Bibelorakel

Wahrsagen mit der > Bibel oder mit bestimmten Bibelstellen. Der mantische Umgang mit der Bibel, der praktisch darauf hinauslief, aus der Bibel ein Mittel der Wahrsagekunst zu machen, entsprach einem Buchgebrauch, der schon in der Antike vorgeprägt wurde. Auskunft über die Zukunft, die man in der alten Welt von Homer, Vergil oder den sybillinischen Büchern erhoffte, sollte insbesondere die Bibel geben. So berichtet Augustinus, dass der Eremit Antonius (251/52-356) „durch eine Evangelienlesung, zu der er wie durch Zufall kam, sich mahnen ließ, als ob an ihn gerichtet wäre, was verlesen wurde: ‚geh hin, verkaufe alles was du hast und gib’s den Armen, so wirst Du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir‘ (Mt 19,21)“ (Confessiones VIII, 12).
Als aber derartige Praktiken zum allgemeinen Volksgut wurden und man sie reichlich pflegte, sah sich die Kirche gezwungen, gleich Paulus (Apg 19,19), dagegen aufzutreten. Dies tat auch Bischof > Burchard von Worms († 1025), der ein Bußbuch abfasste und es jedem Beichtvater zur Pflicht machte, ein Beichtkind Folgendes zu fragen: „Hast du nicht das Schicksal mittels Bücher oder Täfelchen zu erforschen versucht, wie viele es zu tun pflegen, die glauben, aus dem Psalter, den Evangelien oder dergleichen Dingen das Schicksal erfahren zu können?“ (Gurjewitsch, 384).
Neuerdings wurde die Bibel durch die Entschlüsselung des sogenannten > Bibel-Codes zum Zukunftsbuch schlechthin gestempelt, allerdings ohne Realitätskontrolle.

Lit.: Hain, Mathilde: Burchard von Worms († 1025) und der Volksglaube seiner Zeit. Hessische Blätter für Volkskunde 47 (1956), 39-50); Gurjewitsch, Aaron J.: Das Weltbild des mittelalterlichen Menschen. [Aus dem Russ. übers. von Gabriele Loßack. Wiss. Bearb.: Hubert Mohr]. München: Beck, 1997; Drosnin, Michael: Bibel Code II: der Countdown. Augsburg: Weltbild, 2004.
Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.