Anthroposophie

Griech. ánthropos, Mensch; sophía, Weisheit, Menschenweisheit, ist die Bezeichnung der von Rudolf > Steiner (1861-1925) begründeten Geisteswissenschaft in all ihren Äußerungen: wissenschaftlich-philosophische Grundlage (Erkenntnistheorie), Schulungswesen, Einzeldisziplinen wie Medizin (Heilkunst), Heilmittelherstellung, Pädagogik, Theologie, Sozialwissenschaft, Landwirtschaft, künstlerische Sparten, wie Eurythmie, Dramatik, Sprachkunst, Baukunst und bildende Künste. Der Ansporn zu dieser Gründung fußt nach Steiner auf seinen Einblicken in die geistige Welt. Daher ist A. „eine Erkenntnis, die vom höheren Selbst des Menschen hervorgebracht wird“.
Das Wort „Anthroposophie“ wurde bereits 1828 von dem Schweizer Philosophen Ignaz P.V. Troxler für einen Erkenntnisweg geprägt, der vom Geistigen im Menschenwesen zum Geistigen im Weltall vordringen möchte. Der Begriff findet sich auch bei Immanuel Hermann Fichte. Steiner definiert daher A. wie folgt: „Anthroposophie ist ein Erkenntnisweg, der das Geistige im Menschenwesen zum Geistigen im Weltall führen möchte.“ (Steiner, Anthroposophie).
Ab 1909 versuchte Steiner den Ausdruck „Anthroposophie“ mit konkretem Inhalt zu füllen, offensichtlich um seine übersinnliche Forschung in deutlichem Abstand von der Christentumsferne und der zunehmenden Indisierung der theosophischen Bewegung zu halten. Während die Anthropologie eine rein physische Menschenkunde betreibt und die Natur in den Mittelpunkt stellt, die Theosophie hingegen Gott, stellt sich die Anthroposophie zwischen Gott und die Natur und lässt den Menschen in sich sprechen.

War Steiners Menschenkunde in seinen Berliner Vorträgen „Anthroposophie“ von 1909 noch stark auf das Leibliche bezogen, so erweiterte er diese Sicht durch die beiden Zyklen „Psychosophie“ und „Pneumatosophie“ von 1910 und 1911, ebenfalls in Berlin, um die Lehre von der Seele und dem Geist, um so die Menschenkunde von einer Dichotomie, Seele und Geist, zu einer Trichotomie zu führen und den Menschen als dreigliederiges Wesen mit Körper, Seele und Geist zu verstehen. Dadurch eröffnete sich für Steiner der Zugang zum Wissen von der Wiederverkörperung des Menschen und zur Erkenntnis, dass der Mensch durch geistige Schulung in sich höhere Organe ausbilden kann, die ihn dem Geistigen im Weltall näher bringen können. Dieses Näherkommen vollzieht sich in einer progressiven Vollendung auf dem Weg der Wiedergeburt, ohne damit je die ersehnte ewige Glückseligkeit in der Geborgenheit Gottes zu erfahren, da der Mensch schicksalsmäßig, d. h. kosmisch bestimmt, ewig zu neuen Erdenleben berufen sei. Ein Jenseits als Vollendung und Aufenthalt im Sinne eines individuellen Lebens und ewiger Glückseligkeit ist der Anthroposophie fremd.
Dieses Grundverständnis der Anthroposophie wird heute von der > Anthroposophischen Gesellschaft weitergeführt, die Steiner bei seiner Trennung von der > Theosophischen Gesellschaft 1912/13 ins Leben gerufen hat.

Lit.: Troxler, Ignaz Paul Vital: Naturlehre des menschlichen Erkennens oder Metaphysik. Nach d. Druckausg. v. 1828 hg. v. Willi Aeppli. Bern: Troxler-Verl., 1944; Steiner, Rudolf: Anthroposophie, Psychosophie, Pneumatosophie: 12 Vorträge, gehalten in Berlin vom 23.-27. Oktober 1909, 1.-4. November 1910 u. 12.-16. Dezember 1911. [Nach vom Vortragenden nicht durchges. Nachschr. hg. von d. Rudolf-Steiner-Nachlassverwaltung. Die Hg. besorgten Hendrik Knobel u. Johann Waeger]. Dornach/Schweiz: Rudolf-Steiner-Verlag, 1980; Steiner, Rudolf: Anthroposophie: ein Erkenntnisweg in 185 Stationen; anthroposophische Leitsätze. Hg. von Taja Gut. Dornach: Rudolf-Steiner-Verl., 2004.
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