Cusanus, Nicolaus

Nikolaus von Kues oder Nicolaus de Cusa, eigtl. Nikolaus Cryfftz oder Krebs (* 1401 Kues an der Mosel, heute Bernkastel-Kues, Deutschland; † 11.08.1464 Todi, Italien), Kanonist, Mathematiker, Theologe, Bischof, Kardinal.
Als Sohn des reichen Flussschiffers und Kaufmanns Johann Krebs und dessen Frau Katharina geb. Roemer studierte C. ab 1416 in Heidelberg die freien Künste und begann als Baccalaureus der Freien Künste 1417 das Studium beider Rechte an der Universität von Padua, das er 1423 als „doctor decretorum“ abschloss. 1425 war er in Köln als „doctor in iure canonico“ immatrikuliert. 1428 reiste er nach Paris um die Originalschriften des Raimundus Lullus zu studieren. Dabei stieß er auf den Begriff concordantia, der schon bald zum Zentralbegriff seines Denkens wurde. 1432 nahm er am Konzil von Basel teil und wurde sehr bald zu einem der angesehensten Teilnehmer. In dieser Zeit entstand seine erste grundlegende Schrift, De concordantia catholica. 1427 reiste C. mit einer dreiköpfigen Delegation nach Byzanz, um Kaiser und Patriarch zum Unionskonzil von Ferrara einzuladen. Bei der Rückreise auf dem Seeweg hatte C. nach eigenen Angaben eine Art Erleuchtung, die ihn erkennen ließ, wie das menschliche Wissen das Unbegreifliche in wissendem Nichtwissen umfassen könne, nämlich im Bemühen des menschlichen Geistes, in dem er sich zu jener Einheit emporhebt, in der die Gegensätze zusammenfallen. Diese Einsicht legte er dann 1440 in seinen Schriften De docta ignorantia und De coniecturis (1442/43) nieder.
In Anerkennung seiner zahlreichen kirchlichen Dienste erhob ihn Papst Nikolaus V. im Dezember 1448 offiziell zum Kardinal, wies ihm Anfang 1449 San Pietro in Vinculi in Rom als Titelkirche zu und bekleidete ihn am 11. Januar 1450 mit dem Purpur. Am 23. März 1450 ernannte ihn Papst Nikolaus V. zum Fürstbischof von Brixen und erteilte ihm am 26. April die Bischofsweihe. Die Priesterweihe hatte er wahrscheinlich zwischen 1436 und 1440 erhalten. Vor Antritt seiner bischöflichen Tätigkeit in Brixen bereiste er noch als päpstlicher Legat die deutschen Lande, um die Gnaden des Heiligen Jahres 1450 zu verkünden und um dort Kirche, Klöster und Orden zu reformieren. Seinen Dienst in Brixen trat er 1452 an, doch kam es zu solchen Auseinandersetzungen mit Herzog Sigismund von Tirol, dass er 1458 nach zermürbenden Jahren aufgab und sein Bistum in Richtung Rom verließ. Papst Pius II. bestellte ihn 1459 zum Legaten und Generalvikar für den Kirchenstaat. Nach seiner Rückkehr 1460 nach Brixen belagerte Herzog Sigismund die Burg Buchenstein, auf die sich C. flüchten musste. Durch die Gefangennahme durch Herzog Sigismund gedemütigt, beugte er sich der Gewalt und kehrte für immer nach Rom zurück, ohne jedoch als Bischof von Brixen zu resignieren. Er stand fortan bis zu seinem Tod wieder ganz im Dienst der Gesamtkirche. Sein Grab befindet sich in seiner Titelkirche in Rom, S. Pietro in Vincoli, sein Herz, seinem Wunsch entsprechend, in der Kapelle seiner Stiftung, des St. Nikolaus-Hospitals in Kues, wo auch seine Bibliothek ist.

