Chaos

(Griech. chaos, von chainein, „gähnen“), vollständig ungeordneter Weltzustand als Urzustand des noch ungeformten Weltstoffes und Weltraumes.
C. ist somit der Gegenbegriff zu > Kosmos, dem griechischen Begriff für Ordnung. Die Bibel spricht von „tohu-wa-bohu“ (Gen 1,2). Nach Hesiod (Theog. V, 116, 123) ist C. der gähnende Abgrund des Weltbeginns, der vor Allem entstanden ist. Im > Taoismus entspricht dem C. das > Wuji, der Zustand der Formlosigkeit. Diese Vorstellung vom formlosen Urzustand der Welt vor dem Beginn von Raum und Zeit findet sich in vielen Schöpfungsmythen der Völker. C. entspricht dem ägyptischen > Abydos und dem germanischen > Ginnungagap. Von ihm ist aber auch am Ende der Welt die Rede. So wird die von apokalyptischen Texten erwartete endzeitliche Katastrophe vor der neuen Schöpfung ebenfalls als C. bezeichnet.

In der > Alchemie sind die Vorstellungen der > Orphiker von besonderer Bedeutung, denen zufolge im Zentrum eine in den Schriften des Orpheus geoffenbarte Theo- und Kosmogonie steht, die ihren Ausgang aus dem C. nimmt. Zuerst entsteht der > Chronos, aus dem ein > Weltenei hervorgeht, das im Zerbrechen den Lichtgott > Phanes gebiert, der den Samen aller Götter, Menschen und Dinge enthält und daher endrogyne Züge hat. Dieses Ei der Philosophen spielt in der griechischen Alchemie eine zentrale Rolle als Ausgangsmaterial für das > Opus magnum. Nach Hesiod gehen aus dem C. > Erebos und > Nyx (Nacht) hervor. > Gaia und > Eros stehen als weitere Urprinzipien daneben, die jedoch nicht unmittelbar vom C. abstammen.
In der > Esoterik ist C. oft gleichbedeutend mit > Abyss. Das C. verfügt über das verborgene Potential der Schöpfung. In der Magie ist C. der große unsichtbare Kraftspeicher der Natur, in dem die Ureigentümlichkeiten aller Dinge enthalten sind.
In der neueren Philosophie sieht F. W. J. Schelling C. als „als metaphysische Einheit der Potenzen“, F. Nietzsche als „Grundcharakter der Welt“ und C. G. Jung verbindet C. mit dem Unbewussten.
Für den gesellschaftlichen Bereich ist C. noch bei T. Hobbes die übliche Bezeichnung für den von ungeordneter Gewalt beherrschten Urzustand der Gesellschaft. Ab Mitte des 17. Jh. wird C. dann durch das Wort „Anarchie“ verdrängt. Neuerdings ist C. zu einem beliebten Begriff der evolutionstheoretischen Diskussion geworden. > Chaosforschung, > Chaosmagie.

Lit.: Khunrath, Heinrich: Vom Hylealischen, das ist Pri-Materialischen Catholischen oder Allgemeinen Natürlichen Chaos, der Naturgemässen Alchymiae und Alchymisten: Wiederholte … philosophische Confessio oder Bekentnvs. Magdeburg, 1597; Schabert, Tilo: Strukturen des Chaos. München: Fink, 1994; Die Schöpfungsmythen. Düsseldorf: Albatros, 2002; Niesel, Walter: Vom Chaos zur universellen Ordnung. Oldenburg: Bis, 2002.
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