Binden und Lösen

Symbolische Handlung des Einens und Aufhebens. Der Ausdruck nimmt in Religion und Magie einen besonderen Stellenwert ein. B. ist die Verknüpfung mit übernatürlicher Macht, L. die Aufhebung von Verstrickung. Löse- und Bindegewalt bedeutet Machtvollkommenheit der Gesetzgebung und Lehrentscheidung.
Gott selbst ist es, der sein Netz um den Menschen wirft (Ijob 19,6), er kann binden und lösen. Im NT erhalten Petrus und die Apostel die Vollmacht zu „binden und lösen“ (Mt 16,19; 18,18). Diese Vollmacht wurde auch den Bischöfen und Priestern übertragen und bezieht sich vor allem auf den Bund mit Gott in Form der Sündenvergebung, die Befreiung von einem Bann, Fluch oder Schwur und anderen Gebundenheiten.
In > Magie und > Zauberei fußen B. und L. auf der Grundvoraussetzung, dass jede Bindung eine magische Macht besitzt und jede Lösung die Aufhebung des magischen Bandes bedeutet.
Diese Macht haben bei den babylonischen Göttern (so bei > Marduk) Schlinge und Netz. In Indien ist es > Varuna, der die schuldig Gewordenen bindet, und > Indira, von der man die Lösung der tödlichen Bande erwartet. Im > Buddhismus haben manche Götter (wie > Acala) eine Schlinge als Attribut. In der Snorra-Edda wird > Odin „Gott mit der Schnur“ bzw. „Fesselgott“ genannt. Nach > Plotin (Enneaden IV, 8) wird die nach ihrem Sündenfall angekettete Seele bei der Umkehr zu den Ideen wieder befreit. Tacitus berichtet von einem germanischen Brauch (Germania, 39), dem zufolge man nur in Fesseln den heiligen Hain betreten durfte.
Besondere Bedeutung beim B. und L. kommt auch dem > Knoten zu. Knoten sind magische Hemmnisse. So durfte das altrömische Priestergewand Flamen dialis keine Knoten aufweisen; und in der Nähe einer Wöchnerin ist jeder Knoten zu lösen, um die Geburt zu erleichtern. Hingegen soll beim Impotenzzauber das „Nestelknüpfen“ der > Hexen die männliche Geschlechtskraft hemmen.
In der > Alchemie bezieht sich der Kernsatz solve ed coagula (löse und binde) materiell auf das Verflüssigen und Wiederverfestigen von Substanzen, im übertragenen Sinn auch auf die Autonomie des > Alchemisten.

Lit.: Scheftelowitz, Isidor: Das Schlingen- und Netzmotiv im Glauben und Brauch der Völker. Gießen: Töpelmann, 1912; Lexikon für Theologie und Kirche. Erster Band: A bis Barcelona/Walter Kasper; … [Hrsg.]; Bd. 2-3 völlig neubearb. Aufl. Freiburg i.Br.: Herder, 1993; Snorri Sturluson: Snorra-Edda. Ritstjórn: Helgi Bernódusson. Reykjavík: Mál og Menning, 2002.
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