ETHICA 16. Jg. 2008

ETHICA – Wissenschaft und Verantwortung – Jahrgang 2008 – Heft 1
ETHICA – Wissenschaft und Verantwortung – Jahrgang 2008 – Heft 2
ETHICA – Wissenschaft und Verantwortung – Jahrgang 2008 – Heft 3
ETHICA – Wissenschaft und Verantwortung – Jahrgang 2008 – Heft 4

 

Leitartikel
Johannes Brantl: Jedem seinen eigenen Tod? Suizidprävention in theologisch-ethischer Perspektive 17
Peter Dabrock: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen!“? Theologische Anmerkungen zur Erwartung gesellschaftlicher Wertebildung durch die Kirche 195
Alexander Flierl: Alltägliche Ethik oder Ethik des Alltags? Perspektiven der ethisch vernachlässigten Kategorie „Alltag“ 249
Gerd Grübler: Institutionen der Nutzlosigkeit. Für eine kulturalistische Neuausrichtung der ökologischen Ethik 99
Heike Kämpf: Macht das Gewissen Subjekte aus uns allen? Kritische Überlegungen zum Zusammenhang von Gewissensentstehung und Subjektbildung 49
Angela Kallhoff: Die Rechtfertigung öffentlicher Güter mit Argumenten des Vorteilstausches 315
Nikolaus Knoepffler: Aktuelle und kommende Ethikdiskussionen 3
Jürgen Koller: Personalität und Tierethik 333
Andreas Kött: Vertragstheoretische Grundlegung der Nachhaltigkeit basierend auf einem Modell der stetigen Mitgliederfluktuation einer moralischen Gemeinschaft 153
Hartmut Kress: Religion, Staat und Toleranz angesichts des heutigen Pluralismus. Kritische Anmerkungen zum Böckenförde-Diktum291
Markus Krienke: Die Herausforderung der Menschenrechte durch den ethischen Relativismus 223
Jochen Sautermeister: „Carpe diem?!“ Positionen philosophischer Lebenskunst aus Antike und Gegenwart 129
Hans-Martin Schönherr-Mann: Gespräch anstatt Konfrontation. Hans-Georg Gadamers Hermeneutik als Ethik 347
Dieter Witschen: Theologische Moral versus Moraltheologie. Eine Kantische Opposition 71
Diskussionsforum
Der Streit um die iranische Atompolitik. Völkerrechtliche, politische und friedensethische Reflexionen (Rezension von Dr. Jürgen Koller) 177
Glauben und Wissen. Ein Symposium mit Jürgen Habermas (Rezension von Klaus Thomalla) 269
Stellungnahme von E.-W. Böckenförde 369
Bücher und Schriften
Dörner, Klaus: Leben und sterben, wo ich hingehöre. Dritter Sozialraum und neues Hilfesystem (E. Luther) 187
Eckstein, Christiane / Alexander Filipović / Klaus Oostenryck (Hrsg.): Beteiligung – Inklusion – Integration. Sozialethische Konzepte für die moderne Gesellschaft (K. Weber) 184
Fisch, Andreas: Menschen in aufenthaltsrechtlicher Illegalität. Reformvorschläge und Folgenabwägungen aus sozialethischer Perspektive (M. Heimbach-Steins) 91
Giesinger, Johannes: Autonomie und Verletzlichkeit: der moralische Status von Kindern und die Rechtfertigung von Erziehung (J. Comes) 285
Herrmann, Steffen K. / Sybille Krämer / Hannes Kuch (Hrsg.): Verletzende Worte. Die Grammatik sprachlicher Missachtung (K. Bauer) 185
Hildt, Elisabeth: Autonomie in der biomedizinischen Ethik (G. Marschütz) 94
Markowitsch, Hans J. / Siefer, Werner: Tatort Gehirn. Auf der Suche nach dem Ursprung des Verbrechens (I. Koncsik) 375
Mattulat, Martin: Medizinethik in historischer Perspektive. Zum Wandel ärztlicher Moralkonzepte im Werk von Georg Benno Gruber (1884–1977) (E. Luther) 95
Mittelstaedt, Werner: Das Prinzip Fortschritt. Ein neues Verständnis für die Herausforderungen unserer Zeit (J. Maaß) 372
Ottmann, Henning (Hrsg.): Negative Ethik (K. Weber) 280
Redner, Harry: Wie kann man moralisch leben? Geschichte und Gegenwart ethischer Kulturen (V. Schubert-Lehnhardt) 90
Scholtes, Fabian: Umweltherrschaft und Freiheit. Naturbewertung im Anschluss an Amartya K. Sen (J. Maaß) 286
Schweidler, Walter (Hrsg.): Postsäkulare Gesellschaft. Perspektiven interdisziplinärer Forschung (J. Maaß) 276
Spaemann, Robert / Walter Schweidler (Hrsg.): Ethik. Lehr- und Lesebuch. Texte – Fragen – Antworten (I. Koncsik) 280
Steineck, Christian / Ole Döring (Hrsg.): Kultur und Bioethik. Eigentum am eigenen Körper (V. Schubert-Lehnhardt) 286
Steinhoff, Uwe: Effiziente Ethik. Über Rationalität, Selbstformung, Politik und Postmoderne (J. Maaß) 89
Stier, Marco: Ethische Probleme in der Neuromedizin: Identität und Autonomie in Forschung, Diagnostik und Therapie (I. Koncsik) 191
Tas, Beyazit: Vom Wächter zum Übermenschen. Das Individuum als vernünftiges und konfliktlösendes Wesen in der Gesellschaft bei Platon, Mill und Nietzsche (J. Koller) 369
Thomas, Hans (Hrsg.): Ärztliche Freiheit und Berufsethos (V. Schubert-Lehnhardt) 288
Timmermanns, Paul: Die „Realität“ des Sollens in der Lebenswelt. Phänomenologie einer lebensweltlichen Letztbegründung normativer Sollgeltung (I. Koncsik) 278
Veith, Werner: Intergenerationelle Gerechtigkeit. Ein Beitrag zur sozialethischen Theoriebildung (A. Filipović) 282
Vieth, Andreas: Einführung in die Angewandte Ethik (K. Weber) 276
Wulsdorf, Helge: Nachhaltigkeit. Ein christlicher Grundauftrag in einer globalisierten Welt (J. Maaß) 90

