Geb. 17.08.1586 Herrenberg/Württemberg, †27.06.1654 Stuttgart, lutherischer Theologe, Schriftsteller, Philosoph, Pfarrer, Superintendent und Hofprediger sowie Konsistorialrat. Von 1601-1606 studierte er in Tübingen Theologie, Philosophie und Mathematik und kam dabei unter den Einfluss des Theologen M. Hafenreffer, des Mathematikers M. Maestlin, des Juristen Chr. Besold, von Abraham Höltzl und Willhelm Schuckart. Er lernte so die Werke des > Paracelsus kennen und wurde durch Besold mit esoterischer Wissenschaft und den Lehren T. Campanellas bekannt. Vor allem hatte er Verbindung mit dem hermetisch-spiritistischen Freundeskreis um den Chiliasten T. Hess. In diesem Kreis, der in einer gewissen Distanz zur herrschenden lutherischen Orthodoxie pansophische Vorstellungen diskutierte und den Gedanken eines Bundes erlauchter Geister pflegte, die das Papsttum, den Islam und die scholastische Philosophie bekämpften und ein reformiertes, mit der Esoterik in Einklang stehendes Christentum herbeiführen sollten, entstanden die drei Schriften Fama Fraternitatis, oder Entdeckung der Brüderschaft des hochlöblichen Ordens des Rosenkreutzes (veröffentlicht 1614), die Confessio Fraternitatis R.C. (veröffentlicht 1615) und die Chymische Hochzeit Christiani Rosenkreutz – anno 1459 (veröffentlicht 1616). Die Chymische Hochzeit, die von A. selbst verfasst wurde, hatte den größten Einfluss. So entstand der Mythos einer bereits 120 Jahre bestehenden Geheimgesellschaft, gegründet von einem „Christian Rosenkreutz“. Ob dieser Mitarbeit wurde A. nach seinem Magisterexamen von der Universität verwiesen, worüber er in einem Bericht über ein Sozietätsprojekt an Herzog August folgende Hinweise macht: „Vor dem 23. oder 24. Jahr war es, als ich auf Anregung des Lüneburgischen Ritters Wilhelm Wense, des ganz besonderen Freundes, dieses formlose Bild einer Gesellschaft [societatis alicuius imaginem] ersonnen habe, das wir dem unwürdigen Scherz der fiktiven Bruderschaft des Rosenkreuzes entgegensetzten.“ (Brecht, S. 75)
Als A. Tübingen 1607 verlassen musste, führte er ein langjähriges Wanderleben und reiste über Strasbourg nach Genf, wo ihn die calvinische Kirchenzucht stark beeindruckte. Von dort ging es weiter nach Frankreich, dann über Österreich nach Italien. Nach Wiederaufnahme und Abschluss des Theologiestudiums wurde A. Diaconus (zweiter Pfarrer) in Vaihingen/Enz (1614-1620), wo er sein literarisches Werk hauptsächlich in lateinischer, aber auch in deutscher Sprache abfasste. Von 1620-1638 war er Spezialsuperintendent in Calw im Schwarzwald, wo er u.a. auch den Theophilus schrieb und zum Zeitzeugen der württembergischen Katastrophe im Dreißigjährigen Krieg wurde. Den Höhepunkt seiner Karriere erreichte er mit der Bestellung zum Hofprediger und Konsistorialrat in Stuttgart (1639-1650) und abschließend mit der Ernennung zum Prälaten des evangelischen Klosters Bebenhausen bzw. Adelberg.
Durch seine umfassende Tätigkeit verkörpert A. die protestantische Kultur Deutschlands im Übergang von der Renaissance zum Barock. Seine vielgestaltige Persönlichkeit ist bis heute Thema heftiger Auseinandersetzungen zwischen den verschieden orientierten Deutern seines schwierigen Werkes, das alle wichtigen Reformbestrebungen des Protestantismus vor dem Dreißigjährigen Krieg vereinigt.
Seine gesammelten Schriften, die von Wilhelm Schmidt-Biggemann seit 1994 herausgegeben werden und an die 20 Bände umfassen sollen, enthalten sämtliche Dichtungen, Lehrschriften und philosophischen Werke sowie eine repräsentative Auswahl der Gelegenheitsschriften und Leichenpredigten, die für die Zeit Andreaes charakteristisch sind. Den lateinischen Schriften ist eine deutsche Übersetzung beigegeben. Alle Texte sind durch Einleitung und Sachkommentare erläutert.
Andreaes zentrales Anliegen war die Durchsetzung einer „zweiten“ Reformation, welche die durch Luther vollzogene Reformation der Lehre durch die Reformation des Lebens zu ergänzen und zu vervollständigen sucht. Als scharfer Kritiker der Kirchenpolitik der lutherischen Obrigkeit wie der Glaubenspraxis der lutherischen Kirche erhoffte er allein von der Kirchenzucht die notwendige Durchsetzung der Pietas im kirchlichen und christlichen Leben. Dabei orientierte er sich besonders an der Zucht, welche die Genfer Kirche repräsentierte. Bei einem Besuch in Genf 1611 war er von den dortigen Sittengerichten so beeindruckt, dass er sich, wie er bekannte, fortan bemühte, etwas Ähnliches auch in seiner Kirche einzuführen. Den entscheidenden Anstoß zur Durchsetzung der Genfer Erfahrungen empfing er jedoch vom Lüneburgischen Generalsuperintendenten Johann Arndt (1555-1621). In dessen Vier Bücher[n] vom wahren Christentum (1606/1610), dem bedeutendsten protestantischen Erbauungsbuch des 17. Jhs., sah Andreae die ideale Verbindung von evangelischer Frömmigkeit, und so wurde Arndt zu seinem geistigen Vater. Da das „Wahre Christentum“ besonders von den „schwärmerischen Kreisen“ begeistert aufgenommen wurde, geriet auch Andreae in den Verdacht der Häresie, sodass er sich im Widmungsbrief zu seiner Selbstbiographie zu folgender eindeutiger Erklärung gezwungen sah: „Daher bezeuge ich sowohl in der Stille als öffentlich im Lichte der christlichen Kirche gegen jene lichtscheuen Menschen heilig, dass ich mit den päpstlichen Pfützen, dem calvinischen hochtrabenden Stolz, den Lästerungen der Photinianer, der Heuchelei der Schwenkfeldianer, der Raserei der Weigelianer, dem Unflat der Wiedertäufer, den Träumereien der Schwärmer, den Ausrechnungen der Vorwitzigen, der Schlüpfrigkeit des Synkretismus, den Greueln des Libertinismus, endlich mit der Eitelkeit und den Täuschungen irgendeines Betrügers keine Gemeinschaft weder habe, noch gehabt habe, noch haben werde.“ (Theophilus, S. 11/12)
Hinsichtlich der Rosenkreuzer ist nur der Satz zu vernehmen: „Ich bin sicherer als sicher, dass es die Brüder des Rosenkreuzes nie wirklich, sondern nur als Fiktion gegeben hat.“ (Brecht, S. 31)
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