Andreas Resch: Alchemie

ALCHEMIE

Während man es bei der Gnosis mit Deutungsversuchen zur Frage des Warum und Wozu, vor allem der Menschen als Geistwesen zu tun hat, entfaltete sich fast gleichzeitig ein Deutungsversuch, der sich vornehmlich mit der Frage nach dem Wie der materiellen Welt und ihren Möglichkeiten befasst und alsAlchemie bezeichnet wird. Alchemie gilt ganz allgemein auch als die Lehre und Praxis von der Verwandlung und Veredelung der Stoffe, insbesondere in Gold oder in ein universales Heilmittel. Damit sind jedoch weder die geschichtlichen noch die geistigen Hintergründe der Alchemie angesprochen.

1. Geschichte

Die Entwicklungsgeschichte der Alchemie reicht in ihren Anfängen bis zu den griechischen Naturphilosophen des 6. und 5. Jahrhunderts vor Christus zurück. Die Lehre von den vier Elementen und indirekt auch die von ihrer Verwandlung hängt mit Beobachtungen des Sternenhimmels zusammen. Nach dem Naturbeobachter der Antike sind die irdischen Elemente – Wasser, Feuer, Luft und Erde – ein Spiegelbild des Kosmos, weshalb den vier Planeten Jupiter, Merkur, Mars und Saturn, d. h. Marduk, Nergal, Nabu und Ninurta, vier Elemente auf der Erde entsprechen. Beide sind letztlich Erscheinungen der einen Gottheit, die ihre Wirksamkeit in der Sonne offenbart.

Abb. 1: Pektorale aus Gold

Abb. 2: Leidener Papyrus (3. Jh.)

Abb. 3: Der isisköpfige Gott Thot

Kreislauf und Umsatz der Elemente stehen in enger Beziehung zum Kreislauf der weltdurchwandernden Seele.
Die Lehre von den vier Elementen findet sich nicht nur in der griechischen und babylonischen Naturbetrachtung, sondern auch in Ägypten, Palästina, Indien, China, selbst bei den Malaien usw. Der Ursprung der Alchemie wird allerdings in das alexandrinische Ägypten verlegt, in dessen Tempelwerkstätten man besonders bemüht war, goldähnliche Legierungen herzustellen. (Abb. 1) Leider fielen die frühesten Dokumente der Alchemie wie auch ein Großteil der Alexandrinischen Bibliothek im Jahre 47 v. Chr. einem Brand zum Opfer.
So stammt auch die Bezeichnung Alchemie – wahrscheinlich zusammengesetzt aus dem griechischen chemeia (= Chemie) und dem arabischen Artikel al – aus dem Griechisch sprechenden Ägypten des 2./3. Jahrhunderts n. Chr. Außerdem wurden die zwei wichtigsten Dokumente des frühen alchemistischen Schrifttums, zwei griechische Papyrus-Urkunden, 1828 in der Nähe von Theben in Ägypten gefunden. (Abb. 2)
Die Versuche späterer Alchemisten, den Ursprung ihrer Kunst in die mythische Vergangenheit zurückzuführen und den Begründer mit Hermes Trismegistos oder dem ägyptischen Gott Toth (Abb. 3) zu identifizieren, entbehren der wissenschaftlichen Grundlage.

2. Lehre

Die Alchemisten erforschten die Verwandlung unedler Metalle in edle, vor allem auch die direkte Erzeugung von Gold und Silber. Dabei wird offen zugegeben, dass es sich beim „Goldmachen“ um Fälschungen handelt. Man benutzt Kupfer-, Zinn- und Bleiverbindungen zur Weißung der Gilbung des Goldes.
Die gedankliche Grundlage dieses Handelns bildete die oben genannte Lehre von den vier Elementen Erde, Wasser, Feuer und Luft, denen ARISTOTELES noch ein fünftes Element, den Äther, hinzufügte. Er vertrat die Ansicht, dass sich die ersten vier Elemente in allen Körpern vorfänden und aufgrund innerer Wesensveränderung und chemischer Verbindung ineinander übergehen könnten. Der Alchemist versuchte, diese Prozesse in abgekürzter Form nachzuvollziehen. (Abb. 4)