ETHICA 2008/1

EDITORIAL

NIKOLAUS KNOEPFFLER: Aktuelle und kommende Ethikdiskussionen

LEITARTIKEL / Abstracts

BRANTL, Johannes: Jedem seinen eigenen Tod? Suizidprävention in theologisch-ethischer Perspektive. ETHICA 16 (2008) 1, 17–46
In den modernen Industrienationen sterben jährlich mehr Menschen durch Suizid als infolge von schweren Verkehrsunfällen; insbesondere bei älteren Personen ist eine deutliche Zunahme suizidalen Verhaltens zu beobachten. Konzentrierte sich früher die theologisch-ethische Auseinandersetzung mit der Suizidproblematik auf die normative Beurteilung der Selbsttötung und Diskussionen um das Verfügungsrecht des Menschen über sein Leben, so rückt gegenwärtig die gewachsene Einsicht in die pathologischen und tragischen Dimensionen des Suizidphänomens mehr und mehr die moralische Verpflichtung zu mitmenschlicher Solidarität und wirksamer Suizidprophylaxe ins Blickfeld.
Entsprechend ihrer integrierenden Funktion hat sich eine christliche Moral in diesem Zusammenhang zunächst um ein differenziertes Wissen über die Ätiologie suizidalen Verhaltens zu bemühen, wobei sie von der neueren Suizidforschung insbesondere auf die Tragweite der Emotion Ärger und der Kognition Hoffnungslosigkeit aufmerksam gemacht wird.
Unbedingt kritisch zu bewerten ist vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der prosozialen Perspektive des christlichen Menschenbildes das Engagement sog. „Right-to-die-Societies”, welche längst nicht nur schwerstkranke Personen bei der Durchsetzung ihrer Sterbewünsche unterstützen oder sogar Beihilfe zum Suizid praktizieren. Nicht in der organisierten Geschäftigkeit eines assistierten Suizids die bedrängenden Lebensprobleme der Mitmenschen schnell und effektiv aus der Welt zu schaffen, kann der Schlüssel zu echter Humanität liegen.
Aus Sicht einer christlichen Ethik muss es vielmehr um Impulse für eine neue Kultur des menschlichen Lebens im Bereich der Suizidprävention gehen, die sich vor allem auf die Brennpunkte „Lebensbeziehungen stärken“ und „Hoffnungsperspektiven eröffnen“ konzentrieren.
Menschenbild
Right-to-die-Societies
Selbstbestimmung
Suizidbeihilfe
Suizidforschung
Suizidprävention

