ETHICA 24. Jg. 2016

ETHICA – Wissenschaft und Verantwortung – Jahrgang 2016 – Heft 1
ETHICA – Wissenschaft und Verantwortung – Jahrgang 2016 – Heft 2
ETHICA – Wissenschaft und Verantwortung – Jahrgang 2016 – Heft 3
ETHICA – Wissenschaft und Verantwortung – Jahrgang 2016 – Heft 4

Leitartikel

Ethica 2016-1
Fonk, Peter: Migration und Flucht als Ort der Theologie (Editorial)
Fisch, Andreas: Zu den arbeitsmarktbezogenen Ursachen der Spaltung in Arm und Reich. Chancengleichheit im Bildungssektor als Antwort? 13
Ohly, Lukas: Methodische Vollständigkeit der Ethik. Hermann Deuser zum 70. Geburtstag 41
Spreng, Manfred: Gender Mainstreaming. Identitätszerstörende Ideologie gegen Naturwissenschaft 65

Ethica 2016-2
Joób, Mark: Ethische Werteorientierung in Unternehmen 99
Kämpf, Heike: Fremden begegnen. Zur ethischen Bedeutung des Taktgefühls 119
Kirchschläger, Peter G.: KonsumActors – mehr Macht beim Einkauf als an der Urne? Konsumethische Überlegungen zur Verantwortung beim Einkaufen 133
Schlögl-Flierl, Kerstin / Lintner, Martin M.: So halbwegs treu. Eine tugendethische Betrachtung über die Treue in der Ehe und im Ordensleben 159

Ethica 2016-3
Bonfranchi, Ricardo: Warum tut sich unsere Gesellschaft schwer, Menschen mit geistiger Behinderung zu integrieren? 195
Cullen, Paul: Suizidbeihilfe. Der Arzt als Tötungshelfer? 217
Schlögel, Herbert / Merkl, Alexander: Menschenwürde und Menschenrechte. Naturrechtlicher Bezug und Konkretion 233

Ethica 2016-4
Ohly, Lukas: Eigentum und Recht in der Flüchtlingsdebatte 291
Schramm, Michael: Wie funktioniert die Geschäftswelt wirklich? Business Metaphysics und Theorie der Firma 311

Bücher und Schriften
Teresa Koloma Beck / Klaus Schlichte: Theorien der Gewalt zur Einführung (J. Krämmer) 285
Jörg Bossenmayer: Wider die ärztliche Kunst? Recht und Unrecht in der Medizin (J. Koller) 284
Leonie Bossert: Wildtierethik. Verpflichtungen gegenüber wildlebenden Tieren (J. Koller) 267
Michael Coors / Tatjana Grützmann / Tim Peters (Hg.): Interkulturalität und Ethik. Der Umgang mit Fremdheit in Medizin und Pflege (V. Schubert-L.) 278
Felicitas Eckrich / Klaus Tanner (Hg.): Forschung und Verantwortung im Konflikt? Ethische, rechtliche und ökonomische Aspekte der Totalsequenzierung des menschlichen Genoms (J. Maaß) 375
Andreas Frewer / Florian Bruns (Hg.): Klinische Ethik: Konzepte und Fallstudien (R. Bonfranchi) 279
Björn Görder: Milton Friedmans Freiheitsverständnis (J. Maaß) 281
Joachim Güntzel: Am Anfang war der Mensch. Die Entmenschlichung der ökonomischen Theorie und ihre dramatischen Folgen (J. Maaß) 372
Joschka Haltaufderheide: Zur Risikoethik. Analysen im Problemfeld zwischen Normativität und unsicherer Zukunft (J. Maaß) 192
Michael Hartlieb: Die Menschenwürde und ihre Verletzung durch extreme Armut. Eine sozialethisch-systematische Relektüre des Würdebegriffs (J. Krämmer) 276
Wolfgang Huber / Torsten Meireis / Hans-Richard Reuter (Hg.): Handbuch der Evangelischen Ethik (A. Resch) 189
Jennifer Jacquet: Scham: die politische Kraft eines unterschätzten Gefühls (G. Kleinschmidt) 282
Wilhelm Korff / Markus Vogt (Hg.): Gliederungssysteme angewandter Ethik: ein Handbuch (A. Resch) 265
Frank Mathwig / Torsten Meireis / Rouven Porz / Markus Zimmermann (Hg.): Macht der Fürsorge? Moral und Macht im Kontext von Medizin und Pflege (R. Bonfranchi) 286
H. Merkt / Margrit Schlipf / Friedrich Schweitzer / Albert Biesinger (Hg.): Ethische und interreligiöse Kompetenzen in der Pflege. Unterrichtsmaterialien für die Pflegeausbildung (V. Schubert-Lehnhardt) 371
Marco Nogara: Moral begründen oder erklären? Zum Begriff der ethischen Gewissheit (H.J. Münk) 268
Isgard Ohls: Der Arzt Albert Schweitzer: weltweit vernetzte Tropenmedizin zwischen Forschen, Heilen und Ethik (E. Luther) 273
Lukas Ohly (Hg.): Virtuelle Bioethik. ein reales Problem? (J. Koller) 95
Michael Rosenberger: Der Traum vom Frieden zwischen Mensch und Tier: eine christliche Tierethik (Markus Moling) 270
Johann Platzer / Franziska Großschädl (Hg.): Entscheidungen am Lebensende – Medizinethische und empirische Forschung im Dialog (R. Bonfranchi), 373
Walter Schaupp / Wolfgang Kröll (Hg.): Medizin – Macht – Zwang. Wie frei sind wir angesichts des medizinischen Fortschritts? (V. Schubert-Lehnhardt) 367
Astrid Schilling: Ethik im Kontext erfahrungsbezogener Wissenschaft. Die Moralphilosophie des Roger Bacon (ca. 1214-1292) vor dem Hintergrund der scholastischen Theologie sowie der Einflüsse der griechischen und arabischen Philosophie (J. Maaß) 368
Volkmar Sigusch: Das Sex-ABC: Notizen eines Sexualforschers (A. Resch) 368
Dirk Stederoth: Freiheitsgrade. Zur Differenzierung praktischer Freiheit (R. Bonfranchi) 370
Anselm Stieber: Ringt um eure Verfassung. Gedanken zu einer neuen politischen Kultur (J. Koller) 272
Silvio Vietta: Die Weltgesellschaft. Wie die abendländische Rationalität die Welt erobert und verändert hat (J. Maaß) 287
Rüdiger Voigt (Hg.): Staatsdenken. Zum Stand der Staatstheorie heute (H. Kreß) 363
Eckart Voland / Renate Voland: Evolution des Gewissens. Strategien zwischen Egoismus und Gehorsam (J. Koller) 364
Rita Werden: Schamkultur und Schuldkultur. Reversion einer Theorie (R. Bonfranchi) 366


