Aristoteles

Schüler von Platon, Erzieher Alexanders d. Gr., ist mit Sokrates und Platon der bedeutendste Philosoph der Antike. Er wurde 384 v. Chr. in Stagira an der Ostküste der Halbinsel Chalkidike (Thrakien) geboren. Sein Vater Nikomachos war Leibarzt des Königs Amyntas III. von Makedonien, des Großvaters Alexanders d. Gr. Auch seine Mutter Phaestis stammte aus einer Arztfamilie. Mit 17 Jahren trat er in Athen in die Akademie Platons ein und lernte dort die vorsokratische, sokratische und platonische Philosophie kennen. Schon früh entwickelte er allerdings einen eigenen philosophischen Standpunkt, der von der Alltagserfahrung ausging. Nach Platons Tod (347) verließ er aufgrund einer antimakedonischen Stimmung Athen und zog nach Assos an der kleinasiatischen Küste nahe Lesbos, wo er in engen Kontakt mit Hermias trat und dessen Nichte und Adoptivtochter Pythias heiratete. Zwei Jahre später übersiedelte er nach Mytilene auf Lesbos, wo Theophrast, sein bedeutendster Schüler und Nachfolger, mit ihm in Verbindung kam. 343/342 wurde er zum Erzieher des 13-jährigen Alexander berufen, was ihm den Zugang zur griechischen Kultur und Literatur eröffnete. 335/334 kehrte er mit Theophrast nach Athen zurück und begann an einem öffentlichen Gymnasium zu lehren. Ob er eine eigene Schule gründete, ist zweifelhaft. Sicher ist, dass Theophrast die Schule juristisch gründete, deren Mitglieder „Peripatetiker“ genannt wurden. Als nach Alexanders Tod 323 v. Chr. neuerlich eine antimakedonische Stimmung aufkam, zog sich A. in das Haus seiner Mutter nach Chalkis zurück, wo er 322 im Alter von 62 Jahren starb. Sein Werk ist in der um 30 v. Chr. entstandenen Ausgabe des Andronikos, des 10. Nachfolgers des A., im Wesentlichen erhalten.
Die meisten seiner Werke tragen den Charakter von Vorlesungsskripten, die Jahr für Jahr umgearbeitet wurden und nie zur Veröffentlichung vorgesehen waren. Sie knüpfen beim Alltagsverständnis und bei der Alltagssprache an, weniger beim Sprachgebrauch der zeitgenössischen Philosophie.

