Andreas Resch: Galileo Galilei

2009  wurde von der UNESCO und der Internationalen Union der Astronomen im Gedenken an die 400-Jahrfeier der ersten Fernrohrbeobachtung durch Galileo Galilei zum Internationalen Jahr der Astronomie ausgerufen. In Florenz feierte man vom 26. bis 30. Mai 2009 dieses Gedenken mit dem Internationalen Kongress Der Fall Galilei – Eine geschichtliche, theologische und philosophische Revision.

Die Fernrohrbeobachtungen

Galileo Galilei wurde am 15. Februar 1564 in Pisa, Italien, als Sohn des Musikers Vincenzo Galilei, der einem Patriziergeschlecht der Stadt angehörte, und der Giulia degli Ammannati geboren. 1575 zog er mit seinen Eltern nach Florenz, kehrte dann aber 1581 wieder nach Pisa zurück. Zunächst Student der Medizin, wandte er sich alsbald der Philosophie und Mathematik zu und erhielt 1589 einen Lehrstuhl für Mathematik an der Universität Pisa, 1592 an der Universität Padua. In seiner feinmechanischen Werkstatt entwickelte er einen Proportionszirkel, fand die Gesetze für das Fadenpendel und leitete die Fallgesetze ab. Ab 1606 vertiefte sich Galilei in astronomische Studien.
Im Juli 1609 wurde er bei einem Besuch in Venedig und durch das Schreiben eines französischen Briefpartners auf die niederländische Entdeckung eines Fernrohrs aufmerksam, das angeblich eine Vergrößerung entfernter Gegenstände erlaubte. Noch im gleichen Sommer erkannte er den praktischen Wert der Erfindung und begann sogleich mit der Konstruktion seines eigenen Fernrohrs mit zweifacher Vergrößerung. Nach dem Sommer erhielt er in Padova, wo er lehrte und lebte, eine Reihe besserer Linsen, die auf seine Anweisung hin in Florenz gefertigt wurden. Galilei baute ein Fernrohr mit achtfacher Vergrößerung, das er zur Beobachtung des Mondes verwendete. Bereits einen Monat später konstruierte er ein Fernrohr mit zwanzigfacher Vergrößerung (Abb. 1).

Abb. 1:  Galileis Fernrohr aus dem Jahre 1609, gefertigt aus Glas, Holz, Kupfer und Papier. Mit seiner 20-fachen Vergrößerung und den damit einhergehenden Entdeckungen gelang Galilei der nachhaltige Nachweis der Theorie des Kopernikus, dass die Erde um die Sonne rotiert und nicht umgekehrt.

Das erlaubte ihm eine detaillierte Beobachtung des zunehmenden Mondes und der Mondlandschaft. Nach den Entdeckungen auf dem Mond entdeckte er die Monde des Jupiter und verfolgte Monate hindurch deren regelmäßige Bewegungen.

Abb. 2: Die von Galilei gemachten Beobachtungen der Phasen der Venus

Bereits in den ersten Monaten des Jahres 1610 beschrieb Galilei seine Entdeckungen im „Sternenboten“ (Sidereus Nuncius), den er in Venedig veröffentlichte.1 Dies machte ihn auf einen Schlag berühmt, wenngleich Nikolaus Kopernikus bereits 100 Jahre vor Galilei festegestellt hatte, dass sich alle Planeten, auch die Erde, um die Sonne drehen. Die Kirche schwieg zunächst zu Kopernikus’ Entdeckungen.
Galilei übersiedelte daraufhin nach Florenz, wo er am Hof des Großherzogs von Toskana als Mathematiker und Philosoph wirkte. In Florenz machte er weitere wichtige Entdeckungen: So beobachtete er z.B., dass die Venus mondähnliche Phasen aufweist (Abb. 2), was das kopernikanische Weltbild endgültig bestätigte.
Weiters beobachtete er die Sonnenflecken und gelangte im Gegensatz zu den Annahmen in den ptolemäischen und aristotelischen Kosmologien zur Überzeugung, dass Sonne und Sterne keine vollkommenen Objekte am Himmel sind. Diese Entdeckungen hatten zwar unabhängig schon andere gemacht, doch war Galilei der Erste, der ihre Bedeutung verstand.