ETHICA 2016/1

LEITARTIKEL / Abstracts

FISCH, ANDREAS: Zu den arbeitsmarktbezogenen Ursachen der Spaltung in Arm und Reich. Chancengleichheit im Bildungssektor als Antwort? ETHICA 24 (2016) 1, 13 – 39
Chancengleichheit im Bildungssektor gilt als Schlüssel, um die arbeitsmarktbezogenen Ursachen sozialer Ungleichheit zu beheben. Dieser Beitrag zeigt auf, wie anspruchsvoll und voraussetzungsreich eine sozialinvestive Politik im Bildungssektor sein muss und dass es wenigstens drei flankierender Maßnahmen über den Bildungsbereich hinaus bedarf, um drei Schwellen zu diesem Ziel zu überwinden: 1) Chancengleichheit für die Benachteiligten bedarf einer nicht selbstverständlichen Orientierung auf ihre Bildungserfordernisse. 2) Für eine bessere Platzierung am Arbeitsmarkt müssen Diskriminierungen gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund im Ausbildungsmarkt abgebaut werden. 3) Um nicht nur individuell Verbesserungen zu erreichen, sondern gesellschaftlich soziale Ungleichheit zu mindern, bedarf es einer Absorptionsfähigkeit des Arbeitsmarktes für neue Arbeitskräfte, da sonst lediglich ein Verdrängungseffekt eintritt.
Arbeitslosigkeit
Bildung
Bildungsgerechtigkeit
Chancengleichheit
Gewerkschaften
Lohnspreizung
Menschenrecht auf Bildung
Neue einfache Arbeit
Niedriglohnsektor
soziale Immobilität
soziale Ungleichheit
Spaltung in Arm und Reich
Streik
3. Weg der Kirchen

FISCH, ANDREAS: Can equal opportunities in education reduce the gap between rich and poor as caused by the job market? ETHICA 24 (2016) 1, 13 – 39
Equal opportunities in education are considered the key for resolving the social inequalities rooted in (un)employment and divergent wages. The article demonstrates how ambitious policies must become in the educational sector and what must be the accompanying measures going beyond education in order to achieve this goal: 1) Equal opportunities for the disadvantaged require an understanding of their particular educational needs. 2) Better job opportunities for migrants have to be created by eliminating discriminatory behaviour in the domain of vocational training. 3) In order to achieve not only improvements for individuals but to reduce social inequalities in general, the labour market must be able to absorb a number of new workers. Otherwise workers in similar circumstances will only be displaced and the situation in society as a whole will remain unchanged.
Blue collar jobs
gap between rich and poor
education
educational equality / equity
equality of opportunity
human right to education
low-wage sector
social immobility
social inequality
trade / labour unions
unemployment
union strike
upward social mobility
wage disparity

