Charisma

(Griech., Gnadengabe, Geschenk, von charis, Geschenk, Liebenswürdigkeit), vom Apostel Paulus in die christliche Literatur eingeführter Begriff zur Bezeichnung christlicher Gnadengaben (prophetische Rede, Lehre und Ermahnung, Barmherzigkeit) und Ämter, die als Manifestation der Charis, der Gnadenmacht Gottes und seines Geistes, zu verstehen sind. Außer im Brief an die Römer und im 1. und 2. Korintherbrief findet sich C. nur noch in 1 Tim 4,14; 2 Tim 1,6 und 1 Petr 4,10. Dabei beschränkt Paulus C. nicht nur auf außergewöhnliche ekstatische (> Ekstase) Phänomene, sondern sieht sein Wirken auch im alltäglichen Leben der Gemeinde, in dem die Liebe sich als größtes C. zu bewähren hat (1 Kor 13).
Im Gegensatz zu den rein immanenten außergewöhnlichen Phänomenen sind Charismen die Frucht der Einwirkung des > Heiligen Geistes auf die einzelnen Glaubenden durch Gaben, die auf vielfache Weise spontan gegeben werden. Sie stehen auch dem kirchlichen Amt bei der Erfüllung seiner Aufgaben zur Seite. Für Paulus fallen unter C. auch Ehe und Ehelosigkeit, Kassenverwaltung und Diakonie. In apostolischer Zeit waren folgende Charismen von besonderer Bedeutung: > Weisheit, > Erkenntnis, Stärkung, > Unterscheidung der Geister, Gemeindedienste, Sprachengabe, bergeversetzende Glaubenskraft, > Prophetie, > Heilung.

Da es in der Praxis schwierig ist, die Echtheit dieser außergewöhnlichen Gaben zu erkennen, weshalb schon Paulus gewisse Formen, wie etwa das > Zungenreden, eher skeptisch beurteilt, hat sich die Theologie mit fortschreitender Rationalisierung damit kaum noch befasst. Außerdem hat die Überbetonung einzelner Charismen in verschiedenen Bewegungen den Abstand zur Theologie noch vergrößert. Andererseits wurden im Falle kirchlicher Ablehnung außergewöhnliche Phänomene oft als dämonische Illusionen hingestellt. Heute spricht man lieber von paranormologischen Randgebieten, mit denen die Theologie nichts zu tun hat. Erst als das II. Vatikanum vom Wirken des Geistes Gottes in allen Mitgliedern der Kirche sprach (LG 32), wurde C. wieder von theologischem Interesse. So gehört nach Karl Rahner „das Charismatische ebenso notwendig und dauernd zum Wesen der Kirche wie das Amt und die Sakramente“ (LThK2 2, 1027).
Die fortschreitende Säkularisierung hat C. schließlich zu einem Alltagsphänomen gemacht, das nicht mehr aus der göttlichen Inspiration schöpft, sondern aus dem Begriff des „Außeralltäglichen“, den Max Weber (1864-1920) in seine Herrschaftssoziologie aufnahm. C. wird bei ihm zum Inbegriff des „Führers“, der Persönlichkeit, von der geglaubt wird, dass sie „mit übernatürlichen oder übermenschlichen oder mindestens spezifisch außeralltäglichen, nicht jedem anderen zugänglichen Kräften oder Eigenschaften“ (Wirtschaft, S. 140) ausgestattet sei. Damit erhält C. den Stellenwert einer Einbildung, während der „Führer“ mit einer > Aura umgeben wird, die man als „Ausstrahlung“ bezeichnet.

Lit.: Rahner, Karl: Das Dynamische in der Kirche. Freiburg i.Br.: Herder, 1958; Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen: Mohr, 51976; Charisma, in: TRE. Berlin: Walter de Gruyter 7 (1981), S. 682-698.
Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.