BRANTL, Johannes: To everyone his own death? Suicide prevention from a theological-ethical point of view. ETHICA 16 (2008) 1, 17–46
Every year in modern industrial nations more people commit suicide than die as a consequence of heavy road accidents. Especially in the case of elder persons suicidal behaviour is constantly growing. Whereas formerly the theological-ethical debate on this topic was concentrated upon the normative judgement of suicide as well as discussions on man’s right of disposal of his own life, now the understanding of the pathological and tragical dimensions of the suicide phenomenon increasingly contributes to the moral duty of solidarity and effective prophylaxis becoming the focus of attention.
In accordance with its integrating function, first of all, in this context, Christian morality has to take efforts to get a differentiated knowledge of the etiology of suicidal behaviour. In this suicide research directs attention to the emotion anger and the cognition despair.
What is to be particularly criticized against this background as well as in view of the prosocial perspective of the Christian concept of man is the involvement of so-called “right-to-die-societies” which do not only support persons at the death’s door in getting their own way when wishing to die, or even actively engage themselves in this matter. The key to true humanity may be found in the fact that the urgent problems of life cannot be settled for good by the organized busyness of an assisted suicide. That’s exactly what it isn’t!
From the standpoint of Christian ethics a fresh impetus has to be given for a new culture of human life as to suicide prevention. What has to be intensified is a positive attitude to life as well as perspectives of hope.
Assisted suicide
concept of man
right-to-die-societies
self-determination
suicide prevention
suicide research

KÄMPF, Heike: Macht das Gewissen Subjekte aus uns allen? Kritische Überlegungen zum Zusammenhang von Gewissensentstehung und Subjektbildung. ETHICA 16 (2008) 1, 49–69
Der Beitrag fragt nach der Rolle des Gewissens in den aktuellen Diskussionen um Prozesse der Subjektwerdung durch Unterwerfung, „subjectivation“ (Butler) bzw. „assujettissement“ (Foucault). Von hier aus werden Gewissensentstehungstheorien (Darwin, Rée, Nietzsche und Freud) einer Kritik unterzogen, um schließlich einen Begriff des Gewissens vorzuschlagen, der die widerständigen Möglichkeiten des Gewissens in der Subjektbildung hervorhebt und einer „Ethik des Einspruchs“ als Grundlage dienen kann.
Evolution
Gewissen
Moral
Reflexivität
Schlechtes Gewissen
Subjektivierung

KÄMPF, Heike: Does conscience make subjects of us all? Critical thoughts on the interrelation between the formation of conscience and the formation of subject. ETHICA 16 (2008) 1, 49–69
The article examines the role of conscience in the actual discussions on the processes of subject formation by submission or “subjectivation” (Butler) resp. “assujettissement” (Foucault). Different theories of the formation of conscience (Darwin, Rée, Nietzsche, Freud) are being criticized and, finally, a concept of conscience is proposed which emphasizes the conflicting possibilities of conscience in subject formation and may serve as a basis for an “ethics of objection”.
Bad conscience
conscience
evolution
morality
reflectivity
subjectivation

WITSCHEN, Dieter: Theologische Moral versus Moraltheologie. Eine kantische Opposition. ETHICA 16 (2008) 1, 71–87
Weitgehend unbeachtet geblieben ist Kants Entgegensetzung von theologischer Moral und Moraltheologie, die für die Konzeption einer theistischen Ethik fundamental ist. Es lassen sich mehrere Gründe eruieren, warum er eine theologische Moral ablehnt, die er der Sache nach mit der Position des theonomen Moralpositivismus gleichsetzt. Er befürwortet hingegen eine Moraltheologie, die – wie die christliche Ethik – den richtigen Weg von der Moral zur Gottesidee weist.
Christliche Ethik
Gottesbild
Moraltheologie
Theologische Moral
Theonomer Moralpositivismus

WITSCHEN, Dieter: Theological morality versus moral theology. A Kantian opposition. ETHICA 16 (2008) 1, 71–87
The Kantian opposition between theological morality and moral theology, which is fundamental for the conception of theistic ethics, has been almost completely ignored. There are quite a few reasons why Kant rejects theological morality which he treats as equivalent to theonomic moral positivism. He does, however, approve a moral theology that – like Christian ethics – shows the right way from morality to the notion of God.
Christian ethics
image of God
moral theology
theological morality
theonomic moral positivism

ETHICA 2008/2

LEITARTIKEL / Abstracts

GRÜBLER, Gerd: Institutionen der Nutzlosigkeit. Für eine kulturalistische Neuausrichtung der ökologischen Ethik. ETHICA 16 (2008) 2, 99–127
Ein normatives Leitbild zur Überwindung der ökologischen Krise ist nur als Abkehr von der Legitimation kritisierter Praxen, dem Dispositiv, plausibel. Von besonderer Relevanz sind dabei paradoxe (kontraproduktive, autoaggressive) Praxen und deren transzendentalpragmatisch selbstwidersprüchliche Dispositive. Deren Kritik wird plausibel vor dem Hintergrund der Freiheit als dem zentralen Grundwert der ‚westlichen‘ Moderne. Als Grenzerfahrung des Kulturgestaltens lehrt die ökologische Krise, dass Freiheit nur in Distanz zum Nützlichen, ja, in einer bestimmten Haltung zum Nutzlosen erhalten werden kann. Die Grundproblematik der ökologischen Krise liegt in der Struktur technischen Handelns a priori fest und kann durch technisches Handeln selbst nie eingeholt werden. Eine ökologische Ethik, gegründet auf Kulturwerten, fordert daher Handlungen der Unterlassung, die sich als Akte der Selbstermächtigung, der gelebten Freiheit gegenüber dem Dispositiv, intrinsisch motivieren.
Dispositive
Freiheit
Gelassenheit
Kulturalismus
Kulturhöhe
Leitbilder
Nachhaltigkeit
Ökologische Ethik
Wohnen

GRÜBLER, Gerd: Institutions of uselessness. Pleading for a culturalistic reorientation in ecological ethics. ETHICA 16 (2008) 2, 99–127
A normative model to overcome the ecological crisis is only plausible if the legitimation of criticized practices, of the dispositive, is renounced. Particularly relevant in this context are paradox (contraproductive, autoagressive) practices and their, seen from a transcendental-pragmatic point of view, self-contradictory dispositives. The fact that they are being criticized is getting plausible against the background of freedom as the central basic value of ,western‘ modernity. As a borderline situation of making culture the ecological crisis shows that freedom can only be preserved by keeping distance from the useful, i. e in a certain behaviour towards the useless. The basic problem of the ecological crisis is to be found in the structure of technical action a priori and can never be made up by technical action. Thus, an ecological ethics based on cultural values requires deeds by omission which intrinsically motivate themselves as acts of self-authorization, of real freedom, with regard to the dispositive.
Culturalism
dispositives
ecological ethics
freedom
imperturbability
level of civilization
living
models
sustainability

SAUTERMEISTER, Jochen: „Carpe diem?!“ Positionen philosophischer Lebenskunst aus Antike und Gegenwart. ETHICA 16 (2008) 2, 129–151
Angesichts der gesellschaftlichen Pluralisierungs- und Individualisierungsprozesse lässt sich eine zunehmende Verunsicherung in der persönlichen Lebensführung beobachten. Darauf reagieren verschiedene Lebenskunstkonzepte, denen der Aufruf zur bewussten Lebensgestaltung gemeinsam ist. Die argumentationslogischen Voraussetzungen der Aufforderung „carpe diem!“ („Genieße das Leben!“) bei Kohelet / Prediger Salomo, Epikur und Wilhelm Schmid werden aus interdisziplinärer Perspektive hellenistischer Philosophie, theologischer Ethik und alttestamentlicher Wissenschaft analysiert, um im Sinne einer fundamentalen Prämissen-Kritik die zentrale Bedeutung der Sinnfrage für jede Lebenskunstkonzeption herauszustellen.
Carpe-diem-Motiv
Epikur
Ethik der Lebenskunst
Kohelet / Prediger Salomo
Schmid, Wilhelm
Sinnfrage

SAUTERMEISTER, Jochen: “Carpe diem?!” Positions of philosophical art of living in the ancient world and in modern times. ETHICA 16 (2008) 2, 129–151
In view of the social processes of pluralization and individualization an increasing uncertainty in the personal mode of living can be observed. This has led to the development of various concepts of living all of which call for a concious conduct of life. The author analyzes the argumentational and logical premises of the invitation “carpe diem!” (“Enjoy your life!”) as used in Ecclesiastes, by Epikur and Wilhelm Schmid from an interdisciplinary view of hellenistic philosophy, theological ethics and the Old Testament. Thus, he points out the essential significance of the question of meaning for any concept of living in the sense of a fundamental criticism of premises.
Carpe-diem-motive
Epikur
ethics of the art of living
question of meaning
Qoheleth / The Preacher / Ecclesiastes
Schmid, Wilhelm