Der Konflikt mit der Indexkongregation

Als Galilei, ausgehend von seinen Beobachtungen, am Wahrheitsgehalt der Heiligen Schrift öffentlich zu zweifeln begann und 1632 in Florenz seinen Dialogo sopra i due massimi sistemi del mondo herausgab, schaltete sich die Inquisition ein, was eine Vorgeschichte hatte.
Am 5. März 1616 wurde des Dekret des Index veröffentlicht, welches das De revolutionibus orbium coelestium (Über die Umschwünge der himmlischen Kreise) von Nikolaus Kopernikus als Glaubenslehre aufhob, was aber weder eine Verurteilung des Kopernikanismus als häretische bzw. gegen die Bibel gerichtete Lehre bedeutete noch einen lehramtlichen Akt Papst Pius’ V. darstellte. Dazu hatte die Indexkongregation keine Vollmacht.
Galilei, der von der Richtigkeit der Entdeckungen der Astronomen Kopernikus und Kepler vollends überzeugt und in Italien und ganz Europa schon bald ein berühmter Mann geworden war, wurde 1615 während eines Aufenthalts in Rom von einem Dominikaner der Ketzerei angeklagt.
Im Vorfeld der Beurteilung des Buches von Kopernikus wurde Galilei dann im Februar 1616 in den Palast von Kardinal Robert Bellarmin gerufen, der ihn nochmals darauf aufmerksam machte, dass die Aussagen des Kopernikus verboten seien. Galilei versprach daraufhin, die kopernikanische Lehre nicht mehr zu verteidigen, und befasste sich fortan mit anderen Themen. Mittels seiner Rechenmaschine gelang es ihm, aus der Stellung der Jupitermonde den geographischen Standpunkt zu bestimmen, was für die Schifffahrt von großer Bedeutung wurde. Er hätte allerdings lieber ein Buch über das neue Weltmodell geschrieben, was im Moment jedoch zu gefährlich war. Als 1623 Kardinal Maffeo Barberini zum neuen Papst Urban VIII. gewählt wurde, der Galileis Beschreibung über die Sonnenflecken gelesen hatte, glaubte dieser, in ihm einen Befürworter zu finden.
Der Papst lud Galilei im Frühjahr 1624 zu einem Besuch nach Rom ein. In sechs Gesprächen hob er das Verbot, welches die Lehren des Kopernikus untersagte, zwar nicht auf, deutete jedoch an, dass noch Spielräume vorhanden seien. Er erteilte ihm sogar die Genehmigung, ein Buch zu verfassen, in dem die Ideen des Ptolemäus und des Kopernikus als zwei mögliche Thesen angeführt würden. Des Weiteren gab er Galilei ein Empfehlungsschreiben an den Großherzog von Toskana mit. Im Sommer kehrte Galilei nach Florenz zurück und begann sein Lebenswerk als Dialog zu schreiben. Darin lässt er seine persönlichen Ansichten von einem gewissen Salviati erklären und ein Laie namens Sagredo fragt interessiert nach den Einzelheiten. Als dritte Person fungiert ein gewisser Simplicio („Einfaltspinsel“), der das geozentrische Weltbild verteidigt, jedoch mit schwachen Argumenten. 1630 stellte Galilei sein Buch fertig und legte es den Zensoren in Rom vor. Diese studierten den Text und merkten an, dass er das kopernikanische Weltsystem nur als Denkmodell schildern dürfe, woraufhin Galilei versprach, entsprechende Änderungen vorzunehmen. Die Pest in Florenz verhinderte eine weitere Romreise und eine Druckerlaubnis durch örtliche Zensoren war von der Zustimmung Roms abhängig. Nach Eintreffen der Korrekturen aus Rom wurde das Werk schließlich im Februar 1632 in Florenz veröffentlicht.

Die Verurteilung

Nachdem die ersten 1000 Exemplare rasch verkauft waren, kam aus Rom überraschend ein Druckverbot. Dies besagt, dass in Rom inzwischen eine Flut von Beschwerden eingelangt war, wie ich das selbst als Reaktion auf ein Interview in einer italienischen Zeitung erlebt habe. Ansonsten rührt sich dort nichts. Ohne einen echten Sturm der Entrüstung auf den überaus großen Erfolg hin hätte Galilei ruhig weiter forschen können. So aber wurde eine Kommission eingesetzt, die ihm den Vorwurf machte, sich nicht an die hypothetische Schreibweise gehalten zu haben. Der Fall wurde der Inquisition übergeben, die Galilei nach Rom vorlud. Trotz seines schlechten Gesundheitszustandes trat er im Januar 1633 seine Romreise an, wo er wegen Pestgefahr zunächst in einer Quarantänestation bleiben musste (Abb. 3).

