Andreas Resch: Viktoria Rasoamanarivo


VIKTORIA RASOAMANARIVO
(1848-1894)

WITWE

Selig: 29. April 1989
Fest: 21. August

VIKTORIA RASOAMANARIVO wurde 1848 in Tananarive (Madagaskar) als Spross einer der mächtigsten Familien des Landes, der Hovas, geboren. Das genaue Geburtsdatum ist nicht bekannt. Ihre Mutter Rambohinoro war die Tochter Rainiharos, der unter Königin Ranavalona I. (1832 – ­1852) über 20 Jahre lang Premierminister war; und Rambohinoros Bruder, Rainilaiarivony, bekleidete dieses Amt dann mehr als 30 Jahre (1864 – 1895). Von Viktorias Vater, Rainiandriantsilavo, weiß man hingegen wenig. Fest steht jedoch, dass Viktoria – nach Landessitte – vom älteren Bruder ihres Vaters, