Andreas Resch: Bewusstseinsformen religiöser Erfahrung

Es gibt keinen Erfahrungsbereich, der eine größere Vielfalt an Bewusstseinsformen aufweist als die religiöse Erfahrung. Dies hängt damit zusammen, dass der innere Erfahrungsbereich durch das Hinzukommen der Transzendenz eine Dimension erhält, die den ganzen Menschen zu erfassen vermag – ein Umstand, der von der Psychologie noch kaum beachtet wird. Zudem wirkt immer noch die Auffassung Sigmund Freuds nach, dass Religion eine Form von Projektion und Illusion sei.1 Hier hat Freud bei all seiner Beobachtungsschärfe in Abwehrhaltung aus ideologischen Gründen eine grundsätzliche Fehldeutung gegeben, die seinem innersten Empfinden jedoch nicht gerecht werden konnte. So schreibt er in „Der Mann Moses und die monotheistische Religion“ über seine Arbeit zur Frage der Religion:

„Ich beschloß sie liegen zu lassen, aber sie quälte mich wie ein unerlöster Geist, und ich fand den Ausweg, zwei Stücke von ihr selbständig zu machen…. Den Rest, der das eigentlich Anstößige und Gefährliche enthielt, die Anwendung auf die Genese des Monotheismus und die Auffassung der Religion überhaupt, hielt ich zurück, wie ich meinte, für immer.“2

Als Freud die Heimat 1938 verlassen musste, fühlte er sich frei und schrieb sich seine ambivalente Haltung zur Frage des Religiösen offen von der Seele:

„Wie beneidenswert erscheinen uns, den Armen im Glauben, jene Forscher, die von der Existenz eines höchsten Wesens überzeugt sind! Für diesen großen Geist hat die Welt keine Probleme, weil er selbst alle ihre Einrichtungen geschaffen hat. Wie umfassend, erschöpfend und endgültig sind die Lehren der Gläubigen im Vergleich mit den mühseligen, armseligen und stückhaften Erklärungsversuchen, die das Äußerste sind, was wir zustandebringen! Der göttliche Geist, der selbst das Ideal ethischer Vollkommenheit ist, hat den Menschen die Kenntnis dieses Ideals eingepflanzt und gleichzeitig den Drang, ihr Wesen dem Ideal anzugleichen. Sie verspüren unmittelbar, was höher und edler, und was niedriger und gemeiner ist. Ihr Empfindungsleben ist auf ihre jeweilige Distanz vom Ideal eingestellt. Es bringt ihnen hohe Befriedigung, wenn sie, im Perihel gleichsam, ihm näher kommen, es straft sie durch schwere Unlust, wenn sie, im Aphel, sich von ihm entfernt haben. Das ist alles so einfach und so unerschütterlich festgelegt. Wir können nur bedauern, wenn gewisse Lebenserfahrungen und Weltbeobachtungen es uns unmöglich machen, die Voraussetzung eines solchen höchsten Wesens anzunehmen. Als hätte die Welt der Rätsel nicht genug, wird uns die neue Aufgabe gestellt, zu verstehen, wie jene anderen den Glauben an das göttliche Wesen erwerben konnten und woher dieser Glaube seine ungeheure, ,Vernunft und Wissenschaft‘ überwältigende Macht bezieht.“3

Aus dieser Erfahrung scheint auch der dem Nachlass entnommene Ausspruch Freuds zu stammen: „Mystik – die dunkle Selbstwahrnehmung des Reiches außerhalb des Ichs, des Es.“4
Mit diesen Aussagen ist bereits angedeutet, dass die religiöse Erfahrung nicht nur die umfassendste Erfahrung des Menschen überhaupt, sondern auch die einzige Erfahrung ist, die dem Menschen auf seine beiden Grundstrebungen, ewig und glücklich zu sein, eine das Leben mit Sinn erfüllende Antwort zu geben vermag.
Die Vielfalt dieser Erfahrung ist eingebettet in ein unüberschaubares Geflecht von Bewusstseinsformen. Schon bei der einfachen Beobachtung des eigenen Bewusstseins fällt auf, dass es nur für wenige Augenblicke eine Einheitlichkeit aufweist. Der Mensch befasst sich selbst im normalen Wachzustand mit mehreren Vorstellungen unterschiedlicher Valenz in Bedeutung und Konzentration. Dies hängt damit zusammen, dass das Bewusstsein von einem Aspekt zum anderen wechselt bzw. einzelne Ereignisse kaum oder gar nicht wahrnimmt. Andererseits kann es bei Bewusstseinszuständen wie Luzidität, Ekstase, Psychostase und Pneumostase zu einer solchen Identifikation mit Inhalten kommen, dass nicht nur die eigene Körperlichkeit, sondern selbst das eigene Ich zuweilen völlig vergessen wird.
Hier soll nun der Versuch unternommen werden, diese Vielschichtigkeit der Erfahrung im religiösen Kontext zu beleuchten und in ihren Grundstrukturen anhand konkreter Erfahrungsberichte darzulegen.

PHYSIS, BIOS, PSYCHE, PNEUMA

Tab. 1

Eine solche Betrachtung der verschiedenen Bewusstseinsformen muss von einer umfassenden Sicht von Welt und Mensch ausgehen, die aus geschichtlicher und empirischer Sicht die Unterscheidung von zumindest vier Wirkqualitäten erfordert:
Physis oder die Natur als solche, Bios oder der lebende Organismus, Psyche oder die Fähigkeit zu Empfinden und Fühlen, Pneuma oder die Fähigkeit der Bildung von Allgemeinbegriffen, der Reflexion, des Denkens, der Intuition, der Kreativität und Weisheit (Tab. 1).
Diese vier Wirkqualitäten können im Bereich des religiösen Kontexts verschiedene Ausdrucksformen annehmen und die Art des Bewusstseins beeinflussen oder sogar hervorrufen. So ist auch im Zusammenhang der religiösen Phänomenologie die Frage zu stellen, welche oder wieviele Wirkkräfte an einem Phänomen oder den Phänomenen beteiligt sind, welche Kraft davon eine dominante Stellung einnimmt bzw. ob ein harmonisches Zusammenwirken aller gegeben ist.

Physis

Abb. 1: Anna Furtner (1823-1884)

In den Bereich der Physis fallen all jene Kräfte der Natur, die auf das Leben sowie die Erlebnis- und Bewusstseinsformen einer Person in ihrem religiösen Kontext wirken. Hierzu gehören neben der Um- und Arbeitswelt, den Spurenelementen des Organismus und der Ernährung vor allem auch all jene physikalischen Phänomene, deren Ursachen noch unbekannt sind und die somit dem Bereich der Paraphysik zugeordnet werden. Im Einzelnen handelt es sich hierbei um Alchemie, Amulette, Astrologie, eingebrannte Hände, Emanationen, Erscheinungen, Geisterfotografie, Leuchtphänomene, Orte der Kraft, Spuk, Tonbandstimmen, UFOs usw. Die Frage der Echtheit ist jeweils zu klären.
Einen besonderen Fall, der hier als Bespiel dienen soll, stellt die Wassertrinkerin von Frasdorf, Anna Maria Furtner (1823-1884, Abb. 1), dar, die 50 Jahre lang nur von Wasser gelebt haben soll und über deren Untersuchung der Geheime Rat Dr. von Walther im Bulletin der königl. Akademie der Wissenschaften, 1884, Nr. 31, München, 12. Juli, Folgendes ausführt:

„Schon seit längerer Zeit erregte die Aufmerksamkeit der Aerzte und Naturforscher ein jetzt 20-jähriges Bauernmädchen, Anna Maria Furtner aus Weizenreuth in dem Landgerichte Rosenheim, von welcher behauptet wird, dass sie seit 11 Jahren nur Wasser, und bloß im Frühjahr kurze Zeit lang frisch ausfließenden Birkensaft, außerdem aber keine Speise genieße und eben so lange schon keine Stuhlentleerung gehabt habe, jedoch Urin lasse und regelmäßig, obgleich etwas sparsam menstruirt sey. Zeugnisse von Aerzten, Geistlichen und Beamten bestätigen die Richtigkeit der Thatsache. Zur näheren Beobachtung und Untersuchung wurde sie 1843 in das allgemeine städtische Krankenhaus in München aufgenommen, und in demselben 5 Wochen lang in einem abgesonderten wohl verwahrten Zimmer genau beobachtet: worauf der Herr Krankenhausdirektor ihr das Zeugnis ertheilte, ,dass sie diese 5 Wochen lang bloß von Wasser gelebt und keine Fäcalausleerungen gehabt habe.‘
Glücklicher Weise ist bisher dieser Fall von Ostentation, und von miraculoser Zuthat rein gehalten worden, und es besteht kein näherer Grund, Betrug und Täuschung aus Gewinnsucht… anzunehmen.“5

Bios

Abb. 2: Gemma Galgani (1878-1903)

Zu Bios gehören alle Funktionen und Reaktionen des lebenden Organismus wie auch jene biologischen Phänomene, deren Ursachen noch ungeklärt sind und die daher in den Bereich der Parabiologie fallen. Hierbei sind für den religiösen Bereich vor allem Phänomene wie Blutwunder, Levitation, Stigmatisation, Nahrungslosigkeit, Unverweslichkeit, Wunderheilung usw. zu nennen.
Als Beispiel dieser vielfältigen Phänomene diene ein Heilungsbericht im Zusammenhang mit der hl. Gemma Galgani (1878-1903, Abb. 2):

„Es kam der Augenblick der heiligen Kommunion. Ich rief sogleich meine kleine Schwester herbei, damit sie mir einige Gebete für meine Vorbereitung vorlese. Während sie las, schlief ich ein, und mein Gast kam zum letztenmal zu mir und liess seine Stimme vernehmen. Er legte eine Hand auf meine Stirne und sagte zu mir: ,Gemma, der Augenblick kommt, in welchem Jesus dir die Gesundheit der Seele und des Leibes gibt. Und du, was willst du Jesus sagen?‘ Ich antwortete nicht, und es wäre mir unmöglich, anzugeben, wann mein Schwesterchen zu lesen aufhörte. Sie schüttelte mich und sagte: ,Gemma! Die heilige Kommunion ist da!‘ Ich sah den Priester eintreten, gefolgt von einigen Personen. Er segnete mich. Ich fühlte, dass ich die Hostie empfing, dann fiel ich in den Schlaf zurück. Kaum war Jesus in mir, da sagte mein Besucher: ,Gemma, erneuere Jesus alle deine Versprechen und füge hinzu, dass du im Monat, der ihm geweiht ist, dich völlig ihm hingeben willst.‘ Da erneuerte ich Jesus meine Versprechen und hiess mein Herz, ihm vieles zu sagen, denn ich konnte keine Worte finden. Wie glücklich ich gewesen bin! (R. 278). Jesus wiederholte: ,Gemma, willst du geheilt werden?‘ Meine Erregung war so gross, dass ich nicht antworten konnte. Armer Jesus! Die Gnade wurde gewährt, ich war geheilt! (A. 248).
Meine Tante schüttelte mich und stellte das Frühstück vor mich hin. Ich bemerkte, dass meine Hände gefaltet waren, aber erinnere mich nicht, sie gefaltet zu haben. Dann spürte ich, dass ich mich bewegen konnte, ich hob den Arm und das Bein. Ich ass mein Frühstück, ohne Magenbeschwerden zu bekommen. Sobald ich im Zimmer allein war, sass ich auf im Bett: es gelang mühelos. Keine Kopfschmerzen mehr. Ich fühlte mich gesund. Ich hätte sofort aufstehen können, wenn meine Kräfte es zugelassen hätten! (R. 278)“6

