Padgett, Jason

(* 07.10.1972 Oklahoma City, Oklahoma, USA, als Jason Henson Padgett), Autor, Produzent und Inselbegabter.
P. verzeichnete in der Schule sowohl in Sprachen als auch in Naturwissenschaften und Mathematik nur mäßigen Erfolg. Zahlen und Geometrie interessierten ihn überhaupt nicht und Algebra bereitete ihm sogar große Mühe. Er quälte sich durch die Klassen bis zum Abschluss und besuchte dann sogar das College. Im Grunde wollte er sich aber nur amüsieren. Ein Job als Matratzenverkäufer im Geschäft seines Vaters reichte ihm, um die Miete zu bezahlen, einzukaufen und seine Hobbys zu finanzieren. Er glaubte, dass das immer so weitergehen würde, doch am 13. September 2002 lauerten ihm zwei Männer auf, die es auf seine 99-Dollar-Jacke abgesehen hatten, und schlugen auf ihn ein. Padgett erinnert sich nur noch an einen dumpfen Aufprall und dass in seinem Kopf ein weißes Licht aufblitzte. Er fiel in eine kurze Ohnmacht. Als er wieder zu sich kam, wurde er von allen Seiten attackiert. Die Angreifer schlugen ihm mehrmals auf den Hinterkopf und traten ihn. Später in der Nacht diagnostizierten die Ärzte eine schwere Gehirnerschütterung sowie eine Nierenblutung und schickten ihn anschließend mit Schmerzmitteln nach Hause.
Als er am nächsten Morgen in sein Badezimmer ging, nahm er plötzlich hochkomplexe geometrische Muster wahr. Das Wasser aus dem Wasserhahn floss in Linien in das Becken. Zunächst war Padgett schockiert und besorgt. Er dachte, er sei verrückt, doch sahen die Wasserlinien wunderschön aus und er begann zu malen, was er sah. Dabei wusste er noch nicht, dass er Muster malte, die man in der Mathematik Fraktale nennt. Mit einem Schlag war er von Geometrie und Physik fasziniert und die Zahlen, mit denen er zuvor nur in seinem Möbelladen und bei der Begleichung seiner Kneipenrechnungen zu tun hatte, wurden zu seinem Lebensinhalt. Er „sah“ die Formel hinter der Zahl Pi, begeisterte sich für Primzahlen und verstand auf einmal Einsteins Relativitätstheorie, konnte sich aber all das nicht erklären.
Dann sah er eine von der BBC ausgestrahlte Dokumentation über den Inselbegabten Daniel Tammet, der mehr als 22.000 Stellen hinter dem Koma von Pi aufsagen konnte. Als Fachmann trat Dr. Darold Treffert aus Wisconsin auf. P. ließ sich daraufhin von Treffert untersuchen. Seine Diagnose war eindeutig: P. gehöre zu jener kleinen Gruppe von Inselbegabungen, die auf einem bestimmten Gebiet ein besonders ausgebildetes Talent aufweisen, in anderen Bereichen aber oft eher begrenzt bis sehr eingeschränkt sind. P. fühlt sich zwar völlig normal, ist jedoch besessen von der Angst, krank zu werden, und wäscht sich pausenlos die Hände, leidet also an einer Zwangsneurose. Er geht kaum noch aus, verabscheut grelles Licht und verhängte aus diesem Grund die Fenster mit Decken. Auch Besucher empfängt er nur noch selten.
Was die wissenschaftliche Untersuchung betrifft, so wurde er im Brogaard Lab for Multisensory Research in Miami, USA, einer Gehirntomographie unterzogen. Dabei stellte man fest, dass die linke Hirnhälfte, die für das mathematische Verständnis zuständig ist, deutlich aktiver war als seine rechte. Zudem vertrat man nach all den Analysen die Ansicht, dass gerade die Schläge auf den Hinterkopf das besondere Talent ausgelöst hätten. Trotz der an P. vorgenommenen wissenschaftlichen Untersuchungen lässt sich aber nicht sagen, ob seine Begabungen von Dauer sein werden.
Das Besondere an seiner Geschichte ist, dass er nicht als Inselbegabter geboren wurde. P. ist vielmehr einer von etwa 30 Inselbegabten weltweit, deren spezielles Talent plötzlich auftauchte. Bei ihm geschah dies durch einen brutalen Überfall mit Körperverletzung und Schock, wie er in seinem 2014 zusammen mit Maureen Seaberg veröffentlichten Buch Struck by Genius schreibt. Zudem verfügen von den Personen, die sich durch „erworbene Inselbegabungen“ auszeichnen, nur wenige über mathematische Fähigkeiten. P. deutet dies dahingehend, dass in jedem Menschen eben verschiedene unentdeckte Stärken liegen.
Wie erwähnt, sieht P. seit dem Überfall in der Natur überall Muster und Winkel. Er beschreibt seine Eindrücke als diskrete Bildrahmen, die in Realzeit von Linien getragen werden. Ein Rastereindruck entsteht. Mit dieser neuen Sicht verband sich eine überraschende mathematische Zeichner-Qualität. So begann er mit dem Zeichnen von Kreisen mit überlagernden Dreiecken, was ihm das Verständnis der Zahl Pi ermöglichte. Er kennt die Zahl, weil er stets die Ecken eines Polygons sehen kann, das sich einem Kreis nähert. Daher gefällt ihm auch der Begriff Unendlichkeit nicht, weil er jedes Muster als eine endgültige Konstruktion von kleineren und kleinsten Einheiten wahrnimmt.

W.: Padgett, Jason/Seaberg, Maureen: Struck by Genius: How a Brain Injury Made Me a Mathematical Marvel. Boston [u.a.]: Houghton Mifflin Harcourt, 2014.
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