Abb. 3: Galileo Galilei (1564-1642)

Das erste Verhör begann am 12. April 1633. Galilei wurde über sein Gespräch mit Kardinal Bellarmin im Jahre 1616 befragt. Er sagte, dass ihm der Kardinal zugesichert habe, das kopernikanische System hypothetisch diskutieren zu dürfen, und legte dafür ein Zeugnis vor. In diesem stand, dass Galilei das kopernikanische System zwar nicht verteidigen, seine Gedanken der Öffentlichkeit aber vorstellen dürfe. Im Protokoll der Anklage stand hingegen, dass er diese Lehre in keiner Weise behaupten, lehren oder verteidigen dürfe, wogegen sein Buch verstoße.
Aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes und wegen des Besuches der Inquisitoren, räumte Galilei ein, dass er die kopernikanische Lehre aus eitlem Ehrgeiz zu stark vertreten habe. „Ich habe also einen Irrtum begangen, und zwar, wie ich bekenne, aus eitlem Ehrgeiz, reiner Unwissenheit und Unachtsamkeit.“ Weiters fragte Galilei, ob er sein Buch nochmals überarbeiten dürfe.
Im Abschlussbericht beriefen sich die Inquisitoren allerdings auf jenes fragwürdige Protokoll. Galilei glaubte sich durch sein „Geständnis“ in Sicherheit und erwartete die Einstellung des Verfahrens. Unter Vorsitz Papst Urbans VIII. wurde jedoch folgende Entscheidung gefällt: Galileo Galilei soll verhört werden, wenn es nötig wird und er nicht abschwört, auch mit den Methoden der Folter. Des weiteren darf Galilei nichts über das Weltbild in Schrift oder sonstiger Weise verfassen und sein Buch wird auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt.
Beim Verhör bestritt Galilei, dass er dem kopernikanischen System in seinem Buch einen Vorteil verschaffen wolle.
Die Urteilsverkündung am 22. Juni 1633 musste er vor den Kardinälen knieend entgegennehmen. Galilei war bewusst, dass er seinen Irrtum zugeben und widerrufen musste, wenn er nicht der Ketzerei bezichtigt werden wollte. So sprach er in der Kirche Santa Maria sopra Minerva folgenden Text nach: „Ich schwöre bei den heiligen Evangelien, dass ich immer geglaubt habe, auch jetzt glaube und in aller Zukunft glauben werde, was die heilige römische Kirche für wahr hält, predigt und lehrt.“
Dabei bezog sich das Urteil allein auf sein Buch Dialogo, nicht auf seine Person oder andere seiner Aussagen wie etwa: „Man muss messen, was messbar ist; und was nicht messbar ist, messbar machen.“
In den Folgemonaten konnte Galileo die Gefängnisstrafe auf Anordnung von Papst Urban VIII. vom 1. Dezember 1633 in seiner Villa in Arcetri bei Florenz absitzen. Von dort aus schickte er am 17. Dezember 1633 einen zur Gänze eigenhändig geschriebenen Brief an seinen „Beschützer“, Kardinal Francesco Barberini, auf dessen Intervention hin man ihn begünstigt hatte. 1638 veröffentlichte er sein Alterswerk, die Discorsi. Bereits 1637 erblindet, starb Galileo Galilei am 8. Januar 1642 in Arcetri bei Florenz unter großer Wertschätzung seiner Forschungen und seiner Person auch innerhalb der Kirche.

Die Wiedergutmachung

Nichts hat Galileo Galilei die Jahrhunderte herauf bekannter gemacht als der stete Hinweis auf seine Verurteilung durch die Kirche, in der er auch mächtige Fürsprecher hatte, wie eben Kardinal Barberini. Zudem wurde das Unrecht des Urteils immer offensichtlicher. So erlaubte Papst Benedikt XIV. aus Anlass von Galileis 100. Todestag 1741 die Errichtung eines Grabmals für Galileo Galilei in der Basilika Santa Croce in Florenz.