OHLY, LUKAS: Methodische Vollständigkeit der Ethik. Hermann Deuser zum 70. Geburtstag. ETHICA 24 (2016) 1, 41 – 63
Eine ethische Grundlegung muss methodisch vollständig sein, weil sie sonst nicht an sich ausweisen kann, ob ihr Verfahren nicht zu früh abbricht. Der Theologe Hermann Deuser hat aus Peirce’ drei Kategorien, die aufgrund relationslogischer Gründe kategoriale Vollständigkeit beanspruchen, drei ethische Prinzipien abgeleitet. Darin begründet Deuser auch, warum jede ethische Grundlegung eine theologische Komponente hat, also auch jede säkulare Ethik. Allerdings bleibt der Zusammenhang der ethischen Prinzipienlehre Deusers und der Kategorienlehre Peirce’ bei Deuser selbst implizit. Der vorliegende Beitrag rekonstruiert Deusers Ableitung von Peirce her und zeichnet das theologische Element jeder Ethik nach. Zuletzt wird die methodologische Überzeugungskraft dieses prägnanten Ansatzes kritisch diskutiert.
Deuser, Hermann
Glaube
Methodenlehre der Ethik

OHLY, LUKAS: Methodical completeness of ethics. To Hermann Deuser’s 70th birthday. ETHICA 23 (2015) 1, 39 – 60
An ethical foundation has to be methodically complete. Otherwise it could not be demonstrated in itself whether its procedure does not get interrupted anywhere which would lead to a false reasoning. The theologian Hermann Deuser developed three ethical principles from Peirce’s three categories which, according to the rules of relational logic, claim to be categorically complete. And he also gives reasons why each ethical foundation has a theological component, i.e. secular ethics, too. However, in Deuser’s research the connection between his principles and Peirce’s theory of categories remains merely implicit. The article reconstructs the derivation of Deuser’s ethics from Peirce and traces the theological component of every ethics. Finally, the methodological persuasiveness of this concise approach is critically discussed.
Deuser, Hermann
faith
methodology of ethics

SPRENG, MANFRED: Gender Mainstreaming. Identitätszerstörende Ideologie gegen Naturwissenschaft. ETHICA 24 (2016) 1, 65 – 93
In den vorliegenden Ausführungen wird versucht, aus naturwissenschaftlicher Sicht auf mögliche Probleme und Risiken des Gender Mainstreaming hinzuweisen und pseudowissenschaftliche Behauptungen, wie z.B. Neugeborene kämen als „unbeschriebenes Blatt“ auf die Welt und Mannsein und Frausein wären „nur erlernt bzw. eingeredet“, zu widerlegen.
Dabei zeigt sich, dass Dimorphismen, die das geschlechtliche Verhaltensbild beachtlich bestimmen, in den unterschiedlichen Gehirnen von Frau und Mann gegeben sind – mit optimaler Ergänzungsmöglichkeit dieser Verschiedenheiten.
Problematisch beim angewandten Genderismus ist einmal die zu der feministischen Grundtendenz im Widerspruch stehende und gegen vorliegende motivationale Grundlagen gerichtete Negierung des Frauseins zu werten, oft verbunden mit einer Steigerung der Depressionsneigung. Besonders kritisch ist die Abwertung der Frau als Mutter zu betrachten und damit das Vergessen einer ihrer wichtigsten Aufgaben, nämlich der kognitiven Initialzündung über die entscheidende Förderung frühkindlicher Sprachentwicklung.
Das im Rahmen des Genderismus von politischer und wirtschaftlicher Seite massiv angestrebte Ziel, Familie und Beruf permanent miteinander zu verbinden, fordert die außerfamiliäre Krippenbetreuung der Kleinstkinder mit bisher kaum näher betrachteten Konsequenzen.
Abschließend wird darauf hingewiesen, dass neuere Studien über ein erschreckendes Ansteigen jugendlicher Depressionen, einen Mangel an Fähigkeit zur Stressbewältigung, Hinweise auf Angstzustände und tatsächliche Veränderungen der Gehirnstruktur (Hippocampus) vorliegen, die zur Besorgnis über die Folgen von genderbedingten Eingriffen in die naturgegebene Leiblichkeit des Menschen Anlass geben.
Familie
Feminismus
Fremdbetreuung
Gender Mainstreaming
Geschlechterrollen
Geschlechtsdimorphismen
Gleichstellung
Identitätszerstörung
Krippenproblematik

