Beschwörung

(Ahd. piswerian, mhd. beswern), Anrufung einer höheren Macht, wie Naturkräfte und Geistwesen (> Elementargeister, > Dämonen, Seelen Verstorbener, > Heilige, > Engel) oder Gott selbst zur Verstärkung oder direkten Ausführung der angewandten > Beschwörungsformeln. Die ursprüngliche Bedeutung von B. war inständiges und feierliches Bitten (lat. coniuratio).
Geschichtlich reicht die B. bis tief in die Menschheitsgeschichte hinein und findet sich bei allen Völkern und Kulturen. Dahinter steckt der Wunsch, in der eigenen Ohnmacht und Bedrängtheit bestimmte Ereignisse durch überirdische Mächte verwirklichen zu können. In der altorientalischen Beschwörungsliteratur fällt auf, dass in der Bibel keine Texte überliefert sind, die im engeren Sinne zur Gattung der B. gehören. Gleichwohl waren verschiedene Formen der B. im Alten Testament bekannt (Ex 7, 11;  1 Sam 16, 14 - 23; 2 Kön 9, 22; 17, 17; 21.6; 23, 24; Jes 2,  6; 3,  2 f.; 47.9.11 f.; Jer 27, 9; Nah 3, 4; Mal 3,  5, Tob 6,  16 ff.; 8,  2 f.; Schlangen-B.: Jer 8,  17; Ps 58,  6; Koh 10, 11; Sir 12,  13). > Segen und > Fluch enthalten die der B. immanente Vorstellung sprachmagischer Wirkung; Sühne- und Schuldopfer weisen auf die Purifikationspraxis vieler B.en hin. Anklänge an B.en finden sich auch im Neuen Testament in den Dämonenaustreibungen Jesu (Mk 1, 21-28; 3, 7-12; 5, 1-20; 7, 24-30; 9, 14-27), allerdings mit dem Unterschied zu den B. der Nigromanten, dass Christus selbst die göttliche Macht besitzt. In vielen spätantiken Beschwörungen (Zauberpapyri) wurde > Hekate als wichtigste Göttin angerufen.
Seit dem Mittelalter hat B. die Bedeutung von Beschwören und Bannen.

Formen: Man unterscheidet dabei zwei Formen von B.: Das Anrufen (lat. invocatio) und das Herbeirufen (lat. evocatio), wobei beide Formen meist ineinander greifen.
Invokation: Beim Anrufen, der Invokation, wird die erwünschte Handlung der angerufenen Macht anvertraut: „Ich beschwöre dich, du Gicht oder Gesicht, bei dem unschuldigen Blut unseres Herrn Jesus Christi“, lautet eine Formel aus dem Böhmerwald. Mit solchen Beschwörungsformeln sollten böse Geister zum Verlassen des Kranken, des Verhexten, des Besessenen und unter Umständen von Örtlichkeiten gezwungen werden. So kannte die frühe christliche Kirche als sicheres Mittel zur Vertreibung der bösen Geister das > Besprechen durch den Namen Jesu. Ein Sonderform bildet hier der > Exorzismus.
Evokation: Gewöhnlich erfolgt die B. durch Hervorrufen höherer Mächte mit Hilfe eines magischen Rituals unter Verwendung eines magischen Kreises und durch Sprechen von Zauberformeln. Steht der Schwarzmagier, der > Nigromant, im magischen Kreis, kann er durch Beschwörungsformeln, die in den Zauberbüchern ausführlich beschrieben werden, den Dämon herbeizitieren. Die Sprache des Magiers muss klar und befehlend sein, ihr Rhythmus soll ihn dazu befähigen, sich in einen ekstatischen Zustand zu versetzen. Er darf sich dabei durch keine List der erscheinenden Dämonen dazu verleiten lassen, den Kreis zu verlassen, da er ihnen sonst wehrlos ausgeliefert ist. In Zauber- und Hexenprozessen ist auch davon die Rede, dass eine Rinderhaut den magischen Kreis ersetzen kann. Der erscheinende Teufel wird dann mittels Zaubersprüchen so lange gepeinigt, bis er sich bereit erklärt, den Nigromanten in irgendeiner Form zu begünstigen, ihm z.B. einen verborgenen Schatz zu zeigen oder diesen gar selbst herbeizuschaffen.
Zum Wort kann noch die drohende Gebärde treten, aber auch > Anhauchen, > Besprengen, > Umtanzen hinzukommen. B.en sind vor allem auch mit Räucherungen verbunden. Die > Räucherung schafft einen heiligen Raum und ist gleichzeitig Nahrung für die Götter. Lässt die Macht des Nigromanten zu wünschen übrig, muss er sich zuweilen mit einem Pakt (> Teufelspakt) begnügen (> Faust).

Vorbereitung, Ort und Zeit: Eine machtvolle B. erfordert vom Nigromanten über den magischen Kreis und die Zauberformeln hinaus eine intensive Vorbereitung auf das Ritual durch sexuelle Enthaltsamkeit, körperliche Reinigung, saubere Kleidung und die Wahl des rechten Ortes und der rechten Zeit. Bevorzugte Orte sind verrufene Plätze wie Ruinen, Galgenberge, Friedhöfe, unterirdische Höhlen, aber auch Kreuzwege und verlassene Kirchen.

Lit.: Hopfner, Theodor: Griechisch-ägyptischer Offenbarungszauber. Mit e. eingehenden Darst. d. griechisch-synkretist. Daemonenglaubens u. d. Voraussetzungen u. Mittel d. Zaubers überhaupt u. d. magischen Divination im Besonderen. Leipzig: H. Haessel Verl, 1921; Mensching, Gustav: Das heilige Wort: eine religionsphänomenol. Untersuchg. Bonn: Röhrscheid, 1937; Hampp, Irmgard: Beschwörung, Segen, Gebet: Untersuchungen zum Zauberspruch aus dem Bereich der Volksheilkunde. Stuttgart: Silberburg-Verl. Jäckh, 1961; Falkenstein, Adam: Die Haupttypen der sumerischen Beschwörung. Leipzig: Zentralantiquariat der Dt. Demokrat. Republik, 1980; Volksglaube, Beschwörung, Segensformel: magische Vorstellungen und Praktiken aus 3 Jahrhunderten; (Begleitbroschüre zur gleichnamigen Ausstellung)/Günther Biermann; Heimo Schinnerl. Klagenfurt: Landwirtschaftsmuseum, 2001.
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