a) Papst Johannes Paul II. zum 350. Todestag von Galileo Galilei

Den endgültigen Schritt zur vollen Rehabilitierung Galileis setzte dann Papst Johannes Paul II. in seiner Ansprache an die Päpstliche Akademie der Wissenschaften am 31. Oktober 1992, Abschnitt II. 4-12:
„4. Ähnliche Anliegen hatte ich am 10. November 1979 aus Anlass der ersten Jahrhundertfeier seit der Geburt von Albert Einstein, als ich vor dieser gleichen Akademie den Wunsch aussprach, ,dass Theologen, Gelehrte und Historiker, vom Geist ehrlicher Zusammenarbeit beseelt, die Überprüfung des Falles Galilei vertiefen und in aufrichtiger Anerkennung des Unrechts, von welcher Seite es auch immer gekommen sein mag, das Misstrauen beseitigen, das dieses Ereignis noch immer bei vielen gegen eine fruchtbare Zusammenarbeit von Glaube und Wissenschaft, von Kirche und Welt hervorruft‘ (AAS 71, 1979, S. 1464-1465). Am 3. Juli 1981 wurde eine entsprechende Studienkommission eingesetzt. Nun aber, gerade im Jahr, wo der 350. Jahrestag des Todes von Galilei wiederkehrt, legt die Kommission nach Abschluss ihrer Arbeiten eine Reihe von Publikationen vor. Ich möchte Kardinal Poupard meine lebhafte Wertschätzung dafür aussprechen, dass er in der Abschlussphase die Forschungsergebnisse der Kommission koordiniert hat. Allen Fachleuten aber, die irgendwie an den Arbeiten der vier Gruppen dieser die Fächer übergreifenden Studien teilgenommen haben, spreche ich meine tiefe Genugtuung und meinen lebhaften Dank aus. Die in über zehn Jahren geleistete Arbeit entspricht einer vom Zweiten Vatikanischen Konzil erlassenen Weisung und lässt die verschiedenen wichtigen Punkte der Frage besser hervortreten. In Zukunft wird man die Ergebnisse der Kommission berücksichtigen müssen.
Vielleicht wird man sich darüber wundern, dass ich am Ende einer Studienwoche der Akademie zum Thema der Komplexität der verschiedenen Wissenschaften auf den Fall Galilei zurückkomme. Ist dieser Fall denn nicht längst abgeschlossen und sind die begangenen Irrtümer nicht längst anerkannt?
Gewiss stimmt das. Doch die diesem Fall zugrunde liegenden Probleme betreffen sowohl die Natur der Wissenschaft wie die der Glaubensbotschaft. Es ist daher nicht auszuschließen, dass wir uns eines Tages vor einer analogen Situation befinden, die von beiden Teilen ein waches Bewusstsein vom eigenen Zuständigkeitsbereich und seinen Grenzen erfordern wird. Das Thema der Komplexität könnte dann einen Hinweis liefern.
5. Bei der Auseinandersetzung, in deren Mittelpunkt Galilei stand, ging es um eine doppelte Frage.
Die erste betrifft das Verstehen und die Hermeneutik der Bibel. Hier sind zwei Punkte zu betonen. Vor allem unterscheidet Galilei wie der Großteil seiner Gegner nicht zwischen dem wissenschaftlichen Zugang zu den Naturerscheinungen und der philosophischen Reflexion über die Natur, die sie im Allgemeinen erfordern. Daher lehnte er den ihm nahegelegten Hinweis ab, das kopernikanische System bis zu seiner durch unwiderlegliche Beweise erwiesenen Geltung als Hypothese vorzutragen. Das war im Übrigen eine Forderung seiner experimentellen Methode, die er genial eingeführt hatte.
Ferner war die geozentrische Darstellung der Welt in der Kultur der Zeit allgemein als vollkommen der Lehre der Bibel entsprechend anerkannt, in der einige Aussagen, wenn man sie wörtlich nahm, den Geozentrismus zu bestätigen schienen. Das Problem, welches sich die Theologen der Zeit stellten, war also die Übereinstimmung des Heliozentrismus mit der Heiligen Schrift.
So zwang die neue Wissenschaft mit ihren Methoden und der Freiheit der Forschung, die sie voraussetzte, die Theologen, sich nach ihren Kriterien für die Deutung der Bibel zu fragen. Dem Großteil gelang dies nicht.
Merkwürdigerweise zeigte sich Galilei als aufrichtig Glaubender in diesem Punkte weitsichtiger als seine theologischen Gegner. Er schreibt an Benedetto Castelli: ,Wenn schon die Schrift nicht irren kann, so können doch einige ihrer Erklärer und Deuter in verschiedener Form irren‘ (Brief vom 21. Dezember 1613, in der „Edizione nazionale delle Opere di Galileo Galilei“, hrsg. von A. Favaro, Neuausgabe 1968, Band V, S. 282). (Im Weiteren zitiert als: Werk. Bekannt ist ferner sein Brief an Christina von Lorena, 1615, der einem kleinen Traktat zur Hermeneutik der Bibel gleichkommt, ebd., S. 307-348).
