Andreas Resch: Satanismus

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SATANISMUS

Während die Esoterik transzendente Kräfte völlig ausschließt, bezieht sich der in jüngster Zeit wieder aufflammende Satanismus auf jene transzendente Macht, die allgemein als „Satan“ bezeichnet wird. Der Begriff entstammt dem Alten Testament und bedeutet zunächst „Widersacher“ (l. Sam 29,4; Kön 5,18; 11,14.23.25), wird dann als spezielles Wesen zum Ankläger vor dem göttlichen Gericht (Sach 3,1.2; 1 Job 1,6; 2,1) und schließlich zum Gegner Gottes und des Lebens, zum Urheber des Todes (Weish 2,24) und zum Repräsentanten des Bösen. So spielt auch in Qumran Belial als Gegner Jahwes eine besondere Rolle.
Gestalten wie Satan, vor allem Dämonen, finden sich aber auch in anderen Religionen, wie Mara im Buddhismus oder Ahriman im Parsismus. Im Islam ist Satan vor allem der Versucher. Im Neuen Testament ist Satan als Herrscher dieser Welt der Gegenspieler Jesu (Mt 4, 1-12). Wie für Jesus ist Satan für das gesamte neutestamentliche Schrifttum Wirklichkeit, geht es doch bei der Frage nach Satan um die Frage nach dem Ursprung des Bösen allgemein und somit auch um die Frage von Schuld und Erlösung.

1. Geschichte

Daher ist auch die in der Satanismusforschung sehr oft vertretene Ansicht, dass Satanismus nur eine Folge des Christentums sei, nicht haltbar. Der eigentliche Satanismus als Identifizierung mit dem Bösen hat seinen tiefsten Grund in einem Ausleben sexuell orgiastischer Energien sowie in einer vitalen Auflehnung gegen die herrschenden moralischen Normen, wobei das Christentum mit dem Wachsen seiner moralischen Herausforderung zur besonderen Zielscheibe wurde, wie dies bereits in gnostischen Kulten – etwa bei den Phibioniten und Ophiten – besonders klar zum Ausdruck kam. Darüber weiß der Kirchenlehrer EPHIPHANIUS von Salamis (um 315 – 403) in seinem Werk „Panarion“ (374 – 377) zu berichten.

Abb. 1: Die Anbetung der Schlange. Hellenistische Alabasterschale, Durchmesser:  22 cm. In: Journal of Hellenic Studies, 54 (1934)

Bei den Phibioniten versammeln sich Männer und Frauen, vereinigen sich und bringen dann ihre Opfergaben dar:

„Weib und Mann nehmen das, was aus dem Manne geflossen ist, in ihre eigenen Hände, treten hin, richten sich nach dem Himmel zu auf mit dem Schmutz an den Händen und beten als sogenannte Stratiotiker und Gnostiker, indem sie dem Vater, der Allnatur, das, was sie an den Händen haben, selbst darbringen mit den Worten: ,Wir bringen dir diese Gabe dar, den Leib des Christus.‘ Und dann essen sie es, kommunizieren ihre eigene Schande und sagen: ,Das ist der Leib des Christus, und das ist das Passah, um dessentwillen unsere Leiber leiden und gezwungen werden, das Leiden des Christus zu bekennen.‘ So machen sie es auch mit dem Abgang des Weibes, wenn es in den Zustand des Blutflusses gerät. Das von ihrer Unreinheit gesammelte Menstrualblut nehmen sie ebenso und essen es gemeinsam. Und sie sagen: ,Das ist das Blut Christi.’…
Wenn sie sich aber auch miteinander vermischen, so lehren sie doch, daß man keine Kinder zeugen dürfe. Denn nicht zur Kinderzeugung wird bei ihnen die Schändung betrieben, sondern um der Lust willen, da der Teufel mit ihnen sein Spiel treibt und das von Gott geschaffene Gebilde verhöhnt. Sie treiben aber die Wollust bis zur Vollendung, nehmen den Samen ihrer Unreinheit für sich und lassen ihn nicht zur Kindererzeugung tiefer eindringen, sondern essen die Frucht ihrer Schande selbst. Wenn aber einer von ihnen dabei ertappt wird, daß er den natürlichen Samenerguß tiefer einströmen ließ und das Weib schwanger wurde, so höre, was sie noch Schlimmeres unternehmen: Sie reißen nämlich den Embryo heraus zu dem Zeitpunkt, wo sie ihn mit den Händen fassen können, nehmen diese Fehlgeburt und zerstoßen sie in einer Art Mörser mit der Mörserkeule, und hierein mengen sie Honig und Pfeffer und andere bestimmte Gewürze und wohlriechende Öle, damit es sie nicht ekelt, und dann versammeln sie sich alle, diese Genossenschaft von Schweinen und Hunden, und jeder kommunziert mit dem Finger von dem zerstampften Kinde. Und nachdem sie diesen Menschenfraß vollbracht haben, beten sie schließlich zu Gott: ,Wir ließen nicht Spiel mit uns treiben vom Archon der Lust, sondern sammelten die Verfehlung des Bruders.‘ Auch das halten sie nämlich für das vollkommene Passah. …
Wenn sie nämlich wieder einmal unter sich in Ekstase geraten sind, besudeln sie ihre Hände mit der Schande ihres Samenergusses, strecken sie aus und beten mit den befleckten Händen und nackt am ganzen Körper, um durch diese Handlung eine freie Aussprache mit Gott finden zu können.“1