Psyche

Der Psyche sind alle Formen des Empfindens und Fühlens sowie alle diesbezüglichen Grenzphänomene zuzurechnen, mit denen sich vornehmlich die Parapsychologie befasst. Für das Verständnis der religiösen Erfahrung sind vor allem folgende Themenbereiche von Bedeutung:

– Außersinnliche Wahrnehmung, wie Hellhören, Hellsehen, Prägkognition, Retrokognition, Telepathie usw.;
– Bewusstseinszustände, wie Autosuggestion, Ekstase, Hypnose, Kosmisches Bewusstsein, Luzidität, Protobewusstsein, Trance, Traum, Visionen usw.;
– Exkursionserlebnisse, wie Außerkörperliche Erfahrung, Bilokationserleben, Doppelgängertum, Exteriorisation des Empfindungsvermögens, Levitation usw.;
– Medialität und Sensitivität;
– Persönlichkeitsvariablen, wie Begabung, multiple Persönlichkeit, Ruf der Heiligkeit usw.;
– Psychohygiene, wie ASW-Training, Autoskopie, Identitätsfindung, Mediumistische Psychose, Okkulttäterbetreuung, Positives Denken, Psychische Heilung, Psychoenergetik, Reinkarnationstherapie, Transpersonale Psychohygiene usw.;
– Verhalten, wie Ekstaseverhalten, Besessenheitsverhalten, Hypnoseverhalten, Kryptolalie, Psychische Automatismen, Somnambulismus, Tranceverhalten, Xenoglossie usw.

Allein diese sehr grobe Themenauflistung macht deutlich, dass die Parapsychologie zur Klärung religiöser Erlebnisse, Erfahrungen und Verhaltensmuster einen großen Beitrag leisten kann und heute aus der Betrachtung dieser Phänomene nicht mehr wegzudenken ist.

Pneuma

Zu Pneuma gehören alle Phänomene, die in den Bereich von Reflexion, Intuition, Kreativitat und Weisheit fallen, wobei sich die Parapneumatologie mit allen diesbezüglichen Grenzphänomenen befasst, deren logische Kausalität nicht auszumachen ist, wo der Mensch aber mittels seiner geistigen Fähigkeiten steuernd wirkt, wie bei Gebet, Meditation, Mantik, Magie und Weissagung, oder erkennend aufnimmt, wie bei Geist, Geistern, Intuition, Inspiration, Marienerscheinungen, Mystik, Offenbarungen, Theophanie, oder wo sich die Frage des Fortlebens nach dem Tode stellt. So können hier im Einzelnen folgende Gebiete ausgemacht werden:

– Fortleben: Auferstehung, Jenseitskontakte, Reinkarnation, Totenerweckung usw.;
– Gebet und Meditation: Gebetserfahrung, Gesundbeten, Glaube, Heilsgewissheit, Invokation;
– Geist und Geister: Dämonen, Engel, Exorzismus, Verstorbene;
– Hagiographie: außergewöhnliche Phänomene bei Dienern Gottes, Seligen und Heiligen;
– Intuition und Inspiration: Eingebung, Erleuchtung, Kreativität;
– Magie: Beschwören, Besprechen, Schwarze und Weiße Magie, Zauberei;
– Mantik: Orakel und Weissagung;
– Marienerscheinungen: Fatima, Lourdes usw.;
– Mystik: Christliche Mystik, Frauenmystik, Indische Mystik, Islamische Mystik, Jüdische Mystik usw.;
– Offenbarungen: Altes und Neues Testament, Offenbarungen in nicht christlichen Religionen, Privatoffenbarungen usw.;
– Symbole: christliche Symbole, magische Symbole, Symbole der Mysterien, Ursymbole usw.;
– Theophanie: Allgegenwart Gottes, Berufung, Gnade, Gottesschau, Vorsehung usw.;
– Weisheit: Lebensweisheit, Volksweisheit, Weisheit der verschiedenen Kulturen, Weisheitslehren und -lehrer;
– Weissagungen: Prophetie und Zukunftsschau;
– Wunder: Wunder im Alten und Neuen Testament, Wunder und Kanonisation, Wunderglaube, Wunderheilungen.

Diese kurze Auflistung der einzelnen Gebiete zeigt bereits, dass es sich hier um einen Grenzbereich geistiger Tätigkeit und Erfahrung handelt, der bisher noch völlig unberührt blieb, weil sich die Parapsychologie nicht für zuständig erachtet und das von mir erstellte Konzept der Paranormologie noch immer mit der Sondierung der Gebiete befasst ist, die im Übrigen sowohl inhaltlich wie phänomenologisch nur schwer einzugrenzen sind. Andererseits umspannt die Parapneumatologie gerade jene Sphäre des Geistigen, die den Menschen über sich hinaushebt und mit der Dimension des Ewigen in Verbindung bringt.7

FORMEN DES BEWUSSTSEINS

Da es im gegebenen Rahmen nicht möglich ist, alle angesprochenen Gebiete im Kontext von Paranormologie und Religion zu behandeln, zumal viele Bereiche, wie erwähnt, noch völlig offen sind, möchte ich hier – angeregt durch die von Dr. Hubert Larcher vorgelegte Einteilung8 – die von von mir erweiterte Gliederung der Bewusstseinsformen aufzeigen und die betreffenden Bewusstseinszustände kurz beschreiben.
Diese Gliederung erwächst aus der Erkenntnis, dass das jeweilige Zusammenwirken von Physis, Bios, Psyche und Pneuma zu Grundformen des Erlebens führt, die ereignisunabhängig die einzelnen Bewusstseinsformen mit Ausnahme der Pneumostase je nach Dominanz mitbestimmen, nämlich:

1) die ozeanische Selbstentgrenzung oder die Erfahrung des Unendlichen und
2) die angstvolle Ich-Auflösung oder die Erfahrung der Enge bzw. des Todes.

Dieser Kontrast kann vom Ich nur durch eine visionäre Umstrukturierung oder durch die Erfahrung der äußeren und inneren Harmonisierung bewältigt werden9 (Tab. 2).

Tab. 2: Ganzheitspsychologie

Die genannten Grundformen des Erlebens kommen sehr bildhaft in der Traumvision von Rahere (um 1120), einem Höfling des englischen Königs Heinrichs I. (1100-1135) zum Ausdruck:

„Und als er den begonnenen Weg zurücklegte, sah er eines Nachts eine Vision, voll des Schreckens und zugleich der Süße. Als er nämlich nach des Tages Mühen seine Glieder der Ruhe überließ, schien es ihm, dass er von einem vierfüßigen und zweiflügeligen Tier in die Höhe getragen und von ihm an einem sehr hohen Ort abgesetzt werde. Als er von so großer Höhe herab den Blick aufmerksam nach unten wandte, merkte er, dass unter ihm ein schrecklicher Schlund war, dessen furchtbarer Anblick dem Schauenden zugleich Furcht und Schrecken einjagte, dessen Tiefe sich aber jedes Menschen Blick entzog. Er also, sich seiner Vergehen bewusst, meinte, er werde schon in den so ungeheueren Abgrund geworfen, erschrak und begann, aus seinem Munde laute Schreie auszustoßen. Als er sich so fürchtete und vor Entsetzen schrie, stand ein Mann bei ihm, der ein Antlitz königlicher Majestät zeigte, von wunderbarer Schönheit und herrscherlicher Autorität. Und indem er ihn fest anblickte, sprach er gute Worte, tröstliche Worte, brachte gute Botschaft und sagte etwa folgende Worte:
,Oh Mensch‘, sagte er, ,welchen und wie großen Gehorsam würdest du jenem leisten, der dir in so großer Todesgefahr Hilfe brächte?‘ Und als er darauf antwortete, er werde, was immer er an Gesinnung und Kräften habe, für das Wohlwollen seines Retters sorglichst aufwenden, fügte jener hinzu: ,Ich bin‘, sagte er, ,der Apostel Jesu Christi, Bartholomäus. Ich bin gekommen, dir in den Bedrängnissen beizustehen und dir die Geheimnisse des himmlischen Mysteriums aufzuschließen. Wisse denn, dass ich nach Willen und Befehl der gesamten höchsten Dreifaltigkeit und nach dem gemeinsamen Beifall und Rat des Himmlischen Hofstaates in der Londoner Vorstadt in Smithfield einen Platz ausgewählt habe, wo du in meinem Namen eine Kirche gründen wirst. Dort wird ein Gotteshaus sein, ein Tabernakel des Lammes, ein Tempel des Heiligen Geistes; dieses geistliche Haus wird der allmächtige Herr bewohnen, heiligen, verherrlichen und unversehrt in Ewigkeit bewahren…

Wisse, dass du der Diener dieses Werkes bist und ich der Herr. Du fülle das sorgfältig aus, ich werde die Aufgabe des Herrn und Patrons übernehmen.‘ Mit diesen Worten verschwand jene Vision.“10

Versucht man nun auf dem Boden der Wirkweise von Physis, Bios, Psyche und Pneuma mit besagten Grunddimensionen des psychischen Erlebens eine Gliederung der verschiedenen Bewusstseinsformen zu erstellen, so lassen sich ausgehend vom Wachzustand folgende Bereiche ausmachen: Wachzustand, Erhöhte Zustände, Hypnische Zustände und Lethargische Zustände, die den Ausgangspunkt von 13 Bewusstseinsformen mit ihren Übergängen (Transite) bilden (Tab. 3- 4).

Dabei könnte jeder dieser Übergänge noch weiter aufgefächert werden. Hier sollen jedoch nur die 13 Bewusstseinsformen ausgehend vom Wachbewusstsein näher beschrieben werden, wobei wir auch in die allgemeine Psychologie einsteigen.

Wachzustand

Der Wachzustand umfasst alle Bewusstseinszustände vom konzentrierten Umweltbezug bis zur relativen Umweltvergessenheit, nämlich: Protobewusstsein, Vigilanz und Luzidität.

