EIN LEBEN FÜR FATIMA
Am 28. Oktober 2009 starb in Fatima, Portugal, P. Ludwig Kondor, Steyler Missionar (SVD) und langjähriger Vizepostulator für die Seligsprechung der Seher von Fatima, Francisco und Jacinta Marto.
Ludwig Kondor (Abb. 1) wurde am 22. Juni 1928 in Csikvánd, Komitat Györ-Moson-Sopron, Ungarn, geboren. Nach der Grundausbildung studierte er ab 1940 im Internat der Benediktiner-Abtei von Györ, später im Internat der Zisterzienser in Székesfehérvár. 1946 trat er in die Kongregation der Steyler Missionare ein und legte die ersten Gelübde ab. Ab 1948 studierte er in Ungarn Philosophie, musste aber auf Anordnung des Generaloberen seines Ordens vor der kommunistischen Christenverfolgung nach Österreich flüchten, zuerst nach Mödling und später nach Salzburg. 1950 wurde er vom Orden nach St. Augustin bei Bonn versetzt, wo er seine theologische Ausbildung abschloss und am 28. August 1953 zum Priester geweiht wurde. 1954 wurde er zum Vizepräfekt des Ordensseminars in Fatima ernannt. In Portugal förderte er u.a. auch den Aufbau zahlreicher kirchlicher Einrichtungen.
1961/62 wurde P. Kondor zum Vizepostulator im Seligsprechungsverfahren der Seherkinder von Fatima, Francisco und Jacinta Marto1, bestimmt, das am 13. Mai 2000 mit deren Seligsprechung durch Papst Johannes Paul II. in Fatima abgeschlossen wurde.
Kondor galt weltweit als Experte für die Marienerscheinungen von Fatima, was ich dort bei meiner Begegnung mit ihm persönlich erfahren konnte. Er war ein Mann von hohem Wissen, großer Hilfsbereitschaft und beeindruckender priesterlicher Echtheit. 1963 errichtete er das Büro „Secretariado dos Pastorinhos“, das als „Büro der Hirtenkinder“ bekannt wurde, und gab von da an einen Newsletter in sieben Sprachen mit Informationen über Fatima heraus. Mit dem Werk Schwester Lucia spricht über Fatima2 legte er eine viel beachtete Schrift vor. Zudem engagierte er sich für die frühere „Blaue Armee Mariens“ und später für das Fatima-Weltapostolat.
Die Gottesmutter von Kazan und Unsere Liebe Frau von Soufanieh
Die „Blaue Armee“ kaufte 1970 auf dem Ikonenmarkt in den USA für drei Millionen Dollar die 1904 aus der Kasaner Kathedrale in St. Petersburg verschwundene Ikone der „Gottesmutter von Kazan“ (Abb. 2) und brachte diese am 21. Juli 1970, nach dem Julianischen Kalender der Jahrestag der Gottesmutter von Kazan, nach Fatima. 1993 wurde die Ikone Papst Johannes Paul II. geschenkt. Der Papst wollte die Ikone später gerne persönlich nach Russland bringen, allerdings nicht ohne Zustimmung des damaligen Patriarchen Aleksej II. von Moskau. Dieser befürwortete zwar die Rückkehr der Ikone, lehnte einen Besuch des Papstes jedoch ab. Rom gab schließlich nach und so überbrachte Kardinal Walter Kasper am 25. August 2004 die Ikone dem Patriarchen von Moskau und damit der gesamten Russisch-Orthodoxen Kirche zur Verehrung durch das russische Volk. Am 21. Juli 2005 brachte Aleksej II. anlässlich der Einweihung der renovierten Kathedrale Maria Verkündigung die in ganz Russland verehrte, auf Lindenholz gemalte Ikone im Ausmaß von 31.5 x 26.1 cm schließlich nach Kazan.