Bei den Ophiten (griech. ophis = Schlange), einer anderen gnostischen Sekte, steht die Schlange im Mittelpunkt des Kultes. (Abb. 1)

„Sie halten nämlich eine natürliche Schlange und ziehen sie in einem Behälter auf, die sie zur Zeit ihrer Mysterien aus dem Schlupfwinkel hervorholen, und während sie Brote auf einem Tisch anhäufen, rufen sie ebendiese Schlange herbei; wenn nun der Schlupfwinkel geöffnet ist, kommt sie hervor. Und wenn so die Schlange vermöge ihrer Weisheit und Klugheit herbeikommt und schon deren Dummheit erkennt, geht sie auf den Tisch und wälzt sich in den Broten. Und dies, sagen sie, sei das vollkommene Opfer. Und dann, wie ich von jemandem gehört habe, brechen sie nicht nur die Brote, in denen sich die Schlange gewälzt hat, und teilen sie an die Kommunizierenden aus, sondern jeder küßt auch die Schlange mit dem Munde, da die Schlange durch einen magischen Beschwörungsgesang zahm gemacht worden ist oder das Tier durch eine andere teuflische Kraft zu ihrer Täuschung milde gemacht worden ist. Sie werfen sich also vor diesem nieder und nennen dies Eucharistie, die das geworden ist durch sie [die Schlange], die sich herumgewälzt hat, und indem sie dann dem oberen Vater durch sie [die Schlange], wie sie sagen, einen Hymnus emporsenden, vollenden sie so ihre Mysterien.“2

In diesen beiden Berichten sind bereits die eigentlichen Grundmotivationen des Satanismus und damit auch der so genannten Schwarzen Messen enthalten:

– Huldigung und Ausleben sexuell orgiastischer Energien
 Identifizierung mit der Urquelle des Vitalen als Gegenpol zum Erhabenen, das der
zügellosen Vitalität und Aggression Grenzen setzt.

Später gesellt sich zu diesem Verhalten noch ein spezieller Protestcharakter gegen kirchliche und gesellschaftliche Normen. Dabei ist die Dämonisierung des in den Augen der Kirche als abwegig Betrachteten, wie das schon bei EPIPHANIUS anklingt, ein zusätzliches Element, das dem genannten Treiben noch den Reiz des Antisakralen als besondere Herausforderung der Kirche verlieh. Sah man doch die Aufgabe der Dämonen darin, die Menschen zu verführen und zum Abfall vom Glauben zu bringen.
So enthält ein 1320 im Auftrag von Papst JOHANNES XXII. (1316 – 1334) verfasster Erlass des Dominikanergenerals W. P. GODIN in Bezug auf die Kompetenz der Inquisition von Toulouse und Carcassone folgende Stelle:

