitig sah ich mich in kleiner Gestalt über die Ebene dahinwandern, die sich in einer bräunlichen Umgebung, welche bis zum Firmament reichte, ausbreitete. Im gleichen Augenblick erfasste mich ein unendliches Gefühl der Freiheit und Weite, ohne jede Begrenzung durch den Körper, das Krankenbett und das Krankenzimmer. Ich war einfach auf dem Weg, in einem völlig unbekannten Wonnegefühl, das alles umhüllte. Obwohl ich mich auf der Ebene wandern sah, war das Glücksgefühl so mächtig und umfassend, dass meine Gestalt zur selbstverständlichen Nebensache wurde, die mich nur als Individuum symbolisierte, während mein Glückserlebnis den ganzen konturlosen Horizont umfasste. Ich war unbeschreiblich glücklich im Glück.
Im Gegensatz zu anderen Berichten über außerkörperliche Erfahrungen nahm ich keine hellen Farben, Gegenstände oder Personen wahr, sondern nur ein offenes, konturloses Panorama, wo ich mich dahingehen sah, selbst aber als Beobachtender in wunschlosem Glück den gesamten Horizont ausfüllte. Das Glücksempfinden war so mächtig, dass es kein Denken, Wollen und Sehnen, sondern nur Erfülltsein gab. Es war eine völlig neue Qualität von Glücksempfinden, das mit keiner anderen Bewusstseinserfahrung in der Körperlichkeit verglichen werden kann. Sämtliche Formen veränderter Bewusstseinszustände, wie Traum, Hypnose, Luzidität, Ekstase, Psychostase oder Biokömese und Biostase, können damit nicht verglichen werden. Es war eine völlig andere Welt. Wie lange ich in diesem Zustand verweilte, kann ich nicht beurteilen, da mein Zeit- und Raumempfinden ausgeschaltet war.
Langsam wurden die Ebene, auf der ich wanderte, und der Horizont immer kleiner, bis sich alles in mein Bett hinein zurückzog und ich urplötzlich meinen Körper und meine Seele wie in einem Gitterbett eingeklemmt empfand. Es war ein bodenloser Schock, der totale Zusammenbruch von Freiheit und Glückseligkeit, der mir zunächst jede Orientierung raubte. Das Empfinden der Begrenztheit und der körperlichen Beschwerden war so mächtig, dass ich mich damit nicht abfinden wollte. Ich setzte alles daran, wieder in die erlebte Raum- und Zeitlosigkeit zurückzukehren und das Glücksempfinden mit aller Kraft zurückzuholen. Doch vergebens, ich musste, raum-zeitlich begrenzt, die Last und die durch die Infektion bedingte Unbeweglichkeit des Körpers in der Enge des Bettes zur Kenntnis nehmen. Diese Enge von Bett und Krankenzimmer empfand ich zunächst wie eine andere Welt. Erst langsam wurde mir meine Realsituation wieder bewusst. Zumindest blieb die Erinnerung an das Erlebte, das Erlebnis selbst war hingegen nicht mehr wachzurufen, auch nicht mit Rückführungsversuchen durch Selbsthypnose. Nach und nach konnte ich das Erlebte in mein Denken als
außerkörperliche Erfahrung einordnen, wo ich mich doch seit Jahren mit dem Thema befasst hatte. Dabei fand ich volle Entsprechungen mit verschiedenen Berichten in Bezug auf außerkörperliche Erfahrung, Raumzeitlosigkeit und Glücksempfinden, dies alles jedoch ohne Tunnelerlebnis, Begegnung mit anderen Wesenheiten, Vernehmen von Stimmen, Gesang oder Lichtwelten. Beim Erlebnis selbst dachte ich an all diese Möglichkeiten nicht, sondern ging voll im Glückserleben auf.
Erst als alle Versuche der Rückholung des Erlebten bzw. eines neuerlichen Einstiegs in dasselbe gescheitert waren, musste ich auch für mich zur Kenntnis nehmen, dass es sich hier um ein Spontanereignis handelte, wie z.B. bei einer Ekstase. Der erlebte Zustand der Außerkörperlichkeit und der Nahtoderfahrung kann nicht aufgerufen werden, er ruft sich selbst auf.
Bei aller Kritik solchen Erlebnissen gegenüber kann das eine nicht verneint werden, nämlich dass es eine Erlebnisdimension frei von der Körperlichkeit gibt, die mit keiner Bewusstseinsform wie Traum, Hypnose, ozeanischem Gefühl o.Ä. vergleichbar ist.
Dass es sich tatsächlich um eine außerkörperliche Erfahrung gehandelt hat, wurde dadurch bestätigt, dass ich von da an eineinhalb Jahre keine metallenen Schaltknöpfe bei Aufzügen usw. berühren konnte, ohne einen starken elektrischen Schlag zu bekommen. Ich habe daher die Knöpfe immer mit dem Taschentuch angefasst.

Die Macht des Gebets als Exorzismus

Eine besondere persönliche Erfahrung war für mich auch die Heilung durch die Macht des Gebets als Exorzismus. Eines Tages rief mich ein Arzt um Hilfe in einem besonderen Fall an und ersuchte mich, in einer besonderen Grenzsituation zu helfen, die er nicht weiter allein tragen wollte. Seit fünf Jahren, so erzählte er mir, betreue er eine etwa 30-jährige Frau, Mutter von vier Kindern, mit Angstattacken sowie aggressivem Verhalten und Kontrollverlust in der Nacht. Zunächst behalf er sich mit einem Gitterbett, doch war er schließlich gezwungen, zu Morphium zu greifen, was er aber mit seiner ärztlichen Verantwortung nicht mehr vereinbaren mochte. Ich konnte auf seine Frage nur erwidern, dass es sich hier wohl um einen Fall für die Psychiatrie handle. Er solle die Frau in die entsprechende Abteilung der Klinik einweisen. Ich selbst würde nämlich durch Annahme eines solchen Falles zweifellos im Gefängnis landen. Der Arzt entgegnete, dass er schon oft eine Einweisung verschreiben wollte. Die Frau agiere jedoch bei Tag großteils normal, sei selbstbewusst und lehne jede Einweisung ab. Sie sei aber bereit zu mir zu kommen. Ich sollte doch zumindest mit ihr sprechen, worauf ich mich dann einließ, denn sprechen könne man schließlich immer, meinte ich. Schon am nächsten Tag tauchte die Frau in meinem Behandlungsraum auf – eine charmante, gepflegte Frau, die in Aussehen und Verhalten keinerlei Auffälligkeiten zeigte. Ich begrüßte sie und bot ihr einen Platz auf der Couch an. Sie setzte sich und ich nahm in gebührendem Abstand neben ihr Platz. Ich blickte sie an und hatte dabei das sichere Empfinden, dass sie psychisch gesund sei. Das sagte ich ihr auch, ebenso, dass sie keine Therapie benötige. Dabei fügte ich, wie in einem veränderten Bewusstseinszustand, ganz gegen meine Praxis und Einstellung hinzu, dass ich ihr nur als Priester helfen könne.
Justament in diesem Augenblick verspürte ich einen heftigen Schlag gegen meine Brust, wie mit einer Eisenstange. Der Schmerz war so stark, dass ich mich nur mit Mühe aufrecht halten konnte. Ich blickte zu der Frau hin. Sie war völlig ruhig und schwieg. Ich sprach ganz leise bei mir folgendes Gebet: „Sollten böse Mächte Sie bedrängen, so befreie Sie der Herr! Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Mit einem Schlag verschwanden die Schmerzen. Ich wandte mich der Frau zu, die mein Befreiungsgebet akustisch in keiner Weise vernommen hatte, weil ich es nur in Gedanken formulierte und ihr davon keine Mitteilung machte. Dennoch wirkte sie mit einem Mal gelöster. Da ich weiter keine therapeutischen Möglichkeiten sah, verabschiedete ich mich von ihr nach etwa 20 Minuten mit den besten Wünschen. Als sie den Raum verlassen hatte, überkam mich das unangenehme Empfinden, sie auf billige Art und Weise abgeschoben zu haben. Ich hätte mich zumindest mit ihrem Problem auseinandersetzen sollen. Doch spielte sich alles völlig automatisch ab, jenseits jeder Diskussionsebene.
Am Tag darauf rief mich der Arzt an, um mir mitzuteilen, dass die Frau vollkommen gesund sei. Sie habe nicht nur ruhig geschlafen, sondern fühle sich auch frei von Angst und Aggression. Im Dorf, wo das Los der Frau allgemein bekannt war, ging die Rede vom Wunderdoktor.
Zehn Jahre später hielt ich in einer Nachbarstadt ihres Wohnortes einen Vortrag. Nach dem Vortrag kam eine Frau auf mich zu und sagte: „Ich bin die Frau, die ins Gitterbett gelegt werden musste und die Sie aufgesucht hat. Seither bin ich gesund. Ich bin gekommen, um mich zu bedanken.“ Ich nahm den Dank mit Freuden entgegen, wenngleich ich bis heute sagen muss, dass es nicht meine Leistung war. Es war die Macht des Gebets.

