Auch Alchimie bzw. Alchymie, gebildet aus dem arabischen Artikel al- und dem griechischen Wort χημεια, das vom altsemitischen bzw. ägyptischen kemi, das Schwarze (= Ägypten) stamme, besage somit „ägyptische Kunst“ bzw. „Schwarze Kunst“. χημεια wird aber auch vom griechischen χυμοισ (Saft, Feuchtigkeit) abgeleitet, weshalb Alchemie die Lehre von den inneren Zusammenhängen der Stoffe, nämlich die Chemie, bezeichne. Die Alchemisten selbst nennen ihr Tun eine Kunst, auch eine göttliche oder heilige Kunst. In den Schriften kommen aber gelegentlich die Ausdrücke „chymia“ oder „chemeia“ vor, was mit „chyma“ (Metallguss) in Zusammenhang gebracht wird, woraus sich im Arabischen „kymia“ bzw. „al-kimiya“ und daraus im Lateinischen „alchemia“ oder „alchimia“ bildeten. Als sich im 17. Jh. die Chemie von der Alchemie abtrennte, fiel das arabische Präfix zur Unterscheidung weg.
Sicher ist jedenfalls, dass die Alchemie im 1. Jh. n. Chr. in Ägypten entstand, das damals kulturell dem Einfluss des Hellenismus unterlag. Zentren waren wahrscheinlich Alexandria und andere unterägyptische Städte, wo man Alchemie in den Tempelwerkstätten praktizierte, da nur bei der hellenistisch gebildeten Priesterschaft die für die Entstehung der Alchemie notwendigen Voraussetzungen gegeben waren. So weist die Alchemie neben einem chemisch-technischen auch einen spirituellen Aspekt auf, die beide miteinander verwoben sind. Das technische Ziel bestand in der Umwandlung (> Transmutation) der unedlen Metalle in Gold oder Silber, während das spirituelle Ziel der Läuterung und Vervollkommnung der Seele des Alchemisten diente.
Die Quellen, aus denen die Alchemie hervorging, sind die praktische Chemie der Tempelpriester, die aristotelische und die stoische Materietheorie, die > Gnosis, babylonische Astrologie und ägyptische Mythologie. Die Zeugnisse dieses Tempelhandwerks sind der > Papyrus Leiden und der > Papyrus Stockholm. Die Schriften der A. sind in der Regel in griechischer Sprache verfasst, sodass man auch von „griechischer Alchemie“ spricht.
Zur Klärung der Entstehung und des Aufbaus des Kosmos entnahm man der aristotelischen Materietheorie die Vorstellung vom Aufbau der Stoffe aus „Materie“ und „Form“ und die Existenz der Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde sowie die Möglichkeit ihrer Umwandlung, während man von der stoischen Materietheorie das die Form ersetzende Pneuma übernahm, was sich in der Dualität von Körper und Geist widerspiegelt. Die Anschauung von der Erlösung der Materie oder des Geistes in der Materie geht hingegen auf die > Gnosis zurück, die ihre Blütezeit im 2. Jh. erlebte. Zur Gnosis gehören auch die „hermetischen Texte“, die > Hermes Trismegistos, dem sagenhaften Begründer der Alchemie, zugeschrieben werden.
Um das 7. Jh. wurde die griechisch-ägyptische Alchemie von der arabischen Alchemie abgelöst, wobei die Araber vornehmlich die technischen Aspekte der Alchemie aufgriffen. Zunächst bediente man sich der Übersetzung alchemistischer Schriften in das Arabische, doch verfassten im späten 9. und im frühen 10. Jh. arabische Autoren selbst bedeutende eigenständige Texte. Die wichtigsten Textkorpora wurden > Jabir ibn Hayyan (> Geber) und Muhammad ibn Zakariyya al-Razi (> Rhazes) zugeschrieben, wenngleich die meisten der etwa 3.000 Texte nicht aus der Zeit der angeführten Autoren stammen. Jabir soll um 812 gestorben sein und nur das „Buch der Gnade“ (Kitab al-rahma) könnte aus dieser Zeit stammen.
Die Jabir zugeschriebenen Texte entwickelten eine komplexe „Lehre von Gleichgewichten“, welche besagt, dass alle Körper aus den vier „Naturen“ (heiß, kalt, trocken, feucht) aufgebaut seien, wobei auch Angaben zu deren zahlenmäßigen Verhältnissen in den einzelnen Stoffen gemacht werden. Durch Veränderung dieses Verhältnisses ließen sich die Körper umwandeln. Dieser Gedanke hatte großen Einfluss auf die abendländische Alchemie, so auf > Johannes von Rupescissa und > Paracelsus.
