Andreas Resch: Esoterik

ESOTERIK

1. Geschichte

Mit „Esoterik“ (griech.: esoterikos = nach innen, zum inneren Kreis gehörig) bezeichnete man im antiken Griechenland die Mysterienkulte und das Spekulative, das jenen verborgen bleibt, die kein Interesse daran haben, sich vom exoterischen (griech.: exoterikas = nach außen, für die Öffentlichkeit) allgemeinen Interesse und Verständnis in Wissenschaft, Religion und Kultur abzuheben.
Als esoterisch werden daher jene Auffassungen, Verhaltensformen und Handlungen bezeichnet, die nur einem Kreis von Eingeweihten, Sensiblen und Erleuchteten verständlich seien, da sie Erfahrungen, Erkenntnisse, Symbole und Riten beinhalten, die dem öffentlichen Verständnis in Wissenschaft, Religion und Kultur nicht begreifbar seien. Ihr Verständnis erfordere daher eine Initiation, eine Einweihung, die verschiedene Formen und Ausrichtungen aufweisen kann:

– Einführung in überlieferte Kenntnisse
– Weckung und Einübung veränderter Bewusstseinszustände
– Mystisch meditative Versenkungsformen zur Weckung vonIntuition, InspirationundWeisheit
– Erlernen symbolischer Deutekünste
– Erlernenbesonderer Kenntnisse, die innerlicher und verborgener sind als die Kenntnisse der Exoterik

– Belehrung durch ein besonders hervorgehobenes Mitgliedeiner Gemeinschaft, Schule oder eines Stammes (Meister, Guru, Zauberer, Medizinmann)
 Initiation durch eine „Einweihungszeremonie“, wobei das neue Mitglied (Neophyt) durch Geheimhaltung verpflichtet wird (Arkandisziplin).1

2. Lehre

Aus diesen Gründen kann Esoterik im tiefsten Sinn weder gelehrt noch erlernt, sondern nur erlebt und gelebt werden. Besonderer Wert wird darauf gelegt, dass das geheime Wissen eine lange Tradition hat oder auf geheimen Schriften beruht, die nur dieser und keiner anderen esoterischen Gemeinschaft bekannt sind, was zu großen Abspaltungen und Gegensätzen zwischen den einzelnen Gruppen führte.

Abb. 1: Astralkörper, verbunden mit dem physischen Körper über die sog. Silberschnur

Dieses Bild der Esoterik hat in den letzten Jahren jedoch einen großen Wandel erfahren. Die Demokratisierung und Allgemeinbildung der Gesellschaft und die modernen Medien haben die geheimen Quellen gelüftet, was die Esoterik selbst durch den Gedanken unterstützte, dass im Übergang in das Zeitalter des Wassermannes der Einstieg in ein „Neues Zeitalter“ stattfinde, in dem das esoterische Wissen nicht mehr geheimgehalten werde und nur Auserwählten zukomme, sondern sich zu einer allgemeinen Erfahrung und Lebensform entwickle.

Daher verbindet man heute mit Esoterik:

Alchemie
Alternative Ernährung
Alternative Medizin
Anthroposophie
Astralkörper (Abb. 1)
Astrologie
Aura
Bioenergetik
Chakra
Channeling
Freimaurerei
Geistheilung
Kabbala
Magie
Mantik
Meditation
Mystik
Naturheilkunde
Naturreligion
New Age
Numerologie
Okkultismus
Parapsychologie
Radiästhesie
Reiki
Reinkarnation
Rosenkreuzertum
Schamanismus
Selbsterfahrung
Shiatsu
Spiritualismus
Tai Chi
Tantra
Tarot (Abb. 2)

Abb. 2: Tarot: Das Rad des Schicksals

Theosophie
Ufologie
Wahrsagen
Weisheitslehren
Yoga
Zen
usw.

Von einem eigenen Weltbild der Esoterik kann daher nicht mehr gesprochen werden, weil die Vielzahl der einzelnen Mosaiksteine kein einheitliches Bild mehr ergibt.

Abb. 3: Homunculus

 

So ist der Begriff der Esoterik zur allgemeinen Bezeichnung vorwissenschaftlicher Welt- und Lebensdeutung geworden. Als einzig verbindendes Kennzeichen ist die Deutung von Welt, Leben und Religion mit naturimmanenten Kräften gegeben, wobei die Vorstellungen von Makrokosmos und Mikrokosmos, die Lehre von den Gegensätzen, Yin und Yang, die Lehre der Bioenergie und alles verbindender energetischer Kräfte (Abb. 3), die Annahme eines Kreislaufes der Natur und des menschlichen Lebens durch die Wiedergeburt, die Betonung der Immanenz unter Verzicht auf die Transzendenz im Mittelpunkt stehen. Damit nimmt die Esoterik immer mehr die Form einer alternativen Lebensgestaltung zu Wissenschaft und Religion, vor allem zum Christentum, ein, zumal der Stellenwert der Person durch die kosmische Einheit und den Kreislauf der Dinge völlig relativiert wird. Der Wert der Person ist nur zeitlich gegeben und hat keine transzendente Bedeutung. Das Ich ist im All verklungen2.

Während die Alchemie die Welt zu ergründen und zu manipulieren sucht, beschreibt dieEsoterik den Weg nach Innen.

 

Anmerkungen:
1 B.-A. BOHNKE: Esoterik (1991); H. WISSMANN: Esoterik (1982), 366 f.
2 B. GROHM: Esoterik (1990), S. 250-256