KÖTT, Andreas: Vertragstheoretische Grundlegung der Nachhaltigkeit basierend auf einem Modell der stetigen Mitgliederfluktuation einer moralischen Gemeinschaft. ETHICA 16 (2008) 2, 153–176
Der Aufsatz legt dar, dass sowohl eine transzendentalphilosophische als auch eine diskursethische Begründung der Pflicht, nachhaltig und damit gerecht gegenüber zukünftig lebenden Menschen zu handeln, unmöglich ist. Gauthier gelingt auf der Basis seiner individualistischen Vertragstheorie eine egoistisch motivierte Begründung für die moralische Pflicht, nachhaltig zu handeln. Diese Begründung korrespondiert jedoch nicht mit der moralischen Intuition, dass die die moralische Gemeinschaft über die Gegenwart hinaus Bestand hat und deshalb nachhaltiges Handeln eine Selbstverständlichkeit darstellt. Auf der Basis von Gauthiers Theorie zeigt der Autor, dass eine philosophische Begründung der Pflicht, nachhaltig zu handeln, möglich ist, eine Begründung, die mit dieser moralischen Intuition konform geht.
Advokatorische Interessenwahrnehmung
Diskursethik
Fluktuationsmodell
Gauthier, David
Generationenmodell
Habermas, Jürgen
Individualistische Vertragstheorie
Interaktion
Intergenerationelle Gerechtigkeit
Kant, Immanuel
Moralische Gemeinschaft
Moralische Intuition
Nachhaltigkeit

KÖTT, Andreas: Contractualistic foundation of sustainability based on a model of the constant member fluctuation of a moral community. ETHICA 16 (2008) 2, 153–176
The article makes clear that neither transcendental philosophy nor discourse ethics are able to account for the duty to act in a way so as to guarantee a sustainable and, thus, fair development in view of future generations. Gauthier’s individualistic contract theory succeeds in providing an egoistically motivated foundation of the moral duty to act with a view to sustainability. This foundation does, however, not correspond to the moral intuition that the moral community will continue to exist in future and, thus, sustainable action is self-evident. The author shows on the basis of Gauthier’s theory that a philosophical foundation of the duty to act in a sustainable way is possible – a foundation that is in agreement with the moral intuition mentioned.
Advocatory looking after interests
discourse ethics
fluctuation model
Gauthier, David
generation model
Habermas, Jürgen
individualistic contract theory
interaction
intergenerational justice
Kant, Immanuel
moral community
moral intuition
sustainability

ETHICA 2008 / 3

LEITARTIKEL / Abstracts

DABROCK, Peter: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen!“? Theologische Anmerkungen zur Erwartung gesellschaftlicher Wertebildung durch die Kirchen. ETHICA 16 (2008) 3, 195–222
Werte finden gegenwärtig wieder verstärkte Aufmerksamkeit. In der evangelischen Theologie werden sie dagegen traditionell äußerst kritisch betrachtet. Jedoch lassen sich Wertediskurse nicht durch theologische Unwahrheitsbehauptungen aus der Welt schaffen. Um eine konstruktive wie kritische Begleitung gesellschaftlicher Wertdebatten zu leisten, analysiert der folgende Beitrag zunächst den Wertbegriff sowie die Erwartungen, die an ihn und an Institutionen, namentlich hier: die Kirchen, die Werte generieren sollen, gerichtet sind. In einem zweiten Schritt stellt er nicht nur die bisherige evangelisch-theologische Ablehnung dar, sondern skizziert ein differenztheoretisches Gegenmodell zu dem bisher prägenden dichotomisierenden Ansatz. Im dritten Teil schließlich benennt er methodische, inhaltliche und Zugangsbedingungen, denen sich aktuelle Wertkandidaten stellen müssen, wollen diese das zuvor skizzierte Problembewusstsein integrieren.
Befähigung
Evangelische Theologie
Kirchen
Transpartikularisierung
Werte