Mehr als erstaunlich ist neben dieser rastlosen kirchlichen Tätigkeit die Anzahl und die weitgespannte Thematik seiner Werke mit dem berühmt gewordenen Begriff der coincidentia oppositorum, der theologisch von der Suche nach Gott und philosophisch vom Streben nach Weisheit geleitet ist. Die Koinzidenz des zu Gott aufstrebenden inneren Menschen und der Abstieg Gottes zum Menschen vollzieht sich nach De docta ignorantia in der Person Jesu Christi, dem wahren Gott und wahren Menschen zugleich. In De coniecturis vertiefte er diesen Begriff philosophisch. Um 1445 folgten zum weiteren Ausbau seiner Grundeinsichten die kleinen Schriften Der verborgene Gott, Das Suchen Gottes und Die Gotteskindschaft. Ihnen schlossen sich die größeren Werke an: Der Laie (1450), Vom Sehen Gottes, Vom Frieden im Glauben (1453), Vom Beryll (1458), Vom Können-Sein (1460), Die Sichtung des Alkorans (1461), Vom Nichtanderen (1462) sowie Die Jagd nach Weisheit und die Schrift Vom Globusspiel (1463).
Die Themen dieser theologischen und philosophischen Werke sind Gott, Welt, Mensch, ihr Verhältnis zueinander und das Bemühen des Menschen, dieses Verhältnis zu erkennen. Der Mensch kann ein Netzwerk der Beziehungen erkennen, nicht aber das Wesen der Dinge und noch weniger Gott. In Gott fallen die Gegensätze zusammen (coincidentia oppositorum) und der Satz vom Widerspruch verliert seine Bedeutung. Das genaue Wissen um die Unwissenheit (De docta ignorantia) transzendiert die menschliche Erkenntnisfähigkeit und wird zum Ausgangspunkt der mystischen Erfahrung, die bei C. über die von individuellen Gefühlsmomenten getragene Mystik des Mittelalters hinausgeht, indem er für den Inhalt auch eine philosophische Formel fand, nämlich die von Gott als dem „Nicht Anderen“. Diese mystische Theologie, die er in De visione dei näher entfaltete, hatte eine besondere Wirksamkeit.
Paranormologisch ist neben seiner Mystik insbesondere seine Stellung zur > Astrologie und zu den mantischen Künsten, wie > Geomantie (Punktier- und Sandkunst), > Augurium, > Pyromantie und > Physiognomik von Bedeutung. C. hält wenig davon, denn der Weise soll für Derartiges keine Zeit verlieren. Die > Alchemie hält er in begrenzter Form für möglich. Bereits 1440 hatte er in De docta ignorantia Kritik an Alchemie, Magie, Medizin und den übrigen Künsten der Verwandlung geübt. Ihnen fehle die Genauigkeit der Wahrheit. In seinen Predigten konzediert er im Blick auf die drei Weisen in der Bibel begrenzt die Bedeutung der Sterne und der Astrologie, kritisiert aber „böse Magier“, die ein todeswürdiges Verbrechen begehen. Magische Handlungen sind zwar nicht widergöttlich, sie können zu einer natürlichen Wirkung verwendet werden, ebenso aber auch zu Ehren des Teufels. Daher können magische Handlungen in Verbindung mit astrologisch-astronomischen Wahrnehmungen etwa in der Heilkunde „als Geheimnisse der Natur“ erlaubt sein, sofern sie frei von Einmischungen des Teufels sind.
Wenn auch die philosophischen und theologischen Lehren von C. zu keiner Schulgründung führten, so wirkten sie doch ganz verschieden auf die Nachwelt, unter anderem auch auf bedeutende „Grenzgänger“ wie Giordano > Bruno, > Marsilius Ficinus, > Pico della Mirandola, Leonardo da Vinci und > Campanella.

W.: Nicolai de Cusa, Opera omnia. Heidelberg: Winter, 2006.
Lit.: Goldammer, Kurt: Der göttliche Magier und die Magierin Natur. Stuttgart: Franz Steiner, 1991; Flasch, Kurt: Nikolaus von Kues. Frankfurt/M.: Klostermann, 2008; Vollmer, Nicole: Erkenntnis und Mystik bei Nikolaus von Kues [Elektronische Ressource]. München: GRIN Verlag GmbH, 2009.

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