Erfahrung von Telekinese

Es war am Montag, den 15. Januar 1968, im Rahmen meiner Dokumentationssammlung zum Spukfall Rosenheim, in der Kanzlei des Rechtsanwaltes Adam, wo ich auf mein Ersuchen hin gleich eine gute Stunde mit Frl. Schaberl, der Schlüsselperson des „Spukfalls“ sprechen konnte. Es war ein sehr persönliches Gespräch, worüber wir Schweigen vereinbarten. S. lud mich dann zum Mittagessen bei ihr zu Hause ein, wo ich auch die Mutter und den Vater kennenlernte.
Am nächsten Tag, Dienstag den 16. Januar, hatte ich ein weiteres Gespräch mit ihr, das im Mandantenzimmer stattfand. Die Türen zur Kanzlei waren offen. In der Kanzlei arbeitete am Platz 5 Fr. Bielmeier an der Schreibmaschine. Sonst war niemand in der Kanzlei. Mein Gespräch fokussierte diesmal sehr zielstrebig auf den Verlauf der Ereignisse. S. betonte, dass sie wegen dieser Ereignisse zu Unrecht viel verleumdet würde. Auf einmal begann sie am ganzen Körper zu zittern und die Hände unruhig zu bewegen. Sie riss die Augen auf, wobei die Augäpfel stark hervorkehrten, und blickte schließlich fixiert ins Leere. Gleichzeitig spreizte sie die Finger auseinander und es kam zu einer völlig erstarrten Haltung von Händen, Armen, Rumpf, Kopf und Gesicht. In diesem Augenblick vernahm ich einen starken Aufschlag auf dem Boden in der Kanzlei. Ich sprang im Bruchteil einer Sekunde mit zwei Schritten in die Kanzlei. Sämtliche Schubladen des Schreibtisches des Bürovorstehers Engelhard und von Frl. S. lagen am Boden. Frau Bielmeier saß wie versteinert an ihrem Schreibtisch. Nach Wahrnehmung der Situation und dem Hinweis, nichts anzurühren, kehrte ich sofort zu S. zurück, die noch immer wie erstarrt dasaß und zunächst weder auf Worte noch auf ein leichtes Tippen auf die Schulter reagierte. Nach etwa einer Minute erfolgte ein krampfhaftes und ruckartiges Erheben der Arme mit einem festen Druck der gespreizten Finger an den Kopf, wobei die Arme abgebogen waren, die Ellbogen völlig an den Hüften lagen und der Kopf leicht zur Brust geneigt war. Schließlich ging die ganze Verspannung in eine völlige Erschlaffung über. Frl. S. war völlig fertig. Wir verweilten beide einige Zeit in Stille. Dann befragte ich sie nach dem Vorgefallenen. Sie hatte das Ganze nicht mitbekommen, denn beim Empfinden, dass etwas geschah, fiel sie in eine Schockstarre, von der sie sich dann verhältnismäßig rasch erholte. Dieses Verhalten habe ich bei Frl. S. dreimal beobachtet, jedoch nur einmal in Verbindung mit Nebenereignissen. Nachdem sich Frl. S. wieder gefasst hatte, ging ich in die Kanzlei. Die Schubladen lagen immer noch am Boden und Frau Bielmeier saß wie vorher an ihrem Schreibtisch. Da nur sie in der Kanzlei war, musste ich sie fragen, ob vielleicht sie die Schubladen herausgezogen hatte. Sie beteuerte mir unter Eid, dies nicht getan zu haben. Frau Bielmeier war selbst noch völlig schockiert und konnte erst langsam mit der Arbeit fortfahren. Der Aufprall der Schubladen war so einheitlich und so stark, dass ich sofort hinblickte, da die herausgefallenen Schubladen im Blickfeld lagen, sodass Frau Bielmeier meinem Blick nicht hätte entgehen können. Außerdem hätte sie in dieser Zeiteinheit die einzelnen Laden auch gar nicht herausnehmen können. Das Herausfallen selbst habe ich nicht gesehen. Doch lagen zwischen Aufprall, Hinschauen und Hineilen in die Kanzlei nur Bruchteile von Sekunden. Hier zeigt sich auch, dass es nicht so einfach ist, in solchen Fällen eine Person, im konkreten Fall Frl. S., als Verursacherin hinzustellen, liegt doch das Geschehen nicht in ihrer Macht. Zudem kann eine Stigmatisierung enorme Konsequenzen für die betreffende Person haben, wie gerade Frl. S. das erleben musste.

Lit.: Resch, Andreas: Der Innenraum des Menschen. Innsbruck: Resch, 2017; ders.: Religiöse Erfahrungen und Wunder. Innsbruck: Resch, 2018; ders.: Phänomene der Paranormologie. Innsbruck: Resch, 2018.