A. gilt als der Vater der Logik. Er erkannte nämlich, dass die Gültigkeit eines Arguments nicht auf seinem Gegenstand oder Inhalt beruht, sondern auf seiner Form. So wird die Logik zur Hilfswissenschaft für alle anderen Wissenschaften, die A. in theoretische und praktische einteilt. Die theoretischen Wissenschaften untersuchen, was nicht anders sein kann, und fragen schlicht nach der Wahrheit, und zwar auf drei Wegen: Die Physik studiert die Gegenstände mit selbständiger Existenz und Tendenz zur Veränderung; die Mathematik studiert, was ohne selbständige Existenz unveränderlich ist; die Erste Philosophie schließlich, von A.’ Nachfolgern „Metaphysik“ genannt, handelt vom selbständig Existierenden, das zugleich unveränderlich ist.
Dabei nimmt A. an, dass jedes Werden etwas Zugrundeliegendes voraussetzt (griech. hypokeimenon; lat. substratum), etwas, das im Lauf des Prozesses eine gewisse Gestalt (griech. morphe) annimmt. Von hier aus gelangt er zur Unterscheidung zwischen Stoff (griech. hyle; lat. materia) und Form (griech. eidos; lat. forma). Alles hat Stoff und Form, nur Gott ist Form ohne Stoff.
Dieser Aspekt der Prozesshaftigkeit wird durch die Unterscheidung zwischen Möglichkeit (griech. dynamis; lat. potentia) und Verwirklichung (griech. energeia; lat. actus) vertieft. So ist ein Marmorblock potentiell eine Statue, die Verwirklichung aber ist die fertige Statue. Dieser Verwirklichung geht jedoch die Vorstellung des Bildhauers voraus.
Für die Erklärung eines konkreten Prozesses bedarf es daher einer vierfachen Ursache, der Wirkursache (causa efficiens), der Stoffursache (causa materialis), der Formursache (causa formalis) und der Zweckursache (causa finalis).
Hinzu kommen noch verschiedene Typen des Werdens: 1. substantielle Veränderung, das Aufhören zu sein; 2. qualitative Veränderung, z.B. Farbe der Vase; 3. quantitative Veränderung, z.B. Gewicht der Vase; Ortsveränderung.
A. unterscheidet daher in seinen Kategorien grundsätzlich zwischen Substanz, die selbst zu existieren vermag und bei deren Fehlen das Ding aufhört zu existieren, und den übrigen Kategorien, den Akzidentien eines Dinges, bei dessen Verlust das Ding durchwegs weiterexistieren kann. Bei der Substanz wird zudem noch zwischen Primärsubstanz (griech. prote ousia; lat. prima substantia) und Sekundärsubstanz (griech. ousia deutera; lat. secunda substantia), den Arten der Primärsubstanz, unterschieden.
So sind für ihn die Tierarten ewig und unvergänglich in dem Sinne, dass die Arteigenschaften für die einzelnen Individuen in ihrem Streben nach Selbsterhaltung zweckmäßig sind.

Gott ist für A. die äußerste Zweck-, Form- und Wirkursache für alles andere. In seiner Vollkommenheit ist er der Formgeber. Nur bei Gott gibt es Vernunft ohne stoffliche Grundlage.
Sein Buch Über die Seele (Perí psyché) kann als Beginn des psychologischen Fragens betrachtet werden. Jedes lebende Wesen, Tiere wie Pflanzen, besitzt eine Psyche als lebensstiftendes Prinzip. Der Mensch unterscheidet sich dabei vom Tier durch die Fähigkeit, vernünftig denken zu können, was ihm die ethische Gestaltung, die Verwirklichung eines guten Lebens ermöglicht. Nur die Vernunft, der nous, ist unsterblich, nicht die ganze Seele.
In der Beurteilung der Träume spricht A. sich für die Möglichkeit prophetischer Träume aus, allerdings spreche der Mangel an vernünftigen Ursachen eher dagegen. Die sogenannten telepathischen Träume erklärt er mit einer Art Wellentheorie.
Diese naturwissenschaftliche Denkweise hat in der abendländischen Geschichte die Esoteriker in der Regel antiaristotelisch eingestellt. Sie favorisierten stattdessen den stärker idealistisch orientierten Platonismus, ganz im Gegensatz zur griechisch-alexandrinischen Alchemie, die A. als einen der Gründungsväter ansah. Sie bezog sich auf das III. und IV. Buch Meteorologica, worin A. eine Theorie der Entstehung gemischter Substanzen skizziert.
Sein ernormer Einfluss auf die Wissenschafts- und Geistesgeschichte ist vor allem über die arabisch-islamische Aristoteles-Rezeption, insonderheit durch Ibn Rushd (> Averroes (1126-1198), mit großer Wirkung auf die muslimische Philosophie, und die lateinisch- christliche Rezeption durch > Albertus Magnus, > Thomas von Aquin und die Hochscholastik bis in die heute Zeit gedrungen.

Lit.: Aristoteles: Opera/Aristoteles. Ex rec. Immanuelis Bekkeri ed. Academia regia Borussica. Acc. fragmenta, scholia, index Aristotelicus. Berolini [Berlin]: de Gruyter (1831-1870); Aristoteles: Werke in deutscher Übersetzung. Begr. von Ernst Grumach. Hg. von Hellmut Flashar. Berlin: Akad.-Verl., 1956ff.
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