Aberglaube

Seit dem 13./14. Jh. verwendete Bezeichnung von irrigem Glauben, vor allem im religiösen Kontext, an besondere Kräfte, deren Realität weder empirisch noch theologisch begründbar ist.
Begriffsgeschichtlich umfasst das Wort „Aberglaube“ den griechischen Begriff von deisidaimonia (übertriebene Götterfurcht) und die antiken und mittelalterlichen Bedeutungsinhalte von superstitio („Überglaube“) und idololatria (Götzendienst). Seit dem 19. Jh. nimmt das Wort „Aberglaube“ immer häufiger die Bedeutung von „blindem Vorurteil“, „einfältiger Lebensauffassung“ und unkritischem „Volksglauben“ an. In dieser allgemeinen Bedeutung von naiver Lebenseinstellung hat die Kategorie „Aberglaube“ theologisch keine Bedeutung mehr.
Hingegen bleibt im religiösen Kontext die von
Thomas von Aquin in der Summa theologiae (II-II, 92-96) im Rückblick auf altrömische, biblische und patristische Daten erstellte Beschreibung von Aberglaube als religiöse Praxis am falschen Gegenstand („dem sie nicht zukommt“) und als unlautere religiöse Praxis gegenüber dem wahren Gott („wie es sich nicht gebührt“) weiterhin wegweisend: > superstitio, falscher Kult des wahren Gottes, wozu jedwede Kultpraxis zu zählen ist, die im Christentum nicht dem NT bzw. in anderen Religionen nicht der jeweiligen Lehre entspricht; > idololatria, Vergöttlichung endlicher Gegenstände und Mächte; > superstitio divinativa, Wahrsagerei aus pseudoreligiösen Praktiken; > superstitiones observantiarum, magische Praktiken. Da sich der Mensch der Wahrheit aber nur nähern kann, ohne ihrer voll habhaft zu werden, ist auch der Versuch der Eliminierung von Aberglaube durch Aufklärung und Rationalismus nur bedingt gelungen, zumal die verbliebenen Deutungsfreiräume notgedrungen zu mutmaßlichen Deutungen führen. Zudem bedarf der Mensch zur Gestaltung seiner Vorstellungen von Welt und Mensch übergreifender Zusammenhänge, die, genährt von Unsicherheit und Angst, zu den verschiedensten Deutungen führen. Somit sind strenge Rationalität wie unkontrollierte Irrationalität gleichermaßen aberglaubenverwandt.
Paranormologisch gesehen ist Aberglaube im engeren Sinne eine den Gesetzen der Erfahrung und des Denkens zuwiderlaufende Ansicht von ursächlichen Zusammenhängen der sinnlichen Welt mit nichtsinnlichen Mächten und Gewalten, die auch unter Einbezug paranormologischer Deutungsmöglichkeiten wie Telepathie, Hellsehen, Präkognition, Psychokinese, Privatoffenbarungen, Sensitivität, Wunder usw. offensichtlich nicht gegeben sind. So ist es z.B. abergläubisch, der Zahl 13 besondere Kräfte zuzuweisen.

Lit.: Zucker, Konrad: Psychologie des Aberglaubens, Heidelberg: Scherer, 1948; Vasiliev, Leonid L.: Mysterious Phenomena of the Human Psyche. Sonia Volochova [Übers.]. New York: University Books, 1965; Lehmann, Alfred: Aberglaube und Zauberei. Übers. u. nach d. Tode d. Verf. bis in d. Neuzeit erg. von Dominikus Petersen, I. Aalen: Scientia-Verlag, 41985; Aberglaube – Sitten – Feste germanischer Völker: das festliche Jahr. Reprint der Orig.-Ausg., 2. Aufl. Leipzig: Barsdorf, 1898. Tübingen: Niemeyer, 1992; Meyer, Carl: Der Aberglaube des Mittelalters und der nächstfolgenden Jahrhunderte. Unveränd. Nachdr. [d. Ausg. Basel, Schneider, 1884]. Essen: Magnus-Verlag, 1985; Bächtold-Stäubli, Hanns (Hg): Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. 10 Bde. Berlin: W. de Gruyter, 1987; Hemminger, Hansjörg; Harder, Bernd: Was ist Aberglaube? Bedeutung, Erscheinungsformen, Beratungshilfen. Gütersloh: Quell, 2000.
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