Bleigießen

Molybdomantie; engl. molybdomancy, Wahrsagen mit Blei. Seit dem Altertum ist das B. im gesamten europäischen Raum als Orakel- und Mantikbrauchtum verbreitet. Dabei wird durch Erhitzen verflüssigtes Blei in kleinen Mengen, etwa ein Löffel voll, in kaltes Wasser gegossen. Die sich dabei bildenden Formen werden zukunftsdeutend interpretiert. Die Herkunft dieses Orakelbrauches ist noch ungeklärt. Jedenfalls wurden dem > Blei schon im Altertum und Mittelalter magische Kräfte zugeschrieben. Die mit dem B. verbundene Zukunftsschau dürfte mit der Thomas-Nacht (ursprünglich 21. Dezember, heute 3. Juli), dem kürzesten Tag im Jahr, in Zusammenhang gestanden sein, um sich dann rückwärts auf den Andreastag (30. November, dem ehemaligen Jahresende) oder Martinstag (11. November, dem Kündigungs- oder Anstellungstag der Knechte und Mägde) und vorwärts auf > Weihnacht (> Weihnachtsorakel), > Silvester und > Dreikönig auszubreiten. Ab dem 18. Jh. wurde das B. immer mehr zu einem reinen Gesellschaftsspiel.
Aus den durch das B. entstandenen Figuren sucht man sein Schicksal für das kommende Jahr zu ergründen. Sterne sollen Glück, Kreuze Leiden, Männchen oder Sackformen Reichtum, Tiere Tod bedeuten. Aus den verschiedenen Gestalten sucht man aber auch den Beruf derer, die sie gegossen haben, zu ermitteln: Nadeln oder Nägelchen stehen für das Schneider- oder Schusterhandwerk, baumartige Formen für den Gärtner, Landmann und Förster. Aus einem Buchstaben versucht man den Vornamen des künftigen Partners zu ergründen. Stellt die Figur einen Hammer dar, so erhält das Mädchen einen Handwerker.

Beim Kauf des Bleis zum B. ist meist eine Liste mit Symboldeutungen beigefügt. Wie bei allen Orakelspielen ist der Deutung kein echter Wahrheitsgehalt beizumessen. Es ist ein Spiel. Statt des giftigen Bleis wird oft auch > Zinn verwendet. Am ungefährlichsten ist das > Wachsgießen (> Keromantie).

Lit.: Lenormand, Marie Anne: Neues untrügliches Punktierbuch: 768 unfehlbare Orakelsprüche [auf alle die Zukunft betreffenden Fragen; nebst einer Anleitung, betreffend das Bleigiessen in der Sylvesternacht]. Styrum a. d. Ruhr; Leipzig: A. Spaarmann, 131890; Ressel, Max: Das Bleigiessen: eine Zusammenstellung der verschiedenen Figuren. Mühlhausen i.Th.: G. Danner, 1921; Nickel, Otto: Zu Silvester konnten verliebte Mädchen mit ein bißchen Phantasie beim Bleigießen ihren Liebsten entdecken: Heimatforscher Otto Nickel zu Sitten u. Bräuchen rund um d. Jahreswechsel in Anhalt. 1997.
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