SPRENG, MANFRED: Gender Mainstreaming – an ideology destroying personal identity against natural sciences. ETHICA 24 (2016) 1, 65 – 93
The author tries to point out possible problems and risks of gender mainstreaming from a scientific perspective and to refute pseudoscientific assertions as e.g. that children would be born as an “unknown quantity” and being man or woman would just be “learned or having been lulled into them”.
It turns out, however, that sexual dimorphisms which considerably determine the sexual behaviour are already embedded in the brains of men and women, with the possibility of complementing each other almost perfectly.
One problematic aspect of gender mainstreaming is the negation of womanhood which is not compatible with the fundamental philosophy of feminism and also contradicts motivational basics, sometimes even accompanied by an increased tendency to depression. What is particularly critical is the undervaluing of women’s role as mothers, i.e. forgetting one of women’s most important tasks, namely setting off the initial and decisive spark in the promotion of early childhood language acquisition.
The objectives being vehemently pursued from the political and economic side as to genderism, namely to enable people to combine career and family, requires taking care of babies and toddlers in nurseries the consequences of which have not yet been looked at more closely.
Finally, it is pointed out that recent studies speak of an alarming rise of juvenile depression, a lack of skills in stress management, proofs of anxiety states as well as actual changes in the brain structure (hippocampus) which raise concern about the consequences of gender-related interventions in the physical nature of man as defined by nature.
Destruction of identity
family
feminism
gender equality
gender mainstreaming
gender roles
nurseries /problems of
out-of-home care
sexual dimorphisms

ETHICA 2016/2

LEITARTIKEL / Abstracts

JOÓB, MARK: Ethische Werteorientierung in Unternehmen. ETHICA 24 (2016) 2, 99 – 117
Das Sinndefizit der konventionellen Wirtschaftswissenschaft, Wertekonflikte zwischen Unternehmen und gesellschaftlichen Anspruchsgruppen sowie die Orientierungslosigkeit vieler Manager erfordern eine Rückbesinnung auf moralische Werte im unternehmerischen Kontext. Der vorliegende Beitrag deckt die zentralen Eigenschaften moralischer Werte auf und hebt die moralische Dimension ökonomischer Werte hervor. Danach wird vom Eigenwert der Person ausgehend auf der Grundlage menschlicher Bedürfnisse ein hierarchisches Wertesystem skizziert und die Bedeutung einer intrinsischen Motivation von Mitarbeitern und Führungskräften bei der Verwirklichung moralischer Werte in Unternehmen betont.
Intrinsische Motivation
Unternehmensethik
Unternehmensführung
Werte, moralische
Werteorientierung
Wirtschaftsethik

JOÓB, MARK: Ethical value-orientation within corporations. ETHICA 24 (2016) 2, 99 – 117
The conventional economics’ deficit of meaning, conflicts of values between corporations and stakeholders and the disorientation of many managers make it necessary to recollect moral values with regard to corporations. The article reveals the central characteristics of moral values and underlines the moral dimension of economic values. Then, starting from the intrinsic value of persons, it sketches out a hierarchic system of values on the basis of human needs and emphasizes the importance of an intrinsic motivation of employees and executives for the realization of moral values within corporations.
Business ethics
intrinsic motivation
management
moral values
value orientation

KÄMPF, HEIKE: Fremden begegnen: Zur ethischen Bedeutung des Taktgefühls. ETHICA 24 (2016) 2, 119 – 132
Der Begriff des Taktgefühls bezeichnet ein schwer fassbares Gespür für einen ethisch angemessenen Umgang mit Anderen. Auf der Grundlage des Taktgefühls werden taktvolle Verhaltensweisen improvisiert. Diese werden vor allem dort notwendig, wo das soziale Verhalten nicht durch explizite, allgemein bekannte Regeln oder persönliche Vertrautheit organisiert ist. Taktgefühl ist eine Art Sinn für die rechte Balance zwischen Nähe und Distanz in der Begegnung mit Anderen. Takt und Taktgefühl beruhen, wie sich in Anlehnung an Helmuth Plessner sagen lässt, auf der Offenheit für Differenz, und sie ermöglichen einen respektvollen Umgang miteinander. Insofern lässt sich von einer Ethik der Takts sprechen, die den Anderen nicht mit den eigenen Maßstäben misst, sondern ihm sein Anderssein zugesteht, ohne ihm dabei mit Gleichgültigkeit zu begegnen. Eine Renaissance des Takts scheint heute besonders notwendig, weil er eine Möglichkeit bietet, dass sich einander Fremde begegnen und miteinander auskommen können. D.h., der Takt konstituiert nicht zuletzt öffentliche Räume der Begegnung, die vor einer Provinzialisierung zu schützen sind.
Anerkennung
Gadamer, Hans-Georg
öffentliches Leben
Plessner, Helmuth
Recht des Anderen
Respekt
Sennett, Richard
Simmel, Georg
sozialer Sinn
Takt
Taktgefühl

KÄMPF, HEIKE: How to deal with strangers. The ethical significance of tact. ETHICA 24 (2016) 2, 119 – 132

A sense of tact means an elusive feeling of an ethically adequate dealing with others. On the basis of tact tactful behaviour is improvised. This is above all necessary if social behaviour is not organized by explicit and well known rules or personal closeness. The feeling of tact is a kind of sense for the right balance between nearness and distance when dealing with others. To speak with Helmuth Plessner, tact and the sense of tact are based on the openness to difference, and they make possible a respectful dealing with each other. Thus, one may speak of an ethics of tact which does not measure the other by one’s own yardsticks but accepts his being different without treating him with indifference. Today, a renaissance of tact seems to be especially necessary because it offers a possibility for strangers dealing with each other and getting along with. This means that tact also constitutes public spaces for encounter that are to be protected against provincialisation.
Gadamer, Hans-Georg
Plessner, Helmuth
public life
recognition
respect
right of the other
Sennett, Richard
sense of tact
Simmel, Georg
social sense
tact

KIRCHSCHLÄGER, PETER G.: KonsumActors – mehr Macht beim Einkauf als an der Urne? Konsumethische Überlegungen zur Verantwortung beim Einkaufen. ETHICA 24 (2016) 2, 133 – 157

Jede Kaufentscheidung weist eine ethische und politische Bedeutung auf, da Menschen im Zuge des Konsums auch eine Verantwortungsrelation einkaufen. Diese Verantwortungsrelation, die Freiheit und Rationalität bedingt, verbindet Konsumierende als Verantwortungssubjekt u.a. mit dem Kontext und mit den am Prozess der Produktentstehung, des -vertriebs und -verkaufs beteiligten Menschen als Verantwortungsobjekt. Macht und Einfluss der Konsumierenden macht sie dabei zu „KonsumActors“, denn ihre Entscheidungen und Handlungen bleiben nicht ohne Konsequenzen – im Gegenteil. Gerade im Vergleich mit einer Mitwirkung an demokratischen Meinungsbildungs- und Entscheidungsfindungsprozessen wird der Impact von KonsumActors deutlich. Mit ihren Kaufentscheidungen sind KonsumActors – neben Unternehmen und Staaten – mitverantwortlich dafür, dass Mit-Welt und Umwelt in der Gegenwart und in der Zukunft nicht unter den Folgen ihres Konsums leiden müssen. Eine Untermauerung der Begründung dieser Verantwortungsrelation und eine Orientierung als Maßstab dieser Verantwortung können die Menschenrechte den KonsumActors bieten.
Freiheit
Freiwilligkeit
Konsum
KonsumActors
Macht
Menschenrechte
Menschenrechtsverletzungen
Nichtstaatliche Akteure
Unternehmen
Verantwortung

KIRCHSCHLÄGER, PETER G.: ConsumActors – more power by shopping than by going to the polls? Ethical considerations on the responsibility of consumers. ETHICA 24 (2016) 2, 133 – 157

Any buying decision is significant from an ethical as well as a political point of view because people also buy a relation of responsibility which demands freedom and rationality. By the way, the responsibility relation associates consumers as subjects of responsibility with the context and the persons who, as objects of responsibility, participate in product manufacturing, product distribution, and product sales. The power and influence of consumers make them “consumActors” for their decisions and actions do not remain without consequences – on the contrary! The impact of consumActors can especially be seen being compared with the participation in democratic opinion-forming and decision-making processes. Apart from states and corporations, also consumActors, owing to their buying decisions, are responsible for fellow man and environment not going to suffer from the consequences of consumer habits, neither in the present nor in the future. Human rights may offer consumActors a foundation of this relation of responsibility and a constant guiding criterion.
Business, enterprise
consumActors
consumption
freedom
human rights
non-state actors
power
responsibility
violation of human rights
voluntariness
 