1. Protobewusstsein

Vor allem seit Sigmund Freud ist die Einteilung der Bewusstseinszustände in Bewusstsein (aktuelle Denkinhalte), Vorbewusstsein (Vergessenes, das leicht zu erinnern ist) und Unbewusstsein (Vergessenes oder Verdrängtes, das nur über die freie Assoziation oder den Traum in das Bewusstseins gelangt) in aller Munde. Der zentralste Bewusstseinsbereich, den ich daher als „Protobewusstsein“ bezeichne, worauf auch der bekannte amerikanische Psychiater Benjamin B. Wolman11 aufmerksam machte, findet dabei kaum Beachtung.
Das Protobewusstsein ist jener Zustand der Selbsterfahrung und Selbstwahrnehmung, in dem das Bewusstsein von den psychischen und geistigen Erlebnissen und Wahrnehmungen so getragen wird, dass die Umweltorientierung mehr oder weniger zurücktritt, wenngleich eine allgemeine oder partielle Vigilanz sowie die Erinnerung an die verlassene Umweltkonzentration aufrecht bleibt. Es ist dies der Zustand des Selbstgesprächs oder, ganz allgemein gesprochen, der inneren Reflexion, der Lebenserfahrung und Lebensgestaltung und somit Ausgangspunkt und Bezugspunkt aller Bewusstseinszustände.
Das Studium des Biofeedback, der autogenen Therapie, des Sinnesentzugs, der parapsychologischen Phänomene und vor allem des Langzeitgedächnisses hat eindeutig gezeigt, dass es ein Bewusstsein gibt, das nichts mit der Vigilanz zu tun hat, weil der Umweltbezug relativ aufgehoben ist, und auch nichts mit dem Unbewussten, weil sich die Person ihrer Erfahrung und Wahrnehmung voll bewusst ist.
Im Zustand des Protobewusstseins befasst sich die Person in vollem Bewusstsein mit den Inhalten der Langzeiterinnerung. Nach der Kognitionspsychologie ist das Langzeitgedächtnis mindestens durch zwei Grundformen gekennzeichnet:
– von der Tatsache, dass „wir etwas wissen“, und
– von der Tatsache, dass wir wissen, „dass wir es wissen“.

Zudem haben Untersuchungen des Gedächtnisses mit sprachlichem und nicht-sprachlichem Material gezeigt, dass nicht nur der Gegenstand gelernt wird, sondern immer auch der Kontext. Eine Erinnerung stellt sich immer nur dann ein, wenn der Kontext oder ein Teil des Kontexts des ursprünglichen Lernens in der Wirklichkeit oder in der Vorstellung wiedergegeben wird. Auch der physiologische Zustand (Aktivität, Emotionen) der lernenden Person gehört zum Kontext des Lernens. So wird z.B. das, was in einem Betrunkenheitszustand gelernt wurde, in diesem Zustand auch leichter erinnert. Genauso wird etwas, das in einem religiösen Zustand gelernt wurde, in einem solchen Zustand leichter erinnert.

Im Zustand des Protobewusstseins können vor allem auch folgende Phänomene auftreten:
– Klarträume
– Parapsychische Phänomene, wie Hellsehen, Telepathie und Psychokinese
– Meditationszustände
– Sinnesentzug
– Doppelhalluzination bei posthypnotischer Suggestion durch Wahrnehmen des realen und des halluzinierten Bildes.

a) Klarträume

Klarträume sind jene Träume, wo sich der Träumer seines Traumes voll bewusst ist und im Vollbesitz seines Gedächtnisses, seines Denkens und Wollens steht, um auf das Traumgeschehen einzuwirken. Die Klarheit der Träume ist durch folgende Merkmale gekennzeichnet:
– Klarheit über den Bewusstseinszustand,
– Klarheit über die Handlungsmöglichkeit,
– Klarheit des Bewusstseins,
– Klarheit über die eigene Person, Situation und Intention,
– Klarheit über den Sinn der aktuellen Erfahrung,
– Klarheit über die Wahrnehmung dessen, was man sieht, hört, berührt usw.,
– Klarheit über die Erinnerung der Erfahrungen, die man in jenem Zustand gemacht hat.

Der Klartraum kann sich spontan einstellen; er kann aber auch hervorgerufen werden, wobei sich folgende Techniken anbieten:
• sich mehrmals am Tag die Frage stellen: Bin ich wach oder schlafe ich?
• sich intensiv vorstellen, zu träumen,
• die aktuellen und vergangenen Erfahrungen in Bezug auf außergewöhnliche Ereignisse und Gedächtnislücken durchsuchen.
• sich nach Verständnis des Traumzustandes ein Aktionsprogramm erstellen;
• mit dem Wunsch eines Klartraumes einschlafen.

Während des Klartraums kann das analytische und therapeutische Verhalten folgenden Ablauf nehmen:
– Begegnung mit anderen Personen durch Introjektion oder Reintegration
– Begegnung mit feindlichen Personen durch Konfrontation, Kampf, Dialog, Beruhigung, Verständigung, Ersuchen um Hilfe oder Trennung
– Begegnung mit dem Tod zum Verständnis der Begrenztheit des eigenen Lebens
– Begegnung mit der kosmischen Dimension und mit der Transzendenz.

Diese Anwendung des Klartraums kann zu großer innerer Harmonie führen und auch das religiöse Leben vertiefen, nicht zuletzt in seinem kosmischen und transzendenten Bezug, wie folgendes Erlebnis von Raïssa Maritain zeigt:

„Es war, glaube ich, bald danach [nach der Wallfahrt nach Chartres], als ich eine Reise antrat, und als ich aus dem Eisenbahnfenster die Wälder vorbeifliegen sah, hatte ich zum zweiten Male das Gefühl der göttlichen Gegenwart. (Das erste Mal war dieses heftige und flüchtige Gefühl bei der Lektüre Plotins über mich gekommen.) Ich schaute nur, dachte an nichts Bestimmtes; es vollzog sich ein tiefer Wandel in mir, als wäre ich von der Wahrnehmung der Sinne zu einer völlig innerlichen Wahrnehmung übergegangen. Die vorbeifliegenden Bäume waren auf einmal über sich hinausgewachsen. Sie gewannen eine Dimension von wunderbarer Tiefe. Der ganze Wald schien zu sprechen und von einem andern zu sprechen; er wurde so sehr zu einem Wald der Symbole, dass er keine andere Aufgabe hatte, als auf den Herrn hinzuweisen.“12

b) Meditation

Die ureigenste Form des Protobewusstseins ist sicherlich die Meditation, ist diese doch ein Verinnerlichungsprozess durch das offene Gespräch mit und unter den Inhalten (Gedanken, Gefühle und Empfindungen) des Langzeitgedächtnisses in einem Zustand der Entspannung und des mehr oder weniger vollkommenen Sinnesentzugs (psychologisch), verbunden mit teilweisen Gesprächen mit dem Kurzzeitgedächtnis. So ist die Meditation durch folgende Merkmale gekennzeichnet:
– Somatische, psychologische und geistige Entspannung
– Psychologische Reduzierung der Sinneswahrnehnung
– Reduzierung der zeitlichen und räumlichen Wahrnehmung
– Gespräch des Ichs mit
1) Inhalten des Langzeitgedächtnisses,
2) Inhalten des Langzeitgedächtnisses in Bezug auf Inhalte des Kurzzeitgedächtnisses,
3) dem Selbst: Erinnerungen – Perspektiven, Kreativität, Wert (zeitlicher und ewiger)
– Gespräch zwischen den Inhalten des Gedächtnisses unter Aufsicht des Ichs und des Selbst.

Nach diesen angeführten Aspekten lassen sich auch die unzähligen Formen der Meditation verhältnismäßig leicht in Gruppen zusammenfassen. Wichtiger sind jedoch die Unterscheidung der Meditation von anderen Bewusstseinshandlungen sowie das Aufzeigen ihrer Inhaltsformen und der durch die Meditation hervorzurufenden Effekte.

1) Unterscheidung: Die Meditation ist zu unterscheiden von:
– der Konzentration,
– dem Gebet in Vigilanz,
– der Kontemplation, wegen der thematischen Fokussierung,
– der Selbsthypnose, wegen der Autosuggestionswirkung,
– der Trance, wegen des Fehlens des Dialogs,
– der aktiven und passiven Regression, wegen des Rückzugs vom Gesamtdialog.

Freilich sind diese Unterscheidungen nicht immer leicht, weil die Übergänge oft fließend sind, doch gehört zur Meditation das offene, innere, freie Gespräch, das auch die Inhalte bestimmt.

2) Inhalte: Die Inhalte der Meditation unterscheiden sich nach:
– den Inhalten des Langzeitgedächtnisses,
– den Inhalten des aktuellen Bewusstseinszustandes,
– den Erfahrungen und Wünschen,
– dem Bedeutungswert und der Kreativität,
– der Einstellung und der religiösen Dimension,
– der somatischen, psychischen und geistigen Befindlichkeit.

Aus diesen Gründen ist eine Wertung der Inhalte nur auf individueller Ebene möglich, was gleichzeitig besagt, dass auch Meditationsübungen diesen Aspekten Rechnung tragen müssen, sollen die gewünschten Effekte erzielt werden.

3) Effekte: Die Effekte der Meditation sind so vielfältig, dass hier nur die wesentlichsten genannt werden können:
– Reduktion von körperlichem, psychischem und geistigem Stress durch Entfaltung einer gewissen Stressimmunität;
– Steigerung der Vigilanz und des Gedankenflusses im Gegensatz zur Wirkung von Beruhigungsmitteln;
– Besserung (vor allem bei regelmäßiger Meditation) von durch Stress verursachten Krankheiten, wie Bluthochdruck, Kopfweh, Bronchialasthma, Kreislaufstörungen usw.
– Verminderung der Beruhigungsmittel wie Rauchen (bis 57%) und Alkoholismus (bis 40%). Es scheint eine klare Beziehung zwischen der verwendeten Zeit für die Meditation (mit entsprechenden Inhalten) und der Fähigkeit zu geben, den Betäubungsmitteln zu widerstehen, was besagt, dass – wenn es durch Meditation gelingt, die Inhalte des Innenraumes zu harmonisieren – Sedativa überflüssig werden.
– Stärkung des Selbstvertrauens und Minderung unangepasster Selbstkritik mit Zunahme der Toleranz anderen Personen gegenüber;
– Stärkung der inneren Unabhängigkeit im Sinne eines höheren Selbstbewusstseins und einer höheren Selbstsicherheit.

Als Hauptfaktoren dieser Effekte der Meditation können folgende genannt werden:
– ein optimales Stimulierungsniveau,
– eine Wiederentdeckung des eigenen inneren Rhythmus,
– eine erhöhte Aktivität der rechten Hemisphäre mit Steigerung von Intuition und Gesamtschau
– Wechsel von der Ich-Kontrolle zum Selbstverständnis.