Abb. 4: Alchemistische Laborgeräte

Die eingangs genannten naturphilosophischen, gnostischen und neuplatonischen Lehren geben diesen Kenntnissen der Wandlung eine religiös synchretistische Deutung. Die chemischen Vorgänge werden zum Mythos der Wandlung, der Verwandlung des Stoffes, allegorisiert, die Zeugung, Leben, Sterben und Wiedergeborenwerden versinnbildlicht. Man vertritt, der griechischen Überlieferung folgend, die Ansicht, dass alle Stoffe entweder qualitativ unterschiedliche Arten eines Stoffes sind oder dass sie durch Änderung ihrer Qualität aus dem Urstoff entstanden. Die dazu notwendige Substanz mit der Wirkung einer Hefe wird „Masse“ genannt. Aufgrund ihres Einflusses wirken die Metalle beim „Wandlungsprozess“ nicht stofflich, sondern nur durch ihre Eigenschaften. Es gilt daher, jene „Masse“ zu finden, die den unedlen Stoffen die Eigenschaften von Gold und Silber verleiht.

„Dieser Transmutation muß immer die Überführung in eine qualitätslose ,schwarze‘ Urmaterie vorausgehen. Im dadurch geläuterten Metall beginnt ein neues Leben, eine neue Entelechie, welche die Vollkommenheit des Goldes in sich schließt. Das wird metaphorisch Geburt zum vollkommenen Leben. Dieser Prozeß kann nicht künstlich durchgeführt werden, nur die Natur selber vermag es: Die Natur besiegt die Natur. Durch Beschwörung, Gebet, gelingt es, das große Meisterwerk (magisterium) der Transmutation zu vollenden. Allein der Stein der Weisen, den zu finden nur dem reinen, geläuterten Adepten gelingt, bewirkt die richtige Mischung der Elemente und die echte Ordnung des Chaos.“1

Herrmes Trismegistos

Abb. 5: Hermes Mercurius Trisemegistos bei einer Disputation mit seinen Schülern. Detail aus dem Fußboden der Kathedrale von Siena: Intaglioarbeit von Giovanni di Stefano, 14. Jh.

Bei ihren Arbeiten erfanden die Alchemisten eine Reihe von Verfahren der chemischen Technik, z. B. der Destillation, sowie eine Reihe von Apparaten, die von der späteren antialchemistischen Chemie eifrig genutzt wurden. Als Nothelfer wurden vor allem Hermes Trismegistos (Abb. 5), aber auch Christus angerufen.

3. Symbole

Aus der großen Verbindung mit der Astrologie und der Lehre vom Mikro- und Makrokosmos entstand eine Fülle von Symbolen:
– Der Uroboros, die Schlange, die sich in den Schwanz beißt, symbolisiert den Anfang ohne Ende. (Abb. 6)

– Der Androgyn (Abb. 7), ein mannweibliches Doppelwesen, das einerseits als Symbol der Urmaterie, andererseits als Stein der Weisen die Einheit der beiden Gegenpole darstellt, wird in der Alchemie vom Gedanken der Gnosis getragen, dass jede Schöpfung gewissermaßen eine Zeugung sei und daher eines männlichen und eines weiblichen Elementes bedürfe. Diese beiden Elemente waren anfänglich, wie wir bei der Gnosis gehört haben, untrennbar miteinander verbunden und werden am Ende wieder ineinander aufgehen.
Das Ei als Zeichen der Urmaterie, aus welcher der Stein der Weisen durch die Hitze des philosophischen Feuers ausgebrütet wird. Das Weiße des Eies ist das Silber, der Dotter ist das Gold. Das Ei wird auch als Hinweis auf eine Vierheit (Tetrasomie) gedeutet: Schale, Haut, Eiweiß und Eigelb in der Bedeutung von Kupfer, Zinn und Eisen, die gleichzeitig keimhaft auch Gold und Silber in sich tragen.
– Der Stein der Weisen ist das Endprodukt einer langwierigen Operation der Alchemisten, aus der Urmaterie eine Substanz herzustellen, mit deren Hilfe sich unedle Metalle in edle verwandeln.