6. Schon hier können wir eine Schlussfolgerung ziehen. Wenn eine neue Form des Studiums der Naturerscheinungen auftaucht, wird eine Klärung des Ganzen der Disziplinen des Wissens nötig. Sie nötigt sie zur besseren Abgrenzung ihres eigenen Bereiches, ihrer Zugangsweise und ihrer Methoden, wie auch der genauen Tragweite ihrer Schlussfolgerungen. Mit anderen Worten, dieses Neue verpflichtet jede Disziplin, sich genauer ihrer eigenen Natur bewusst zu werden.
Die vom kopernikanischen System hervorgerufene Umwälzung machte also eine Reflexion darüber notwendig, wie die biblischen Wissenschaften zu verstehen sind, ein Bemühen, das später überreiche Früchte für die modernen exegetischen Arbeiten bringen sollte, die ferner in der Konzilskonstitution Dei Verbum eine Bestätigung und neuen Impuls erhalten haben.
7. Die Krise, die ich eben angedeutet habe, ist nicht der einzige Faktor, der auf die Deutung der Bibel Auswirkungen gehabt hat. Wir berühren hier den zweiten, nämlich pastoralen Aspekt des Problems.
Kraft der ihr eigenen Sendung hat die Kirche die Pflicht, auf die pastoralen Auswirkungen ihrer Predigt zu achten. Vor allem muss klar sein: Diese Predigt muss der Wahrheit entsprechen. Zugleich muss man es verstehen, eine neue wissenschaftliche Tatsache zu berücksichtigen, wenn sie der Wahrheit des Glaubens zu widersprechen scheint. Das pastorale Urteil angesichts der Theorie des Kopernikus war in dem Maße schwierig zu formulieren, wie der Geozentrismus scheinbar selbst zur Lehre der Heiligen Schrift gehörte. Es wäre nötig gewesen, gleichzeitig Denkgewohnheiten zu überwinden und eine neue Pädagogik zu entwickeln, die dem Volk Gottes weiterhelfen konnte. Sagen wir es allgemein: Der Hirte muss wirklich kühn sein und sowohl eine unsichere Haltung, aber auch ein voreiliges Urteil vermeiden, da das eine wie das andere großen Schaden hervorrufen könnte.
8. Hier können wir an eine analoge Krise zu der erinnern, von der wir sprechen. Im vergangenen Jahrhundert und zu Beginn des unseren hat der Fortschritt der historischen Wissenschaften neue Kenntnisse über die Bibel und ihr Umfeld möglich gemacht. Der rationalistische Kontext aber, in dem die Ergebnisse meist dargestellt wurden, konnte sie für den christlichen Glauben schädlich erscheinen lassen. So dachten manche, die den Glauben verteidigen wollten, man müsse ernsthaft begründete historische Schlussfolgerungen abweisen. Das war aber eine voreilige und unglückliche Entscheidung. Das Werk eines Pioniers wie P. Lagrange verstand die notwendigen Unterscheidungen aufgrund sicherer Kriterien anzubieten.
Hier wäre das zu wiederholen, was ich oben gesagt habe. Es ist eine Pflicht der Theologen, sich regelmäßig über die wissenschaftlichen Ergebnisse zu informieren, um eventuell zu prüfen, ob sie diese in ihrer Reflexion berücksichtigen oder ihre Lehre anders formulieren müssen.
9. Wenn die heutige Kultur von einer Tendenz der Wissenschaftsgläubigkeit gekennzeichnet ist, war der kulturelle Horizont der Zeit des Galilei einheitlich und von einer besonderen philosophischen Bildung geprägt. Dieser einheitliche Charakter einer Kultur, der an sich auch heute positiv und wünschenswert wäre, war einer der Gründe für die Verurteilung des Galilei. Die Mehrheit der Theologen vermochte nicht formell zwischen der Heiligen Schrift und ihrer Deutung zu unterscheiden, und das ließ sie eine Frage der wissenschaftlichen Forschung unberechtigterweise auf die Ebene der Glaubenslehre übertragen.
Wie Kardinal Poupard dargelegt hat, war Robert Bellarmin, der die wirkliche Tragweite der Auseinandersetzung erkannt hatte, seinerseits der Auffassung, dass man angesichts eventueller wissenschaftlicher Beweise für das Kreisen der Erde um die Sonne „bei der Erklärung der Schriftstellen, die gegen (eine Bewegung der Erde) zu sprechen scheinen“, sehr vorsichtig sein und „vielmehr sagen müsse, wir möchten das, was bewiesen wird, nicht als falsch hinstellen“ (Brief an R.A. Foscarini, 12. April 1615, vgl. zit. Werk, Band XII, S. 172). Vor ihm hatte die gleiche Weisheit schon den heiligen Augustinus schreiben lassen: „Wenn jemand die Autorität der Heiligen Schriften gegen einen klaren und sicheren Beweis ausspielen würde, fehlt ihm das Verständnis, und er stellt der Wahrheit nicht den echten Sinn der Schriften entgegen, er hat diesen vielmehr nicht gründlich genug erfasst und durch sein eigenes Denken ersetzt, also nicht das, was er in den Schriften, sondern das, was er bei sich selber gefunden hat, dargelegt, als ob dies in den Schriften stände“ (Brief 143;n.7; PL 33, col 588). Vor einem Jahrhundert hat Papst Leo XIII. diesen Gedanken in seiner Enzyklika Providentissimus Deus aufgegriffen: „Da eine Wahrheit unmöglich einer anderen Wahrheit widersprechen kann, darf man sicher sein, dass ein Irrtum in der Deutung der heiligen Worte oder bei einem anderen Diskussionsgegenstand nur behauptet wurde“ (Leonis XIII Pont. Max., Acta, vol. XIII, 1894, S. 361).