Die hier skizzierte Darstellung der Grundstruktur der Meditation beschreibt der Religionsphilosoph Sarvepalli Radhakrishnan folgendermaßen:

„Der Weg zur Selbstentfaltung ist die Meditation. Durch sie wenden wir unseren Sinn heimwärts und errichten eine Verbindung zum Zentrum des Schöpferischen. Um die Wahrheit zu erkennen, müssen wir uns in uns vertiefen und uns nicht nur oberflächlich einen weiteren Gesichtskreis geben. Stille und Ruhe sind notwendig für die tiefe Erneuerung unseres Seins, und die erlangen wir nicht leicht in unserer Zeit. Disziplin und angestrengter Wille helfen uns, unser Bewusstsein mit dem Höchsten in Beziehung zu setzen… Es ist ein Zusammenfassen aller Kräfte, der intellektuellen Fähigkeiten, der Regungen des Herzens, der vitalen Sehnsüchte und sogar des rein physischen Seins, um sie alle auf das Ziel auszurichten.13
„Wenn wir aufgefordert werden, von der Oberfläche unseres Bewusstseins in seine Tiefen zu sinken, indem wir unser Tun beherrschen, dann heißt dies, dass nun der Geist, groß, machtvoll und leuchtend, seine Natur geltend macht. Durch die Methode der Meditation durchdringen unsere Überzeugungen uns ganz und gar, sie werden unser Lebensatem und wachsen, ohne dass es eines bewussten Eingreifens bedürfte.“14

2. Vigilanz

Die Vigilanz oder das Wachbewusstsein ist ganz allgemein gekennzeichnet durch den konzentrierten Umweltbezug, die zielgerichtete Bewegung und die Eigenreflexion.
Der Bewusstseinzustand der Vigilanz stellt sich nur ein, wenn:
– man eine neue Information empfängt oder eine neue Reaktion erlernt,
– man Urteils- oder Reaktionsentscheidungen trifft,
– es nicht zu den erwarteten Reizen kommt.

Auf motorischer Ebene nehmen wir unser Verhalten nur wahr, wenn:
– neue Verhaltens- oder Reaktionsformen erforderlich sind,
– eine Entscheidung zu einer bestimmten Handlungsweise ansteht,
– gefährliche und schwierige Situationen bestehen,
– Handlungen ausgeführt werden sollen, welche die Überwindung einer starken Gewohnheit erfordern.

In solchen Handlungssituationen kann es auch vorkommen, dass sich das Bewusstwerden der Handlung erst nach derselben einstellt, z.B. das Bremsen des Autos in einer Gefahrensituation. Dieses Phänomen hängt damit zusammen, dass der Vergleich des aktuellen Reizschemas mit dem Langzeitgedächtnis um so weniger bewusst erfolgt als Reaktionswahl und Reaktionsvollzug mit der äußeren Information hinsichtlich des Erfolges der Reaktion übereinstimmen.
Die Intensität der Aufmerksamkeit und der Vorbereitung auf die Reaktion hängen nämlich vom Ergebnis des Vergleichs des Schemas der eintreffenden Reize mit den registrierten Schemata des Langzeitgedächtnisses zusammen. Dieser Vergleichsprozess, der nach 200-250 ms nach der Reizung erfolgt, steht zeitlich an der Schwelle zwischen vorbewusster oder protobewusster Verarbeitung und dem Kurzzeitgedächtnis.
Die Vigilanz ist schließlich auch unter dem Aspekt der Selbstwahrnehmung und der Selbsterfahrung zu betrachten. Damit berühren wir einen Bereich, der zwar alltäglich, aber kaum messbar ist, so dass er völlig vernachlässigt wurde, nämlich den Ausgangs- und Bezugspunkt der verschiedenen Bewusstseinsformen, das oben besprochene Proto– oder Urbewusstsein.

3. Luzidität

Die Luzidität ist gekennzeichnet durch psychische und geistige Klarheit sowie durch ein unmittelbares bildhaftes wie auch akustisches Erfassen von Inhalten und Ereignissen, die auf dem normalen Erkenntnisweg nicht wahrnehmbar sind.
Im Unterschied zu Protobewusstsein und Vigilanz sind Ich und Selbst im Zustand der Luzidität in erster Linie passive Empfänger. Die Bewusstseinsinhalte stellen sich im somatischen, psychischen wie geistigen Bereich völlig von selbst mit überzeugender Klarheit ein. Die wahrnehmende Person, die von der Luzidität bzw. von der Klarheit einer plötzlichen und der Sinneswahrnehmung völlig fremden Wahrnehmung erfasst wird, bleibt dabei jedoch im Vollbesitz des Bewusstseins und der persönlichen Freiheit. Dieser Zustand der Luzidität ist meist nur von kurzer Dauer und geht nicht selten in den Zustand der Vigilanz, Ekstase, Psychostase oder Pneumostase über.
Die Luzidität weist nämlich folgende Eigenschaften auf:
– Unmittelbare und nicht-intendierte Erfahrung mit überzeugender optischer, auditiver und inhaltlicher Klarheit.
– Ich und Selbst werden von der Erfahrung überwältigt, wenngleich die Freiheit ihres Urteils bestehen bleibt.
– Die Inhalte gehen über die Sinneswahrnehmung hinaus.
– Die Erfahrungen können somatischer, psychischer und geistiger Natur sein.
So kann eine Person beim Empfinden der Anwesenheit einer anderen Person unter Umständen ihre eigenen inneren Organe sowie die Organe der anderen Personen sehen, mit denen sie in Verbindung steht, und diese mit den eigenen Organen vergleichen.

Auf der psychisch-geistigen Ebene kann eine Person u.U. einen Gegenstand, lebende und verstorbene Personen mit all ihren Fähigkeiten, wie sie waren, sind und sein werden, erkennen. Sie kann sogar ein Ereignis, einen Fall oder eine Handlung mit all ihren Vorbereitungen und Konsequenzen erkennen, was auf folgendem Erkenntnisweg der Luzidität möglich ist:
Visionen: Stellt diese unmittelbare Erkenntnis ihre Inhalte, wie erwähnt, in optischer Form dar (bildhafte Luzidität), dann spricht man von Vision. Die Vision als Form der Luzidität ist zu unterscheiden von der Halluzination, der Illusion, den luziden Träumen und den eidetischen Phänomenen.
Hellsehen: Nimmt die Vision die Eigenschaft eines unmittelbaren Erkennens von Gegenständen und Ereignissen an, die sinnlich nicht wahrnehmbar sind, spricht man von Hellsehen.
Audition: Stellt eine unmittelbare Erkenntnis ihren Inhalt in akustischer Form dar, ist die Rede von Audition.
Telepathie: Vermittelt das luzide Erkennen nicht-verbalisierbare oder sinnlich nicht wahrnehmbare Gedanken anderer Personen, spricht man von Telepathie.
Paragnosie: Bezieht sich die Luzidität auf das Erfassen von Gegenständen oder deren Eigenschaften ohne optischen Aspekt, wie z.B. das Erkennen von Weihwasser, hat man es mit Paragnosie zu tun.
Retrokognition: Das unmittelbare Erkennen vergangener Ereignisse bezeichnet man als Retrokognition.
Präkognition: Das luzide Erkennen zukünftiger Ereignisse wird Präkognition genannt. Diese ist zu unterscheiden von der Prophetie. Der Prophet sagt das Ereignis voraus, wie immer er auch davon Kenntnis genommen haben mag, während die präkognitive Erfahrung sich völlig passiv einstellt.

Bei der Deutung solch luzider Erfahrungen und Erkenntnisse ist jedoch äußerste Zurückhaltung geboten, weil sich nur allzu leicht Selbsttäuschung und Selbstgefälligkeit einschleichen, wie Teresa von Ávila bemerkt:

„Es können also, wie gesagt, alle Ansprachen von Gott sein, mögen sie aus dem Innersten der Seele oder von deren oberem Teile oder auch von außen kommen. Die sichersten Zeichen sind meines Erachtens folgende: Das erste und sicherste Zeichen ist die Macht und Herrschaft, die diese Ansprachen Gottes an sich tragen; denn da ist Sprechen und Wirken ein und dasselbe. …
Das zweite Kennzeichen des göttlichen Ursprungs solcher Ansprachen ist eine in der Seele bleibende tiefe Ruhe; sie wird in eine andächtige und friedvolle Sammlung versetzt und zum Lobe Gottes angeregt. …
Das dritte Zeichen endlich, woran man die von Gott kommenden Ansprachen erkennt, besteht darin, dass sie sehr lange dauern und manchmal gar nicht mehr dem Gedächtnisse entschwinden. …
Entspringen diese Ansprachen der Einbildungskraft, dann findet sich keines der genannten Zeichen vor, weder die Gewissheit, noch der Friede, noch die innere Freude. Nur das eine kann vorkommen, wie ich es schon an einigen Personen des öfteren wahrgenommen: Wenn sie in das Gebet der Ruhe sehr vertieft oder vom geistigen Schlaf ganz eingenommen sind, so befinden sie sich in dieser großen Sammlung wegen schwacher Körperbeschaffenheit oder schwacher Einbildungskraft oder aus einem anderen, mir unbekannten Grund in Wahrheit derart außer sich, dass sie äußerlich nichts mehr wahrnehmen und alle Sinne so eingeschlummert sind wie bei einem schlafenden Menschen. Vielleicht ist es auch so, dass sie wirklich eingeschlafen sind. Da erscheint es ihnen wie im Traumzustand, als redete jemand zu ihnen oder als sähen sie etwas, und halten das für eine göttliche Ansprache; allein dies sind nur Wirkungen eines Traumes.“15

4. Ekstase

Eine Ekstase ist die volle Inanspruchnahme durch einen psychischen und geistigen Inhalt bis zur völligen Ausschaltung des Umweltbezugs und Verminderung der Sensibilität für äußere Reize sowie der motorischen Bewegung, verbunden mit einer Modifizierung des Blutkreislaufes, der Atmung und des Stoffwechsels.
Im Unterschied zur Luzidität sind in der Ekstase Psyche und Pneuma so sehr von einer Erfahrung mit persönlicher Bedeutung erfasst, dass sich das Ich auf der psychisch-geistigen Ebene dermaßen stark mit den Inhalten der Erfahrung identifiziert, dass es jeden Bezug zu anderen Erfahrungen, Erinnerungen, Vorstellungen und jede Form des Umweltbezugs, zuweilen sogar unter Einschluss des eigenen Körpers, völlig aufgibt. So schreibt Johannes vom Kreuz:

