Magie

Am Anfang aller Weltbilder steht die magische Deutung von Welt und Mensch. Dabei ist M. (von iranisch-altpers. magu(s), griech. mageia, lat. magia) als Zuschreibung von besonderen Mächten und Kräften an Gegenstände und Wesenheiten zu verstehen, die diesen von sich aus nicht zukommen, sowie das Verfügbarmachen solcher Kräfte durch bestimmte Handlungen, Zaubersprüche, gebetsartige Praktiken, Amulette und Riten. Da die genannten Mächte und Kräfte einer unmittelbar sichtbaren Kontrolle nicht zugänglich sind, ist es notwendig, ihre besondere Eigenheit zu kennen. Diese bezieht sich auf das gesamte Spektrum möglicher Symbole, von der konkreten magischen Handlung bis hin zu Riten und Kenntnissen, insofern die Ursache des Effekts in den genannten Kräften und Mächten gesehen wird.
Sowohl die magische Kausalverbindung als auch die Symbolbedeutung verweisen auf die implizite Annahme der transzendenten Dimension einer unsichtbaren Wirklichkeit. Diese Annahme beruht unmittelbar auf einer intellektuellen und religiösen Überzeugung. M. kann daher im weitesten Sinn auch als Einbruch der Transzendenz in den kausalempirischen Bereich und als Aufstieg des empirischen Bereiches in die transzendente Dimension verstanden werden. „Somit ist Magie der undifferenzierte und angleichende Übergang des Unsichtbaren, Spirituellen und Verborgenen in den pragmatischen Machtbereich und Automatismus des täglichen Lebens oder aber der Versuch, ohne nähere Differenzierung die transzendente Realität im Interesse und zum Zweck des konkreten Lebens zu kontrollieren“ (Resch: Magie, Sp. 607).
Inhaltlich gesehen reicht die Magie bis in die früheste Menschheitsgeschichte zurück, da auch der Urmensch gezwungen war, sich zu seiner persönlichen Orientierung ein bestimmtes Weltbild zu schaffen und seine Sippschaft mit einer gewissen Ordnung zu versehen.
Sprachlich gesehen handelt es sich bei den
Magoi der Antike um persische Priester aus dem Stamm der Meder, welche Vorzeichen und Träume deuteten, bei Opfern mitwirkten oder einen speziellen Mysterienkult pflegten. Nach späteren Berichten sollen griechische Philosophen in direktem Umgang mit ihnen ihre Lehren studiert haben. Aristoteles bezeichnet sie als diejenigen, „die halb Dichter, halb Philosophen, alles Seiende aus einem obersten Prinzip ableiten“ (Met. 13,4, 1091 b 10).
In diesem umfassenden Sinn bekommt Magie eine enge Beziehung zur Religion, „sodass es zuweilen schwer ist zu unterscheiden, ob eine Handlung magisch oder religiös ist. Dies hat darin seinen Grund, dass einerseits die transzendente Realität der Magie oft weitgehend identisch ist mit der religiösen Erfahrung und der implizit angenommenen Verursachung magischer Handlungen, andererseits bedarf auch der religiöse Mensch, seiner Natur und Existenz entsprechend, greifbarer oder konkreter Zeichen, wie Kulte, Riten, Symbole, Gebete und spezielle Kenntnisse, um in eine Beziehung mit Gott und dem Göttlichen zu treten. Der wesentliche Unterschied zwischen Magie und Religion kann ganz allgemein darin gesehen werden, dass bei der Transzendenz der Religion die jeweilige transzendente Wesenheit in personaler Freiheit in die Empirie und den Lebensvollzug des Menschen einwirkt, auch auf Wunsch des Menschen, während in der Magie durch die magische Handlung die gewünschte Wirkung gleichsam erzwungen wird. In der Religion stehen Gott und Gnade im Mittelpunkt, in der Magie der Mensch und die von ihm gesetzte magische Handlung“ (Resch, Magie, Sp. 608).
Zur Eigenart der Magie gehört es, „daß sie nicht nur zur Erreichung greifbarer Ergebnisse durch automatisch wirksame Riten eingesetzt wird, sondern auch um letzte Einzelheiten des individuellen Lebens zu erreichen. Man unterscheidet daher zwischen offizieller, privater, schwarzer und weißer Magie. Von offizieller Magie ist dann die Rede, wenn öffentliche Ereignisse in Übereinstimmung mit einem magisch effektiven Ritual zur Durchführung kommen. Solche Feiern können von der Gemeinschaft oder durch einen offiziellen Priester, eine Priesterin, einen Magier oder Schamanen durchgeführt werden. Hierher gehören auch alle institutionellen Handlungen sowie jene allgemeinen Veranstaltungen und Informationen, die mehr oder weniger für öffentlich gehalten werden und denen eine besondere Wirkung zugeschrieben wird, wie die pseudoreligiösen Feiern, das Maskottchen bei Großveranstaltungen und das Horoskop in den Medien“ (Resch, Magie, Sp. 608).
Die private Magie wird im Gegensatz zur öffentlichen Magie „im geheimen Bereich eines Individuums oder von Gruppen, sei es zum ausschließlich privaten Gebrauch oder um andere zu schädigen, eingesetzt. Es kann zwar jeder private Magie ausüben, doch sofern es um geheimes Wissen geht, kommen spezielle Traditionen (Schulen oder Familien) zum Tragen, die sich zuweilen erst neu bilden, wobei inhaltlich, trotz der Vielzahl der in letzter Zeit entstandenen Gruppen und Grüppchen, keine wesentlich neuen Inhalte festzustellen sind“ (Resch, Magie, Sp. 609).
Von weißer und schwarzer Magie spricht man schließlich bei der Zielsetzung des magischen Inhaltes und der magischen Handlung. Weiße Magie besagt wohlwollende magische Einstellung und Beeinflussung, schwarze Magie hingegen böswillige und verneinende magische Einstellung bis hin zur verletzenden oder zerstörerischen magischen Handlung.
Sämtliche Formen magischer Handlung werden entweder durch Gesten, Berührung, Laut, Wort, Gesang, Beschwörung, Schrift, Zeichen, Mimik, Symbolhandlung, Symbolobjekte oder durch magische Medien und kraftgeladene Gegenstände vollzogen. Folgende magische Handlungen sind zu unterscheiden