4. Arabische Alchemie

Auf der syrisch-alexandrinischen Alchemie bauen die syrischen und byzantinischen Alchemisten weiter. Die syrische Alchemie wiederum bildet die Basis der arabischen Alchemie, die sich besonders auch mit dem Studium der naturwissenschaftlichen Forschung des ARISTOTELES befasste. Der bedeutendste Naturforscher ist dabei der Arzt Abu Musa Jabir (Schabir) ibn Hayyan, besser bekannt unter dem Namen GEBER (Abb. 8), der in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts gelebt haben soll und von vielen nicht nur als der größte islamische Chemiker, sondern auch als bedeutender Alehemist bezeichnet wird. Er lehrte, dass alle Metalle aus Schwefel und Quecksilber in jeweils unterschiedlicher Reinheit bestünden und wenn es gelänge, sie vollkommen zu reinigen, entstehe Gold.

In diesem Zusammenhang ist der 980 in Turkestan geborene Arzt Abu Ali Al Husain ibn Abd Alla ibn Sina zu nennen, der unter dem Namen AVICENNA (980 – 1037) in Europa als arabischer Aristoteles bekannt wurde. (Abb. 9) Er galt einerseits als führender Kritiker der alchemistischen Lehre von der möglichen Transmutation der Metalle, war aber andererseits davon überzeugt, das das große Arkanum, das Elexier des Lebens, sämtliche Krankheiten heilen könne.2

5. Abendländische Alchemie

Im 12. und 13. Jahrhundert wird die Alchemie durch die zahlreichen Übersetzungen griechischer Werke ins Lateinische, vor allem durch Mönche, auch im Abendland bekannt. So beschäftigte sich mit ihr auch eine Reihe mittelalterlicher Gelehrter.

Abb. 12: PARACELSUS, Stich nach August Hirschvogel, 1538

ALBERTUS MAGNUS (Abb. 10) beurteilte sie allerdings mit Skepsis, doch erzählt die Legende, dass er den Stein der Weisen besessen und sein Schüler THOMAS von Aquin diesen zerstört habe.
Auch Roger BACON (1214 – 1292, Abb. 11) soll wiederholt versucht haben, Gold herzustellen.
Während sich die Alchemie im 13. und 14. Jahrhundert nur langsam ausbreitete, begann sie im 16. und 17. Jahrhundert geradezu zur Sucht
zu werden.

Hier ist eine Gestalt zu nennen, die zwar getragen war vom Interesse nach dem Besonderen, dieses aber in Beziehung setzte zum konkreten Leben: PARACELSUS (1493/94 – 1541; Abb. 12) Seinem Lehrgebäude lag die Überzeugung zugrunde, dass der Mensch ein Mikrokosmos sei und in engstem Zusammenhang mit dem Makrokosmos stehe.
In Ermangelung persönlicher Glaubwürdigkeit versah man alchemistische Lehrschriften mit berühmten Namen, wie etwa Albertus Magnus, Thomas von Aquin und Raimundus Lullus. Diese Entwicklung wurde durch die sich vom 14. bis 16. Jahrhundert hinziehende Profanisierung der Wissenschaft noch gefördert. Es entstanden Gemeinschaften, welche die Alchemie als Bekenntniswissenschaft ausübten und ihr die Deutung der Geheimnisse von  Zeugung, Leben, Tod und Wiedergeburt zu entlocken versuchten.
So erschienen 1614 und 1615 in Kassel die ersten Schriften einer Bewegung, die unter dem Begriff des Rosenkreuzertums den selbst gewählten Namen behalten hat. Der führende Kopf war Johann Valentin ANDREAE (1587 – 1654), der wahrscheinlich sein Familienwappen – vier Rosen zwischen den Armen eines Andreaskreuzes – zu einem Namen gestaltete: Christian Rosencreutz. 1616 veröffentlichte er in Straßburg das Buch „Die Chymische Hochzeit des Christian Rosencreutz anno 1549“. Es geht darin um die Himmelsreise von Rosencreutz, um den Aufstieg zum achten Stockwerk eines Hauses, dem Ort der Unio mystica.3 Man kann hierbei zur Klärung der Darstellungsform das 7. Wort der Gebote des Alechmisten in der Tabula Smaragdina des Hermes Trismegistos in einer Fassung aus der Zeit von ANDREAE zitieren.
„In Summa. Steige durch großen Verstand von der Erden gen Himmel und von dannen wiederumb in die Erde / und bringe die Krafft der öbern und untern Geschöpff zusammen / so wirst du aller Welt Herrlichkeit erlangen: Dannenhero auch kein verächtlicher Zustand mehr umb dich sein wird.“4
Die Alchemie entwickelte sich so immer mehr zur Geheimwissenschaft und bediente sich absichtlich immer weniger durchschaubarer Darstellungen. (Abb. 13) Das Auseinanderklaffen von analytischer Wissenschaft und synthetischer Alchemie war mit dem 18. Jahrhundert vollzogen. In der Gegenwart wird die Alchemie mit dem Begriff der Esoterik überdeckt und gelangt in Vorstellungen über alternative Ernährung, Medizin und ganz allgemein über besondere Kräfte der Natur zu neuem Leben

