Australien

Von Seefahrern und Geographen des 17. Jhs. terra australis incognita (lat., das unbekannte südliche Land) genannt, verblieb mit einer Fläche von 7.692.030 km2 die lateinische Bezeichnung „australis“ (südlich) als Name. A. war die Heimat vornehmlich nomadisierender Völker, die von den Erträgnissen der Jagd (Känguruhs, Wallabies, wilde Truthähne, Emus, Ackerfalken) und der Ernte wild wachsender Nahrungspflanzen lebten.
Der Beginn der Besiedlung des australischen Kontinents lässt sich nur sehr ungenau bestimmen. Schätzungen von Wissenschaftlern gehen 60.000 bis 120.000 Jahre zurück, um das Einwandern der ersten Menschen aus Asien auf den Kontinent zu datieren. Diese Ureinwohner gehören daher zu den ältesten Völkern der Erde. Deren allgemeine Bezeichnung als „Aboriginal“ oder > „Aborigine“ (lat. ab origine, von Beginn an) stammt von den Europäern und wird von den Ureinwohnern nicht benutzt. In Australien trifft man vermehrt auf die Bezeichnung indigenous people.
Ihr Leben war hervorragend an die Erfordernisse des Landes angepasst, ihre soziale Ordnung gut entwickelt und ihre Fähigkeiten und Naturkenntnisse verblüffen noch heute. Vor der Ankunft der Weißen siedelten sie vor allem an der Ostküste, doch waren auch die Wüsten besiedelt. Sie lebten in Gemeinschaften von ungefähr 500 Menschen. Diese Gruppen unterteilten sich in kleinere Verbände von ca. 20 bis 50 Personen, von denen die meisten als Nomaden ihr Dasein fristeten. Zwischen den Gruppen gab es häufig kriegerische Auseinandersetzungen wegen territorialer Ansprüche. Sie bewirtschafteten das Land, indem sie es kontrolliert verbrannten, um es vor den verheerenden Buschbränden zu schützen und landwirtschaftlich nutzen zu können.

Die genannten Ureinwohner waren bei weitem keine homogene Rasse. Es gab etwa 300 Sprachen und die Lebensarten unterschieden sich je nach Stammesgebiet. Die einzelnen Clans und Stämme gaben sich Namen wie „Yolngu“ (Norden), „Murri“ (Osten), „Koori“ (Südosten), „Nanga“ (Süden), „Nyungar“ (Südwesten), „Wonghi“ (Westen) und viele andere. Einige Stämme an der Nordküste hatten Kontakte zu Indonesien geprägt, während Stämme in Zentralaustralien sehr isoliert lebten.

Traumzeit
Die einzelnen Stämme waren vornehmlich auf das Leben der Männer als Jäger und Fänger sowie der Frauen als Sammlerinnen eingestellt. Ihre Gesetze und ihr Glaube sind von der > Traumzeit (dreamtime), auch Altjeringa-, Tjurkurrpa- oder Palaneri-Zeit geprägt. Traumzeit ist die freie Übersetzung des Wortes alcheringa der Aranda-Stämme im Zentrum des australischen Kontinents und bezeichnet die mythische Urzeit mit dem schöpferischen Wirken göttlicher Wesen, dem Menschen, Tiere, Pflanzen und alles sonst Seiende die Existenz verdanken, aber auch die irdischen Manifestationen der göttlichen Wesen und die Vergegenwärtigung ihrer Schöpferkraft im Kult.
Wenngleich sich in der allgemeinen Tendenz des mythischen Geschehens eine gewisse Übereinstimmung zeigt, die auf eine früher einmal gemeinsame Vorstellungswelt schließen lässt, weisen die einzelnen Regionen jeweils eine besondere Eigenart auf. So dominiert bei den Stämmen des Südostens im Geschehen der Traumzeit jeweils ein bestimmtes Schöpferwesen, das zwar in Menschen- oder Tiergestalt in Erscheinung tritt, jedoch immer als personifizierte Persönlichkeit zu fassen ist. Namen dieser göttlichen Wesen, wie Bunjil, Baiama und Daramulun, sind sehr bekannt. Bunjil, der anscheinend seinen Ursprung in sich selbst hat, wurde nach anderen Traditionen von Adler und Krähe geschaffen. Eine seiner Erscheinungsformen ist der Adlerfalke, der in der Krähe Waang einen Helfer und zugleich Rivalen hat.
Einen ganz anderen Charakter hat das Schöpfungsgeschehen der Traumzeit in der Überlieferung der Aranda-Stämme im zentralen Australien. In dieser Überlieferung, der Heimat der Bezeichnung Traumzeit, ist ebenfalls von einem Himmelswesen die Rede, das zwar den Namen „Großer Vater“ (Kngaritja) trägt, für die Menschen jedoch kaum von Bedeutung ist. Es hat Emu-Füße, seine Frau hingegen Hunde-Füße. Die beiden haben Söhne und Töchter und besitzen ewige Jugend. Das Himmelswesen hat die Erde nicht geschaffen, auch keine Tiere und Pflanzen. Es rief auch nicht die „Totem-Ahnen“ der Menschen ins Leben und übte auf sie keinerlei Einfluss aus.
Die Erde war am Anfang flach. Unter ihr schlummerten Tausende übernatürliche Wesen. Die Traumzeit begann, als diese Wesen, gemeinhin „Totem-Ahnen“ genannt, erwachten und den Erdboden durchbrachen. Sie wurden aus ihrer eigenen Ewigkeit geboren, wanderten über der Erde, gaben ihr Konturen und kehrten dann wieder in den Untergrund zurück. Die Stellen der Rückkehr wurden wie die „Geburtsorte“ zu Kultplätzen. Einige erlitten bei ihrer Wanderung auch Schmerzen oder wurden getötet. Da sie jedoch unsterblich sind, leben die Getöteten in Felsen, Bäumen und vor allem in bestimmten Kultobjekten fort. Überall dort, wo die vielen Totem-Ahnen einmal gewandert sind, blieben Spuren ihrer Lebenskraft zurück.