Kardinal Poupard hat uns ebenfalls dargelegt, dass das Urteil von 1633 nicht unwiderruflich war und die weitergehende Auseinandersetzung erst 1820, und zwar mit dem Imprimatur für das Werk des Kanonikus Settele, geendet hat (vgl. Päpstliche Akademie der Wissenschaften, Copernico, Galilei e la Chiesa, Fine della controversia [1820]. Die Akten des Hl. Offiziums wurden von W. Brandmüller und E.J. Greipl, Florenz, Olschkl, 1992 herausgegeben).
10. Ausgehend vom Zeitalter der Aufklärung bis in unsere Tage hat der Fall Galilei eine Art Mythos gebildet, in dem das dargelegte Bild der Ereignisse von der Wirklichkeit weit entfernt war. In dieser Perspektive war dann der Fall Galilei zum Symbol für die angebliche Ablehnung des wissenschaftlichen Fortschritts durch die Kirche oder des dogmatischen „Obskurantentums“ gegen die freie Erforschung der Wahrheit geworden. Dieser Mythos hat in der Kultur eine erhebliche Rolle gespielt und dazu beigetragen, zahlreiche Männer der Wissenschaft in gutem Glauben denken zu lassen, der Geist der Wissenschaft und ihre Ethik der Forschung auf der einen Seite sei mit dem christlichen Glauben auf der anderen Seite unvereinbar. Ein tragisches gegenseitiges Unverständnis wurde als Folge eines grundsätzlichen Gegensatzes von Wissen und Glauben hingestellt. Die durch die jüngeren historischen Forschungen erbrachten Klärungen gestatten uns nun die Feststellung, dass dieses schmerzliche Missverständnis inzwischen der Vergangenheit angehört.
11. Der Fall Galilei kann uns eine bleibend aktuelle Lehre sein für ähnliche Situationen, die sich heute bieten und in Zukunft ergeben können.
Zur Zeit des Galilei war eine Welt ohne physisch absoluten Bezugspunkt unvorstellbar. Und da der damals bekannte Kosmos sozusagen auf das Sonnensystem beschränkt war, konnte man diesen Bezugspunkt nicht entweder auf die Erde oder auf die Sonne verlegen. Heute hat keiner dieser beiden Bezugspunkte nach Einstein und angesichts der heutigen Kenntnis des Kosmos mehr die Bedeutung von damals. Diese Feststellung betrifft natürlich nicht die Stellungnahme des Galilei in der Auseinandersetzung; sie kann uns aber darauf hinweisen, dass es jenseits zweier einseitiger und gegensätzlicher Ansichten eine umfassendere Sicht gibt, die beide Ansichten einschließt und überwindet.
12. Eine weitere Lehre ist die Tatsache, dass die verschiedenen Wissenschaftszweige unterschiedlicher Methoden bedürfen. Galilei, der praktisch die experimentelle Methode erfunden hat, hat, dank seiner genialen Vorstellungskraft als Physiker und auf verschiedene Gründe gestützt, verstanden, dass nur die Sonne als Zentrum der Welt, wie sie damals bekannt war, also als Planetensystem, infrage kam. Der Irrtum der Theologen von damals bestand dagegen am Festhalten an der Zentralstellung der Erde in der Vorstellung, unsere Kenntnis der Strukturen der physischen Welt wäre irgendwie vom Wortsinn der Heiligen Schrift gefordert. Doch wir müssen uns hier an das berühmte Wort erinnern, das dem Baronius zugeschrieben wird: „Der Heilige Geist wollte uns zeigen, wie wir in den Himmel kommen, nicht wie der Himmel im Einzelnen aussieht.“ Tatsächlich beschäftigt sich die Bibel nicht mit den Einzelheiten der physischen Welt, deren Kenntnis der Erfahrung und dem Nachdenken des Menschen anvertraut wird. Es gibt also zwei Bereiche des Wissens. Der eine hat seine Quelle in der Offenbarung, der andere aber kann von der Vernunft mit ihren eigenen Kräften entdeckt werden. Zum letzteren Bereich gehören die experimentellen Wissenschaften und die Philosophie. Die Unterscheidung der beiden Wissensbereiche darf aber nicht als Gegensatz verstanden werden. Beide Bereiche sind vielmehr einander durchaus nicht fremd, sie besitzen vielmehr Begegnungspunkte. Dabei gestattet die Methode eines jeden Bereiches, unterschiedliche Aspekte der Wirklichkeit herauszustellen.“

b) Der Fall Galilei:
Eine geschichtliche, theologische und philosophische Revision

Schließlich hat die Kirche zur Feier des 400. Jahrestages der Entdeckung des Fernrohrs 1609 durch Galileio Galilei zum Internationalen Kongress Il caso di Galileo – una rilettura storica, teologica e filosofica (Der Fall Galilei – eine geschichtliche, theologische und philosophische Revision) vom 26.-30. Mai 2009 nach Florenz eingeladen.
Auf diesem Kongress fanden nun die von Papst Johannes Paul II. gemachten Aussagen aus historischer, philosophischer und theologischer Sicht eine vertiefte Darlegung und eine offene Wertung des Umgangs der Kirche mit den Forschungen und der Person von Galileo Galilei.
So sagte Erzbischof Gianfranco Ravasi, der Präsident des Päpstlichen Kulturrates, der den Kongress mit ausrichtete:
„Gerade der Fall Galilei muss uns als Theologen und uns als Kirche zur rückhaltlosen Selbstkritik unserer eigenen Vergangenheit bringen. Das war es auch, was Johannes Paul II. wollte, als er im Heiligen Jahr 2000 Galilei in die Elemente der berühmten reinigenden Katharsis der Erinnerung aufnahm.“
„Wer die Wahrheit nicht kennt, ist nur ein Dummkopf. Wer sie aber kennt und sie eine Lüge nennt, ist ein Verbrecher“ – dieses durchaus scharfzüngige Zitat wird Galileo Galilei zugeschrieben.
Die Lehre, die Galilei der Kirche erteilte, gelte bis heute, sagte der Jesuitenpater George Coyne, der an der Päpstlichen Sternwarte in Arizona tätig ist:
„Das grundlegende Unrecht der Kirche jener Zeit war, ihm nicht zu erlauben, seine Forschung fortzusetzen. Und das gilt für alle Zeiten. Galileo war ein anerkannter Wissenschaftler, weltbekannt durch seine Schriften zur Teleskopbeobachtung und seine erste Interpretation davon. Wenn also ein anerkannter Forscher ein bedeutendes Feld der Wissenschaft verfolgt, dann sollte ihm erlaubt werden, das zu tun – vorausgesetzt natürlich, dass die Methoden ethisch akzeptabel sind, was bei Galileo ja der Fall war. Die Frustration von Galileo war eben die: Er war dabei, wichtige Entdeckungen zu machen. Das ist eine Lektion für alle Zeiten. Meine Meinung als Forscher, der für die Kirche arbeitet, ist, dass die Kirche diese Lektion gelernt hat.“
Die Rede von Schuld wies Coyne jedoch zurück: „Niemand verstand die Naturwissenschaft, weil sie eben erst im Entstehen war.“ Zudem sei die Bibel teilweise missverstanden worden. So habe Kardinal Robert Bellarmin (1542-1621), eine zentrale Figur der Inquisitionsverfahren gegen Galilei, Schriftzitate unzutreffend als naturwissenschaftliche Aussagen gedeutet.

