Chassidismus

(Hebr. chasid, der Fromme), allgem. Bezeichn. verschiedener Frömmigkeitsbewegungen mit volkstümlichem und zugleich mystischem und esoterischem Charakter im Judentum. In geschichtlicher Abfolge werden folgende Gruppen genannt:
1.  Die Chassidäer, die „Frommen“, mit einer besonders strengen Treue zur Tora im 2. Jh. v.  Chr., die gegen den hellenistischen Einfluss kämpften. Aus ihnen gingen die Makkabäer hervor. „Damals gingen viele von ihnen, die Recht und Gerechtigkeit suchten, in die Wüste hinunter, um dort zu leben… Damals schloss sich ihnen auch die Gemeinschaft der Hasidäer an, das waren tapfere Männer aus Israel, die alle dem Gesetz ergeben waren“ (1 Makk 2,29ff., 42). Sie gelten als die Vorläufer der Pharisäer.
2.  Der aschkenasische C. (die Frommen aus Aschkenas) im 12.-13. Jh. in Deutschland und Frankreich, als jüdisches Parallelphänomen zur deutschen Mystik, gekennzeichnet von Weltflucht und Gelassenheit. Die wichtigsten Vertreter sind Samuel der Chassid († 1217) von Speyer, Juda der Chassid († 1217) von Regensburg sowie Eleaser ben Juda († ca. 1230) von Worms, dem die Niederschrift und Bearbeitung der älteren Traditionen zu verdanken sind: Ihr Hauptwerk war das Buch der Frommen (Sephar ha Chassidim). Sie betonten eine strenge Transzendenz und Einheit Gottes. Als Vermittler diente der geschaffene „Kabod“ (Herrlichkeit). Buchstaben und Zahlensymbolik (> Gematrie) führten zu einer entsprechenden Meditationspraxis. Im späten Mittelalter wirkte der aschkenasische C., verbunden mit magisch-volkstümlichen Vorstellungen und teilweise spekulativ mit der Kabbala verschmolzen, vor allem in der populären Erbauungsliteratur nach.
3.  Der religiös-mystischen Bewegung im Ostjudentum, die von Israel Ben Elieser (> Baal-Schem-Tov, abgek. Bescht, 1698-1760) gegründet wurde, ging es, im Gegensatz zum deutschen C. mit Gesetzeseifer, Askese und Gottesfurcht, um eine liebevolle Haltung zur Schöpfung und eine Gottverbundenheit im alltäglichen Leben. Gott ist in jedem Ding zu schauen und durch jede reine Tat zu erreichen. Kein Ding kann ohne einen göttlichen Funken in sich bestehen. Die Aufgabe der Chassidim, die auch Zaddikim (Gerechte) genannt wurden, ist es, diesen Funken durch jede Handlung zu entdecken und Vermittler zwischen Gott und Mensch zu sein. Die Quelle dieser Lehre ist die kabbalistische Mystik von Isaak > Lurja (> Kabbala), ohne sich deshalb für ausgefeilte Kosmologien zu interessieren. Es ging hier nicht um Theorie, sondern um die emotionale Erfahrung der Gottesanschauung. Gott und Welt sind eng miteinander verbunden und beeinflussen sich gegenseitig. Die Natur ist das Gewand der Gottheit, das sie den Augen des Menschen entzieht, obwohl sie stets inmitten ihrer Schöpfung weilt. Wer die höchste chassidische Frömmigkeit erreicht, gilt als Heiliger, da er den Schleier durchbrechen und Gott schauen kann.
Der C. im Ostjudentum entstand in sozialen Problemschichten Osteuropas und blieb, abgesehen von ausgewanderten chassidischen Gruppen in den USA und Palästina, auf Osteuropa, Polen, die Ukraine, Weißrussland, Russland und Österreich-Ungarn beschränkt. Das orthodoxe Judentum stand dem C. ablehnend gegenüber. Als Vertreter und Vermittler fungierten vor allem Martin > Buber (1878-1965) und Friedrich Weinreb (1910-1988). Heute zählt der C. zum orthodoxen Judentum, mit dem er die kompromisslose Abwehr von Aufklärung und Emanzipation teilt. Durch den Nationalsozialismus wurde der C. in Osteuropa völlig ausgerottet. Die Aussprüche und Legenden, vielfach in Jiddisch abgefasst, wurden von Chajim Bloch in seinen „Chassidischen Geschichten“ gesammelt.

Lit.: Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen/Gershom Scholem. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1980; Wiesel, Elie: Chassidismus – ein Fest für das Leben: Legenden und Portraits. Freiburg: Herder, 2000; Bloch, Chajim: Chassidische Geschichten und Legenden. Verl.-Gemeinschaft Topos plus, 2006; Pourshirazi, Katja: Martin Bubers literarisches Werk zum Chassidismus: eine textlinguistische Analyse. Frankfurt a.M.: Lang, 2008.
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