„Unser Herr Papst Johann XXII. befiehlt Euch mit seiner Autorität gegen alle einzuschreiten, die dem Teufel Opfer bringen, ihn anbeten oder sich seinem Dienst weihen. Sie geben ihm ein Schriftstück darüber … oder
schließen mit ihm einen ausdrücklichen Vertrag oder verschaffen sich irgendein Bild oder etwas anderes, um ihn zu binden, und verüben dann unter einer Anrufung Zaubereien. Oder sie mißbrauchen das Sakrament der Taufe und taufen ein aus Wachs oder sonst einem Stoff gemachtes Bild … Andere Zauberer bedienen sich … der konsekrierten Hostie und der anderen Sakramente und mißbrauchen Materie und Form zu ihren magischen Künsten. Alle diese FrevIer könnt ihr zur Untersuchung fordern und gegen sie vorgehen; nur müßt ihr die Rechte der Prälaten achten, die sie nach den Canones in Ketzersachen haben. Der Papst dehnt die Gewalt und die Privilegien, die der Inquisition in den Ketzerangelegenheiten gegeben sind, auch auf alle diese Fälle bis auf Widerruf aus.“3

Abb. 2: Hans Baldung Grien: Hexxensabbat, Holzschnitt, 1510

Hierbei darf nicht übersehen werden, dass Wahrsagerei und Zauberei immer schon verdächtigt und verfolgt wurden. So bestraften bereits die altjüdischen Gesetze Wahrsagerei und Zauberei mit dem Tod. Es ist daher nicht verwunderlich, dass der klassische Boden für die Ausformung von Hexenwesen (Abb.2) und Satanskult Südfrankreich war, wo sich die Traditionsströme der jüdisch-kabbalistischen Geheimwissenschaft und der von Spanien her eindringenden islamisch-marischen Magie mit der christlichen Kultur vermischten. Zudem drangen vor allem über den Manichäismus die dualistischen Ideen der Gnosis in die häretischen Bewegungen des Mittelalters ein. Der „Archon dieser Welt“ der Gnostiker wurde mit dem christlichen Satan identifiziert und zum bösen Gegen-Gott erhoben. Die oben erwähnten sexuellen Orgien werden zum Mittelpunkt satanischer Riten. Dabei bilden die so genannten Hexensabbate, die Versammlungen von Dämonen, Hexer und Hexen zu nächtlichen Orgien, welche im 16. und 17. Jahrhundert ihre differenzierte Gestalt erhielten, die bekannteste Form dieser Vitalitätsbekundungen, wie folgender Ausschnitt aus einem Bericht der Biblioteca Nacional in Madrid aus dem Jahre 1610 dokumentiert. (Abb. 3)