DABROCK, Peter: “There is no right life in the wrong life!”? Theological remarks on the expectation of societal conception of value by the churches. ETHICA 16 (2008) 3, 195–222
Currently, values attract attention again. Christian churches are tempted and give in to the temptation of functioning as agencies that create values in order to stabilize society. Nevertheless, protestant theology is generally very critical of taking the conception of value seriously. However, discourses on values cannot be suspended by derogating their worth on the basis of intrinsic theological reasons only. In order to offer a critical and constructive accompaniment to the societal discourse on values, the article starts by analyzing the denomination of the value concept. In the following steps it presents and criticises, but also adopts some parts of the most influential article in the field of evangelical theology that deals with values critically – an article put forward by Eberhard Jüngel. Finally, benchmarks with regard to methodology and content as well as benchmarks concerning access are introduced which must be taken into account if different candidates for values compete for gaining recognition.
Churches
empowerment
protestant theology
transparticularisation
values

KRIENKE, Markus: Die Herausforderung der Menschenrechte durch den ethischen Relativismus. ETHICA 16 (2008) 3, 223–247
Eine Auseinandersetzung mit dem kulturrelativistischen Einwand gegen den Universalismus der Menschenrechte im Kontext der Spätmoderne bedeutet Einschränkung wie Radikalisierung des Universalismusbegriffs gleichermaßen: Einschränkung, insofern jede deduktivistisch-abstrakte Begründung an der Unmöglichkeit ihres internationalen Begründungsdiskurses scheitert; Radikalisierung jedoch, insofern die kulturrelativistische Anfrage als Chance begriffen wird, den in der abendländischen Tradition herausgebildeten Universalismusbegriff auf seinen unabdingbaren Aussagegehalt zu reflektieren und damit eine „starke“ Begründung der Menschenrechte weiterhin zu ermöglichen. Nach einer Darstellung des „klassischen“ Universalismusbegriffs und der relativistischen Einwände werden in diesem Sinn verschiedene Modelle, insbesondere dasjenige einer „negativen Anthropologie“ auf ihre „spätmoderne“ Stichhaltigkeit hin befragt.
Interkultureller Diskurs
Menschenrechte
Relativismus, ethischer
Spätmoderne
Universalismus

KRIENKE, Markus: The challenge of human rights by ethical relativism. ETHICA 16 (2008) 3, 223–247
An analysis of the cultural relativistic objection to the universalism of human rights in the context of postmodernism includes a restriction as well as a radicalization of the concept of universalism: restriction in that any deductivist-abstract explanation fails because of the impossibility of its international discourse of explanation; radicalization, however, in so far as the cultural relativistic argument is considered as a chance to reflect on the indispensable content of the concept of universalism that has developed in western tradition and to continue to make possible a «strong» justification of human rights. Thus, after the description of the «classical» concept of universalism and the relativistic objections different models, in particular that of «negative anthropology», are analysed as to their «postmodern» validity.
Human rights
inter-cultural discourse
postmodernism
relativism, ethical
universalism

FLIERL, Alexander: Alltägliche Ethik oder Ethik des Alltags? Perspektiven der ethisch vernachlässigten Kategorie „Alltag“. ETHICA 16 (2008) 3, 249–268
Im (theologisch-)ethischen Diskurs spielt der Alltag als eigene Kategorie bislang kaum eine Rolle. Oft wird er als Bereich des menschlichen Lebens betrachtet, in dem sich lediglich Belangloses und Gleichförmiges abspielt. Zugleich ist der Alltag jedoch ein Bereich, in dem jeder Mensch Sinnerfahrungen sammeln kann und zum Subjekt wird. Entsprechend wohnt dem Alltag auch eine ethische Dimension inne. Bedenkt man diese, so stößt man auf Anknüpfungspunkte zu klassischen moraltheologischen Denkfiguren: Existentialethik, sittliche Grundentscheidung, Tugendethik, Institutionenethik. Ein entsprechender Ansatz bringt Konsequenzen für die ethische Auseinandersetzung mit bestimmten Problemfeldern mit sich: Am Beispiel der Lüge lässt sich zeigen, dass sich durch den Alltag ein erweiterter Fragenhorizont im ethischen Diskurs eröffnet.
Alltag
Existentialethik
Grundentscheidung
Institutionenethik
Tugendethik