Im mittelalterlichen Europa war die Alchemie bis zur Übersetzung von „De compositione alchimiae“ des > Morienus von 1144 völlig unbekannt. Es folgten die Übersetzungen der Jabir zugeschriebenen „Siebzig Bücher“ als „Liber septuaginta“ durch Gerhard von Cremona, dem bald das „Buch der Geheimnisse“ des al-Razi als „Liber secretorum de voce Bubacaris“ folgte. Diese Werke verschafften den Europäern zusammen mit weiteren Werken, die namhaften Autoren wie Avicenna und Aristoteles untergeschobenen wurden, fundamentale Kenntnisse in Mineralogie, Botanik, Metallurgie und der Destillation mannigfaltiger Stoffe. Einen letzen Beitrag der arabischen Astrologie stellt die Eingliederung der Alchemie in das fälschlicherweise Aristoteles zugeschriebene Buch „Secretum secretorum“ (Geheimnis de Geheimnisse) dar, welches die Alchemie an vielen gelehrten Fürstenhöfen einführte und eine Fassung der > Tabula Smaragdina des Hermes Trismegistos enthält.
Zur eigentlichen Verbreitung der Alchemie kam es in Europa um 1250, als > Albertus Magnus sein Werk „De mineralibus“ veröffentliche, in dem er die Alchemie mit seinen Vorstellungen von der Bildung von Metallen und Salzen im Erdinnern zu verbinden sucht. Das Werk führte zur Entstehung eines Corpus pseudonymer Texte und diente wahrscheinlich als Quelle für Gebers „Summa perfectionis“ Ende des 13. Jhs. mit seiner einflussreichen Korpuskularlehre. Roger > Bacon (1214-1292) versucht in seinen drei großen Werken „Opera“ die Alchemie sogar in den Dienst einer Reform der scholastischen Wissenschaft und der Lebensverlängerung zu stellen.
Diese überaus großen Erwartungen in die Alchemie stießen jedoch bereits im späten 13. Jh. auf den entschiedenen Wiederstand verschiedener Orden, vor allem der Dominikaner und Franziskaner, der 1317 zur Bulle „Spondent quas non exhibent“ durch Papst Johannes XXII. führte, die sich gegen die unlauteren Geschäfte mit der Alchemie wandte, ohne damit das Interesse brechen zu können. So erlebte im 14. Jh. der „Liber de consideratione quintae essentiae omnium rerum“ (Buch der Betrachtung der Quintessenz aller Dinge), das Johannes von Rupescissa um 1350 in franziskanischer Klosterhaft schrieb, einen erstaunlichen Erfolg. Rupescissa spricht von einer Isolierung der > Quintessenz aus gewöhnlicher Materie mittels Lösen in Säuren, Extraktion mit Alkohol und nachfolgender Destillation und Cohabitation.
Der große Symbolreichtum der Alchemie, in den bereits im Mittelalter christliche Symbole einflossen, hatte auch auf die Reformation seine Wirkung. > Luther (1483-1546) und die Calvinisten schätzten die Alchemie, während sie Erasmus von Rotterdam ablehnte.
Paracelsus (1493-1541) entfaltet in seiner „Philosophia Atheniensis“ eine alchemistische Interpretation der biblischen Genesis. Die Schöpfung wird als Abscheidungsvorgang im Sinne einer Trennung des Oben und Unten, des Guten und Bösen, des Männlichen und Weiblichen verstanden – eine Vorstellung, die großen Anklang fand. So erfuhren die Alchemie und der Paracelsismus während der englischen Glorious Revolution (1688), wie überhaupt in der Renaissance und der frühen Neuzeit, eine außerordentliche Verbreitung. Die Florentiner Medici hielten sich Alchemisten an ihrem Hof und die Fürstenhöfe förderten sie. Heinrich IV. (1589 – 1610) drängte die Gelehrten seines Landes sogar, sich der Alchemie zuzuwenden, um durch die Entdeckung des Steins der Weisen und die dadurch erhoffte Goldflut die Schulden des Landes abbezahlen zu können.
