Chaldäische Orakel

Ein Schriftkorpus, der im 2. Jh. n.  Chr. entstanden ist und in den folgenden Jahren und Jahrhunderten nachhaltig in der spätantiken Kultur wirkte. Die Orakel selbst sind nicht erhalten. Ihre Texte wurden von Neuplatonikern übersetzt und in griechische Hexameter gebracht und kommentiert. Doch auch die Hexameter und Kommentare der Neuplatoniker Porphyrios, Jamblichos, Syrian und Proklos gingen verloren. Erhalten sind nur 210 sicher authentische und 16 zweifelhafte Fragmente mit Zitaten und Paraphrasen. Die Bezeichnung „Chaldäische Orakel“ ist erstmals sogar erst im 5. Jh. bezeugt.
Im 11. Jh. befasste sich der byzantinische Universalgelehrte > Michael Psellos intensiv mit den Orakeln und verfasste drei Schriften, in denen er ausschließlich ihre Lehren behandelt. Es handelt sich um einen Kommentar (Exegesis), eine Skizze (Hypotyposis) und eine Darlegung (Ekthesis). Eine weitere wichtige Quelle ist der „17. Brief “ des byzantinischen Gelehrten (12. Jh.) Michael Italicus, der sein Wissen aus einer verlorenen Schrift bezog, die auch Psellos kannte.
Als Autoren des Urtextes werden ein Chaldäischer Zoroaster und der unter Marc Aurel (161-180) lebende > Julian der Theurg mit seinem Vater, Julian der Chaldäer, genannt. Julian verfasste Theurgica, Telestika und Sprüche in Versen sowie weitere Werke über okkultes Wissen.
Heute werden die Fragmente nach der Nummerierung der erstmals 1971 erschienenen kritischen Ausgabe von Édouard des Places zitiert. Nach diesen Fragmenten gipfelt die Hierarchie der Götter in einem Vater, der zugleich den Intellekt personifiziert und sich der Sinnenwelt entzogen hat. Zahlreiche Zwischenwesen, Engel und die sog. Iynges vermitteln zwischen dem Intellekt und der Sinnenwelt. Diesen gnostischen Vorstellungen entsprechend hat die menschliche Seele ihren Ursprung im göttlichen Vater. Wenn sie diese Herkunft bedenkt, vermag sie sich von ihrer irdischen Bindung zu lösen und dem göttlichen Licht entgegenzustreben. Dadurch entgeht sie ihrem Schicksal, der Verführung durch die Dämonen, kann ihren Aufstieg zu Gott vollenden und in ihm Erlösung und Ruhe finden, sofern sich die einzelne Seele nicht für eine neuerliche > Reinkarnation entscheidet, um religiös weniger entwickelten Menschen in ihrem Seelenwanderungsschicksal zu helfen (Fragment 38 und 160).
Die C. haben vor allem den Neuplatoniker > Jamblichos von Chalkis in seinem Werk De mysteriis stark beeinflusst.

W.: Majercik, Ruth (Hg): The Chaldean Oracles (griech. Text, engl. Übersetzung, Einführung und Kommentar). Leiden: Brill, 1989; Des Places, Édouard: Oracles chaldaïques, avec un choix de commentaires anciens. Paris: Les Belles Lettres, 2003.
Lit.: Cremer, Friedrich W.: Die Chaldäischen Orakel und Jamblich de mysteriis. Meisenheim am Glan: Hain, 1969; Geudtner, Otto: Die Seelenlehre der chaldäischen Orakel. Meisenheim am Glan: Hain, 1971; Hans Lewy: Chaldaean Oracles and Theurgy. Paris: Études Augustiniennes, 1978.
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