Brennnessel

Lat. urtica dioica (große B.), urtica urens (kleine B.), Pflanze aus der Familie der Brenn-Nesselgewächse (Urticaceae).
Die große B. ist wegen ihrer mit Brennhaaren besetzten Blätter allgemein bekannt. Sie wächst an Zäunen und Hecken, aber auch an feuchten Waldstellen. Die unscheinbaren Blüten stehen büschelig an herabhängenden Spindeln. Die kleine B., auch Hitter- oder Eiternessel genannt, hat eiförmige, nicht zugespitzte Blätter und wächst fast immer in der Nähe menschlicher Siedlungen. Hingegen haben die Brennhaare entbehrenden Taubnesseln als Lippenblütler mit der B. botanisch nichts zu tun.

Aufgrund ihrer besonderen Eigenart und chemischen Zusammensetzung ist die B. sowohl volksmedizinisch als auch paranormologisch von Bedeutung.

1.  Volksmedizin: Brenn-Nesselkraut und Brenn-Nesselblätter enthalten Mineralsalze, viel Chlorophyll, Carotinoide, organische Säuren, Vitamine sowie Amine in den Brennhaaren und werden als Aufguss oder in anderer galenischer Zubereitung mit reichlich Flüssigkeitszufuhr bei entzündlichen Erkrankungen der ableitenden Harnwege sowie zur Vorbeugung und Therapie von Nierengrieß verwendet. Zur äußeren Behandlung wird bei rheumatischen Erkrankungen Brenn-Nesselspiritus verwendet. Traditionell wird die B. auch bei Leber- und Gallenbeschwerden, zur Anregung des Stoffwechsels in sog. Frühjahrskuren, bei Rheuma, Gicht und Hautkrankheiten, als Haarwuchs- und Schuppenmittel eingesetzt. In der Homöopathie findet die frischblühende Pflanze Verwendung (Pschyrembel).
2.  Paranormologie: Seit alters her gilt die stachelige und dornige Pflanze als antidämonisch (Mannhardt, 102). Aus der Zauberliteratur stammt die Angabe, dass B.n mit Tausendblatt (Schafgarbe?) in der Hand gehalten gegen alle Anfechtung schütze (Mizaldus, 91). Antidämonische Wirkung haben B.n insbesondere im > Stallzauber. In der > Walpurgisnacht werden B.n auf den Düngerhaufen gesteckt und mit einem Stock geschlagen. Die > Hexen spürten diesen Schlag und hätten dann keine Macht mehr über das Vieh. Die B. wird vielfach auch im > Milchzauber verwendet. Ließ sich das Butterfass nicht ausrühren, geißelte man es mit B.n. In die für die Käsezubereitung bestimmte Milch wird am Weihnachtsabend eine B.wurzel gelegt und am Dreikönigstag das Ganze in den Mist gegossen, um der Behexung der Milchwirtschaft vorzubeugen.

In der Agrarwirtschaft wird beim Setzen des Kohls eine B.staude in die Erde gesteckt und mit einem Stein angedrückt, was den Kohl vor Raupenfraß bewahre. B. wird aber auch zum Schutz vor > Blitz und > Donner eingesetzt. Wird beim Bierbrauen ein Strauß B.n auf den Rand des Bottichs gelegt, so schadet der Donner dem Bier nicht (Grimm 3, 445).
Bereits in der Antike galt die B. als aphrodisisches bzw. Fruchtbarkeitsmittel. So reizt der Genuss des Samens der B. angeblich zum Beischlaf (Lammert, 158).
Schließlich ist die B. auch eine Orakelpflanze. Wird z. B. der Harn eines Kranken auf grüne B.n gegossen und bleiben diese frisch, so wird der Kranke genesen; verdorren sie, wird er sterben (Weckerus, 124). Wachsen die B.n im Sommer und Herbst recht hoch, ist ein strenger Winter angesagt.

Lit.: Mizaldus, Antonius: Centvriae IX. Memorabilivm Vtilivm, Ac Ivcvndorvm: in Aphorismos Arcanorum omnis generis locupletes perpulere digestae; Accessit His Appendix Nonnullorum Secretorum. Francofurti: Hoffmann, 1613; Wecker, Johann Jacob: Jo. Jac. Weckeri De secretis libri XVII. Ex variis auctoribus collecti, methodice digesti, atque tertia hac editione non solum ab innumeris mendis, obscuritateque purgati, sed etiam Theodori Zwingeri Additionibus e pharmacia et chymia utilissimis aucti. Basileae: König, 31701; Mannhardt, Wilhelm: Germanische Mythen. Berlin: F. Schnuder, 1858; Lammert, Gottfried: Volksmedizin und medizinischer Aberglaube in Bayern und den angrenzenden Bezirken: begründet auf die Geschichte der Medizin und Cultur. Neudr. d. Ausg. Würzburg 1869. Regensburg: Sonntag, 1981; Grimm, Jacob: Deutsche Mythologie: vollständige Ausgabe. [Textrev.: Manfred Stange]. Neu gesetzte, korr. und überarb. Ausg., rev. nach der Ausg. Wiesbaden, 2003, der die 4. Aufl., Berlin, 1875-78 zugrunde liegt. Wiesbaden: Marix, 2007.
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