Die Möglichkeit der Metalltransmutation wurde noch im 17. Jh. nicht ausgeschlossen, doch bewegte sich die Alchemie mit Paracelsus und seiner Anhängern bereits von der Golderzeugung weg hin zur Reform der Medizin, nämlich zur > Chemiatrie und > Iatrochemie. Schließlich verlor die Alchemie mit dem Triumph der von Antoine Laurent Lavoisier (1743-1794) entwickelten quantitativen naturwissenschaftlichen Chemie endgültig den wissenschaftlichen Status. Ihr technisches und spirituelles Gedankengut wurde daraufhin von Theosophen und Naturphilosophen wie Franz > Baader (1765-1841), Friedrich Wilhelm > Schelling (1775-1854), dem Orden der > Rosenkreuzer, den Swedenborgianern, den Okkultisten sowie von esoterischen Vereinigungen fortgeführt und findet in der Gegenwart in vielfältigen alternativen religiösen Gruppierungen, medizinischen Anwendungen, Lebensberatungen, Gesundheitstheorien und Unsterblichkeitsangeboten von > UFO-Entführungen bis zu Science Fiction-Produktionen in Film und Schrifttum reichen Anklang. Dabei wird alles aufgegriffen, was Alchemisten in ihrem Bemühen um > Sublimation erdacht haben: Den Ausgangspunkt bildet bekanntlich die > materia prima (Urmaterie), das Grob- und Feinstoffliche, das Samenhafte und Potentielle, dem in den Wissenschaftstheorien das Chaos, in der Psychologie das Unbewusste (C.G. > Jung) und in der modernen Biologie die Stammzellen entsprechen.
In diesem potentiellen Urgrund sieht man alle Gestaltungsmöglichkeiten bis hin zur Unsterblichkeit, den > lapis philosophorum, das Lebenselexier, die > quinta essentia. Dazwischen liegt das Auf und Ab der Sublimationsprozesse: Mischung (mixtura), Trennung (separatio), Vereinigung (coniunctio), Tod (mortificatio), Faulung (putrefacio), Verkalkung (calcinatio), Lösung (solutio), Bindung (coagulatio), Scheidung (destillatio), Läuterung (sublimatio). Dabei spielen die fünf Elemente Feuer, Wasser Luft, Erde und Äther (sanskr. akasha), die Zweiheit oder Dreiheit der kosmischen Prinzipien eine Rolle: Schwefel (sulphur) und Quecksilber (mercurius), bei Jabir durch Arsenik, bei Paracelsus durch Salz (sal) ergänzt, worin die 2 archai der Stoa, das chinesische yin und yan, und die indische Dreiheit sattva, rajas, tamas anklingen. Hinzu kommt noch der Einfluss der 5 bzw. 7 (mit Sonne und Mond) Planeten.
Lit.: Ruska, L.J.: Übersetzung und Bearbeitungen von al-Razi‘s Buch „Geheimnis der Geheimnisse“. Quellen und Studien 4 (1935) 3, 1-87; Kraus, Paul: Ibn Hayyan, Jabir. Contribution à l‘histoire des idées scientifiques dans l‘Islam, 2 Bde., Kairo 1942/43; Jaffé, Aniela: Aus Leben und Werkstatt von C.G. Jung: Parapsychologie, Alchemie, Nationalsozialismus, Erinnerungen aus den letzten Jahren. Zürich; Stuttgart: Rascher, 1968; Jung, C.G.: Mysterium Coniunctionis: Untersuchungen über die Trennung und Zusammensetzung der seelischen Gegensätze in der Alchemie. Zürich; Stuttgart: Rascher, 1968 (C.G. Jung Gesammelte Werke; 14/1); Biedermann, Hans: Materia Prima: eine Bildersammlung zur Ideengeschichte der Alchemie. Graz: Verlag für Sammler, 1973; Newman, William R.: The „Summa perfectionis“ of Pseudo-Geber. A Critical Edition, Translation and Study. Leiden: E. J. Brill, 1991; Burckhardt, Titus: Alchemie: Sinn und Weltbild. Andechs: Dingfelder, 21992 (Edition Ambra). Zeittafel d. i. Text zitierten hermetischen u. mystischen Verfasser; Grundlegende Werke über Alchemie; Autorenkurzbiographie; Roberts, Gareth: The Mirror of Alchemy: Alchemical Ideas and Images in Manuscripts and Books; From Antiquity to the Seventeenth Century. Toronto: University of Toronto Press, 1994; Jung, C.G.: Psychologie und Alchemie. Solothurn; Düsseldorf: Walter, 71994 (C.G. Jung Gesammelte Werke; 12); Reyo, Zulma: Innere Alchemie: der Weg der Meisterschaft. Freiburg/Br..: Hermann Bauer, 1995; Claus Priesner; Karin Figala (Hrsg.): Alchemie: Lexikon einer hermetischen Wissenschaft. München: Beck, 1998; Schütt, Hans-Werner: Auf der Suche nach dem Stein der Weisen: die Geschichte der Alchemie. München: C.H. Beck, 2000; Alchemie, Rosenkreuzer, Freimaurer, Magie, Kabbala/H.T. Hakl (Mitarb.). Sinzheim: AAGW, 2001; Kistemann, Wolfgang: Alchemie – Astrologie – Magie – Freimaurer – Rosenkreuzer – Östliche Weisheit. Berlin: Antiquariat f. Occulta & Masonica.