Arnold, Gottfried

Pseud.: Christophorus Irenaeus, mystisch-spiritualistischer Theologe und bedeutendster Vertreter des sog. radikalen Pietismus, wurde am 5.09.1666 in Annaberg (Erzgebirge) geboren und starb am 30.05.1714 in Perleberg (Prignitz). Nach dem Studium der evangelischen Theologie in Wittenberg (1685-1689), dem Zentrum der lutherischen Spätorthodoxie, wandte er sich von der Orthodoxie ab und öffnete sich nach der Lektüre zweier Schriften von Philipp Jakob > Spener, mit dem er 1688 bekannt wurde, dem > Pietismus. Spener vermittelte ihm auch eine Anstellung als Hauslehrer in Dresden (1689-1693), wo er sich nach einem Erweckungserlebnis endgültig dem Pietismus zuwandte. In Quedlinburg (1693-1696) fand er seine Heimat in radikal-pietistischen Kreisen um den Hofprediger Joseph Heinrich Sprögel, stark geprägt von Jakob > Böhmes mystischem Spiritualismus. A. pflegte Kontakte mit Friedrich Breckling sowie Johann Georg Gichtel und befasste sich, außer mit den englischen Philadelphiern wie John Pordage, mit mittelalterlichen und barocken mystischen Traditionen: Johannes Tauler, Thomas a Kempis, Sebastian Franck, Valentin Weigel, Angelus Silesius, Miguel de Molinos und Jeanne Marie Guyon. Hinzu kommt der große Einfluss von Hugo Grotius und der Frühaufklärung, insbesondere von Christian Thomasius.
Von Ehe und Pfarramt hielt er sich fern, um nach den Wurzeln des „reinen Glaubens“ zu suchen, die er hauptsächlich im frühen Christentum fand, über das er zu publizieren begann. Sein erstes großes Werk, Die erste Liebe, Das ist: Wahre Abbildung der Ersten Christen, das mehrfach aufgelegt wurde, brachte ihm 1697 den Ruf zum Prof. für Geschichte an die pietistisch geprägte Universität Gießen, die er 1698 aus Verachtung des „ruhmsüchtigen Vernunftwesens des akademischen Lebens“ wieder verließ. Er kehrte nach Quedlinburg zurück, wo er als einsiedlerischer Gelehrter unter dem Titel Göttliche Liebes-Funken seinen ersten Lyrikband veröffentlichte, mit dem Aufruf zur Abkehr von der Welt und scharfer pietistischer Kirchenkritik, die er in seinem Hauptwerk Unparteiische Kirchen- und Ketzerhistorie fortführt. Den Mittelpunkt der Kirchengeschichte bilden nach A. die mystisch-asketisch gesinnten „Stillen im Lande“. 1700 folgte Das Geheimnis der göttlichen Sophia, das an Böhmes Sophienspekulation anschließt und in erotischen Bildern die Vereinigung des wahrhaft Gläubigen mit der androgynen Sophia beschreibt, die den Verzicht auf die Ehe fordere. Neben mystischen Werken folgten erbauliche Sammelbiographien und eine Darstellung der mystischen Theologie.
1701 kam es zur totalen Wende. A. heiratete Anna Maria Sprögel, die Tochter des Hofpredigers, und trat 1702 als Hofprediger im thüringischen Allstedt ein kirchliches Amt an, das er dann von 1707 an in Perleberg ausübte.

A. gehört zu den originellsten Gestalten der protestantischen Kirchengeschichte und gilt als einflussreichster Kopf des radikalen Pietismus, der die Traditionslehre der Mystik mit aufklärerischen Motiven vereinte. Sein Einfluss auf die Theologie und darüber hinaus auf Johann Christian > Edelmann, > Schleiermacher und > Goethe, um nur einige zu nennen, veranschaulichen die Macht seiner Betonung des Subjektiven, die bis in die Erweckungsbewegung des 19. Jhs. hineinreicht.

W.: Unparteiische Kirchen- und Ketzerhistorie von Anfang des neuen Testaments bis auff das Jahr 1688. Frankfurt a.M., 1688; Das Geheimnisz der göttlichen Sophia, oder, Weiszheit/beschrieben und besungen von Gottfried Arnold. Leipzig: Fritsch, 1700.
Lit.: Arnold, Gottfried: Die erste Liebe zu Christo, Oder: Wahre Abbildung der ersten Christen nach ihrem lebendigen Glauben und heiligen Leben. Eingeführt und mit einem Anh.: „Arnold’s sämmtliche geistliche Lieder“ versehen von Albert Knapp. Neue Ausg. Stuttgart: Becher & Müller, 1845.
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