c) Dokumentation

Um schließlich den Diskutanten des Falles Galilei die Möglichkeit zu geben, auf einem gesicherten und zugänglichen historischen Boden zu stehen, ließ der Präfekt des Vatikanischen Geheimarchivs, Bischof Sergio Pagano, eine Neuausgabe der Prozessakten des sogenannten Falles Galilei erarbeiten, die er am 2. Juli 2009 der Öffentlichkeit vorstellte. Diese Akten beziehen sich auf den Zeitraum von 1611 bis 1741.2
Der 550 Seiten umfassende Band enthält im Unterschied zur ersten Ausgabe der Prozessakten aus dem Jahr 1984 alle edierten Dokumente nach den Originalen neu gesichtet, die sich in den Vatikanischen Archiven (Geheimarchiv, Archiv der Glaubenskongregation, Apostolische Bibliothek) befinden. Dazu kommt noch eine vollständige Edierung jener rund 20 Akten hinzu, die nach dem Jahr 1984 gefunden wurden.
Der Herausgeber versah die Akten mit kritischen und historischen oder auch biografischen Anmerkungen. Dies stellt eine absolute Neuheit gegenüber allen anderen Ausgaben der Akten seit 1877 dar. Sie geben über Typologie und Überlieferung Auskunft (Original, Kopie, Zusammenfassung, amtliche Anmerkung, verschiedene Verfasser usw.). Dem Dokumentationsteil ist eine 208-seitige Einleitung mit der Verarbeitung der jüngsten Literatur zu Galilei vorangestellt. In dieser Einleitung werden die Etappen des Falles von 1611 bis 1633 beleuchtet, die schließlich in den Prozess mündeten. Der Band zeichnet sich zudem durch ein ausführliches Namen- und Themenregister aus, was das Auffinden von bestimmten Personen oder Fragestellungen wesentlich erleichtert.
Diese Arbeit war nicht einfach, denn obgleich sich in der Vergangenheit viele Gelehrte bemühten, die Dokumente des Inquisitionsprozesses gegen Galileo Galilei wieder aufzufinden, besitzen wir bis heute nichts anderes von jenen originalen Schriftstücken als einen mageren Auszug aus den umfangreichen „Inquisitionsdossiers“ Galileis aus der Zeit des Prozesses (1633) oder bald danach. Dieser „Auszug“ blieb über Jahrhunderte im Archiv der Kongregation des Index (die vom Heiligen Offizium jene Schriftstücke anforderte), gelangte dann während der von Napoleon angeordneten Beschlagnahmung der vatikanischen Archive nach Paris, ging durch die Hände des Herzogs von Blacas und wurde schließlich von seiner Witwe 1843 dem Vatikanischen Geheimarchiv übersandt.
Der Papierband „Dokumente des Prozesses gegen Galileo Galilei, Rom 1616, 1632-33“, 338 x 225 mm, wurde zwar lange Zeit irrtümlich als „Prozess des Galileo Galilei“ bezeichnet, ist aber in Wirklichkeit eine Zusammenstellung von Schriftstücken durch die Indexkongregation nach der Verurteilung Galileis, um auf der Grundlage seiner Aussagen und Geständnisse während des Prozesses über das Verbot seiner Bücher und seiner Doktrin zu verhandeln (darunter befinden sich zahlreiche Briefe von Bischöfen oder päpstlichen Vertretern, welche den erfolgten Antrag eines solchen Verbotes bezeugen). Einige dieser Schriftstücke wurden aus verlorenen Akten (es dürfte sich um mehrere Bände handeln) des Prozesses gegen Galilei ausgezogen, von denen sie noch die Foliierung behalten (einer dieser Bände hatte mindestens 560 Blätter, also 1120 Seiten).3

Schlussbemerkung

Damit ist der Fall Galilei aus der Sicht von George Coyne abgeschlossen. Die Katholische Kirche habe mit ihrer vor drei Jahrzehnten begonnenen historischen Aufarbeitung des Prozesses gegen den Wissenschaftler, „ihren Teil getan“.
Besonders hervorzuheben sind hierbei die jahrzehntelange mustergültige und unvoreingenommene historische Aufarbeitung, die offenen und abgewogenen Worte Papst Johannes Pauls II. und die Herausgabe des oben angeführten Dokumentationsbandes.
Würde diese Form der Aufarbeitung eines Irrtums der Kirche durch die Kirche auch in der Wissenschaft, Geisteswissenschaft wie Naturwissenschaft, angewandt, so würde sich ein Wald von Irrtümern lichten und ein Heer von regelrecht „abgeschossenen“ und nicht nur „in Hausarrest versetzten“ Wissenschaftlern wiederauferstehen.
Doch gibt es in der Wissenschaft keine geschichtlichen Verantwortungsträger, wie es die katholische Kirche ist, durch die Galileo Galilei nicht nur die Verurteilung seines Heliozentrismus erlitt, sondern durch die jahrelange Bearbeitung des Falles mit der nun abgeschlossen Rehabilitierung auch eine Jahrhunderte überdauernde weltweite Wertschätzung erfuhr.

(GW) 59 (2010) 1, 27-57.

Anmerkungen:
1 Galileo Galilei: Sidereus Nuncius. Alburg: Archival Facsimiles Ltd., 1987.
2 Sergio Pagano (Hg.): I documenti vaticani del processo di Galileo Galilei (1611-1741). Neue ergänzte und durchgesehene Ausgabe mit Anmerkungen, Vatikanstadt – Geheimarchiv 2009, Ss. CCLVIII + 332, 28 Tafeln in Farbe [Reihe: Collectanea Archivi Vaticani, 69].
3 Im Dokument (a) erkennt man eine der originalen Vernehmungen oder Verhöre Galileo Galileis vor der Inquisition (ff. 78r-87r). Im Besonderen handelt es sich um den Schlussteil der Aussage Galileis vom 12. April 1633, von ihm nach Vorschrift unterschrieben (Zeile 8: Io Galileo Galilei ho deposto come di sopra) und den Anfang der folgenden Vernehmung (Zeile 9: Die sabbathi 30 aprilis 1633. Constitutus personaliter Romae in aula congregationum, coram et assistente quibus supra, in meique <etc.> Galileus de Galileis de quo supra […]).