1982 hatte ein Andachtsbildchen der Gottesmutter von Kazan in Sufanieh in Damaskus Öl abgesondert und wurde im Zusammenhang mit den Visionen und Stigmen von Myrna Nazzour zur Botschaft für die Wiedervereinigung der Orthodoxie mit der katholischen Kirche.3
Damit wurde Fatima als Stätte der Botschaft für die Bekehrung Russlands auch zum Schauplatz der Vermittlung der Ikone von Kazan, die durch die Ereignisse von Sufanieh zum Symbol und Auftrag für die Wiedervereinigung der orthodoxen mit der römisch-katholischen Kirche geworden ist.
P. Ludwig Kondor 2009 im Gespräch mit Michael Mayr
In dieses Heilsgewebe ist auch das Leben von P. Ludwig Kondor einbezogen. Das verspürte wohl nicht zuletzt der Filmproduzent Michael Mayr von der Filmgruppe München, als er 2009 ein ausführliches Gespräch mit P. Kondor (Abb. 3) aufzeichnete und unter dem Titel „Leben für Fatima“4 als Video herausgab. Dieses Gespräch, das inzwischen bereits historische Bedeutung erlangt hat, habe ich daher für diesen Nachruf im Einverständnis mit Michael Mayr in die folgende Fassung umgesetzt und mit Überschriften versehen, ohne dabei den Inhalt zu verändern.
„Die Mulde, wo die eigentliche Erscheinung stattfand, ist die kleine Kapelle hier [Fatima], die schon 1918 errichtet wurde, weil die Erscheinung sagte, dass „hier zu meiner Ehre eine Kapelle gebaut werden“ solle. Die Botschaft enthält zudem eine Besonderheit: nicht nur Gott, sondern auch das Unbefleckte Herz Mariens wird zutiefst verletzt. Das war für mich eine Überraschung. Das habe ich in meinem Leben weder in theologischen Büchern noch im Leben von Heiligen gelesen, dass jemand aufgefordert wurde, Marias Unbeflecktes Herz zu sühnen.
Secretariado dos Pastorinhos
Zu Beginn meiner Arbeit habe ich sofort eine Offsetmaschine in das Büro gestellt. Wir begannen mit einem kleinen Mitteilungsblatt. In unserem Büro haben wir alles vorbereitet und an alle Bischöfe der Welt versandt. So haben wir das Leben der Seherkinder bekannt gemacht. Die ganze Welt hat darauf unheimlich reagiert.
Ich habe dieses Ereignis natürlich nicht nur in Schriften studiert – an erster Stelle, auf Anordnung des Bischofs, in der Beschreibung von Schwester Lucia –, sondern auch im persönlichen Gespräch mit ihr. 1961/62 wurde ich ja auch zum Vizepostulator für die beiden Seherkinder ernannt. Von da an konnte ich mit Schwester Lucia sprechen, wann immer es notwendig war.
Sonnenwunder
Es kam der letzte Erscheinungstag, der 13. Oktober 1917. Es wurde bekannt gemacht, dass an diesem Tage die Erscheinung sei, wie sie drei Monate, zwei Monate, einen Monat vorher versprochen wurde, also dreimal: „Ich werde ein Wunder wirken, damit alle glauben können.“ Lucia, die mit der Erscheinung sprach, sagte: „Die Leute glauben uns nicht. Wirke ein Wunder, damit alle glauben.“ Und so ist es gekommen.
An diesem Tag war sehr schlechtes, regnerisches Wetter, alle waren nass und einige waren so nass, schrieben die Zeitungen, als ob sie gerade aus der Badewanne gestiegen wären. Das hier sind die Bilder, dreizehn insgesamt, die an jenem Tag fotografiert wurden. An dem Tag ereignete sich etwas Verblüffendes. Zu Mittag „tanzte“ die Sonne, wie die Leute sich ausdrückten (Abb. 4). Das war die Bestätigung, damit alle glauben.
Schwester Lucia dos Santos
Da sie [Lucia] eines Tages nicht mehr unter uns sein würde, stellte ich mir die Frage: Wie ist das alles gewesen? Mit diesem Gedanken habe ich sie so weit gebracht, dass sie einverstanden war, die Ereignisse, die Erlebnisse der Seher und die sechs Erscheinungen der Mutter Gottes von einer sehr guten Malerin, einer Schwester in Fatima, malen zu lassen. Ich besorgte dazu die nötigen Vollmachten.