SCHLÖGL-FLIERL, KERSTIN / LINTNER, MARTIN M.: So halbwegs treu: eine tugendethische Betrachtung über die Treue in der Ehe und im Ordensleben. ETHICA 24 (2016) 2, 159 – 187
So halbwegs treu – geht das überhaupt? Fordert Treue nicht Totalität? Ansonsten sei es gar keine Treue? Das irritierende Moment der Überschrift dieses Beitrags weist schon auf den Grundgehalt der Treue hin. Autorin und Autor, verheiratete Mutter die eine und Ordenspriester der andere, beleuchten die Problematik von zwei Seiten. Die Grundthese ist, dass eine normethische Betrachtung allein nicht ausreicht. Treue vollzieht sich auf mehreren Ebenen, sei es auf der sexuellen, der emotionalen oder auch der sozialen usw. Daher soll in diesem Beitrag eine tugendethische Betrachtung forciert werden, nicht zuletzt auf dem Hintergrund, dass die Tugendethik in den letzten Jahrzehnten eine Renaissance erfahren hat.
Ehe
Ordensleben
Treue
Tugendethik
Untreue
Zölibat

SCHLÖGL-FLIERL, KERSTIN / LINTNER, MARTIN M.: More or less faithful: A virtue-ethical consideration of faithfulness in marriage and in religious life. ETHICA 24 (2016) 2, 159 – 187
More of less faithful – is that even possible? Does faithfulness not claim totality because otherwise one might not speak of faithfulness at all? The irritating element of the article’s heading points to the basic content of faithfulness. A “mother of two” and a priest examine the problem from two sides. The basic thesis is that a solely norm-based approach does not suffice. Faithfulness performs on various levels, be it the sexual, the emotional or even the social one, etc. Thus, the authors put a special emphasis on a virtue-based approach, not least against the backdrop of its revival in the last few decades.
Celibacy
faithfulness
marriage
religious life
unfaithfulness
virtue ethics

ETHICA 2016/3

LEITARTIKEL / Abstracts

BONFRANCHI, RICARDO: Warum tut sich unsere Gesellschaft schwer, Menschen mit geistiger Behinderung zu integrieren? ETHICA 24 (2016) 3, 195 – 215
Seit einigen Jahren gibt es intensive Diskussionen darüber, wie sich behinderte Menschen integrieren können bzw. inwieweit die Gesellschaft in den Bereichen Schulen, Arbeit, Wohnen usw. bereit ist, sich zu öffnen. Allerdings geht es dabei meist um die Integration von Personen mit einer Körper- oder Sinnesbehinderung, während geistig behinderte Menschen kaum in die Überlegungen einbezogen werden, weil sie in den Augen der Öffentlichkeit unter einer gewissen Norm liegen, was Intelligenz, Arbeitstugend und Schönheit betrifft, die jedoch sehr relative Begriffe sind.
Der Autor leuchtet zu diesem Thema tiefer liegende Gründe aus philosophischer und kulturgeschichtlicher Perspektive aus.
Behinderung
Geistig Behinderte
Geschützte Werkstätten
Industriegesellschaft
Intelligenz
Intoleranz
Schönheit
Wertigkeit der Arbeit

BONFRANCHI, RICARDO: Why does modern society find it difficult to integrate mentally handicapped people? ETHICA 24 (2016) 3, 195– 215

For quite some time now there have been intensive discussions on how handicapped people could be integrated into society, i.e. to what extent society is ready to open itself as far as schools, work, dwelling etc. are concerned. However, all this is particularly referring to persons who are physically handicapped or have a sensory disorder, whereas the mentally handicapped are hardly included into consideration because in the eyes of the public they are seen below a certain standard as to intelligence, job-related qualifications and beauty which – nevertheless – are relative terms.
The author, in his article, illuminates the deeper reasons from a philosophical and historico-cultural perspective.
Beauty
disability
industrial society
intelligence
intolerance
mentally handicapped persons
sheltered workshops
valence of work

CULLEN, PAUL: Suizidbeihilfe: Der Arzt als Tötungshelfer? ETHICA 24 (2016) 3, 217 – 231
Am 6. November 2015 hat der Deutsche Bundestag in § 217 des Strafgesetzbuchs die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ verboten, die Beihilfe zur Selbsttötung für bestimmte Personengruppen („Angehörige“ und „Nahestehende des Suizidwilligen) und damit auch die Selbsttötung selbst aber zum ersten Mal in der Nachkriegsgesetzgebung straffrei gestellt und damit ausdrücklich erlaubt. Diese Gesetzgebung wurde fast überall als „gelungener Kompromiss“ gelobt und begrüßt. Auch die großen Kirchen haben das Gesetz gelobt und verstiegen sich sogar zu der Feststellung, es würde Ärzte „vor der Erwartungshaltung … [schützen], Suizidassistenz zu leisten.“ Dabei ist genau das Gegenteil der Fall. Durch dieses Gesetz wird der Druck auf Ärzte steigen, Hilfe zur Selbsttötung zu leisten.
Im vorliegenden Artikel werden das Problem des Suizids und der Beihilfe dazu aus ärztlicher Sicht erläutert, die historische Entwicklung der Gesetzgebung erklärt und ihre Implikationen für Ärzte und Gesellschaft dargestellt.
§ 217 StGB
Selbsttötung
Suizid
Suizidassistenz

CULLEN, PAUL: Physician-assisted suicide? ETHICA 24 (2016) 3, 217– 231

On November 6, 2015, the German parliament passed a law (section 217 of the German Penal Code) forbidding „organised promotion of suicide“. At the same time, this law for the first time since the Second World War expressly allows suicide assistance for “relatives” and “close friends”, thereby expressly permitting suicide itself. This law was praised and greeted almost universally as a “successful compromise”. The Protestant and Catholic churches also praised the law, claiming that it would “protect doctors from the expectation that they take part in assisted suicide”. However, the effect of the law will be the exact opposite: it will increase pressure on doctors to deliver suicide assistance.
The present article describes the problem of suicide and assisted suicide from a medical perspective, explains the historical development of the law on assisted suicide, and outlines the implication of the new law for German doctors and society at large.
Assisted suicide
German Criminal Code /§ 217
suicide

SCHLÖGEL, HERBERT / MERKL, ALEXANDER: Menschenwürde und Menschenrechte – Naturrechtlicher Rückbezug und Konkretion. ETHICA 24 (2016) 3, 233 – 251

Menschenwürde und Menschenrechte sind in Moraltheologie und Sozialethik seit Jahren ein zentrales Thema. Unbestritten ist, dass es unterschiedliche Zugangsweisen zu deren Begründung gibt. Diskutiert wird, ob der Rückbezug auf das Naturrecht hier eine wichtige Rolle spielen kann. Aus theologischer Sicht ist erwähnenswert, dass Papst Benedikt XVI. sich in diesem Zusammenhang verschiedentlich auf das Naturrecht bezogen hat. Der Beitrag sucht zu zeigen, dass das Naturrecht als ein vorstaatliches Recht, das nicht christlichen Ursprungs ist, eine gemeinsame Bezugsquelle darstellt und zugleich auf die naturale Verfasstheit des Menschen hinweist, die notwendig ist, damit er als sittliches Wesen handeln kann. Dies soll anhand von zwei Beispielen (Entstehung des Grundgesetzes der BRD und Terrorismus) konkretisiert werden. Im Hintergrund stehen die Fragen, an welchen „Werten“ sich Asylbewerber und Flüchtlinge zu orientieren haben und welche (ethischen) Grenzen der notwendigen Bekämpfung des Terrorismus gesetzt sind.
Grundgesetz der BRD
Kant, Immanuel
Menschenrechte
Menschenwürde
Naturrecht
Papst Benedikt XVI.
Terrorismus
Thomas von Aquin

SCHLÖGEL, HERBERT / MERKL, ALEXANDER: Human dignity and human rights – recourse to natural law and concretion. ETHICA 24 (2016) 3, 233 – 251

Human dignity and human rights have been central topics in moral theology and social ethics for years. Without any doubt there are different approaches for their justification. It is a matter of debate if the recourse to natural law may play an important role in this case. From a theological perspective it is worth mentioning that Pope Benedict XVI repeatedly referred to natural law in this context. The authors try to show that natural law, which is antecedent to constitutional law and which does not have a Christian origin, has a common reference and also points to the natural constitution of the human person that is necessary in order to act as a moral entity. This is demonstrated by two different examples (the development of the Basic Law for the Federal Republic of Germany and terrorism). The underlying questions are by which ‘values’ refugees and asylum seekers should be guided and what are the (ethical) limits to the necessary fight against terrorism.
Basic Law for the Federal Republic of Germany
human dignity
human rights
Kant, Immanuel
natural law
Pope Benedict XVI
terrorism
Thomas Aquinas

ETHICA 2016/4

LEITARTIKEL / Abstracts

OHLY, LUKAS: Eigentum und Recht in der Flüchtlingsdebatte. ETHICA 24 (2016) 4, 291 – 309
Gegenläufige ethische Ansichten zum aktuellen Flüchtlingsstrom nach Deutschland verwenden verschiedene Kategorien, nämlich die Eigentums- oder die Rechtskategorie. Der Artikel begründet im Anschluss an Adorno und Horkheimer, warum die Rechtskategorie ethisch der Eigentumskategorie vorzuziehen ist: Rechte bleiben präsent, auch wenn sie verletzt werden, während Eigentum verschwindet, wenn es weggenommen wird – außer als bleibendes Recht auf Eigentum. Das setzt eine Transformation des Eigentums ins Recht voraus, die theologisch der kenotischen Christologie entspricht: Gottes Recht manifestiert sich am Kreuz Jesu Christi. Zudem wird der pneumtaologische Charakter des Rechts offengelegt, nämlich mit der Kategorie der Anwesenheit.
Adorno, Theodor W.
Anwesenheit
Eigentum
Flüchtlinge
Horkheimer, Max
Kenosis
Recht