FLIERL, Alexander: Everyday ethics or every day’s ethics? Perspectives of the ethically neglected category of “every day”. ETHICA 16 (2008) 3, 249–268
In (theological-)ethical discourse the category of “every day” has almost been neglected. Very often it is considered the sphere of human life that deals with the trivial and the monotonous only. At the same time, however, every day is a “field” in which everybody may gather experiences and become a subject himself. Thus, “every day” also has an ethical dimension. Taking this into account, one will come across links with classical moral theological models of thought: existential ethics, fundamental decision, virtue ethics, institutional ethics. An appropriate approach includes consequences for the ethical discussion on special problem fields: By taking the lie as an example, it can be demonstrated that the category of “every day” raises a lot of questions in ethical discourse.
Every day
existential ethics
fundamental decision
institutional ethics
virtue ethcis

ETHICA 2008 / 4

LEITARTIKEL / Abstracts

KREß, Hartmut: Religion, Staat und Toleranz angesichts des heutigen Pluralismus. Kritische Anmerkungen zum Böckenförde-Diktum. ETHICA 16 (2008) 4, 291–314
Das „Böckenförde-Diktum“ stammt aus dem Jahr 1967 und lautete: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Der Satz besitzt geistesgeschichtliche Relevanz im Zusammenhang des Zweiten Vatikanischen Konzils. Er wird auch aktuell noch oft zitiert, wenn das Verhältnis von Religion und Politik oder wenn Probleme der Legitimation des heutigen Staates erörtert werden. Dabei wird aber meist übersehen, dass er vormodernen Leitbildern verpflichtet ist, darunter dem Ideal einer homogenen Gesellschaft. Der Wertepluralität der modernen Gesellschaft und der Toleranz als Verfassungsvoraussetzung wird das Diktum nicht hinreichend gerecht. Seinen gedanklichen Kontext bilden Vorstellungen der römisch-katholischen Kirche, die zum individuellen Selbstbestimmungsrecht der Bürger nach wie vor in Widerspruch stehen.
Pluralismus
Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung
Religion
Religionsfreiheit
Staat
Toleranz

KREß, Hartmut: Religion, state and tolerance in view of modern pluralism. Critical reflections on the “Böckenförde-Dictum”. ETHICA 16 (2008) 4, 291–314
The „Böckenförde Dictum“ was penned in 1967; it suggests that “The liberal, secularised state lives on the basis of pre-conditions which it cannot guarantee itself.” This sentence is part of the history of thought of the Second Vatican Council. It is still cited today when discussing the relationship between religion and politics or problems concerning contemporary state legitimization. It is often forgotten that the dictum is combined with pre-modern concepts, e. g. the ideal of a homogenous society. However, this does not sufficiently consider either the plurality of value manifest in modern society or the constitutional principle of tolerance. Its context of thought is the agenda of the Roman-Catholic Church, which, to this day, contravenes the right of individual self-determination.
Freedom of religion
pluralism
religion
right to freedom and self-determination
state
tolerance

KALLHOFF, Angela: Die Rechtfertigung öffentlicher Güter mit Argumenten des Vorteilstausches. ETHICA 16 (2008) 4, 315–332
Öffentliche Güter fügen sich weder in die Logik der Gesetze des freien Marktes noch geben sie Anreize zu kollektivem Handeln. Aus dieser Ausgangslage wird schnell der Schluss gezogen, dass öffentliche Güter weder Ergebnis noch Bestandteil von freiwilligen Tauschhandlungen sein können, in denen jeder versucht, seinen Nutzen zu maximieren. In diesem Beitrag wird gezeigt, dass mit Vorteilstauschargumenten sehr wohl für die Existenz öffentlicher Güter gestritten werden kann. Voraussetzung ist eine Definition öffentlicher Güter, die ihren Besonderheiten als nicht-ausschließende und nicht-rivalisierende Güter Rechnung trägt, und eine Erweiterung des Vorteilstauscharguments. Werden Hintergrundbedingungen für den freiwilligen Tausch reflektiert, so wird die Bedeutung öffentlicher Güter in Vorteilstauschhandlungen deutlich.
Öffentliche Güter
Vorteilstausch
Wohlfahrtsgüter

