Dornröschen

So wird das Mädchen genannt, das infolge eines Fluches 100 Jahre hinter einer undurchsichtigen Dornenhecke schläft, weil es sich an einer Spindel gestochen hat. So wird erzählt:
Ein König und eine Königin wünschten sich ein Kind. Als die Königin einmal im Bad saß, kroch ein Krebs aus dem Wasser ans Land und sagte, dass ihr Wunsch in Erfüllung gehen und sie innerhalb eines Jahres eine Tochter zur Welt bringen werde. Als es dann so weit war, lud der König seine Untertanen, darunter 12 weise Frauen (Feen) zu einem Fest ein, nicht auch die Dreizehnte, aus Mangel an Geschirr. Diese belegte das neugeborene Mädchen mit dem Fluch, dass es sich an seinem fünfzehnten Geburtstag an einer Spindel stechen und daran sterben solle. Eine der 12 übrigen Feen wandelte den Todesfluch in einen hundertjährigen Schlaf um, woraufhin der König alle Spindeln im Königreich verbrennen ließ.
Am fünfzehnten Geburtstag traf das Mädchen im Turmzimmer eine alte Frau beim Spinnen. Sie wollte es auch einmal versuchen, stach sich dabei aber mit der Spindel in den Finger und fiel mit dem gesamten Hofstaat in einen tiefen Schlaf. Das Schloss wurde mit einer undurchdringlichen Dornenhecke umgeben, die sich nach hundert Jahren in Rosen verwandelten. An diesem Tag gelang es einem Prinzen, in den Turm zu kommen, wo er die Königstocher wachküsste, woraufhin auch der Schlaf des Hofstaates beendet war. D. und der Prinz heirateten und lebten glücklich bis an ihr Lebensende.
Zwei Fragen knüpfen sich an das Märchen und seine Heldin: einerseits die Möglichkeit eines Zusammenhangs mit dem Brünhildmythos, andererseits die Frage, ob vielleicht ein Natur- (Jahreszeiten-, Astral- oder Vegetations-)mythos, die Symbolisierung eines Rechtsbrauches oder eine Fahrt in das Totenreich zugrunde liegen. Prinzipiell können solche Erklärungen jedoch nur die einzelnen Motive betreffen, während die Märchenerzählung selbst als reine Dichtung zu sehen ist.

Lit.: Spiller, Reinhold: Zur Geschichte des Märchens vom Dornröschen. Frauenfeld: Hubert & C., 1893; Brüder Grimm: Kinder- und Hausmärchen. Vollständige Ausgabe. Mit 184 Illustrationen zeitgenössischer Künstler und einem Nachwort von Heinz Rölleke. Düsseldorf/Zürich: Artemis & Winkler/Patmos, 1999.

 
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