OHLY, LUKAS: Property and rights in the refugee debate. ETHICA 24 (2016) 4, 291– 309

Opposite ethical views about the flow of refugees to Germany use different categories, i.e. the category of property on the one hand and of rights on the other hand. The article gives reason for the preference of the category of rights by an argument used by Adorno and Horkheimer: Rights remain present even if they are harmed. In contrast, property (like the property of home) only remains present if it is transformed into a right to property. The transformation of property into rights corresponds to kenotic Christology: God’s right manifests itself on the Cross. Moreover, the pneumatological character of the priority of rights is revealed by the category of presence.
Adorno, Theodor W.
Horkheimer, Max
Kenosis
presence
property
refugees
rights

SCHRAMM, MICHAEL: Wie funktioniert die Geschäftswelt wirklich? Business Metaphysics und Theorie der Firma. ETHICA 24 (2016) 4, 311 – 360

Seit Jahrzehnten ist die ökonomische „Theorie der Firma“ ein kontrovers diskutiertes Thema. Der Aufsatz argumentiert, dass das monodimensionale (also rein ökonomische) Modell eines Unternehmens in der neoklassischen Firmentheorie, erstens, ein konzeptioneller Fehler ist und dass dieser Fehler, zweitens, tiefere Gründe hat, nämlich Gründe metaphysischer Art. Der Aufsatz klärt seine Vorstellung von „Metaphysik“ und analysiert die in der neoklassischen Firmentheorie zugrunde gelegte Hintergrundmetaphysik, welche die mechanistische Metaphysik der „Maschine“ ist. Ein sehr viel angemessenerer Typus von Metaphysik wurde von dem Mathematiker, Physiker und Philosophen Alfred North Whitehead vorgelegt: eine „Philosophie des Organismus“ oder „Prozessphilosophie“. Für den Zweck dieses Aufsatzes wird Whiteheads Metaphysik durch die „Sozialontologie“ des Philosophen John Searle ergänzt. Im Licht dieser metaphysischen Konzeptionen kann der Hauptfehler der neoklassischen „Theorie der Firma“ als ein Beispiel für das identifiziert werden, was Whitehead den „Trugschluss der unzutreffenden Konkretheit“ genannt hat. Das Papier erläutert dann die allgemeinen Grundzüge einer Whiteheadianischen „Business Metaphysics“ und schließt mit einigen Grundlinien einer Theorie der Firma im Rahmen der „Business Metaphysics“: Eine Firma ist weder ein Marktersatz noch ein Netzwerk von Verträgen, sondern ein Netzwerk von konkreten Transaktionen, die unausweichlich auch eine moralische Dimension aufweisen.
Ethik
Markt
Metaphysik
Prozessphilosophie
Searle, John R.
Sozialontologie
Theorie der Firma
Transaktion
Unternehmen
Whitehead, Alfred North

SCHRAMM, MICHAEL: How does the World of Business Really Work? Business Meta
physics and the Theory of the Firm. ETHICA 24 (2016) 4, 311– 360
Since decades the economic „theory of the firm“ has been a controversial subject. The paper argues firstly that the monodimensional (merely economic) model of a firm in neoclassical economics is a conceptional error, and secondly that there is a deeper reason for this error, namely a metaphysical one. The paper clarifies its notion of „metaphysics“ and analyses the underlying background metaphysics of the neoclassical theory of the firm which is the mechanistic metaphysics of the „machine“. A much more appropriate type of metaphysics was presented by the mathematician, physicist and philosopher Alfred North Whitehead, namely a „Philosophy of Organism“ or „Process Philosophy“. For the purpose of this paper Whitehead’s metaphysics is complemented by the „social ontology“ of the philosopher John Searle. In the light of these metaphysical concepts the main flaw of the neoclassical „theory of the firm“ can be identified as an example of what Whitehead called the „fallacy of misplaced concreteness“. The paper then explicates the general outline of a Whiteheadian „Business Metaphysics“ and ends with some baselines of a theory of the firm within the framework of „Business Metaphysics“: A firm is neither a surrogate market nor is it a network of contracts, but a network of concrete transactions which inevitably also feature a moral dimension.
Ethics
market
metaphysics
process philosophy
Searle, John R.
social ontology
theory of the firm
transaction
company
Whitehead, Alfred North