Abschneiden

(Ahd.: abschniden), durch Schnitte abtrennen, stutzen; ist besonders bei Haaren und Nägeln mit Vorstellungen der Beeinträchtigung der Lebenskraft verbunden. So verlor Simson nach Abschneiden seiner Locken alle Kraft: „Delila ließ Simson auf ihren Knien einschlafen, [rief einen Mann] und schnitt dann die sieben Locken auf seinem Kopf ab. So begann sie ihn zu schwächen, und seine Kraft wich von ihm“ (Ri 16,19).
Der Haarschnitt dient zudem der Reinigung bei Verunreinigung des Kopfes: „Wenn aber jemand in seiner Nähe ganz plötzlich stirbt und er dabei sein geweihtes Haupt unrein macht, dann soll er sein Haar an dem Tag abschneiden, an dem er wieder rein wird: Am siebten Tag soll er sein Haar abschneiden“ (Num 6,9).
Schließlich kann die Lebenskraft des Haares auch verführerisch sein: „Wenn eine Frau kein Kopftuch trägt, soll sie sich doch gleich die Haare abschneiden lassen. Ist es aber für eine Frau eine Schande, sich die Haare abschneiden oder sich kahl scheren zu lassen, dann soll sie sich auch verhüllen“ (1 Kor 11,6).
Diese Vorstellung, dass man mit dem Haar das Leben in Besitz nimmt, ist auch beim Skalpieren der Indianer lebendig (Friederici).
Von ähnlich magischer Bedeutung ist das Schneiden der Nägel, wobei es schon bei den Römern die Vorschrift gab, die Fingernägel am neunten Tag vom Zeigefinger an abzuschneiden (Plinius, XXVIII, 28).
Zudem gibt es eine Reihe astrologischer Vorschriften über die beste Zeit des Abschneidens von Haaren und Nägeln (Plinius, XVI, 194; XVIII, 321-322).
Aus Angst vor > Schadenzauber sind abgeschnittene Haare und Nägel zu verbrennen oder zu verbergen, damit sie nicht in fremde Hände gelangen. Schließlich werden abgeschnittene Haare und Nägel auch zu Heilzwecken verwendet (Plinius, XXVIII, 86).

Lit.: C. Plinius Secundus: Naturalis historia; Friederici, Georg: Skalpieren und ähnliche Kriegsgebräuche in Amerika. Fotomech. Nachdr. der Ausg. Braunschweig 1906. Kassel: Hamecher, 1991.
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