„Denn da die Sinne schon mehr geläutert sind, so besitzen sie eine größere Fähigkeit, wenigstens nach ihrer Art die Süßigkeiten des Geistes zu kosten. Und da schließlich der sinnliche Teil der Seele zu schwach und unfähig ist, um die starke Kraft des Geistes in sich aufzunehmen, so erleiden die Fortgeschrittenen infolge dieser Verbindung des Geistes mit dem sinnlichen Teil gar manche Schwächen, Nachteile und Verdauungsstörungen und infolgedessen auch geistige Beschwerden nach den Worten des weisen Mannes: Corpus enim, quod corrumpitur, aggravat animam. (Weish. 9,15) ,Der vergängliche Leib beschwert die Seele.‘ Und daher können diese Mitteilungen nie so mächtig, tiefgehend und geistig sein, wie sie für die übernatürliche Vereinigung mit Gott erfordert werden, und zwar infolge der Schwäche und Verdorbenheit des sinnlichen Teiles, der davon betroffen wird. Darin haben auch die Entrückungen, Herzkrämpfe und Verrenkungen der Glieder ihren Grund, die immer eintreten, wenn die Mitteilungen nicht rein geistig sind, d.h. nicht dem Geiste allein widerfahren, wie es bei den Vollkommenen der Fall ist, die schon durch diese zweite Nacht des Geistes gereinigt sind. Bei diesen haben alle Verzückungen und körperlichen Peinen ein Ende, sie erfreuen sich der Freiheit des Geistes, ohne dass sie der sinnliche Teil verfinstert oder ablenkt.“16

Hier kommt es dann zu einer völligen Ausschaltung des Körperbezugs und das psychisch-geistige Ergriffensein erreicht eine Höchstform der Ekstase, wie Teresa von Ávila schreibt:

„Wenn der Herr die Seele zur Verzückung erheben will, wird ihr der Atem derart entzogen, dass sie durchaus nicht mehr sprechen kann. Die übrigen Sinne bleiben manchmal noch kurze Zeit frei, manchmal aber werden sie plötzlich alle miteinander entrückt. Es erkalten die Hände und der ganze Leib, so dass es den Anschein hat, die Seele sei entwichen; manchmal merkt man es nicht einmal, ob der Leib noch atmet. Dieser Zustand dauert in einem fort nur eine kurze Zeit. Sobald diese gewaltige Entrückung etwas nachlässt, scheint der Körper wieder einiges Leben zu gewinnen und atmet wieder auf, um aufs neue zu sterben und der Seele ein neues Aufleben zu verschaffen; so währt denn bei all dem diese so große Ekstase nie lange.
Indessen kommt es doch vor, dass nach dieser Entrückung der Wille noch versenkt bleibt und der Verstand so verloren ist, dass er scheinbar nur auf das achten kann, was den Willen zur Liebe anzuregen vermag; denn davon ist er jetzt ganz eingenommen, während er sich den Geschöpfen gegenüber wie schlafend verhält und kein Verlangen hat, sich irgendwie damit zu beschäftigen. Dies dauert einen Tag oder auch mehrere Tage so fort.“17

a) Primäre Merkmale

So ist die Ekstase, kurz zusammengefasst, durch folgende Merkmale gekennzeichnet:

– Volle Inanspruchnahme durch eine psychische oder geistige Erfahrung. Die Person wird vom Inhalt der Kontemplation überwältigt.
– Die Aufhebung des Umweltbezugs lässt die Person nach außen oft wie tot erscheinen (Biokömese). Sie atmet, ist sich dessen aber nicht bewusst. So sagt die hl. Theresia:
Die Geistesentrückung „vollzieht sich in einer Weise, dass es wahrhaft den Anschein hat, der Geist scheide vom Leibe; und doch ist es andererseits gewiss, dass die Person nicht tot ist. Sie kann indessen, wenigstens für einige Augenblicke, selbst nicht sagen, ob die Seele im Leibe ist oder außer dem Leibe. Ist sie aber wieder zu sich gekommen, so meint sie, in einem ganz anderen Lande gewesen zu sein als da, wo wir leben“18.
– Die Reduzierung der Sensibilität den äußeren Reizen gegenüber kann alle Sinne oder auch nur einzelne betreffen.
– Aufgrund der gänzlichen Identifikation des Ichs mit den psychischen oder geistigen Erfahrungen kann der ekstatische Zustand sowohl als Quelle des psychischen Wohlergehens im Empfinden und Fühlen als auch der geistigen Freude und der Erkenntnis betrachtet werden.
– Der vollständige Bezugsverlust zu anderen Erfahrungen, Erinnerungen und Vorstellungen aufgrund der völligen Identifikation mit den überwältigenden Erfahrungen führt nicht zum Verlust, sondern zur Stärkung des Ichs, indem es gänzlich zum inneren Akteur wird.
– Die Minderung der körperlichen Bewegungen bis zur Unbeweglichkeit kann eine Vielfalt von Modifikationen aufweisen. Im Allgemeinen behält der Körper die Haltung ein, die er beim Ergriffenwerden (raptus exstaticus) einnahm.

b) Sekundäre Merkmale

Als sekundäre oder begleitende Merkmale der Ekstase können folgende unterschieden werden:

1) Außerkörperliche Erfahrungen:
– Beobachtung des Körpers von außen;
– Reisen durch verschiedene Gegenden;
– Begegnung mit lebenden und toten Personen;
– Ablaufen des eigenen Lebensfilms;
– Erblicken der Lebensschnur, die das Ich mit dem Körper verbindet;
– Erspüren der Anwesenheit von Geistern, Heiligen und Engeln
    usw.

2) Somatische Reaktionen:
– Empfindungen und Gefühle können sich in der Physiognomie als Ausdruck der Freude, der Liebe und des Schmerzes widerspiegeln.
– Empfindungen, Gefühle, Vorstellungen und Eindrücke können sich am Körper als Blutschwitzen, Stigmatisation, Schmerzen und spezifische Empfindungen niederschlagen.
– Die vollständigste und umfassendste Beanspruchung des Körpers ist die Levitation (Josef von Copertino).
– Mitunter kommt es zu krampfartigen Kontraktionen der Extremitäten.
Die ekstatische Somatisation ist jedoch nie gesundheitschädlich.

3) Dauer:
Die Dauer der Ekstase ist, wie wir gesehen haben, sehr variabel. Sie kann einige Sekunden bis mehrere Tage in Anspruch nehmen. Ganz allgemein kann aber gesagt werden, dass die Ekstase um so kürzer ausfällt, je tiefer sie ist.

4) Vorbereitung:
Die unmittelbarste und eigentliche Vorbereitung der Ekstase besteht in einer lebhaften bildlichen oder gedanklichen Vorstellung. Es ist immer das inhaltliche Erlebnis, die Kontemplation einer Aussage, die eine ekstatische Entrückung hervorruft und aufrechterhält, wenngleich eine solche Konzentration unter Umständen völlig unbewusst erfolgt. So sagt die hl. Theresia:
„Zuweilen geschieht es, dass man urplötzlich eine rasche Regung der Seele wahrnimmt und der Geist mit einer solchen Schnelligkeit hingerissen zu werden scheint, dass man, besonders am Anfang, von großer Furcht befallen wird.“19

c) Unterscheidungsmerkmale

Die eigentliche Ekstase ist zu unterscheiden von:

1) der Katalepsie oder Flexibilitas cerea, dem anhaltenden Verharren in einer bestimmten, selbst unbequemen, Körperhaltung durch Erhöhung der Muskelspannung. Dabei wird den passiven Bewegungen ein „wachsartiger“ Widerstand (Flexibilitas cerea) entgegengesetzt. Die Katalepsie zeigt sich bei (katatoner) Schizophrenie, nach Enzephalitiden und zuweilen auch bei (konversions-)neurotischen Störungen, wie:
organischen Psychosen
– hysterischen Reaktionen
schizophrenen Reaktionen.
Diesen Verhaltensformen mangelt es an Ruhe und Inhalt der psychischen und geistigen Identifikation. Es handelt sich dabei meist um Formen der Ohnmacht oder der zwanghaften Fixierung.

2) der Liebesekstase, der Überwältigung von den eigenen Gefühlen
3) der sexuellen Ekstase, der Überwältigung von der eigenen Vitalität.

d) Natürliche und religiöse Ekstase

Die Unterscheidung zwischen natürlicher und religiöser Ekstase kann nur unter dem Aspekt des psychischen und geistigen Inhalts erfolgen, der die Ekstase auslöst oder der sich während der Ekstase einstellt. Ein eventueller transzendenter oder göttlicher Einfluss ist empirisch nicht messbar. Dieser Einfluss könnte daher nur in Verursachung, Richtung, Inhalt und Reaktion erfolgen, und zwar in Form einer Initialursache mit Verstärkung von Erfahrung, Vorstellung, Denken und ekstatischen Reaktionsmechanismen, aber auch in Form einer Inspiration oder Privatoffenbarung.

5. Transite

Schließlich ist noch darauf zu verweisen, dass bei all diesen Formen des Wachzustandes auch stets die Zustände der möglichen Übergänge (Transite) zu den anderen Zuständen zu beachten sind, zumal der einzelne Zustand oft nur Bruchteile von Sekunden dauern kann, wie etwa ein Gedankenblitz als Zustand der Luzidität.

Erhöhte Zustände

Die erhöhten Zustände umfassen alle Formen des Bewusstseins mit Aufhebung des Umweltbezugs aufgrund der völligen Dominanz des inneren Erlebnisses. Dabei wird das Ich, das in der Ekstase noch tragend ist, vom Selbst als integrales Empfinden wie in der Psychostase oder als geistiges Einheitserlebnis wie in der Pneumostase abgelöst.

