Drusenheimer Gesicht

Doppelgängerlebnis von Johann Wolfgang von Goethe.
Als Goethe in Straßburg Jus studierte, lernte er am 10./13. Oktober 1770 Friederike Brion (1752-1813), die bildhübsche Tochter des Dorfpfarrers von Sesenheim, kennen und verliebte sich so sehr in das Mädchen, dass Sesenheim für die nächste Zeit zu seinem „Mittelpunkt der Erde“ wurde. Goethe begann wieder zu dichten. Im Frühjahr 1771 entstanden die „Sesenheimer Lieder“, die den Beginn des „Sturm und Drang“ ankündigten und den Ruf Goethes als Lyriker begründeten. Doch die Liaison dauerte nicht lange. Der lebenslang von Bindungsängsten geplagte Goethe löste das Verhältnis um den 7. August 1771 wieder. Beim Abschied von Friederike hatte er ein Doppelgänger-Erlebnis, das sog.
Drusenheimer Gesicht:

„Als ich ihr (Friederike) die Hand noch vom Pferde reichte, standen ihr die Tränen in den Augen, und mir war sehr übel zu Mute. Nun ritt ich auf dem Fußpfade gegen Drusenheim, und da überfiel mich eine der sonderbarsten Ahndungen. Ich sah nämlich, nicht mit den Augen des Leibes, sondern des Geistes, mich mir selbst, denselben Weg, zu Pferde wieder entgegen kommen, und zwar in einem Kleide wie ich es nie getragen: es war hechtgrau mit etwas Gold. Sobald ich mich aus diesem Traum aufschüttelte, war die Gestalt ganz hinweg. Sonderbar ist es jedoch, dass ich nach acht Jahren in dem Kleide, das mir geträumt hatte, und das ich nicht aus Wahl, sondern aus Zufall gerade trug, mich auf demselben Wege fand, um Friederiken noch einmal zu besuchen. Es mag sich übrigens mit diesen Dingen, wie es will, verhalten, das wunderliche Trugbild gab mir in jenen Augenblicken des Scheidens einige Beruhigung. Der Schmerz das herrliche Elsaß, mit allem was ich darin erworben, auf immer zu verlassen, war gemildert, und ich fand mich, dem Taumel des Lebewohls endlich entflohn, auf einer friedlichen und erheiternden Reise so ziemlich wieder“ (Goethe, Aus meinem Leben, Dichtung und Wahrheit, 3. Teil, 11. Buch. MA, Bd. 16, 532-535).

Friederike litt schwer unter der Trennung und blieb bis an ihr Lebensende unverheiratet.
Als Goethe rund acht Jahre später, am 25./26. September 1779, Friederike ein letztes Mal sah, bestätigte sich seine Vision.
Die Veröffentlichung der Liebesgeschichte in Goethes
Dichtung und Wahrheit 1812/14 hat Friederike nicht mehr erlebt. Auch Franz Lehárs Operette Friederike basiert auf dieser Liebesbeziehung.

Lit.: Wenzel, Thomas: Metzler-Goethe-Lexikon. Benedikt Jeßing (Hrsg.). Stuttgart [u.a.]: Metzler, 1999; Matthes, Christa: Friederike Brion von Sesenheim. Goethes Jugendliebe. Versuch einer Darstellung. Dresden: Eigenverlag, 2007.
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