Abb. 3: Altar des Tenat-Tempels. Hexenmuseum in Burton-on-the-Water

„Also gleich läßt man den Novizen die Knie beugen in Gegenwart des Teufels, und er muß abschwören, in der gleichen Form und die gleichen Dinge, wie die Hexe, seine Lehrmeisterin, es ihm eingeschärft hat, und der Teufel sagt ihm die Worte vor, mit denen er abschwören muß; und er [der Novize] wiederholt sie und schwört ab: zunächst Gott, alsdann der Heiligen Jungfrau und Mutter Maria, allen [männlichen] Heiligen und [weiblichen] Heiligen, der Taufe, der Firmung, beiden Chrisma[salbungen], seinen Paten und Eltern, dem Glauben und allen Christen, und er empfängt als seinen Gott und Herrn den Teufel, der ihm bedeutet, daß er von jetzt an nicht mehr den der Christen als seinen Gott und Herrn ansehen darf, sondern nur noch ihn, den Teufel als den wirklichen Gott und Herrn, der ihn retten und ins Paradies führen wird….
An den Vorabenden gewisser Hauptfeste im Jahr, das sind die drei Ostertage, die Vigilien des Dreikönigsfestes, Christi Himmelfahrt, Fronleichnam, Allerheiligen, Lichtmeß, Mariä Himmelfahrt, Mariä Geburt und die Vigil [des Festes] des heiligen Johannes des Täufers, versammeln sie sich zum Hexensabbat, um den Teufel feierlich anzubeten, und alle beichten bei ihm und klagen sich ihrer Sünden an: jedes Mal, da sie eine Kirche betreten haben, Messen, die sie gehört haben und alles übrige, was sie wie die Christen getan haben … Währenddessen bauen die Gehilfen des Teufels … einen Altar auf mit einem alten, häßlichen und schäbigen Tuch als Decke, und darauf einige Bildwerke mit Konterfeis des Teufels, Kelch, Hostie, Missale, Meßkännehen und einige Gewänder, wie man sie in der Kirche zum Messelesen benötigt (nur daß sie hier schwarz, häßlich und schmutzig waren), und der Teufel legt seine Gewänder an, wobei die Diener ihm helfen, und sie gehen ihm bei seiner Messe zur Hand, wobei sie mit dunklen, heiseren und mißtönenden Stimmen singen. Und er singt sie [die Messe] aus einem missaleähnlichen Buch, das aus Stein zu sein scheint, und er richtet auch eine Predigt an sie…
Und alsdann setzt er seine Messe fort, und man bringt ihm die Opfergabe dar, zu welchem Behufe der Teufel sich auf einen schwarzen Thron setzt, den man ihm dorthinstellt, und die älteste und hervorragendste Hexe (die Königin des Hexensabbats) nimmt an seiner Seite Platz … Und wenn sie ihre Opfergabe in das Gefäß legen, sagen sie: Das hier ist für den Ruhm der Welt und die Ehre des Festes … Und nach dem Offertorium setzt er seine Messe fort, und er hebt ein rundes Ding, das wie eine Schuhsohle aussieht und worauf das Konterfei des Teufels gemalt ist, indem er sagt: Dies ist mein Leib, und alle Hexer beugen die Knie, beten das Ding an, schlagen es an ihre Brust und sagen: Aquerragoyti, Aquerrabeyti, was soviel heißt wie: Bockauf, Bocknieder. Und ebenso tun sie, wenn er den Kelch erhebt, der gleichsam aus schwarzem häßlichen Holz hergestellt ist und ebenso wie die Hostie aussieht, und das trinkt, was sich in dem Kelch befindet. Und alsdann stellen sich alle Hexer im Kreis auf, und er reicht ihnen die Kommunion und gibt jedem ein schwarzes Stück (worauf das Konterfei des Teufels gemalt ist), das sehr widerlich und schlecht zu schlucken ist, und dann gibt er ihnen auch einen Schluck von einem Getränk, das sehr bitter schmeckt und beim Trinken ihnen das Herz kalt werden läßt.
Sobald der Teufel seine Messe beendet hat, wohnt er allen bei, Männern und Frauen, fleischlich und nach Weise der Sodomiten, und besagte Estebania de Barrenechea, die Königin [des Hexensabbatsl, ging hin und bezeichnete jene Hexen, die sich dorthin zu begeben hatten, woselbst der Teufel ein wenig abseits stand, zum gleichen Zwecke.“4

Die einsetzende Hexenverfolgung (Abb. 4) führte zu einer Privatisierung und Poetisierung des Satanskultes. So schloss sich 1846 in Paris eine Gruppe von jungen Leuten zusammen, die sich im Zeichen der Revolte gegen die sozialen und religiös-geistigen Normen ihrer Zeit jeden Sonntag zum Satanskult versammelten.

Abb. 4: Hexenverbrennung. Holzschnitt aus einem Flugblatt, Nürnberg 1555

Aus dieser Atmosphäre heraus schrieb Charles BAUDELAIRE seine „Satanslitanei“:

„O du, weisester und schönster der Engel,
Gott, verraten vom Schicksal
und beraubt der Lobpreisungen,

O Satan, erbarme dich meines langen Elendes!