a) Objektmagie
Die Objektmagie beruht auf der Annahme, dass der Teil dem Ganzen dient und dass dieser Teil (Menschenknochen, Haare, Fingernägel, aber auch Steine, Werkzeuge, Tiere, Fetische usw.) aufgrund seiner eigenen Kraftgeladenheit unmittelbare Wirkung zeitigt. Wer daher irgendetwas von einem anderen besitzt, hat Macht über ihn. Die Objektmagie kommt vor allem im Fetischismus, beim Schmuck, bei den Amuletten und Maskottchen zur Geltung.

b) Berührungsmagie
Magische Effekte werden auch durch Berühren kraftgeladener Gegenstände erzielt. Das können Steine, Pflanzen, Tiere usw. sein. Diese Kraftübertragungen können auch von Mensch zu Mensch erfolgen, was z.B. im Kannibalismus von Bedeutung ist. Bei speziellen Formen reicht die Berührungsmagie tief in den Symbolbereich hinein. So soll durch das Tragen eines Löwenzahn-Amuletts die Kraft des Löwen übertragen werden. Die ursprünglich völlig selbständige Kraft kann aber nicht nur übertragen, sondern auch zweckdienlich verwendet werden, z.B. als Opfergabe für die Vorfahren, wie etwa bei den Corumba in Westafrika.

