Fingerorakel

Altirische Ollaven, hochgelehrte Meisterdichter, beherrschten die Meisterschaft der „Vorträge aus den Fingerspitzen“. Diese Form „extemporierter Prophezeihungen oder Dichtungen“ bestand aus grandiosen Gedächtnisleitungen über die Finger, war doch das altirische Alphabet auch den Hand- und Fingergliedern zugeordnet. Das System überlebte als Fingerorakel in der Chiromantie und in mittelalterlichen Hexenkulten Britanniens.
Heute gibt es davon eher profane Deutungen. Der Daumen sollte übernatürliche Kräfte besitzen und spielt daher heute noch die Rolle des Gücksfängers beim Daumenhalten oder -drücken. Der zweite Finger wurde in seiner Bedeutung als Zeige- und Hinweisfinger planetarisch dem Zeus/Jupiter zugeordnet und in Griechenland Paionios (Bewahrer von Übel) genannt. Durch einen ausgestreckten Mittelfinger, der dem Planeten Saturn zugeordnet wurde, brachten Römer wie Griechen ihre höchste Verachtung zum Ausdruck. Mit dem von der Sonne beherrschten Ring-, Herz-, Gold- oder Arztfinger zogen frühere Heiler die beschwörenden Krankheitskreise um einen Krankheitsherd. Bereits seit der Antike glaubte man auch, dass von diesem Finger eine Arterie direkt zum Herzen führe, was ihn dazu prädestinierte, den Ehering zu tragen. Dem Kleinen Finger, dessen Planet der Merkur war, schrieb man die Gabe der Wahrsagung zu. Man benutzte ihn für Teufelspakte, die mit Blut unterschrieben werden mussten. Daher nehme der Teufel gleich die ganze Hand, so hieß es, wenn man ihm nur den kleinen Finger reiche.

Lit.: Bauer, Wolfgang/Zerling, Clemens: Lexikon der Orakel. München: Atmosphären Verlag, 2004.
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