Avatar(a)

Sanskr., „Herabkunft“, Inkarnation einer Hindu-Gottheit. Seit dem 4. Jh. n. Chr. bezeichnet A. die irdische Manifestation (Inkarnation) des Gottes Vishnu nach seiner freien Wahl, d.h., ohne an das Gesetz des Karma oder einen Fluch gebunden zu sein. Er nimmt dabei die Gestalt eines Tieres an bzw. durchlebt vollständig ein menschliches Leben von der Zeugung über die Geburt und den natürlichen Tod für eine bestimmte Aufgabe im Kosmos. Dabei ist er sich während seines ganzen Lebens seiner göttlichen Mission bewusst. Der A. kommt nämlich, um neue Wege der religiösen Verwirklichung zu finden und sie seinem > Zeitalter anzupassen. Er ist zudem in der Lage, den Mitmenschen seine göttliche Erkenntnis durch Berührung, Blick oder Schweigen zu übermitteln. Da er frei von allen Bindungen des Ichs ist, befindet er sich jenseits der Dualität.
A. bezieht sich direkt auf das zyklische Verständnis der Geschichte. Der Weltzeitenlauf wiederholt sich unendlich. Jedes Zeitalter besteht aus vier Abschnitten (Yugas). Da der Prozess vom Besseren zum Schlechteren geht, erscheint der A. am Ende jedes Zeitalters, um ein neues, gerechteres Zeitalter einzuleiten. „Immer dann, wenn der > Dharma (die rechte Ordnung) in Verfall gerät und damit ein Anstieg des > Adharma (der Unordnung) eintritt, dann erschaffe ich mich selbst. Zum Schutz des Guten und zur Vernichtung des Bösen und zur Festigung des Dharma werde ich in jedem einzelnen Weltalter geboren“ (Bhagavadgita IV, 7-8).

Nach der orthodoxen Vishnu-Theologie gibt es 10 A. des höchsten Gottes > Vishnu. Die Letzten von ihnen sind > Rama, > Krishna, > Buddha, und am Ende der gegenwärtigen Weltperiode wird > Kalki erwartet. Unabhängig von dieser Tradition betrachten die Hindus auch Jesus als A.
Heute steht A. zumeist generell für eine „göttliche Inkarnation“ und bezieht sich auf eine sehr hoch entwickelte spirituelle Persönlichkeit.
In der > Theosophie bezeichnet A. allgemein die Inkarnation des Göttlichen.

Lit.: Glasenapp, Helmuth von: Der Hinduismus: Religion und Gesellschaft im heutigen Indien. Nachdr. d. Ausg. v. 1922. Hildesheim [u.a.]: Olms, 1978; Pandey, R.K.: The Concept for Avatars. Delhi, 1979; Parrinder, Geoffrey: Avatar and Incarnation: the Divine in Human Form in the World’s Religions. Oxford: Oneworld, 1997.
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