c) Imitative Magie
Die imitative oder homöopathische Magie, auch sympathetische oder analoge Magie genannt, beruht auf dem Grundsatz, dass Gleiches Gleiches hervorbringt. So kann das Imitieren von Sturm und Donner und das Ausgießen von Wasser Regen hervorbringen. Ein Mensch kann durch den Anblick seines Bildes getötet werden. Die Gegenwart Gottes oder des Göttlichen kann man durch den Besitz eines Bildes erlangen. Im alten Ägypten wurden den Toten sog. Uschebtis, kleine Figuren, mit in das Grab gegeben, die dank dem Spruch, der auf ihnen geschrieben stand (Totenbuch, Kap. 6), für den Verstorbenen eintraten, falls er zur Arbeit gerufen wurde. Im Unterschied zur Kontaktmagie dient der imitativen Magie bereits ein Abbild. Hierauf beruht auch der Brauch der sog. Defixionspuppen, d.h. man stellt die Person mittels einer Puppe dar, auf die man magisch einwirken will, sei es, dass man sie durch Einschnüren der Freiheit beraubt oder durch Einstecken von Nadeln zu töten versucht.
Die imitative Magie dient jedoch nicht nur der Schadenszufügung, sondern auch der Lebensförderung. So gehören beispielsweise Fruchtbarkeits- und Wetterzauber zur imitativen Magie. Das hier zugrundeliegende Prinzip der Analogie, nämlich dass Gleiches Gleiches bewirke, wurde nicht nur zum Grundprinzip der Homöopathie, sondern weist ebenso auf die Beziehung von Mikrokosmos und Makrokosmos hin, in der eine Art von Parallelismus von Kräftewirkungen zum Ausdruck kommt.

d) Gnosiologische Magie
In der gnosiologischen oder die Erkenntnis betreffenden Magie wird der Effekt nicht mehr so sehr von der Durchführung objektbezogener oder sympathetisch-analoger Handlungen erwartet, sondern vielmehr von der Kenntnis der magischen Konstellationen in Verbindung mit dem Universum. In diesem Zusammenhang ist auch die Rede von passiver Magie. Es geht hierbei um das Setzen einer Handlung zur rechten Zeit (z.B. bei Vollmond oder Neumond) oder um das Ergründen, auf welche Weise die Gunst und der Segen der Götter zu erreichen sei. So kann selbst das Gebet, das religiösen Ursprungs ist, unter dem Einfluss des Automatismus ins Magische kippen, wenn man z.B. durch bestimmte Wiederholungen die Wirkung des Gebets zu steigern oder durch Kettenbriefe, äußere Verhaltensmuster oder spezielle Formulierungen eine besondere Wirkung zu erzielen glaubt.

Die neuen Formen der Magie erwachsen aus der sozialen und geistigen Unsicherheit angesichts der zunehmenden Weltoffenheit, der nicht mehr durchschaubaren Informationsflut, des Schwindens ideologischer Systeme, der Betonung der individuellen Freiheit, der Lösung religiöser Bindungen und der damit verbundenen individuellen Isolation. Aus dieser Individualisierung und dem sicheren Bewusstsein, dass weder Wissenschaft noch andere Institutionen das Ganze erfassen, entsteht die Sehnsucht nach dem umgreifend Bergenden ohne individuelle Verpflichtung und reflexive Hinterfragung, die in folgenden Formen der Magie zum Ausdruck kommt:

Magische Geborgenheit: Maskottchen als Schutzgeist; Ritual der Abwendung v. Schadenzauber; Einbindung der guten Geister der Natur sowie der Geistwesen aller Kulturen und Religionen im Sinn einer unverbindlichen ewigen Geborgenheit.
Magie der Gesundheit: Farben-, Edelstein-. Pflanzen-, Liebes-, Metall-Magie, Magie der Sinne, des Tantra (Tantrismus), der Musik, des Tanzes und des Mondes.

Magie der individuellen Machtstellung: Magie der Worte, der Schlagfertigkeit, des Erfolges, der Maske, der Manipulation des Zufalls und der Zukunft. Diese Mächtigkeit erfordert allerdings eine Überlegenheit des Wissens, die der persönliche Einstieg in die Welt der Geheimnisse vermitteln soll. Dem dienen die Magie der Zahlen, der Einsatz von Runen, die Befragung der Druiden, die Anwendung des Abramelin, die Weckung des magischen Bewusstseins bis hin zur Identifikation mit Gottheiten und Dämonen (Okkultismus).

