Dionysos-Kult

Kultische Verehrung des Gottes Dionysos. Der Kult vollzog sich vor allem in den zyklischen Festen zum Kommen und Verschwinden des Gottes, den „großen“ Dionysien im März und den „kleinen“ Dionysien im Dezember.
Bei den Dionysien im März feierte man die Üppigkeit des Wachstums, die Zaubermacht der Weinrebe, welche die Menschen mit dem Unendlichen vermähle. Es ist die Welt des Urweiblichen, des Nährens und Pflegens. So nahmen die dionysischen Frauen junge Tiere der Wildnis an die Mutterbrust und umwanden sich mit Schlangen. Sobald sie der Geist des Dionysos erfasste, war ihnen die ganze Natur zugetan wie eine liebende Mutter. Dionysos erschien dabei als phallisches Symbol der männlich zeugenden Wachstumskraft. So durfte der Phallus in keinem dionysischen Aufzug fehlen. Um den Frauenreigen schwärmten die brünstigen Gesellen, die Satyrn und Silene.
Zur Nachtzeit wurden die Orgien auf einsamen Berghöhen bei düsterem Fackelschein begangen. In dieser rohen Form wurden die geheimen Feiern indes nur in wenigen griechischen Gauen abgehalten. Mit der zunehmenden Entartung der hauptstädtischen Bevölkerung trat das sittlich-religiöse Element des D. umso mehr in den Hintergrund als die Ausschweifung die Oberhand erlangte. Die geheimen Bakchosfeste (Dionysiosfeste) wurden zu regelrechten Orgien. Bei den Römern erfreuten sich diese solcher Beliebtheit, dass die Zahl der Eingeweihten unglaubliche Höhen erreichte. Als 186 v. Chr. die römische Staatshörde Kenntnis von dem ungeheuren Abgrund erfuhr, vor dem die damalige Kulturwelt stand, wurden an die 7.000 Personen einer Untersuchung unterzogen und größtenteils zum Tod verurteilt. Die Mysterien wurden vom Senat aufgehoben.
Das aus dem D. entstandene Theater hat seine Wurzeln hingegen weniger im orgiastischen Kult mit den nächtlichen Orgien voller Rausch und Gewalt als vielmehr in den Chorgesängen, den sog. Bocksgesängen, in denen Dionysos gepriesen wurde.
Der griechische Sänger und Dichter Arion revolutionierte im 7. Jh. v. Chr. die Gesänge mit der Schaffung des Dithyrambos, eines Hymnus zu Ehren des Gottes Dionysos, durch das versweise Vortragen der Satyrn. Peisistratos übernahm diese Neuerungen, als er den D. zum offiziellen Staatskult erheben ließ. 534 wurde der Dichter Thespis mit der Ausrichtung der städtischen Dionysien beauftragt. Er führte das Wechselspiel von Einzeldarstellern und Chor ein und legte so die Grundform der griechischen Tragödie.
Auch Aristoteles schreibt in seinem Werk Poetik, dass sich die Tragödie aus dem Dithyrambos, die Komödie hingegen aus dem Phalloslied der Dionysos-Anhänger entwickelt habe.

Lit.: Döllinger, Ignaz von: Heidentum und Judentum: Vorhalle zur Geschichte des Christentums. Unveränd. Nachdr., Regensburg 1857, Frankfurt: Minerva, 1968; Burkert, Walter: Antike Mysterien: Funktionen und Gehalt. München: Beck, 1991; Aristoteles: Poetik. Berlin: Akademie-Verl., 2009.
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