Die Malerin, vom gleichen Orden wie Lucia, brachte ich zu ihr nach Coimbra. Dort fertigte sie nach Lucias Vorgaben Skizzen an.
Ich legte Fotos von den betreffenden Stellen vor, damit alles wahrheitsgetreu gemacht werde. Um aber sagen zu können, dass diese Arbeit unter den Augen Lucias (Abb. 5) entstand, musste ich nochmals die Erlaubnis einholen. Ich brachte dann Schwester Lucia im Geheimen nach Fatima. Dort weilte sie zwei Wochen lang bei der Malerin und hat alles korrigiert.
Wie Sie wissen, sind das hier Ölgemälde. Wenn man etwas nicht in Ordnung findet, kann man darüberstreichen. So sind diese Bilder mit vielen Korrekturen zustande gekommen. Ich kann Ihnen sagen, es wäre wirklich schade, wenn wir das nicht gemacht hätten. Es genügt, ein Bild zu zeigen. Da rückwärts haben wir das Bild mit der Mutter Gottes, in ihrer Hand ein Herz, vor ihr drei Kinder (Abb. 6). Im Juli hat sie den drei Kindern bekannt gegeben, dass Francisco und Jacinta bald sterben würden, Lucia aber hier bleiben müsse, weil sich Gott ihrer bedienen wolle, um die Verehrung ihres Unbefleckten Herzens bekannt zu machen und zu verbreiten.
Jacinta unversehrt
Das Gesicht Jacintas und ihr ganzer Körper sind unversehrt. An dem Tag aber, 1935, 15 Jahre nach dem Tod, hat man nur das Gesicht freigestellt. Da durfte man nicht den ganzen Körper zeigen. Erst beim Seligsprechungsverfahren hat man den ganzen Körper für unversehrt befunden (Abb. 7). Der Postulator, der später Bischof wurde und von dem ich die Arbeit übernommen habe, war sowohl bei der Öffnung [Gesicht] als auch bei der Identifikation [ganzer Körper im Rahmen des Seligsprechungsverfahrens] dabei und hat festgestellt, dass das Gesicht identisch war.
Schwester Lucias Bericht und Pius XII.
Wie ich schon gesagt habe, musste Schwester Lucia auf Anordnung des Bischofs alles niederschreiben, was sie wusste. Das ist der Anfang dieser Schrift… Dann kam alles in die Hände des Bischofs. Das wurde vom Bischof bekannt gegeben. Ich habe hier Originalschriften.
Im Marianischen Jahr 1950 wurde auf diesem Platz [vor der Basilika] bekannt gegeben [vom päpstlichen Delegaten, Kardinal Todeschini], dass nicht nur die Pilger 1917 das Sonnenwunder gesehen hatten, sondern auch ein anderer, Pius XII., vor der Verkündigung [des Dogmas am 1. November 1950] der Aufnahme Marias mit Leib und Seele in den Himmel.
Gott wollte die Botschaft von Fatima durch Pius XII. dadurch bestätigen, dass er das Sonnenwunder von Fatima im Vatikanischen Garten sehen durfte, und zwar dreimal.
Seligsprechung von Jacinta und Francisco (13. Mai 2000)
Die ganze Welt und vor allem die Bischöfe haben sich für Fatima interessiert. Ich konnte als Vizepostulator 300 Briefe nach Rom bringen, wo Bischöfe, sogar aus China, sich dafür aussprachen, dass die Kinder würdig seien, seliggesprochen zu werden. Das sei wichtig für die Welt der Kinder und für die pastorale Arbeit insgesamt (Abb. 8).
Es gibt zwei Wege zur Seligsprechung: das Martyrium und die Heroizität der Tugenden. Märtyrer sind jene Kinder, die in den Familien gestorben sind, die unschuldigen Kinder. Bei jenen, die das christliche Leben auf heroische Weise geführt haben, wie die Seher, besagt das, dass sie für die Kirche gelebt haben. In diesem Fall waren Wunder notwendig, die wir als auf ihre Fürbitte hin gewirkt bestätigen konnten.