Magischer Wunsch und magischer Fluch bzw. weiße und schwarze Magie. Der Glückwunsch gilt vornehmlich dem individuellen Wohl und dem Wohl der ichfördernden Umgebung. Der Fluch in Form von Verwünschung, Verhexung (Hexen, Hexenkulte), Auslieferung an den Teufel, magische Vernichtung usw. ist gegen alles Ich- oder Gruppenstörende gerichtet und nimmt in persönlichen Handlungen, in Gruppeninitiativen bis tief hinein in den Unterhaltungsbereich zuweilen lebensverachtende und lebensvernichtende Formen an.


So sind die neuen Formen der Magie u.a. durch Sehnsucht nach Geborgenheit und durch Ich- und Gruppenstärkung mittels Macht und Aggression gekennzeichnet, wozu man sich der verschiedensten magischen Handlungen bedient.
Magie findet sich schließlich in allen Kulturen und bei allen Völkern, wenngleich in verschiedenen konkreten Ausprägungen. Es ist daher völlig abwegig, Magie etwa als Vorstufe der Religion (J.G. Frazer), als Quelle der Religion (E. Durkheim) abzustempeln oder in evolutionistischer Betrachtung in Kategorien von primitiv und gebildet einzugliedern (E.B. Tylor). Magie bleibt über alle Kultur- und Entwicklungsbereiche hinweg die jeweilige Auseinandersetzung mit dem Unbekannten.
Die umfassendste Auseinandersetzung mit dem Unbekannten besteht zwischen
Magie und Religion, sodass zuweilen schwer zu unterscheiden ist, ob eine Handlung magisch oder religiös ist. Dies hat seinen Grund darin, dass die transzendente Realität der Magie zum einen oft weitgehend identisch ist mit dem Inhalt religiöser Erfahrung und mit der implizit angenommenen Verursachung magischer Handlungen. Zum andern bedarf auch der religiöse Mensch, seiner Natur und Existenz entsprechend, greifbarer und konkreter Zeichen (Kulte, Riten, Symbole, Gebete, spezielle Kenntnisse), um in eine Beziehung mit Gott und dem Göttlichen zu treten. Der wesentliche Unterschied zwischen Magie und Religion kann ganz allgemein darin gesehen werden, dass bei der Transzendenz der Religion die jeweilige transzendente Wesenheit in personaler Freiheit in die Empirie und den Lebensvollzug des Menschen einwirkt, auch auf persönlichen Wunsch des Menschen, während in der Magie die gewünschte Wirkung durch die magische Handlung gleichsam erzwungen wird. In der Religion stehen Gott und Gnade im Mittelpunkt, in der Magie der Mensch und die von ihm gesetzte magische Handlung. Bei der Beurteilung von Magie muss daher zwischen dem Suchen nach einem Weltbild und Zauberei oder Betrügerei unterschieden werden.

Lit.: Frazer, J.G.: The Golden Bough. I. The Magic Art. London, 1913; Tylor, E.B.: Primitive Culture. London, 5. Aufl. 1913; Durkheim, Émile: Les formes élémentaires de la vie religieuse. Paris, 3. Aufl. 1937; King, Francis: Magie: eine Bilddokumentation. Frankfurt a.M.: Umschau, 1976; Lurker, Manfred: Lexikon der Götter und Dämonen. Stuttgart: Kröner, 2. Aufl. 1989; Luck, Georg: Magie und andere Geheimlehren in der Antike. Stuttgart: Kröner, 1990; Resch, Andreas: Magie, in: H. Gasper et al. (Hrsg.): Lexikon der Sekten, Sondergruppen und Weltanschauungen. Freiburg: Herder, 1990, Sp. 607, 608, 609; Habiger-Tuczay, Christa: Magie und Magier im Mittelalter. München: Diederichs, 1992; Resch, Andreas: Aspekte der Paranormologie: die Welt des Außergewöhnlichen (Imago Mundi; 13). Innsbruck: Resch, 1992, S. 55; Kieckhefer, Richard: Magie im Mittelalter. München: Beck, 1992.
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