Apollinaris

Wörtl. „die [Pflanze] des > Apollon“, auch Apolloniakraut oder Apollonkraut, das dem Apollon geweihte Weiße > Bilsenkraut (Hyoscyamus albus) (nach Rätsch) oder Schwarze Bilsenkraut (Hyoscyamus niger) (nach Marzell). Weitere lat. Namen für A. weisen auf ihre psychoaktive Wirksamkeit hin, so etwa symfoniaca und insanin, d.h. „[die] Wahnsinn [Hervorrufende]“. Das griechische Wort für A. lautet Hyoskiamus, „Schweinebohne“, oder auch Pitonionka, „Drachenblume“. Möglicherweise ist die keltische Bezeichnung Bellinotem für das Bilsenkraut auf den Orakelgott > Belenos bezogen. Laut Rätsch handelt es sich bei dem Weißen Bilsenkraut, das er mit A. gleichsetzt, sehr wahrscheinlich um die Pflanze, mit der sich die delphische Orakelpriesterin > Pythia in Ekstase versetzte, um anschließend weissagen zu können. Zu diesem Zweck wurden die Samen des Bilsenkrauts geräuchert (Rätsch 1998, 781). Marzell identifiziert das von Plinius (Plinius, XXV, 35) und > Dioskurides (Dioskurides IV, 68) als A. bezeichnete Kraut mit dem Schwarzen Bilsenkraut (Marzell, Bd. 2, 926). Auch die > Alraune wurde A. genannt (Müller-Ebeling, 126), während der Name „Apolloniakraut“ außerdem eine volkstümliche Bezeichnung für den Aconitum napellus L., den Eisenhut (> Akonit), ist.
Das stark giftige Nachtschattengewächs war möglicherweise das wichtigste Trance-Mittel der Antike überhaupt. Es versetzt den Menschen in einen Zustand der Mania, des Wahnsinns, in dem das nach außen gerichtete Bewusstsein blockiert und der Zugang zum Göttlichen geöffnet wird (Rätsch, 273). Die Spannweite der Reaktionen des Menschen auf das Kraut reicht von Erschöpfungszuständen, Schlaf und Bewusstlosigkeit bis hin zu extremen Aufregungszuständen wie Raserei und Streitsucht. Daraus erklären sich auch Namen wie Schlaffkraut, Dummkraut, Raasewurz, Zankkraut, Zankteufel, Tolle Bilse, oder auch Toller Dill, d. h. toll machender Dill. Dill und Bilsenkraut wurden einerseits beide zum Vertreiben von Hexen benutzt, andererseits war das Bilsenkraut aber auch das > Hexenkraut par excellence. Der russische Name des Krautes, bešenica, weist auf Besessenheit hin (zu bešenyj, vom Teufel besessen, verrückt). Matthiolus-Camerarius berichtet im 16. Jh. von Kindern, die nach dem Genuss des Samens dieses Teufelskrauts ganz verwirrt und wie benebelt wirkten, so dass ihre Eltern glaubten, sie seien von einem bösen Geist besessen (Matthiolus, 372 D).
Als Heilpflanze war das Bilsenkraut schon in der Antike hochangesehen. Es zeichnet sich vor allem als Schmerzmittel, besonders bei Zahnschmerzen, aus; es ist das sog. Zahnwehkräutel und geht in dieser Verwendung bereits auf Altbabylonien zurück. Bilsenkrautsalbe diente bei Wunden, Geschwülsten an den Beinen und Spinnenbiß (Müller-Ebeling, 109).

Lit.: Matthiolus, P.A.: Kreutterbuch jetzt widerumb gemehret und verfertigt durch Joachim Camerarius. Frankfurt/M., 1586; Plinius, C. Secundus: Naturalis historiae libri XXXVII. Hg. v. Lud. Jan und Carol. Mayhoff. Lipsiae, 1892-1898; Dioskurides: Pedanii Dioscuridis Anazarbei de materia medica libri V ed. M Wellmann. 3 voll. Berolini 1907-1914. Nachdruck Berlin 1958; Marzell, Heinrich: Wörterbuch der deutschen Pflanzennamen, Bd. 3. Stuttgart: Hirzel; Wiesbaden: Steiner, 1977; Werner, Helmut: Lexikon der Esoterik. Wiesbaden: Fourier, 1991; Rätsch, Christian: Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen. Aarau, CH: AT, 1998; Müller-Ebeling, Claudia u.a.: Hexenmedizin, Aarau, CH: AT, ²1999.
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