Am 13. Mai 2017 wurden die Seherkinder Jacinta und Francisco Marto von Papst Franziskus in Fatima heiligesprochen.
Das Attentat auf Papst Johannes Paul II.
Ich glaube, [das Attentat auf den Papst] am 13. Mai 1981 war die Mahnung an den Papst, auf Fatima zu schauen. Er hat dann den Weihetext verfasst und kam schließlich 1982 nach Fatima, um die Weihe selbst vorzunehmen.
Stellen Sie sich vor: Der Papst steht im Zentrum des Geheimnisses. Die Kinder sehen den Berg, wo Christus gekreuzigt wird. Die Leute kommen aus den zerstörten Städten dorthin und werden alle niedergeschossen, als sie sich dem Kreuz nähern. Das sind die Märtyrer der Zeit. Dann kommt der weiß gekleidete Bischof, von dem die Kinder wussten, dass es der Heilige Vater ist. Die Kinder sehen, wie der Papst zum Kreuz hinkommt, niedergeschossen wird und tot zusammenbricht.
Der Papst sagte, dass eine Hand die Waffe und die Kugel geleitet habe und er so gerettet wurde. So kam Fatima durch die Kirche in die Öffentlichkeit.
Die Botschaft von Fatima und Russland
Wichtig war für mich die spezielle Aussage Marias: „Russland verbreitet seine Irrlehren, aber Russland wird sich zum Schluss bekehren.“ Ich habe diese Sache sehr genau verfolgt und mit Schwester Lucia darüber gesprochen. Auch sie achtete mit großer Spannung darauf, wann dies geschehen wird. Ich habe ebenso mit Kardinälen gesprochen und auch der Papst fragte sich: Wann wird das geschehen? Wir wussten, dass die Voraussetzung dafür die Weihe Russlands an das Unbefleckte Herz Marias war.
Die Weihe wurde 1917 vorausgesagt. Damals sagte die Erscheinung: „Ich komme wieder.“ Sie kam 1929. Lucia schrieb an Papst Pius XII. Papst Pius XII. versuchte, die Weihe vorzunehmen, allein während des Zweiten Weltkrieges fehlten die Bischöfe. Dann kam das II. Vatikanische Konzil. Ich war mit dem Bischof dabei und hatte die Aufgabe, diese Forderung Marias in Rom unter den Bischöfen bekannt zu machen. Sie haben sich bereit erklärt – es waren 800 Bischöfe, welche die Bitte, er möge mit ihnen zusammen diese Weihe vorschlagen, direkt an den Papst herangetragen haben.
Lucia schreibt in ihrem Büchlein [Wie sehe ich die Botschaft…5], dass Gorbatschow, der Chef der Kommunistischen Partei Russlands, am 1. Dezember 1990 zum Papst gegangen ist. Und Gorbatschow, so Schwester Lucia, hat den Papst um Entschuldigung und Verzeihung gebeten für das, was er und seine Partei gegen ihn und die Kirche gemacht haben. Ich wollte diese Sachen natürlich veröffentlichen, wurde jedoch ermahnt, dies nicht zu tun, denn ich habe das aus dem Tagebuch des Papstes erfahren.“
Dank
Dieses kurze und freie Gespräch mit Michael Mayr unmittelbar vor P. Kondors Tod, zeigt, wie sehr auch er selbst in die Botschaft von Fatima eingeplant war. Kondor hat seinen Auftrag, dessen Bedeutung erst jetzt, nach seinem Tod, offensichtlich wird, aus innerer Berufung mit letzter Hingabe erfüllt, wie ich im Gespräch mit ihm zutiefst erfahren konnte. So gilt ihm unser Dank für seinen selbstlosen Einsatz in den Grenzbereichen des Lebens und der Heilsgeschichte.
GW 59 (2010) 1, S. 79-86