Kabbala

Auch Kabbalah („das Überlieferte“), mystische Tradition des Judentums, bezeichnet sowohl bestimmte („kabbalistische“) überlieferte Lehren als auch bestimmte überlieferte Schriften. Sie steht in einer jahrhundertelangen mündlichen Überlieferung mit den Wurzeln im Tanach, der Heiligen Schrift des Judentums.
Die Basis kabbalistischer Traditionen ist die Suche des Menschen nach einer unmittelbaren Gotteserfahrung. Es gibt dabei verschiedene kabbalistische Schriften und Schulen, doch keine allgemeingültige kabbalistische Lehre. Die schriftliche Überlieferung ist reichhaltig und gegensätzlich wie etwa die ekstatische und die theosopische Richtung in der älteren Kabbala. Als bedeutendstes Schriftwerk der K. gilt der Zohar, häufig auch Sohar, ein pseudoepigraphisches Werk aus der theosophischen Richtung der älteren Kabbala. Der Name bedeutet „(strahlender) Glanz“ und geht zurück auf biblische Texte bei den Propheten Ezechiel (Ez 1,28; 8,2) und Daniel (Dan 2,31; 12,3).
Die schriftliche Überlieferung der K. enthält auch gnostische, neuplatonische und christliche Elemente. Mit Beginn des 14. Jahrhunderts setzte sich die Bezeichnung K. gegenüber anderen damals gebräuchlichen Begriffen, die eine ähnliche Bedeutung hatten, durch. Seit Giovanni Pico della Mirandola (1463-1494) wird die K. auch in nichtjüdischen Kreisen fortgeführt, wie etwa in Christlicher Kabbala und Hermetischer Kabbala.
In dieser Vielschichtigkeit der K. lassen sich folgende übergreifende Vorstellungen ausmachen:
Entsprechungen von Oben und Unten: Gott hat alles,was er im Universum geschaffen hat, auch am Menschen geschaffen. Dies zeigt sich in den wechselseitigen Entsprechungen von Oben und Unten, worin sich der kabbalistische Grundgedanke von Mikro- und Makrokosmos verdeutlicht. Die ganze „untere“ Welt wurde nach dem Vorbild der „oberen“ gemacht und jeder Mensch an sich ist ein Universum im Kleinen.
Der Weltenbaum: Die zehn Sephiroth, die göttlichen Urpotenzen, durchragen in Form des kabbalistischen Weltenbaumes alle Ebenen des Seins. Der Weltenbaum mit dem darin verbundenen Menschen stellt den verkörperten Organismus des Universums dar. Diese elementare Verflechtung des Menschen in ein göttliches Universalsystem verdeutlicht nach kabbalistischer Ansicht auch das gegenseitige Beeinflussungspotential der göttlichen und menschlichen Ebene. Der Mensch steht unter dem ganzheitlichen Einfluss universaler Kräfte, die er jedoch duch die kabbalistische Wortmagie beeinflussen kann, in der das Aussprechen von Worten eine unmittelbare Einflussnahme auf das damit Bezeichnete nach sich ziehen soll.
Überwindung des gewohnten Alltags-Ich: Hier geht es um den bewussten und selbst gesteuerten Übergang in eine Ekstase, um die Beschränkungen des gewohnten Alltags-Ich zu transzendieren. Stufen der Weisheit: Nach jüdischer Tradition gelangten nur vier Weise zu Lebzeiten ins Paradies und von diesen kehrte allein Rabbi Akiba unversehrt zurück. Den meisten gelingen nur ein paar Tritte auf der Himmelsleiter oder das Öffnen einiger weniger Tore. Dabei behalten alle Suchenden ihre besonderen erlangten Fähigkeiten und sollen diese nach außerbiblischer Tradition sogar vererben können.
Ab dem ersten vorchristlichen Jahrhundert war die Merkaba-Literatur eine mystische Strömung innerhalb des Judentums. Im dritten Jh. n. Chr. entstand das magisch-mystische Buch Sefer ha-Razim und gegen Ende der talmudischen Zeit das vorkabbalistische Sefer Jetzira, das die Lehre der Sephiroth (Sphären, Ziffern) entwirft.