Abb. 13: Stich des Matthäus Merian im Anfang des Museum Hermeticum von 1678, ein Spitzenwerk alchemistischer Illustrationskunst, das seinesgleichen sucht: „Was unten ist, ist wie oben, und was oben ist, ist wie unten.“

OBEN:
​Dreifaltigkeit
Engel
Tierkreis
Quecksilber
Schwefel
Salz
Vier Elemente
Stein der Weisen
5 Symboltiere der 5 Teilphasen des Werkes: Schwan, Basilisk, Pelikan, Rabe, Phönix
7 Planeten
UNTEN:
Links: Männliche solare Welt, hell
Adam mit Kette an den Himmel gebunden: Abbild des Kosmos mit Sonne, Mond und Sternen bekleidet. Unter seinem Fuß und unter dem Fuß des Löwen ein siebenzackiger Stern: Hinweis auf die sieben Planeten und Metalle. Der Phönix schützt mit den Flügeln die Elemente Luft und Feuer.
Mitte: Alchemistisches Imperium
Der Adept steht auf zwei Löwen mit einem Kopf, in den Händen zwei Beile zum Schneiden und Trennen. Bäume: Zeichen der 18 Metalle, Doppellöwe: Symbol bipolar strukturierter Materie, die Feuer und Wasser in sich vereint, was aus dem Mund fließt.
Rechts: Weibliche, lunare Welt, dunkel
Eva als Symbol der Fruchtbarkeit mit der Traube in der Hand, an den Himmel gekettet und bekleidet mit den makrokosmischen Symbolen der Gestirnwelt. Die Silberkugel des Mondes hält sie gemeinsam mit Aktäon. Aktäon wurde von Artemis in einen Rothirsch verwandelt und mit dem Mond mit Eva verbunden. Die Traube ist das Symbol der Substanz von Arcanum. Der Adler schützt mit seinen Flügeln Erde und Wasser.
Anmerkungen:
1 G KERSTEN: Alchemie (1971), Sp. 149; Museum Hermeticum (1970)
2 J. RUSKA: Die Alchemie des Avicenna (1935); Avicenna: Opera (1495)
3 B. KOSSMANN: Alchimie und Mystik in Johann Valentin „Chimischer Hochzeit Christian Rosenkreütz (1966); Hans-Werner Schütt: Auf der Suche nach dem Stein der Weisen: die Geschichte der Alchemie (2000); Claus Priesner; Figala, Karin [Hg.]: Alchemie: Lexikon einer hermetischen Wissenschaft (1998)
4 Nahc E. E. PLOSS: die alchemie (1970), S. 40; J. JUSKA: Tabula Smaragdina (1926)