Du, der alles weißt, großer König
der unterirdischen Dinge,
Vertrauter Heiler der menschlichen Ängste,
Du, der du dem Geächteten jenen ruhigen und
stolzen Blick gibst,
Der eine ganze Volksmenge rund um ein
Schafott verdammt,

Pflegevater derer, die in seinem düsteren Zorn
Gott der Vater aus dem irdischen Paradies
gejagt hat,
O Satan, erbarme dich meines langen Elendes!“  5

In dem 1891 erschienenen Roman von Joris Karl HUYSMANS, Là-Bas, finden wir eine sehr ausführliche Beschreibung einer Schwarzen Messe
nach dem Ritus der katholischen Messfeier, jedoch mit eigenen Texten zum Lobpreis des Satans, der von allen Schranken befreit und zu individueller Vitalität verhilft. (Abb. 5)

Abb. 5: Collin de Plancy in Unterhaltung mit dem Teufel. Kupferstich, 1825

„Meister aller Tumulte, der du austeilst die Wohltaten des Verbrechens, Verwalter der üppigen Sünden und der großen Laster, Satan, dich beten wir an, du logischer Gott, gerechter Gott du!

Ungemein bewunderungswürdiger Legat der falschen Ängste, du nimmst auf die Bettelei unserer Tränen; du rettest die Ehre von Familien durch Abtreibung in Bäuchen, die im Vergessen schöner Erschütterungen fruchtbar werden; du gibst den Müttern die Hast der Frühgeburten ein, und deine Geburtshilfe erspart den Kindern, die vor der Geburt sterben, die Ängste des Reifens, den Schmerz der Abstürze!
Stütze der Armen in Erbitterung, Herzensfreund der Besiegten, du bist es, der sie mit Heuchelei begabt, mit Undankbarkeit und Hochmut, auf daß sie sich verteidigen können gegen die Angriffe der Gotteskinder, der Reichen!….
Und du, du, den in meiner priesterlichen Eigenschaft ich zwinge, magst du wollen oder nicht, herabzusteigen in diese Hostie, Fleisch zu werden in diesem Brote, Jesus, kunstreicher Webemeister des Betrugs, Räuber von Huldigungen, Dieb der Neigung, höre du! Seit dem Tage, an dem du entstiegest den Eingeweiden der Jungfrau: einer Gesandtschaft, hast du den Verpflichtungen, die du auf dich nahmst, dich entzogen, hast du deine Verheißungen Lügen gestraft; Jahrhunderte harrten dein in schluchzender Erwartung, du flüchtiger Gott, stummer Gott du! Du solltest die Menschen erlösen und hast nichts gut gemacht; du solltest erscheinen in deiner Glorie – und bist entschlummert! Geh, lüge weiter, sage dem Unglückseligen, der nach dir schreit: ,Hoffe, gedulde dich, leide, das Hospital der Seelen wird dich aufnehmen, die Engel werden dir beistehen, der Himmel öffnet sich.‘ – Betrüger! Du weißt wohl, daß die Engel, angewidert von deiner Trägheit, dir entweichen! – Du solltest sein der Dolmetsch unserer Klagen, der Kammerherr unserer Tränen. Du solltest sie bringen vor den Vater, und du hast es nicht getan: denn ohne Frage war dieses Einschreiten deinem Schlummer eine Störung in seiner selig-satten Ewigkeit!
Feierlichen Tones, aber mit Schwanken in der Stimme sprach er: ,Hoc est enim corpus meum‘, und dann bot er, statt nach der Konsekration vor dem kostbaren Leib niederzuknien, den Anwesenden die Stirn, in einer geschwollenen, verhetzten, schweißtriefenden Erscheinung.“6

Da zu einer echten Schwarzen Messe auch ein geweihter Priester gehört und dafür selbst abgefallene Priester kaum zu Diensten standen, verwendete man konsekrierte Hostien, wie HUYSMANS weiter zu berichten weiß:
„Im Jahre 1855 bestand in Paris eine Vereinigung, die sich zur größeren Hälfte aus Frauen zusammensetzte; diese Frauen kommunizierten mehrere Male am Tage, behielten die himmlischen Spezereien im Munde und spien sie wieder aus, um sie alsdann zu zerreißen oder durch widerliche Berührungen zu besudeln… Ich bemerke noch, daß im Jahre 1874 ebenfalls Frauen in Paris angestellt wurden, um dieses hassenswerte Gewerbe zu treiben: sie wurden fürs Stück bezahlt, was erklären mag, warum sie sich Tag für Tag in verschiedenen Kirchen an der heiligen Tafel einfanden… Dies ist eine Revue aus dem Jahre 1843 ,La Voix de la Septaine‘. Sie meldet uns, daß fünfundzwanzig Jahre lang in Agen eine satanistische Vereinigung ununterbrochen Schwarze Messen zelebrierte und dreitausenddreihunderundzwanzig Hostien mordete und besudelte!“7

