Besant, Annie

Geb. Wood (* 01.10.1847 Clapham, London; † 20.09.1933 Adyar, Madras/heute Tamil Nadu, Indien), Theosophin, Freimaurerin, Frauenrechtlerin, Journalistin, Schriftstellerin und Politikerin. Als Tochter des englischen Arztes William Wood und der Irin Emily Morris wurde sie nach dem Tode ihres Vaters, als sie 5 Jahre alt war, zunächst von der Mutter, und dann vom 8. bis 15. Lebensjahr von der Calvinistin Ellen Marryat erzogen. In ihrer weiteren Entwicklung neigte sie zunehmend der katholischen Lehre zu. Mit ihrer Mutter zog sie nach London und studierte dort Werke von > Augustinus und > Ignatius von Loyola sowie moderne Autoren, wie John Keble (1792-1866) und Edward Bouverie Pusey (1800-1892), anglikanischer Theologe und Professor in Oxford. Mit 19 Jahren lernte sie den anglikanischen Geistlichen Frank Besant kennen, den sie 1867 heiratete und so Pfarrersfrau in Cheltenham wurde. In jener Zeit kam sie über ihren Schwager Walter Besant auch mit der > Freimaurerei in Berührung. Zunächst zum extremen Christentum neigend, ließ sie sich 1873 scheiden, wurde Freidenkerin und schrieb mit Thomas Scott gegen das Christentum. 1874 lernte sie den „reinen Materialisten“ Charles Bradlaugh, den Herausgeber der linksorientierten Wochenschrift National Reformer, kennen und trat mit ihm für antikonzeptionelle Methoden und als Anhängerin der Neomalthusianer für die Abtreibung ein. Ab 1884 engagierte sie sich als überzeugte Linksradikale und organisierte 1886 eine Gesamtkonferenz aller sozialistischen Vereinigungen, auf der sich die Marxisten durchsetzten. 1887 schrieb sie gemeinsam mit Charles Bradlaugh das atheistische Pamphlet Why I Do Not Believe in God. In der Folgezeit wurde sie in der Gewerkschaftsbewegung tätig und leitete 1888 erfolgreich den Match Girls’ Strike (Match Workers’ Strike) im Kampf gegen Hungerlöhne. Nicht zuletzt galt Annie B. als die bedeutendste Frauenrechtlerin Englands im 19. Jh.
1889 erhielt sie den Auftrag, eine Rezension über die ein Jahr zuvor erschienene Secret Doctrine (Geheimlehre) der H.P. > Blavatsky zu schreiben. Von dem Buch fasziniert, suchte sie die Bekanntschaft mit Blavatsky und wurde am 21. Mai 1889 in die Londoner Theosophische Gesellschaft (TG) aufgenommen. Sie vertrat nun die antimaterialistische Ansicht, dass bei Verminderung des körperlichen Einflusses Geisteskräfte stärker ans Licht treten würden.
Aufgrund ihres sprachlichen Talents avancierte sie zu einer engen Mitarbeiterin von Blavatsky, ging dann nach deren Tod nach Indien, gründete 1898 das Central Hindu College (CHC) in Benares und dozierte die > Bhagavadgita.
1902 erfuhr sie durch Francesca Arundale in London von der 1893 gegründeten freimaurerischen Gesellschaft Le Droit Humain, die auch Frauen zugänglich war. Noch im gleichen Jahr ließ sie sich mit sechs Theosophinnen in den Orden aufnehmen und war hauptverantwortlich für die in London gegründete erste englische Loge des „Droit Humain“, The Human Duty.
Nach dem Tod von Henry Steel > Olcott wurde B. 1907 Präsidentin der Theosophischen Gesellschaft.

Innerhalb der internationalen TG spielte bis zur Jahrhundertwende Charles Webster > Leadbeater (1847-1934) eine besondere Rolle. Er war längere Zeit der Sekretär von B. Mit ihm verfasste sie zahlreiche Bücher (Gedankenformen, dt. Übers. 1908, und Der sichtbare und unsichtbare Mensch, dt. Übers. 1905, ein Standardwerk zur Auraforschung). In ihrer Okkulte[n] Chemie (dt. Übers. 1905) entwickelte sie eine Atomlehre, die angeblich auf hellseherischen Beobachtungen beruhte. In Jiddu Krishnamurti sahen Leadbeater und B. schließlich einen neuen „Weltlehrer“. Vor allem mit dem Personal und den Studenten des CHC wurde 1911 in Benares zuerst der Order of Rising Sun und dann der Order of the Star of the East (später nur noch Order of the Star) gegründet. Durch den einsetzenden Krishnamurti-Kult geriet B. aber zunehmend unter Kritik und 1912 fiel der größte Teil der deutschen Theosophen unter Rudolf > Steiner von ihr ab – nach theosophischer Sicht vor allem aus wirtschaftlichen Gründen.
1913 gab B. ihre politische Zurückhaltung auf und beteiligte sich am politischen Leben Indiens. 1914 trat sie dem Indischen Nationalkongress (INC) bei, wurde einer der Köpfe der indischen Nationalbewegung und 1917 zur Präsidentin des Jahreskongresses des ICN gewählt. Sie agierte in der Folgezeit scharf gegen die Nicht-Kooperationsbewegung Gandhis, verlor dabei aber an politischer Bedeutung, da die westliche Presse an der Seite Gandhis stand. Sie wird in Indien jedoch heute noch verehrt und wurde sogar auf einer Briefmarke verewigt.

Die letzten Jahre von B. waren durch große Herausforderungen gekennzeichnet. Leadbeater, vorübergehend Bischof der Altkatholischen Kirche, wurde 1916 in Australien Bischof der Liberal-Katholischen Kirche, die aus der Altkatholischen Kirche hervorging. Als dann 1929 Krishnamurti den Order of the Star auflöste, sorgte das bei vielen Theosophen für Verwirrung. Dennoch blieben gerade in Indien die meisten Mitglieder der TG der Theosophie und Krishnamurti (bis heute) verbunden.
B. verfasste über 300 Aufsätze und Bücher, von denen neben den oben genannten die folgenden (in dt. Übers.) besonders hervorzuheben sind: Die uralte Weisheit (1898), Die vier großen Religionen (1904), Reinkarnations- und Wiederverkörperungslehre (1905) und Einweihung (1908).
B. blieb trotz allem Präsidentin der TG bis zu ihrem Tod am 20. September 1933. Neben ihrer politischen Tätigkeit hielt sie Vorträge zum „esoterischen Christentum“ und prägte den Begriff „Kosmischer Christus“. Nach einer ersten buddhistisch orientierten Linie trat sie energisch für den Hinduismus ein.

W.: Autobiographical Sketches. London: Freethought Publishing Company, 1885; The Bhagavad-Gîtâ or the Lord‘s Song/transl. by Annie Besant. London [u.a.]: Theosophical Publ. Soc., 21896; Die uralte Weisheit. Ludwig Deinhard [Übers.]. Leipzig, 1898; The Doctrine of the Heart: Extracts from Hindu Letters. London, 1899; Esoterisches Christentum oder Die kleineren Mysterien. Autoris. Übers. von Mathilde Scholl. Leipzig: Grieben, 1903; Theosophie. London: Jack [u.a.], 1912; Einführung in den Yoga. Ins Dt. übertr. v. John Cordes u. Fr(iedrich) Feerhow. Leipzig, 1915; Nethercot, Arthur A.: Last Four Lives of Annie Besant. University of Chicago Press, 1963; Das Denkvermögen: seine Beherrschung u. Ausbildung. Graz: Adyar-Verl, 1979; Der Tod – und was dann? Eine detaillierte Studie über d. Vorgänge beim Tod, im Zwischenzustand u. bei d. Wiedergeburt. [Dt. Übers. von F. Hartmann]. Nachdr. d. 3. Aufl. Stuttgart: MANAS-Verlagsgesellschaft, 1984; Gedankenformen (zus. mit Charles W. Leadbeater) [autoris. Übers. ins Dt. von der Literarischen Abteilung des Theosophischen Verlagshauses]. Freiburg i.Br.: Bauer, 51993; On the Nature and the Existence of God. Bristol: Thoemmes Press, 1996; Eine Studie über das Bewusstsein. Grafing bei München: Aquamarin-Verl, 2004 (wo auch weitere Nachdrucke ihrer Werke erscheinen).
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