1. Psychostase

Die Psychostase bezeichnet einen Bewusstseinszustand allgemeiner psychischer und geistiger Ruhe des Selbst mit emotionaler Dominanz, der auf somatischer Ebene als völlige körperliche Entspannung bis hin zur Biokömese, dem Körperschlaf, ja sogar bis zum Scheintod führen kann.
Die Person erlebt eine ozeanische Entgrenzung, indem sie sich in eine kosmische Einheit versenkt und jegliche Kontrolle des Selbst aufhebt. Die Grenzen von Subjekt und Objekt zwischen Ich und Umwelt lösen sich auf. So sagt Swami Brahmananda:
„Schließlich öffnet sich das ,Auge der Weisheit‘, und das Unendliche wird unmittelbar wahrgenommen. Ah, hier ist ein anderes Reich, jenseits des Universums! Die Welt versinkt in nichts. Der Geist scheint sich aufzulösen und fließt über … Dann kommt … Samadhi, das höchste, überbewusste Erlebnis – die absolute Vereinigung. Diese Erfahrung ist jenseits von Gedanken und Worten. Nichts ist zu sehen! Nichts ist zu hören! Unendlichkeit! Unendlichkeit allein! Es ist ein unmittelbares Erlebnis. Dieser Bewusstseinszustand ist ,jenseits von Dualität und Nicht-Dualität‘. Wer ihn erreicht, kann nur mit großer Anstrengung in die ihm unwirklich dünkende Welt der Erscheinungen zurückkehren.“20

Swami Yogananda Paramahansa goss dieses Erleben in folgende Verse:

„Entschwunden die Schleier von Licht und Schatten,
zerflossen die Nebel all meiner Schmerzen,
verblichen des Morgenrots flüchtige Freuden,
zerronnen die Fata Morgana der Sinne …
Gegenwart, Vergangenheit, Zukunft,
sie existieren nicht mehr …
Erkennen, Erkennender und Erkannter sind Eins!
Ruhige, unverminderte Seligkeit – ewiges Leben –
ewig neuer Friede.
Freude jenseits aller Vorstellungskraft, Samadhi, Seligkeit!
Aus Freude bin ich gekommen,
aus Freude lebe ich,
in heilige Freude gehe ich wieder ein.“21

Der große Sufi-Mystiker Dschelaleddin Rumi gibt folgende Anweisung, um den Zustand der Psychostase zu erleben:
„Und denke so inständig Gottes, bis selbst du ganz dich vergisst,
Dass du im Gerufenen aufgehst, wo Rufer und Ruf nicht mehr ist.“22

In der christlichen Mystik wird dieser Zustand als wonnige Einheit mit Gott beschrieben, wie Bernhard von Clairvaux sich ausdrückt:

„O Ort des wahren Friedens, dich möchte ich meine Wohnung nennen! O selige Kammer, wo Gott nicht geschaut wird wie im aufgebrachten Zorne oder in sorgender Herrschaft Gewalt, sondern wo sein Wille ganz Heilswille ist, wohltätig und vollkommen! Schauung nicht des Schreckens, sondern liebreicher Kosung, wo nicht ermatten die Sinne, sondern ruhig schlummern, in wahrhafter Ruhe. Der ruhige Gott gibt allem Ruhe. Und ein ruhiges Schauen heißt ruhen.“23

Solche Erlebnisse wirken tief und bleiben unvergesslich, denn, so sagt die hl. Theresia:
„die genannten Schauungen bleiben dem Gedächtnis so tief eingeprägt, dass sie die Seele meines Erachtens nie wieder vergessen kann.“24

So ist die Psychostase das vornehmliche Ziel aller Meditations- und Regressionstechniken, um zur Erfahrung der kosmischen Einheit zu gelangen, ausgefüllt mit emotionaler Ruhe, frei von jedem Umweltbezug. Diese Fluchtversuche in die Psychostase unter Anwendung der verschiedensten Entspannungstechniken und zuweilen auch von Drogen hebt sich jedoch von der Psychostase der Mystiker ab, für die sie zur lebensgestaltenden und lebensweitenden Erfahrung wird, die nicht erzwungen, sondern nur empfangen werden kann.

2. Pneumostase

Die Pneumostase ist der Bewusstseinszustand der geistigen Begegnung des Selbst mit dem Wesen der lebenden und unbelebten Dinge. Diese Begegnung bedeutet für den Geist eine unbeschreibliche Erfüllung, die von der Überzeugung getragen wird, dass der Geist das Wesen selbst der Welt ergründe und erkenne. In diesem Zustand sieht man nicht, hört man nicht, versteht man nichts mehr, man kann für kurze Zeit sogar das Bewusstsein des eigenen Selbst verlieren. In solchen Momenten kann die Person die Trennung der Psyche vom Geist erleben. Der Geist löst sich von den Zwängen der Wünsche und erfreut sich der Betrachtung des Pleroma, der Fülle, wobei er den Körper verlässt, der sich in einem Zustand des Scheintodes befindet. Es handelt sich hier um jene geistige Erfahrung, in der sich dem Geist des Menschen die Unendlichkeit einer absoluten Seligkeit auftut, die in der unio mystica ihre höchste Vollendung findet, wie dies Johannes vom Kreuz in seinem „Gesang der Seele in der inngisten Vereinigung mit Gott“ und dem anschließenden Kommentar zum Ausdruck bringt:

1. O Liebesflamme, die nur Leben spendet
Und die so zart mir schlägt manch‘ tiefe Wunde
In meiner Seele allertiefstem Grunde!
Schon ist das Schreckliche in Lust gewendet.
Mach Schluss, falls mir dein Wille diesen gebe,
Zerreiß‘ der süßen Einigung Gewebe.

2. O Feuerbränd‘, die lieblich mich durchbeben!
O wonnevolle Wunde, segensreich!
Du, sanfte Hand, berührst so zart, so weich
und gibst den Vorgeschmack vom ew’gen Leben,
Bezahlest aller Schulden harte Last,
Die tötend du den Tod in Leben wandelt hast.

3. Ihr Feuerlampen, voll von Glanz und Gluten,
Inmitten deren gold’ner Strahlenhelle
Die tiefen Höhl’n des Sinn’s bis in die tiefste Stelle,
– Einst blind und finster – jetzt mit Lichtesfluten
Durchglüht, in ungewohnter Fülle weih’n
Ihr Licht und Wärm‘ dem Liebsten im Verein.

4. Wie du mit sanftem Grüßen
Erwachst und mit Gekose
Im Schoß mir, wo allein du weilst geheime!
Mit deinem Hauch ergießen
Des Himmels reiche Lose
Sich in die Seele mir und minn’ge Träume.“25

„Wenn die Seele sich ganz entflammt fühlt in der Vereinigung mit Gott, wenn ihr Geschmacksinn ganz durchflossen ist von seliger Liebe, ja bis ins Innerste ihres Wesens mit einem Übermaß von Wonne ganze Ströme von Seligkeit fluten, wenn sie fühlt, wie aus ihrem Innern Ströme lebendigen Wassers hervorbrechen, die nach den Worten des Sohnes Gottes von solchen Seelen ausgehen, so kommt es ihr vor, sie sei schon so wirksam in Gott umgewandelt, so mächtig von ihm ergriffen und so überreich mit Gaben und Vorzügen ausgestattet, dass nur mehr ein leichtes und dünnes Gewebe sie von der ewigen Seligkeit trennt. Und weil sie sieht, dass diese zarte, in ihr brennende Liebesflamme jedesmal, wenn sie von ihr ergriffen wird, sie gleichsam verklärt in süßer und innig beglückender Seligkeit, so ist sie bei jedem Einwirken dieser verzehrenden Flamme der Meinung, es werde das Gewebe des irdischen Lebens zerrissen und sie gelange in den Besitz der ewigen Seligkeit und des ewigen Lebens.“26

Nach Eintritt in diesen Zustand des Glücks ist die Seligkeit sehr nahe. Dieses Glück besteht jedoch nicht in der Erfüllung unserer Wünsche, sondern in der Erfahrung der Gegenwart des Heiligen Geistes, „den die Seele nunmehr in sich fühlt“27.

3. Glückseligkeit

Dieses Innewohnen Gottes erhält seine letzte Vollendung erst nach dem Durchgang durch die Thanatose, so dass die Erfahrungen der Pneumostase an der Nahtstelle zur endgültigen Seligkeit den Wunsch nach einem Abschied von dieser Welt aufkommen lassen:

„Und weil nur so wenig fehlt und die Seele durch dieses Hindernis vom wirklichen Besitz der Seligkeit getrennt ist, so spricht sie in heftigem Sehnsuchtsdrang zur Flamme, d.h. zum Hl. Geiste, er möge doch ihr sterbliches Leben bei dieser süßen Begegnung beendigen und ihr wirklich einmal die volle und ganze Beseligung verleihen, die er ihr bei seiner Begegnung nur scheinbar gewähren und verleihen will.“28

Hypnische Zustände

Die hypnischen Bewusstseinszustände sind im Gegensatz zu den Erhöhten Zuständen durch eine Bewusstseinseinengung und eine Bewusstseinssenkung gekennzeichnet, verbunden mit einer Modifizierung der somatischen Funktionen. Hierzu sind vor allem Schlaf, Trance und Biokömese zu zählen.

1. Schlaf

Der Schlaf ist ein Zustand herabgesetzter Bewusstseins- und Funktionsfähigkeit, hervorgerufen durch sensorische Hemmung aufgrund von Ermüdung zwecks körperlicher, psychischer und geistiger Regeneration. Er ist gekennzeichnet durch Periodizität, Verlust der Vigilanz, verschiedene Stadien der Gehirnaktivität und durch Träume. Da der Schlaf für unser Thema nur im Zusammenhang mit Schlafstörungen und Träumen von besonderer Bedeutung sein kann, jedoch keine speziellen religionspsychologischen Merkmale aufweist, darf auf die diesbezüglich einschlägige Literatur verwiesen werden.

2. Trancezustände

Die Trance (transitus = Übergang) bezeichnet ganz allgemein den Zustand des Übergangs vom Protobewusstsein zur Hypnose und besteht in einer Bewusstseinseinengung durch Konzentration auf einen Erfahrungsbereich mit Abschwächung von Denken, Wollen, Wahrnehmen und Kontrolle der Körperhaltung. Sie kann durch monotone Rhythmen, physische Erschöpfung und Erwartungshaltung hervorgerufen werden, wobei im Gegensatz zum Schlaf das Bewusstsein durch die Konzentration auf einen Erfahrungsbereich und im Gegensatz zur Hypnose die Selbststeuerung nicht völlig aufgehoben werden.
Die hier angesprochenen veränderten Bewusstseinszustände weisen vor allem folgende Merkmale auf:
– Änderungen im Denken

– Änderungen im Zeitempfinden
– Änderung der Selbst- und Verhaltenskontrolle
– Änderung im emotionalen Ausdruck
– Änderung im Wahrnehmungsverlauf
– Änderung in der Bedeutungswertung
– Sinn für das Unbeschreibliche
– Gefühl für Verjüngung
– Hypersuggestibilität im Wahrnehmungsbereich der Konzentration.

