Blutschande

(Engl. incest), Verletzung der von der Gesellschaft vorgeschriebenen geschlechtlichen Beziehungen. Dazu gehört vor allem der Geschlechtsverkehr zwischen Blutsverwandten in auf- und absteigender Linie und zwischen Geschwistern. Allerdings gibt es bei einzelnen Volksgruppen und Völkern große Unterschiede in der Sanktionierung der Beziehungen.
So ist eine Vetternehe ersten Grades (gemeinsame Großeltern) in den meisten Bundesstaaten der USA, in Korea, auf den Philippinen und in vielen Balkan-Ländern verboten, während sie vor allem im Kulturgebiet des Islam, also in Nordafrika, im orientalischen Raum und in Südasien als bevorzugte Form der Heirat gilt. Für entfernte Verwandte wie Vetter und Kusine zweiten Grades (gemeinsame Urgroßeltern) besteht hingegen in keinem Land ein Ehehindernis.

Neben der Absicherung des unbelasteten Zusammenlebens im Familienbereich wurde die B. von der Vorstellung getragen, dass es zur Erhaltung der Natur notwendig sei, dass immer ein Glied der einen Stammeshälfte ein Glied der anderen Stammeshälfte heirate, damit der entsprechende magische Einfluss auf den Kosmos ausgeübt würde, da der Stamm mit seinen verschiedenen Unterabteilungen den Kosmos repräsentiere. B. beeinflusse die Harmonie des Weltalls und die Wohlfahrt des Stammes (Frazer, 44ff.). Eine solche B. wird bei primitiven Völkern mit grausamen Mitteln getilgt: die Frevler werden verbrannt (Lev 20,14), ertränkt, lebendig begraben.
Verwandtschaft verbietet aber nicht nur inzestuöse Ehen, sondern kann sie nach Vorstellungen anderer Kulturkreise auch gebieten. So kann in hoher sozialer Position der Geschlechtsverkehr zwischen Geschwistern die Regel sein – wie in den Pharaonendynastien, vor allem der Ptolemäer (304 v. Chr. bis 30 v. Chr.). Auch in polytheistischen Gesellschaften, wie im antiken Griechenland und bei den Germanen, waren Geschwisterehen von Göttern nichts Ungewöhnliches. Nach deutschem Glauben war man allerdings der Ansicht, dass B. nicht nur denen Unglück bringt, die sie begehen, sondern auch jenen, die nach ihnen das Haus bewohnen. Die Strafe war der Tod durch Einmauern (Kuhn-Schwartz, 437).

Lit.: Frazer, James George: Psyche‘s Task: A Discourse Concerning the Influence of Superstition on the Growth of Institutions. London: Macmillan, 1909; Hunold, Günther: Das Inzest-Tabu: eine Anatomie d. Blutschande. München: Heyne, 1970; Fisch, Manuel: Blutschande: Vater, Tochter; Stiefvater, Stieftochter; eine Dokumentation praktischer Fälle. Frankfurt a.M.: Gemini-Press, 1971; Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche aus Mecklenburg, Pommern, der Mark, Sachsen, Thüringen, Braunschweig, Hannover, Oldenburg und Westfalen/aus dem Munde des Volkes ges. und hrsg. von Adalbert Kuhn und Wilhelm Schwartz. 2. Nachdruckaufl. der Ausg. Leipzig 1848. Hildesheim [u.a.]: Olms, 1983.
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