Besonders auffallend ist in den mythischen Traditionen der Aranda, dass die gesamte Schöpfung in den Totem-Ahnen und in den embryonalen Vorformen des Menschen präexistent ist. Auch das Gestirn steigt empor, und die Sonne wärmt die bislang nachtkalte Erde.
Bei den Stämmen im Norden und Nordwesten Australiens fand sich mit der „Regenbogenschlange“ als Inbegriff des lebensspendenden Wassers die Vorstellung vom Urgrund der Schöpfung und der Fruchtbarkeit.
Bei den Stämmen der Kimberley ist die Regenbogenschlange eng mit den Wondjinas genannten Geistwesen verbunden, die eine annähernd menschliche Gestalt haben, jedoch ohne Mund. Auf den Felsenbildern gleicht ihre Gestalt fast einem Astronautenhelm.

Kultplätze
Die > Kultplätze sind in manchen Regionen Australiens mit Steinkreisen, Dolmen oder anderen Steinsetzungen verbunden. Im Kult selbst werden verschiedene Gegenstände verwendet, wie etwa die > Tjurunga. Es handelt sich dabei um länglich-ovale Hölzer von mehr oder weniger als einem Meter, die meist beidseitig mit einem Muster versehen sind und im Kult zusammen mit den rezitierten Mythen ihre Wirksamkeit erlangen. Ihnen ähnlich, jedoch schmäler und an einem der stärker zugespitzten Enden durchbohrt, sind die > Schwirrhölzer. Wenn sie mit einer Schnur im Kreis geschwungen werden, geben sie einen schwirrenden Klang, der bei den Kulthandlungen die Anwesenheit der Traumzeitwesen bezeugt. Auch andere Schallgeräte haben einen solchen sakralen Charakter. Man kennt wohl ein halbes Dutzend Abarten des Tjurunga und fast ein Dutzend Kultobjekte von ähnlichem Rang wie das Fadenkreuz, mit bis zu einem Meter Durchmesser. Beeindruckend sind auch die > Dendroglyphen, in Bäume eingeschnittene geometrische Figuren.

Nicht zuletzt imponieren die > Felsbilder. Ihre Galerien in Höhleneingängen und unter Felsüberhängen sind Kultstätten, insbesondre die Felsmalereien in Nord- und Nordwest-Australien. Künstlerisch reizvoll sind vor allem die Darstellungen der Mimi genannten Totengeister.

Initiation
Die wichtigste Kulthandlung war ohne Zweifel die > Initiation, die „Knabenweihe“, die sich über viele Monate, oft sogar über zwei Jahre hinzog und eine totale Anpassung des Individuums zum Ziel hatte. Dazu gehörten die > Beschneidung und andere Mutilationen, mit Ausnahme bei den Stämmen im Südosten und im Westen. Man kannte zwei Arten der Beschneidung, die Zirkumzision und die Subinzision. Bei der Zirkumzision wurde die ganze Vorhaut mit einem scharfen Stein, später mit einem Glassplitter entfernt. Bei zwei Drittel der Stämme wurde die Subinzision durchgeführt, wobei ganz oder teilweise auch die Harnröhre längs der unteren Seite des Penis aufgeschlitzt wurde, was bei gänzlicher Durchführung Zeugungsunfähigkeit zur Folge hatte.
Wenngleich der Ablauf der Initiation im Einzelnen differiert, lassen sich allgemein folgende wichtige Phasen erkennen: 1) Fasten und Trennung von der Mutter; 2) Scheinkämpfe auf dem Kultplatz; 3) Hauptritual: erste mystische Begegnung mit den Wesen der Traumzeit, verkörpert durch bemalte und mit Flaumfedern beklebte Männer. Beschneidung und andere Mutilationen wie etwa Zähneausschlagen als symbolischer Tod der Knaben; 4) Seklusion, Abschließung, im Extremfall bis zu einem Jahr; 5) Blutopfer-Zeremonie: Abzapfen von Blut aus einer Armvene, das mit anderen Männern getrunken wurde; 6) Feuerzeremonie: Die Initianden mussten im Kreis in ein Feuer starren und am Ende mit anderen Männern die glimmende Asche mit den Füßen austreten; 7) rituelle Waschung und Rückkehr.