Im Einzelnen lassen sich daher die verschiedensten Formen von Trance unterscheiden, von denen hier nur einige Grundformen genannt werden können.

a) Allgemeine Trance

Es gehört zur Eigenart des Bewusstseins, dass es die eigenen Grenzen und die veränderten Zustandsformen im Augenblick ihrer Erfahrung nicht erkennt, sofern es von der gegebenen Erfahrung voll erfasst wird. So ist sich der Mensch im Allgemeinen der vielen kleinen Veränderungen seines Bewusstseins im alltäglichen Leben nicht bewusst.
Die sog. zirkadianen Rhythmen bewirken in periodischer Abfolge innerhalb des 24-Stunden-Tages Stimmungsänderungen, Arbeitseffizienz- und Bewusstseinsschwankungen. Innerhalb dieses zirkadianen Rhythmus treten noch sog. ultradiane Rhythmen auf, die mit noch kürzeren psychophysiologischen Prozessen von 90 bis 120 Minuten zusammenhängen.
Als auffallendste Merkmale der Allgemeinen Trance können folgende ausgemacht werden:
Parasympathische Dominanz, verbunden mit Entspannung;
Pupillenerweiterung beim Einstieg in die Trance oder beim Wahrnehmen eines trancefördernden Inhalts; der Lidreflex nimmt im Allgemeinen ab, Augapfel und Kehlkopf bewegen sich weniger.
Veränderte Körperhaltung: Das auffallendste Merkmal der Allgemeinen Trance bilden jedoch jene zahlreichen Formen von Körperbewegungen und Körperhaltungen, die nicht wahrgenommen und nicht erinnert werden. Die betreffende Person handelt so, als würde sie die äußeren und inneren Reize nicht wahrnehmen oder nicht darauf reagieren, sondern sich in ihrer eigenen Welt befinden. Diese Teilnahmslosigkeit bezieht sich jedoch nur auf die Reize, die außerhalb des fixierten Erfahrungsbereiches liegen, während für den anvisierten Bereich auch die komplexesten Handlungen ausgeführt werden.
Die häufigsten Körperhaltungen, die dabei eingenommen werden, sind u.a. Kreuzung der Füße, Neigung des Kopfes, langsame Beantwortung von Fragen in tieferer Stimmlage, verminderter Muskeltonus und langsamere Körperbewegungen.

Alles steht im Dienst der eingeschränkten und abgeschwächten Bewusstseinskonzentration und wird von dieser bestimmt. Es geht hier um jene Augenblicke, in denen sich der völlig normale Mensch Illusionen, Augenblickshalluzinationen und Vorstellungen akustischer wie visueller Natur hingibt, was vor allem der Ausspruch: „Ich war einen Augenblick weg“ so treffend bezeichnet. Es kann sich aber auch nur um Sensibilitätsmodifizierungen von „warm“ zu „kalt“ oder um Wahrnehmungshemmungen handeln, die in den Aussagen „ich habe nichts gehört“, „ich habe nichts gesehen“, „ich habe nichts gespürt“ zum Ausdruck kommen. Ebenso können, wie erwähnt, leichte Erinnerungslücken auftreten: „es liegt mir auf der Zunge“, „was habe ich gerade gesagt?“ Hinzu kommt meist noch eine Einschränkung des Zeitempfindens und der Aufmerksamkeit, so dass man nach wenigen Minuten überrascht ist, dass die Zeit so rasch oder so langsam vergangen ist.
All diese Unterbrechungen der linearen Handlung und der logischen Denkabfolge beinhalten u.a. eine natürliche Periode der Rückkehr von der Vigilanz zum Protobewusstsein oder zumindest des sozialen Nicht-Verpflichtet-Seins von Vigilanz und Protobewusstsein im Sinne periodischer Regeneration.

b) Besessenheitstrance

Bei der Besessenheitstrance kommt zu den Merkmalen der Allgemeinen Trance noch der Aspekt der Besetzung durch ein anderes Wesen hinzu. In manchen Kulturen sind Form, Praxis, Erfahrung und Bedeutung der beobachtenden Gemeinde bekannt, weshalb die Besessenheitstrance als allgemeine soziale Erfahrung und nicht als eigentliche Besessenheit verstanden wird. Es handelt sich dabei um ein innerpersönliches Ereignis, das selbst induziert, von einem Heiler oder einer religiösen Handlung als Teil der Durchführung eines Exorzismus hervorgerufen, aber auch als Manifestation einer Besessenheit erfahren werden kann. In all diesen Fällen ist dieses innerpersönliche Ereignis der Besessenheitstrance einmalig und zuweilen sogar außergewöhnlich, doch wird es im Kontext spezieller Riten und Aktivitäten einer Gemeinde als völlig normale Ausdrucksform betrachtet.

c) Neurotisches Besessenheitsverhalten

Das neurotische Besessenheitsverhalten weist im Gegensatz zur Besessenheitstrance keine spezifischen Bewusstseinsinhalte auf, sondern zeigt nur Verhaltensmuster, die von der betreffenden Gesellschaft als außergewöhnliches bis pathologisches Verhalten eingestuft werden. Es steht sowohl für Symptomausdruck als auch für Symptomlösung. So wird das Besessenehitsverhalten von manchen Kulturgruppen als Form der Konfliktaustragung anerkannt.

d) Psychotisches Besessenheitsverhalten

Zum psychotischen Besessenheitsverhalten, das oft fließende Übergänge zur neurotischen Form aufweist, zählt man eine Reihe kulturgebundener reaktiver Syndrome, wie Amoklaufen, Latah (das zwanghafte Nachahmen von Handlungen bei Malayen, Afrikanern und Lappländern), Piblokto (auch „arktische Hysterie“ genannt: ein- bis zweistündige Anfälle, vor allem bei Frauen, mit tierischen Schreien und Zerreißen der eigenen Kleider; nach dem Anfall sind die Personen völlig normal), Witiko (die Angst, in ein Monster verwandelt zu werden) oder gewisse Verhaltensmuster des Voodoo-Rituals. Die Syndrome sind charakterisiert durch stereotype Bewegungen, Stellungen und Äußerungen psychotischen Ausmaßes, das kulturell eindeutig als pathologisch bezeichnet wird.

3. Hypnose

Die Hypnose ist ein veränderter Zustand des Verhaltens und des Bewusstseins mit erhöhter Aufmerksamkeitsfokussierung, gesteigerter Vorstellungskraft und verstärkter Flexibilität im Wahrnehmen, Denken und Fühlen, hervorgerufen durch Selbstinduktion in Form von Selbsthypnose oder Fremdhypnose. D.h., die Hypnose ist immer Selbsthypnose. Sie wird zuweilen auch „hypnotische Trance“ genannt, doch ist für die Hypnose ein spezifischer Trancezustand weder notwendig noch physiologisch nachweisbar, da das EEG im Verhältnis zu anderen entspannten Zuständen nur leicht verlangsamt ist. Außerdem ist die verstärkte Flexibilität in Wahrnehmen, Denken und Fühlen Fremdsuggestionen von außen sehr zugänglich, während in der Trance der Bezug zur Außenwelt mehr oder weniger aufgehoben ist, so dass hier die Hypnose vor allem auch aufgrund ihrer Abhängigkeit vom Hypnotiseur als besondere Form der hypnischen Zustände angeführt wird.
Die in Hypnose intensivierte Vorstellungskraft ermöglicht es, die innere Welt (Überzeugungen, Gefühle und körperliche Empfindungen, das Denken, das innere Gespräch usw.) leichter zu rekonstruieren oder neue Konstrukte einzuführen, indem Elemente voneinander getrennt, zusammengefügt oder neu hinzugenommen werden. Außerdem sind Rückführungen in die persönliche Lebensgeschichte und sog. posthypnotische Aufträge möglich, was andererseits bis zur völligen Abhängigkeit vom Hypnotiseur führen kann.
So ist die lebensfördernde Anwendung der Hypnose in Therapie und Verhaltensmodifikation in hohem Maße vom therapeutischen Können und der persönlichen Verantwortung des Hypnotiseurs abhängig.

4. Biokömese

Die Biokömese bezeichnet den natürlich oder künstlich hervorgerufenen Zustand des „verlangsamten“ Lebens des Organismus von völliger Entspannung bis zur Unbeweglichkeit. Dieser Begriff (bios = lebender Organismus, koimesis = Schlaf: Körperschlaf) wurde 1954 von dem französischen Arzt Colonel Jaulmes zur Bezeichnung des Zustands des verlangsamten Lebens eingeführt29, das vor allem im Winterschlaf der Tiere und bei künstlicher Abkühlung des Organismus, aber auch bei Reaktionsformen wie Ohnmacht, Totstellung, speziellen Atem- und Yogaübungen, Zuständen des Protobewusstseins, der Luzidität, Ekstase, Psychostase, Pneumostase, Trance, des Schlafes und der Hypnose auftritt bzw. auftreten kann. Damit ist auch gesagt, dass es zwischen all diesen Zuständen einen Übergang zur Biokömese gibt und umgekehrt, je nachdem wo der Ausgangspunkt des veränderten Bewusstseinszustandes gelegen ist.
So berichtet Dr. F.W. Wesener von Anna Katharina Emmerich:

„Sie lag nun noch eine Weile mit schneller, sehr vernehmlicher Respiration. Auf einmal hörte diese auf, und es war nicht möglich, auch nur den geringsten Atemzug zu bemerken. Nur am Torax konnte man bei genauerem Zusehen einige Bewegung vernehmen. Sie war auch nun steif wie eine Bildsäule, wovon sich mein Herr Kollege wiederholt überzeugte und, was das Merkwürdigste ist, alle Muskeln und Flechsen, die wir untersuchen konnten, waren in einem erschlafften Zustande…
Ich fragte sie nun, wo sie wieder gewesen sei? Sie sagte, sie sei auf einer Stelle gewesen, wo sie sehr nötig gewesen; sie habe gebetet und es sei doch gut gegangen.“30

Die Biokömese kann also von einem überwachen Zustand, ja sogar von Vigilanz begleitet sein. So verteidigen sich Tiere, wenn sie in der Biokömese äußeren Gefahren ausgeliefert sind, dank spezieller Mechanismen der Hypervigilanz, die in der Lage sind, sie im Falle einer Gefahr rasch zu wecken. Auch beim Menschen sind solche Übergänge bekannt. So sah Maria Rottolo in einem Zustand der Biokömese Diebe in ihrem Hause, was sich bewahrheitete.31

Lethargische Zustände

Die lethargischen Zustände sind gekennzeichnet durch die Herabsetzung der Körperfunktionen bis zum Funktionsstillstand. Sie beinhalten zwei Zustände, die Biostase und die Thanatose, von denen der erste reversibel, der zweite irreversibel ist.

