Corpus hermeticum

(Lat. corpus, Werk; hermeticum, abgeschlossen, verborgen), Sammlung von 17 anonymen Prosaschriften synkretistisch-esoterischen Inhalts, die wahrscheinlich in Ägypten entstanden ist. Über die Autoren der einzelnen Texte besitzen wir keinerlei Nachrichten. Sie benutzten die literarische Fiktion, dass Hermes, der mit dem ägyptischen Gott Thot, dem Gott der Weisheit und Schreibkunst, identifiziert wurde, in Vorzeiten seine Söhne unterwiesen habe und diese Gespräche auf Stelen in den ägyptischen Heiligtümern aufschreiben ließ.
Die Schriften wurden in der Zeit vom 1. bis zum 3. Jh. verfasst, zwischen 500 und 1100 zusammengestellt und häufig nach dem Titel des ersten Traktats „Poimandres“ („Der Menschenhirt“) benannt.

Die 17 Traktate des CH haben folgenden Inhalt: CH I, Poimandres, enthält einen Mythos über die Weltentstehung. CH II identifiziert den Raum, in dem sich der Kosmos bewegt, mit Gott. CH III enthält einen Lobbericht des Hermes über die göttliche Schöpfung. CH IV beschreibt ein hermetisches Ritual, bei dem ein mit Geist gefüllter Mischkrug eine Rolle spielt. CH V enthält einen erkenntnistheoretischen Teil und ein Lob der Schöpfung in Mikro- und Makrokosmos. CH VI beschreibt Gott als gut, die Schöpfung aber als schlecht. CH VII handelt von der Verderbtheit der Materie und des menschlichen Körpers. CH VIII betont, dass Nichts von Allem verloren geht, was ist. CH IX thematisiert die Prämissen, die durch das Denken und die Wahrnehmung vorgegeben sind. CH X und XI geben eine Darstellung des hermetischen Weltbildes. CH XII befasst sich mit dem Schicksal. CH XIII behandelt die Wiedergeburt. Angeschlossen ist ein Dankgebet an den ganzen Kosmos. CH XIV erörtert die verschiedenen schöpfungstheologischen Positionen. CH XV beschreibt Hermes Trismegistos. CH XVI enthält eine an der Gestalt des „Götterkönigs Amun“ aufgehängte Sonnentheologie, verbunden mit einer mythischen Kosmologie, in der Dämonen eine wichtige Rolle spielen. CH XVII beschreibt die hermetische All-Einheits-
Theologie mit heidnischen und polytheistischen Kultpraktiken.
Im Mittelalter war das CH außer durch Lactantius (Div. inst. I, 6, 1-5; De ira Dei XI) vor allem durch die Kirchenväter Augustinus (De civ. Dei VIII, 23-26) und Clemens von Alexandria (Stromata VI, 4, 35-38) in Auszügen bekannt. Der vollständige Text wurde allerdings erst zugänglich, als 1460 ein Mönch im Dienst des Cosimo von Medici in Mazedonien das griechische Manuskript entdeckte und nach Florenz brachte (Biblioteca Medicea Laurenziana, Codex Laurentianus LXXI 33 (A)). 1463 beauftragte Cosimo Marsilius Ficinus, dem er 1450 die Gründung einer platonischen Akademie anvertraut hatte, noch vor den Werken Platons das CH zu übersetzen. 1471 wurde die lateinische Fassung erstmals als Pimander (eigentlich der Titel des ersten Traktats) gedruckt und erfuhr bis 1641 nicht weniger als 25 Auflagen, neben Übersetzungen in anderen Sprachen.
Das eigentliche Ziel und der wesentliche Inhalt dieser hermetischen Schriften liegen in der Erkenntnis Gottes als Schöpfer von Welt und Mensch. Wer Gott erkennt, ist fromm und erlangt das Heil. Unwissenheit bedeutet hingegen Schlechtigkeit und Verderben für den Menschen. Die Hermetiker selbst verstanden sich als Elite (CH IX 4, XIII, 13), die bei der Masse auf Unverständnis stößt.

Lit.: Colpe, Carsten/Holzhausen, Jens: Das Corpus Hermeticum Deutsch: Übersetzung, Darstellung und Kommentierung in drei Teilen. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog, o.J.; Der neue Pauly 3 (1999), Sp. 203-206; Ebeling, Florian: Das Geheimnis des Hermes Trismegistos. München: Beck, 2009.
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