2. Der moderne Satanismus

In neuerer Zeit wurde der Satanismus durch den  Engländer Aleister CROWLEY (1875 – 1947; Abb. 6) und vor allem durch Eliphas ÉVI (Adolphe Louis CONSTANT, 1810 – 1875; Abb. 7)  vertreten, der sich im Anklang an die Apokalypse das „große Tier“ nannte. (Abb. 8). Crowly gründete den „Ordo Argentinum Austrum“ sowie die Abtei „Thelema“ und verfasste unter anderem ein Messritual, das von vielen Gruppen als Schwarze Messe aufgefasst wird. CROWLEY verstand die satanische Macht als absolut sexuell-orgiastische Energie, die den Kern des Alls bildet. Durch Innewerden dieser Macht erfahre der Mensch sich gegenüber allem und jedem als mächtig und göttlich

.

Abb. 8: Lévi als großes Tier

Der moderne Satanismus hat kaum noch theologische Inhalte, sondern greift vor allem die oben angeführten Rituale auf, ritualisiert und verbalisiert Protest, Gram, Aggression und Frustration, zumal die sexuelle Offenheit und die zunehmende sexuelle Angst orgiastische Zusammenkünfte immer unattraktiver machen. Auf der anderen Seite nehmen persönliche Unsicherheit und das Empfinden, besessen zu sein, immer mehr zu, so dass sich nicht nur die Schar der Satansjünger in manchen Gegenden, wie z. B. Turin, stark vermehrt, sondern sich auch die Unterhaltungsbranche darauf eingeschossen hat, wie etwa die Pop-Gruppen Black Metal, Black Sabbat, Exodus usw. Mit Titeln wie „Luzifer“, „Sympathy for the Devil“ und ähnlichen Themen erzielen sie große Erfolge.
Hier ist jedoch nicht der Platz, auf weitere Einzelheiten näher einzugehen; es darf der Hinweis genügen, dass – wo immer der Innenraum nicht zum Erhabenen hin entfaltet wird oder das Erhabene im Selbst nicht mehr empfunden wird – die Zerstörung des Erhabenen einen besonderen Anreiz darstellt, da dies für kurze Zeit Genugtuung mit sich bringt. Darin liegt das eigentliche Grundmotiv des gegenwärtigen Satanismus und das breitgestreute Erwachen desselben.

Lehren

Anmerkungen:
1 EPIPHANIUS: Panarion haer. XXVI,4.5; übers. nach H. LEISEGANG: Gnosis (1985), S.190-192
2 EPIPHANIUS: Panarion haer. XXXVII,5; nach G. ZACHARIAS: Satanskult (1970), S. 36. – Zu den Ophiten vgl. auch H. LEISEGANG: Gnosis, S. 111-185
3Nach Ch. H. HABIGER-TUCZAY. Magie und Magier im Mittelalter (1992), S. 89
4 Nach G. ZACHARIAS: Satanskult, S. 57-62
5 Ch. BAUDELAIRE: Le Litanies de Satan (1857), hg. v. A. ADAM (1961), S. 146 ff.
6 J. K. HUYSMANS: Là-Bas, (1891); dt: Tief unten. Übers. nach Pfannkuchen (1963); zit. nach: G. ZACHARIAS: Satanskult, S. 141-148
7 Nach G. ZACHARIAS: Satanskult, S. 150; K. R. H. FRICK: Das Reich Satans (1982)
8 H. WIESENDANGER: In Teufels Küche (1992); B. WENISCH: Satanismus (1988); F. BARBANO (Hg.): Diavolo (1988)