Johannes Cassianus

Auch Johannes von Massilia (* um 360 vielleicht in der Provinz Scythia Minor (Dobrudscha)?; † um 435 Marseille), christlicher Priester, Mönch („Wüstenvater“), Abt und Schriftsteller. Fest: 23. Juli nach römisch-katholischer Ordnung, 28./29. Februar nach orthodoxer Ordnung.
J. stammte aus einer wohlhabenden Familie und genoss eine umfassende klassische Bildung mit Erlernen der griechischen Sprache. Als junger Mann pilgerte er nach Palästina, wo er um 378 mit seinem Freund Germanus in Bethlehem in das Kloster eintrat. Von dort zogen die beiden nach Ägypten, um bei den Mönchen in der ägyptischen Wüste das Koinobitentum kennenzulernen. 387 kehrten sie wieder in ihr Kloster nach Bethlehem zurück. 399 begaben sie sich mit Erlaubnis abermals nach Ägypten, wo sie sogleich vor dem Patriarchen in Alexandria, Theophilus, zu Chrysostomos in Konstantinopel flohen, der 399 Germanus zum Priester und J. zum Diakon weihte. Um 405 ging J. mit einer Delegation, der auch Palladios von Helenopolis angehörte, nach Rom, wo er zum Priester geweiht und Freund des späteren Papstes Leo I. wurde.
415 gründete J. bei Marseille das Männerkloster Sankt Viktor (Abbaye Saint Victor de Marseille) und das Frauenkloster Sankt Salvator (Abbaye Saint-Sauveur). Nach langem Aufenthalt in Südgallien, der von schriftstellerischer Tätigkeit geprägt war, starb er dort, als Heiliger verehrt, um 435.
Neben seelsorglicher Arbeit widmete sich J. auch dem Schreiben. Um 420 verfasste er De institutis coenobiorum et de octo principalibus vitiis („Über die Grundsätze der Koinobiten und die acht Hauptlaster“), worin er vom ägyptischen Klosterleben berichtete und die Achtlasterlehre des Evagrios Pontikos auslegte: Unmäßigkeit, Unkeuschheit, Habsucht, Zorn, Traurigkeit, Überdruss, Ruhmsucht, Hochmut sie finden sich später als Kapitalsünden wieder. Um 426 bis 428 verfasste er die Collationes (Conlationes) patrum („Unterredungen mit den Vätern“), in denen er seine Erfahrungen mit den Mönchen in der ägyptischen Wüste in Form von Gesprächen wiedergab. In der siebenten Unterredung erörtert der ägyptische Abt Serenus die Macht der Dämonen, die zwar in den Körper des Menschen eindringen und den Zustand der Besessenheit hervorrufen könnten. Die Seele selbst aber sei vor ihren Angriffen geschützt. Würde ein Mensch je einen Dämon in körperlicher Gestalt erblicken, so würde ihn allein schon der Anblick des hässlichen Äußeren töten.
Mit den Collationes machte J. die Lebens- und Glaubensweisheiten der ägyptischen Mönche im Westen des Römischen Reiches bekannt. In Buch XIII. kritisierte er die Gnadenlehre des Augustinus (354-430) und löste damit den bis zur Synode von Orange 529 andauernden Semipelagianismusstreit aus, in dem Augustinus 428/429 mit zwei Schriften, De praedestinatione sanctorum und De dono perseverantiae, reagierte.
Auf Bitte des späteren Papstes Leo I. verfasste J. um 430 De incarnatione Christi contra Nestorium („Über die Fleischwerdung Christi, gegen Nestorius“) eine Schrift, mit der er der Christologie des Nestorianismus entgegentrat, die auf dem Konzil von Ephesos verurteilt wurde. Papst Leo I. konnte sich so mit seinem Tomus Leonis in die christologischen Streitigkeiten einschalten.
J. war nach Martin von Tours (316/317-397) und Honoratus von Arles (2. Hälfte 4. Jh. bis 430) einer der ersten Klostergründer im Westen des Römischen Reiches. Durch ihn wurde das Ruhegebet, eine frühchristliche Form der Meditation, in der Westkirche bekannt und dann vor allem durch den Benediktinerorden in der lateinischen Kirche verbreitet. Auf J. geht auch die Lehre vom vierfachen Schriftsinn zurück, die für die katholische Bibelexegese bis in die Neuzeit maßgebliche Bedeutung erlangte.

Lit.: Petschenig, Michael (Hrsg.): De institutis coenobiorum; De incarnatione contra Nestorium (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum [CSEL] 17). Editio altera supplementis aucta curante Gottfried Kreuz. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2004; ders. (Hrsg.): Collationes XXIIII (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum [CSEL] 13). Editio altera supplementis aucta curante Gottfried Kreuz. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2004; Unterredungen mit den Vätern – Collationes Patrum, Teil 1: Collationes I-X, übersetzt und erläutert von Gabriele Ziegler (Quellen der Spiritualität, Bd. 5). Münsterschwarzach: Vier-Türme-Verlag, 2011; Unterredungen mit den Vätern – Collationes Patrum, Teil 2: Collationes XI-XVII, übers. u. erl. von Gabriele Ziegler (Quellen der Spiritualität, Bd. 9). Münsterschwarzach: Vier-Türme-Verlag, 2014.
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