1. Biostase

Die Biostase ist der Zustand des völligen Stillstandes der Lebensfunktionen ohne somatische Veränderungen. Dieser Stillstand bildet daher die theoretische Grenze der Verlangsamung der Biokömese, bei der die Körperfunktionen noch aufrecht bleiben. Der Zustand der Biostase muss daher vom funktionellen Tod unterschieden werden, weil die Empfänglichkeit für spontane oder provozierte Wiederbelebung erhalten bleibt. Daher kann die Biostase auch als suspendiertes Leben oder als Scheintod bezeichnet werden. Im Einzelnen können verschiedene Formen unterschieden werden, wie die Kältebiostase bei Ertrinkenden, die lethargische Biostase beim Schock durch Sauerstoffentzug und die Agoniebiostase beim klinisch toten Zustand. Bei Letzterem lassen sich nach Hubert Larcher anhand der zahlreichen Erfahrungsberichte von Personen, die Erfahrungen in Todesnähe hatten, folgende Grundmerkmale ausmachen:

„1. Schmerz und Angst werden von einem unbeschreiblichen Empfinden des Wohlergehens abgelöst;
2. das Empfinden, den Körper zu verlassen;
3. der Einstieg in einen Tunnel wird oft von auditiven Eindrücken begleitet;
4. zuweilen Begegnung mit lieben Wesen, Verwandten, wohltätigen Wesenheiten;
5. Aufstieg zu einem strahlenden Licht der Liebe;
6. zuweilen die Möglichkeit der Wahl zwischen einer Fortsetzung des ,Weges‘ und einer Rückkehr, oft aus Bedauern und wie aus einer Verpflichtung, zu den irdischen Schmerzen;
7. Rückkehr in den Körper.
Diese Etappen zeigen sich nicht immer in der gleichen Reihenfolge und weder vollständig noch ohne Variationen. Einige können fehlen und andere Phänomene können sich anschließen, wie z.B.
8. die Lebensschau in einer Form, als ob die Person in einem Augenblick die Erinnerung oder die Wiederholung des Ablaufes ihrer ganzen Existenz erhalte;
9. das partikuläre Urteil ihrer Handlungen und deren Folgen für andere.“32

2. Thanatose

Die Thanatose ist der Zustand des suspendierten Todes oder des Scheinlebens, der Kampf des Soma gegen seine Vernichtung wie bei der Unverweslichkeit des Körpers. Von der Thanatose gibt es keine Rückkehr zum Leben, weshalb wir darüber auch keine Informationen haben. Bei diesem Zustand kann man nicht selten beobachten, dass nicht alle Teile des Körpers gleichzeitig absterben und dass zuweilen postmortal Automatismen weiterbestehen, als ob die Motorik, die als erste nach der Geburt in Erscheinung tritt, auch als letzte sterben würde. So wird z.B. von Schwester Maria von Jesus dem Gekreuzigten (Mirjam Baouardy), die am 26. August 1878 in Bethlehem starb, Folgendes berichtet:

„Als die Leiche auf die Bahre gelegt worden war,“ fährt die Erzählerin fort, „sah man dreimal, wie die Arme sich über die Bahre hinaus ausbreiteten. Nachdem unsere ehrwürdige Mutter sie mehrmals zurückgebogen hatte, sagte sie ihr: ,Mein Kind, im hl. Gehorsam lasse die Arme gekreuzt, damit man den Sarg schließen kann.‘
Und das teure Kind, das den Gehorsam während seines Lebens bis zum Wunder geübt hatte, gehorchte noch in seinem Tod, und die Arme blieben unbeweglich.“33

Die Thanatose ist daher als Übergang zur Glückseligkeit zu verstehen, die ihrerseits an die Pneumostase angrenzt, womit sich der Kreis schließt. So sagt Johannes vom Kreuz:

„Nun sieht die Seele, dass ihr sonst nichts mehr fehlt, als dass das feine Gewebe des natürlichen Lebens zerreißt, in welchem sie sich verstrickt, gefangen und ihrer Freiheit beraubt fühlt. Und so verlangt sie aufgelöst zu werden und bei Christus zu sein und findet es als Qual, dass ein so armseliges und schwaches Leben sie hindern könne an der Besitznahme des anderen, so erhabenen und unvergänglichen Lebens. Deshalb bittet sie um Auflösung desselben mit den Worten: ,Zerreisse das Gewebe der süßen Begegnung‘.“34

Nach: Andreas Resch: Bewusstseinsformen religiöser Erfahrung, in: Ders.: Der Innenraum des Menschen. Innsbruck: Resch, 2017 (Reihe R; 10), S. 150-183.

Anmerkungen:

1 Sigmund Freud: Die Zukunft einer Illusion, in: Ders.: Gesammelte Werke XIV, S. 335, 354-355; ders.: Über eine Weltanschauung, in: Ders.: Gesammelte Werke XV, S. 170-196.
2 S. Freud: Der Mann Moses und die monotheistische Religion, in: Ders.: Gesammelte Werke XVI, S. 210.
3 Ebd., S. 230-231.
4 S. Freud: Ereignisse, Ideen, Probleme (London, Juni 1938), in: Ders.: Gesammelte Werke XVII, S. 152.
5 Wastl Fanderl: Die Wassertrinkerin von Frasdorf (1985), S. 41.
6 Jean­-François Villepelée: Die Torheit des Kreuzes. Bd. 1 (1978), S. 68/69.
7 Andreas Resch: Aspekte der Paranormologie (1992).
8 Hubert Larcher: Medizinische und psychologische Aspekte der Mystik (1984).
8 Ders., ebd.
9 Adolf Dittrich: Empirische Dimensionen veränderter Bewusstseinszustände: Zwischen Himmel, Hölle und Visionen (1990).
10 Liber fundationis ecclesiae S. Bartholomei Londoniarum (1989), S. 83 u. 85.
11 Benjamin B. Wolman: Protoconscious and Psychopathology (1986).
12 Nach Jean Lhermitte: Echte und falsche Mystiker (1953), S. 51.
13 Sarvepalli Radhakrishnan: Meine Suche nach Wahrheit (1961), S. 135.
14 Ders., ebd., S. 222.
15 Die Seelenburg der Heiligen Theresia von Jesu (1952), S. 132-133, 136.
16 Johannes vom Kreuz: Dunkle Nacht (1940), S. 69-70.
17 Die Seelenburg, S. 147-148.
18 Ebd., S. 153.
19 Ebd., S. 150.
20 Nach Rene Bütler: Die Mystik der Welt (1992), S. 295-296.
21 Ebd., S. 296.
22 Annemarie Schimmel: Rumi (1980), S. 167.
23 Otto Karrer: Der mystische Strom (1977), S. 350.
24 Die Seelenburg, S. 155.
25 Johannes vom Kreuz: Lebendige Liebesflamme (1952), S. 5. Die metrische Wiedergabe wurde von Dr. Bernard Panzram verfasst.
26 Ders., ebd., S. 6.
27 Ebd., S. 7.
28 Ebd., S. 6/7.
29 Vorwort zum Buch von H. Laborit: Pratique de l’hibernotherapie en chirurgie et en médicine (1954).
30 P. Winfried Hüpfner (Hg.): Tagebuch des Dr. med. Franz Wilh. Wesener über die Augustinerin Anna Katharina Emmerick (1926), S. 60.
31 A. Rochas: La suspension de la vie (1913), S. 60.
32 Hubert Larcher: Schlaf, Traum, Hypnose, Biokömese, Thanatose (1990), S. 540-541.
33 Amédée Bruno: Miriam, la petite Arabe (1985), S. 152. Vgl. auch Benedikt Stolz: Mirjam von Abellin (1988), S. 84.
34 Johannes vom Kreuz: Lebendige Liebesflamme, S. 32.
Literatur:
Bruno, Amédée: Miriam, la petite Arabe. Mulhouse: Salvator, 1985.
Bütler, René: Die Mystik der Welt: Quellen und Zeugnisse aus vier Jahrtausenden. Ein Lesebuch der mystischen Wahrheiten aus Ost und West. München: O.W. Barth, 1992.
Dittrich, Adolf: Empirische Dimensionen veränderter Bewusstseinszustände: Zwischen Himmel, Hölle und Visionen, in: Andreas Resch: Veränderte Bewusstseinszustände: Träume, Trance, Ekstase. Innsbruck: Resch, 1990 (Imago Mundi; 12), S. 73-116.
Fanderl, Wastl: Die Wassertrinkerin von Frasdorf: ein Lebensbild der Maria Furtner, Bauerstocher von Weizenreit. Prien a. Chiemsee: Ecora, 1985.
Freud, Sigmund: Gesammelte Werke. Bd. XIV-XVII.
Hüpfner, P. Winfried (Hg.): Tagebuch des Dr. med. Franz Wilh. Wesener über die Augustinerin Anna Katharina Emmerick unter Beifügung anderer auf sie bezüglicher Briefe und Akten. Würzburg: St. Rita-Verlag, 1926.
Johannes vom Kreuz: Dunkle Nacht. Zweiter Band der sämtlichen Werke von Johannes vom Kreuz. München: Kösel, Pustet, 1940.
Johannes vom Kreuz: Lebendige Liebesflamme. Dritter Band der sämtlichen Werke von Johannes vom Kreuz. 3., unveränd. Aufl. München: Kösel, 1952.
Karrer, Otto: Der mystische Strom (Textgeschichte der Mystik I). 2. Aufl. München: Ars Sacra Josef Müller, 1977.
Laborit, H.: Pratique de l’hibernotherapie en chirurgie et en médicine. Paris: Masson, 1954.
Larcher, Hubert: Medizinische und psychologische Aspekte der Mystik, in: Andreas Resch: Mystik. Innsbruck: Resch, 21984 (Imago Mundi; 5), S. 281-352.
—: Schlaf, Traum, Hypnose, Biokömese, Thanatose, in: Andreas Resch: Veränderte Bewusstseinszustände: Traum, Trance, Ekstase. Innsbruck: Resch 1990 (Imago Mundi; 12), S. 540-541.
Lhermitte, Jean: Echte und falsche Mystiker. Luzern: Räber, 1953, S. 51.
Liber fundationis ecclesiae S. Bartholomei Londoniarum (12. Jh.), in: Peter Dinzelbacher (Hg.): Mittelalterliche Visionsliteratur: eine Anthologie. Darmstadt: Wissensch. Buchges., 1989.
Radhakrishnan, Sarvepalli: Meine Suche nach Wahrheit. Gütersloh: Bertelsmann, 1961.
Resch, Andreas: Aspekte der Paranormologie: die Welt des Außergewöhnlichen. Innsbruck: Resch, 1992 (Imago Mundi; 13).
Rochas, A.: La suspension de la vie. Paris: Darbon, 1913.
Schimmel, Annemarie: Rumi: Leben und Werk des großen Mystikers. Düsseldorf/Köln: Diederichs, 21980.
<Die> Seelenburg der Heiligen Theresia von Jesu. Fünfter Band der sämtlichen Schriften von Theresia von Jesu. Übersetzt und bearbeitet von Aloysius Alkofer. München/Kempten: Kösel, 1952.
Stolz, Benedikt: Mirjam von Abellin: Flamme der göttlichen Liebe. Jestetten: Miriam-Verlag, 31988.
Villepelée, Jean-François : Die Torheit des Kreuzes: die heilige Gemma Galgani 1878-1903. Bd. 1. Der Aufstieg einer Seele. Hauteville: Parvis Verlag, 1978.
Wolman, Benjamin B.: Protoconscious and Psychopathology, in: Ders./Montague Ullmann (Hg.): Handbook of States of Consciousness. New York: Van Nostrand Reinhold Company Inc., 1986, S. 311-331.