KALLHOFF, Angela: The justification of public goods by arguments of voluntary exchange. ETHICA 16 (2008) 4, 315–332
Public goods neither fit in the laws of the free market nor do they deliver incentives for collective action. This initial scenario often leads to the conclusion that public goods cannot be included in a situation of voluntary exchange that follows the logic of maximizing individual gains. In this paper the existence of public goods shall be defended on the grounds of voluntary exchange mechanisms. The arguments rely on a definition of public goods that pays tribute to their peculiarity in terms of non-excludability and non-rivalry. When taking into account necessary presuppositions of successful exchange, the benefits that each person may derive from public goods will become apparent.
Public goods
social goods
voluntary exchange

KOLLER, Jürgen: Personalität und Tierethik. ETHICA 16 (2008) 4, 333–346
In letzter Zeit werden vermehrt Stimmen laut, die dafür plädieren, den Personenstatus – der bis dato nur uns Menschen vorbehalten ist – auch auf bestimmte Primatenarten zu übertragen und ihnen somit in weiterer Folge einen gewissen Rechtsschutz zu sichern. Der vorliegende Essay stellt sich die Aufgabe, eine etymologisch-historisch reflektierte Personenkon­zeption zu entwerfen. Zu Wort kommen Vertreter aus vergangener Zeit, wie Thomas von Aquin oder John Locke, aber auch aus neuester Zeit, wie Peter Strawson oder Harry Frankfurt. Diese Konzeption wird in Kontext zu setzen versucht mit den Auffassungen führender philosophischer Anthropologen des 20. Jahrhunderts (u. a. Scheler, Plessner). In einem letzten Schritt strebt der Autor danach zu überprüfen, ob die gewonnenen Einsichten zu Personalität und Menschsein auch auf den restlichen Teil der belebten Natur zu übertragen sind oder nicht.
Person
Personalität
Tierethik

KOLLER, Jürgen: Personhood and animal ethics. ETHICA 16 (2008) 4, 333–346
Recently, there has been a growing number of people pleading for transfering personhood, which up to now has been reserved for man only, also to certain species of primates, thus assuring them of some kind of legal protection. This essay aims at developing an etymologically and historically reflected conception of person, considering the opinions of representatives of the past, like Thomas Aquinas or John Locke, as well as of those of more recent times, like Peter Strawson or Harry Frankfurt. Then, it is tried to put this conception into context with the views of leading philosophical anthropologists of the 20th century (e. g. Scheler, Plessner). Finally, the author strives to find out if the insights gained on personality and personhood may also be transfered to the remaining part of the living nature.
Animal ethics
person
personality

SCHÖNHERR-MANN, Hans-Martin: Gespräch anstatt Konfrontation – Hans-Georg Gadamers Hermeneutik als Ethik. ETHICA 16 (2008) 4, 347–369
Gadamer begründet im 20. Jahrhundert nicht nur die philosophische Hermeneutik im Anschluss an Nietzsche und Heidegger. Er deutet sie vor allem in einer ethischen Perspektive. In deren Zentrum stehen das Gespräch und das gegenseitige Verstehen, das zu einem Miteinanderleben gerade in einer globalisierten Welt mit ihren kulturellen Konflikten unabdingbar wird. Dabei rückt Gadamers Begriff der Horizontverschmelzung in das Zentrum der verstehenden praktischen Perspektive der Hermeneutik. Darin entfaltet sich indes kein normativer Anspruch, sondern ein tieferliegender, der mit Sprache und Denken unmittelbar verbunden ist. Wie aber soll sich Ethik nach dem linguistic turn (Richard Rorty) denn anders als hermeneutisch verstehen!
Handlungsnormen und -verstehen
Hermeneutische Ontologie
Horizontverschmelzung
Ideologiekritik
Sprache und Welt
Universalität der Sprache

SCHÖNHERR-MANN, Hans-Martin: Dialogue instead of confrontation – Hans-Georg Gadamer’s hermeneutics as ethics. ETHICA 16 (2008) 4, 347–369
Gadamer, subsequent to Nietzsche and Heidegger, not only founded philosophical hermeneutics in the 20th century. He, above all, interprets it in an ethical perspective. Its most important aspects are dialogue and mutual understanding which are becoming indispensable for human co-existence in a globalized world with its cultural conflicts. What is considered most important of the interpretative practical perspective of hermeneutics is Gadamer’s concept of the fusion of horizons. However, this does not hold a normative claim, but a much more deeper one that is directly related to language and thinking. But, how is ethics, in view of the linguistic turn (Richard Rorty), to be understood otherwise than hermeneutically?
Fusion of horizons
hermeneutic ontology
ideology critique
language and world
norms of action / understanding of action
universality of language