Die eigentlichen Anfänge der Kabbala liegen in Südfrankreich, wo Geheimlehren angeblich ältester Tradition aufgezeichnet wurden. Das erste Buch, das einen kabbalistischen Text enthält, ist das Sefer ha-Bahir, das gegen 1180 fertig redigiert war und lange Zeit Hauptgrundlage der danach allmählich verschriftlichten kabbalistischen Geheimlehre bildete.
Die klassische Kabbala verbreitete sich dann gegen Ende 1300 von Nordspanien aus vor allem durch die Werke des Josef ben Abraham Josef Gikatilla und durch die (teilweise anonymen und pseudepigraphischen) Schriften des Mose ben Samuel de Leon.
Im hohen Mittelalter waren die Zentren kabbalistischer Bewegungen der Deutsche Chassidismus im Rheinland (12./13. Jh.), der das Werk Sefer Chassidim herausbrachte. In Spanien entfaltete sich die sog. „Prophetische Kabbala“, deren bedeutendste Vertreter Abraham Abulafia und Josef Gikatilla waren. Aus der Tradition des spanischen Judentums entstand gegen Ende des 13. Jahrhunderts die bedeutendste kabbalistische Schrift überhaupt: der Zohar (hebr. Sefer ha Zohar, Das Buch des Glanzes). Als Autor seines Hauptteils gilt der spanische Kabbalist Mosche de Leon.
Nach der Verfolgung und Vertreibung der Juden aus Spanien 1492 wurde Safed in Galiläa zum Zentrum kabbalistischer Lehre. Hier wirkte vor allem Isaak Luria (1534-1572), der wesentliche Beiträge zur kabbalistischen Auffassung von der Schöpfung der Welt entwickelte. Dazu gehören auch Vorstellungen einer Lehre über die Seelenwanderung.
Im 15. Jh. eigneten sich auch Christen kabbalistische Lehren an. Giovanni Pico della Mirandola gilt als erster Vertreter der christlichen Kabbala.
Die in Safed entstandene Kabbala des Isaak Luria (lurianische Kabbala) gewann erheblichen Einfluss. Viele Elemente dieser Lehre wurden auch im osteuropäischen Chassidismus des 17. und 18. Jahrhunderts wirksam.
Im 18./19. Jahrhundert entstand die hermetische Kabbala, eine Form mit Wurzeln in der Gnosis, dem Neuplatonismus, der Hermetik sowie der christlichen Kabbala.
Im 19. und 20. Jahrhundert erschienen mehrere Werke des französischen Okkultisten Éliphas Lévi, der kabbalistische Lehren und die Werke anderer Autoren verfälschte, während sich Arthur Edward Waite um eine korrekte Darstellung der Kabbala bemühte. Da er jedoch des Hebräischen und Aramäischen nicht mächtig war, übernahm er in sein Werk The Secret Doctrine in Israel Fehler aus Jean de Paulys verfälschter Zohar-Übersetzung.
Im 20. Jh. gilt Gershom Scholem als Wiederentdecker der Kabbala.
In den 1960er bis 1970er-Jahren gründete Philip Berg das erste Kabbalah Centre und begann, die Lehre, die traditionell nur männlichen Juden über 40 zugänglich war, auch Frauen und Nichtjuden anzubieten. Bergs New Age-Version der Kabbala, die unter Prominenten wie Ashton Kutcher, Madonna oder Britney Spears populär ist, wird auch als „Hollywood-Kabbala“ bezeichnet.

Lit.: Scholem, Gershom: Jewish Gnosticism, Merkabah Mysticism and Talmudic Tradition. New York: The Jewish Theological Seminary of America, 1960; ders.: Von der mystischen Gestalt der Gottheit. Studien zu Grundbegriffen der Kabbala. Zürich: Rhein-Verlag, 1962; Maier, Johann: Die Kabbala: Einführung klassische Texte Erläuterungen. München: Beck, 1995; Matt, C. (Hrsg.): Das Herz der Kabbala. Jüdische Mystik aus zwei Jahrtausenden. Berlin: O.W. Barth, 1996; Laitman, Michael (Hrsg.): Lehrbuch der Kabbala. Grundlagentexte zur Vorbereitung auf das Studium der authentischen Kabbala. Kamphausen: Edition Laitman Kabbala, 22012.

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