Weihen
Der Initiation folgte ein komplexes System von Weihen. Lag die Initiation vorwiegend in der Hand alter Männer, so waren bei den berühmtem > Corroborees, den Tanzveranstaltungen, alle männlichen Angehörigen des Initianden zugegen. Die Corroborees gingen auf Ideen, Trance und Traumerlebnisse des priesterliches Ansehen genießenden Corroboree-Doctors zurück.
Bei diesen Tanzveranstaltungen und in Ritualen zur Heilung von Kranken kam das wohl bekannteste Instrument der Aborigines zum Einsatz: das Didgeridoo, eine lange hölzerne, aus einem hohlen Ast hergestellte Basspfeife, Symbol der männlichen Energie, weshalb Frauen darauf nicht spielen durften.

Der fast unüberschaubare Komplex an Kulthandlungen war auf die Sicherung und Erhaltung der Schöpfung ausgerichtet. Vor allem ging es dabei um die jagdbaren Tiere, die nutzbaren Pflanzen und den Bestand der eigenen Gruppe, die eine besondere Verantwortung für ihre > Totems hatte.

Magie
Männer hohen Alters, die alle Weihen empfangen hatten, erfüllten als Kenner der Tradition auch priesterliche Aufgaben. Ihnen oblagen als Zeremonienmeister die Initiation und andere Kulthandlungen, das „Regenmachen“ und bestimmte Wahrsageformen.

Medizinmänner
Den Kennern der Tradition standen sog. Medizinmänner gegenüber, bei denen Fähigkeiten wie Trance und Ekstase von Bedeutung waren. Zum > Medizinmann wurde man im Traum berufen. Seine Hauptaufgaben waren neben Krankenheilung die schwarze und weiße Magie. Er besaß ein individuelles Totem, das ihm auch als Hilfsgeist diente. Die Magie hatte den Zweck, mehr Nahrung zu finden, Kranke zu heilen oder Kriminelle zu bestrafen. Einer der gefürchtetsten Zauber war das pointing the bone, bei dem der Medizinmann einen angespitzten Knochen auf den zu Bestrafenden richtete, der tatsächlich glaubte, von dem Knochen durchbohrt zu werden.

Fortleben
Der Tod war für die Ureinwohner Australiens ein Mord und der Medizinmann musste den Verursacher des Todeszaubers ermitteln. Die endgültige Beisetzung der Gebeine fand erst statt, wenn man dem Bedürfnis nach Rache in irgendeiner Form Genüge getan hatte. Nach dem Tod ging das „Geistkind“, jenes das irdische Dasein überdauernde Wesen, in seine Präexistenz zurück, um erneut einen Fötus im Mutterleib zu beseelen.

Parapsychologie
Heute bilden die Aborigines nur mehr 2,2% der Bevölkerung des Landes, während 95% europäischer Herkunft sind. In diesem Zusammenhang ist auch das gegenwärtige Bemühen um das Paranormale zu sehen, das von der Australischen Gesellschaft für Psychische Forschung und vom Australischen Institut für Parapsychologische Forschung wahrgenommen wird. Die Australian Society for Psychical Research wurde 1979 von Pof. J. Frodsham, Murdoch University, ins Leben gerufen und befasst sich mit Grenzgebieten und parapsychologischen Themen. Seit 1995 gibt sie das Journal of Alternative Realities heraus.
Bereits 1977 wurde das
Australian Institute of Parapsychological Research, Inc. (AIPR) gegründet, das sich mit wissenschaftlichen Methoden, vornehmlich mit außersinnlicher Wahrnehmung, Psychokinese und den Fragen des Fortlebens befasst. Als Organ fungiert die Zeitschrift Australian Journal of Parapsychology.

Lit.: Eliade, Mircea: Geschichte der religiösen Ideen. Bd. 3, 2: Vom Zeitalter der Entdeckung bis zur Gegenwart/Hg. Ioan P. Culianu. Freiburg: Herder, 1991; Borsboom, Ad: Mythen und Spiritualität der Aborigines. Aus dem Niederländ. von Clemens Wilhelm. München: Diederichs, 1998; Craan, Robert: Geheimnisvolle Kultur der Traumzeit: die Welt der Aborigines. München: Knaur-Taschenbuch, 2004.
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