Aderlass

A. (Phlebotomie), Punktion oder chirurgische Eröffnung (Venae sectio) einer peripheren subkutanen Vene, in Dringlichkeitsfällen einer Arterie, zur therapeutischen Blutentnahme (ca. 500 – 800 ml) zwecks Kreislaufentlastung bei Linksherzinsuffizenz (Lungenstauung), akutem Hirnödem, malignem Hochdruck, Eklampsie, Polyzythämie.
Diese moderne medizinische Beschreibung war in ihrer ursprünglichen Form – > Schröpfen, Anwendung von > Blutegeln usw. – bereits bei den ältesten Völkern bekannt. Da Blut mit Leben gleichgesetzt wurde, war das Blutlassen ursprünglich ein Ersatz für das Menschenopfer, wie dies sehr deutlich aus dem Götterkult der Bewohner von Yukatan hervorgeht: man durchbohrte sich die Ohren und Schultern, sammelte das Blut und gab es in die Opferschalen vor den Götterbildern (Lippert 2, 328). So besaß der Aderlass schon zu Zeiten des Hippokrates eine jahrhundertealte Tradition. Im Lauf der Zeit entwickelte er sich zu einer der beliebtesten Methoden. So ist er nach > Hildegard von Bingen, von ganz wenigen Ausnahmen wie akute Infektionskrankheiten, Körperschwäche oder Blutarmut abgesehen, das tiefgreifendste Umstimmungsmittel zur Heilung chronischer Krankheiten. Hildegard schränkte den Aderlass auch nach dem Lebensalter ein. So soll er nach dem 50. Lebensjahr nur mehr einmal im Jahr und nur zur Hälfte durchgeführt werden. In manchen Gegenden artete der Aderlass jedoch geradezu zum „Vampirismus“ aus, indem man selbst noch halb Toten das Blut absaugte. > Paracelsus (1493-1541) warnte daher davor, zu viel Blut abzunehmen. Ch.W. > Hufeland (1762-1836) hingegen würdigte den Aderlass und zählte ihn neben > Opium und > Brechverfahren zu den drei Kardinalmitteln der Heilkunst. Nach einer vorübergehenden Ausrichtung auf die technische Medizin gewinnt im Rahmen der Betonung der Naturheilverfahren nun auch der Aderlass wieder an Bedeutung, selbst in ärztlichen Praxen.

Lit.: Hildegard von Bingen: Heilkunde. Salzburg: Müller, 1957, S. 253ff.; Lippert, Julius: Kulturgeschichte der Menschheit in ihrem organischen Aufbau. Bd. 2. Stuttgart: Enke, 1887; Maier, Karlmann: Vom Aderlass zum Laserstrahl. Backnang: Stroh, 1993.
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