Dämon, Dämonen

Griech. daimon, daimonion, wahrscheinlich von daiomai, teilen, zerteilen bzw. zuteilen, nämlich die Leiber der Verstorbenen durch den Totengott oder das Gute und Böse durch Geister. Der Volksglaube aller Zeiten kannte Geister, verschieden in Qualität, Rang und Macht, meistens in Form von Schadensgeistern.

Antike
In der Antike finden sich vor allem im iranisch-persischen und sumerischen Denken Dämonenvorstellungen, die speziell in der babylonisch-assyrischen Welt zum Ausdruck kommen. Besonders bekannt aufgrund der zahlreichen Schriftquellen ist die Dämonologie der Babylonier. Sie stellt aber den Stand einer Entwicklung dar, die bereits bei den Sumerern begann. Einer guten Götter- und Geisterwelt stehen böse und vernichtende gegenüber. Die D. sind tierisch-menschliche Mischwesen beiderlei Geschlechts oder werden als Geister unbestatteter Toter verstanden. Beschwörungsriten gegen die Dämonen wurden von den Babyloniern in Kompendien gesammelt.

Ägypten kannte keinen eigenen zusammenfassenden Namen für Dämonen, sondern stellte diese unter den Allgemeinbegriff der Götter. Abseits der guten überwiegen jedoch die bösen Mächte, die ihr Unwesen im Dunkeln treiben und Krankheit, Unheil bzw. ewigen Tod bringen können. Eine besondere Rolle spielen sie im Totenglauben.

In der altindischen Mythologie und im altindischen Volksglauben gibt es zahlreiche Geistwesen, welche die Schattenwelt und das Böse symbolisieren, wie die > Asuras, > Bhuta, > Daitya, > Dakini, > Putana, > Preta, > Pisakas, > Rakshasa, > Yaksha und die Göttin > Kali (die Schwarze), die die weibliche Seite des Gottes > Shiva darstellt.

In China kennt die Dämonologie des Taoismus zwei Hauptgruppen von Dämonen, deren Wesen von den kosmischen Kräften > Yang (das Männliche, Gute, der Himmel) und > Yin (das Weibliche, Böse, Dunkle, die Erde) bestimmt wird. Hinzu kommen die > Kuei, die bösen D., die Seelen der Toten, die nicht begraben wurden, und die Seele (po), die im toten Körper bleibt und als grauenhafte Gestalt in Erscheinung tritt. Die volkstümliche Dämonologie kennt noch eine Fülle weiterer D.

Nach der Mythologie des Schintoismus in Japan, die bis zur Vorherrschaft des Buddhismus ab 500 n. Chr. bestimmend war, ging die Welt aus einem Chaos hervor, in dem die bösen Geister dominierten. Nach der Ordnung des Chaos als Welt blieben nur noch einige böse Götter bzw. D. übrig: der Sturmgott > Susanoo, der gegen die Sonne kämpft; die Flussgeister > Kappa; die Vulkan- und Donnergötter > Ika Tschuchi, die Krankheiten verursachen, und > Kagutsuchi, der das Feuer symbolisiert.

Auch die griechische Mythologie sieht in den D. Wesen zwischen Göttern und Menschen. Zwar bezeichnet > Homer mit D. das Göttliche, doch versteht er darunter weniger den individuellen Gott als die geheimnisvolle göttliche Macht. Platon nennt die D. Dolmetscher und Fährleute (Symp. 202e). Die verinnerlichte Form eines solchen Schutzgeistes ist das > Daimonion des Sokrates als innere Stimme, die ihn vor schlechten Handlungen warnt.

Bei Sokrates und Platon ist D. nämlich die Stimme, die nicht dazu anhält, etwas zu tun, sondern davon abhält. Für Heraklit (VS 22 B 119) ist der D. des Menschen seine Verantwortung und somit der Anteil, den der Mensch durch seine Geistseele am Göttlichen hat. Neben diesen positiven Vorstellungen nimmt ab Xenokrates der negative Aspekt immer mehr an Bedeutung zu, weil in der Spätantike dualistische Tendenzen jede Verstrickung ins Materielle als Übel hinstellten.

In der jüdischen Überlieferung spielten Dämonen eine untergeordnete Rolle, waren jedoch in der Volksfrömmigkeit so tief verwurzelt, dass sie nicht ohne Einfluss auf den Jahwe-Glauben blieben, wenngleich die Anerkennung anderer Mächte dem Alleinigkeitsanspruch Jahwes strikt widersprach (Ex. 20, 4ff; Dtn 18,10ff). Vereinzelt ist allerdings auch eine Gleichsetzung zwischen Göttern und Dämonen erkennbar (Dtn 32,17; Ps 96,5). Besonders nach dem Exil treten D. als Gehilfen Satans ins Bewusstsein und die Gegenüberstellung von Dämonen und Engeln als Schläger bzw. als Helfer des Menschen (Tob 6,8 u. 8,3) kommt in der Erzählung vom Engelfall zur Entfaltung (äthiopisches Henochbuch 6-16). In den Midraschim und vor allem im babylonischen Talmud werden zahlreiche Dämonenklassen genannt. Die wichtigsten Dämonen sind: > Asasel, > Lilith, > Naama, < Usail.

Auch im Neuen Testament gibt es viele Bezeichnungen für D. Neben Daimonion überwiegen die negativen Attribute von > Pneuma (unreiner, böser Geist). Die D. verursachen Krankheiten, Irrlehren und unterstehen dem Satan, dem Fürsten der D. (Mk 3,22; Mt 9,34). Von besonderer Wichtigkeit ist daher die Unterscheidung der Geister. „Ein Geist, der Jesus nicht anerkennt, ist nicht aus Gott“ (Joh 1,4-6). Die Kirchenväter verstehen die D. als gefallene, einstmals göttliche Engel. Nach > Augustinus vollzog sich der Sturz der Engel am Beginn der Schöpfung bei der Scheidung von Licht und Finsternis und setzte den Anfang der beiden feindlichen Reiche, der civitas Dei (Gottesreich) und der civitas diavoli (Dämonenreich).

Im Islam werden neben den Engeln die > Schaitan (Satane), die > Iblis und die > Dschinn genannt, die zu den guten Dämonen zählen, solange sie sich für Allah entscheiden. Dabei sind Dschinn, Schaitan und Iblis vorislamisch. Die Dschinnen wurden aus dem Feuer geschaffen, können mit den Menschen verkehren und gelten, sofern sie böse sind, als Teufel (shayatin).

Mittelalter
Beschreibungen von Funktion und Wirksamkeit der D. finden wir für die Spätantike in den Collationes Gratiani und für Byzanz in den Werken des Michael Psellos. Etwa ein Jahrhundert später erstand der Dialogus miraculorum des Cäsarius von Heisterbach (1170-1240).

In der theologischen Diskussion des Mittelalters war man sich darüber einig, dass die D. die Geistseele des Menschen und seine Freiheit nicht besetzen können. Sie können aber die Sinnesvorstellungen und Strebungen des Menschen infizieren und ihn auf diese Weise manipulieren (vgl. Thomas von Aquin S.th.I q.64). Das IV. Laterankonzil (11.-30. Nov. 1215) erklärte, dass es von Anfang an kein Böses gebe, alles Böse sei als Folge der Freiheit entstanden und sei endlich und zeitlich. „Der Teufel nämlich und die anderen Dämonen wurden zwar von Gott ihrer Natur nach gut geschaffen, wurden aber selbst durch sich böse“ (Enchiridion Symbolorum, 800).

Neuzeit
In der Reformation steigerte sich Luther zwar nicht wie Melanchthon in astrologische Spekulationen hinein, sprach aber selbst von Erfahrungen des Diabolischen in seinem eigenen Leben. Auch Calvin blieb im Rahmen der Tradition, dass Satan und seine Dämonen durch eigene Verderbtheit aus ihrem ursprünglichen Stand fielen (Inst.I., 14-18).

Den Höhepunkt erreichte der Dämonenglaube während der Hexenverfolgung des 16. und 17. Jhs. in Europa und Amerika, angereichert mit dämonologischen Vorstellungen der > Kabbala. Ausführliche Beschreibungen finden sich bei Pierre Le Loyer (1550-1634), in der „Pseudo-Monarchia“ des Johannes > Weyer und im Malleus Maleficarum von Heinrich > Kramer. Weitere Beschreibungen besorgten die Hexenverfolger > Bodin, > Binsfeld, > Delrio, > Guazzo, > De Lancre und > Remy. In England veröffentlichte Jakob I. (1603-1625) eine > Daemonologia (1604) und der Puritanismus mit John > Miltons Paradise Lost (1667) misst Satan steigende Bedeutung zu.

Mit der Aufklärung wird die Rede von Teufel und Dämonen einerseits als rein kulturbedingt gedeutet. Auch viele Theologen sind seither darauf bedacht, das christliche Teufelsverständnis zu entmythologisieren. Man spricht in diesem Zusammenhang von Spaltpersönlichkeiten, Verdrängungen, Geisteskrankheit, Depressionen, Schizophrenie, Neurosen, Psychosen und Epilepsie.

Gegenwart
Trotz der seit der Aufklärung erfolgten theoretischen Entmythologisierung hat der Dämonenglaube auch in der Gegenwart seinen Stellenwert, wie die Beschreibungen in der Mystik von Josef von > Görres, Egon von > Petersdorff, Corrado > Balducci und zahlreiche populäre Veröffentlichungen zeigen. Außerdem hat in letzter Zeit aufgrund der gesellschaftlichen Unsicherheit das Empfinden, besessen zu sein, in den vielfältigsten Formen zugenommen, worauf allein schon die steigende Zahl der > Exorzisten in allen Gesellschafts- und Kulturbereichen verweist. Der > Exorzismus als Befreiung, Schutz und Abwehr ist weiterhin gefragt.

Lit.: Kaupel, Heinrich: Die Dämonen im Alten Testament. Augsburg: Dr. Benno Filser Verlag GmbH, 1930; Götter und Dämonen: Mythen der Völker. Darmstadt: Holle Verlag GmbH, 1953; Schmaus, Michael: Engel und Dämonen. Wiesbaden: Credo-Verlag, 1955. Petersdorff, Egon von: Dämonologie: I-II. München: Verlag f. Kultur u. Geschichte, 1956-1957; Müller-Sternberg, Robert: Die Dämonen. Wesen und Wirkung eines Urphänomens. Bremen: Carl Schünemann, 1964; Van Dam, W[illem] C[ornelis]: Dämonen und Besessene. Aschaffenburg: Paul Pattloch, 1970; Horst, Georg Conrad: Zauber-Bibliothek. Mainz, 1821-1826/Freiburg i.Br.: Aurum Verlag, 1979; Dostojewskij, Fjodor M.: Die Dämonen. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1979; Biedermann, Hans: Dämonen, Geister, dunkle Götter. Graz/Stuttgart: Leopold Stocker, 1989; Balducci, Corrado: Il diavolo. Casala Monferrato: Piemme, 1989Goodman, Felicitas D.: Ekstase, Besessenheit, Dämonen. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, 1991; Mode, Heinz: Fabeltiere und Dämonen. Leipzig: Koehler & Amelang, 2005.

 

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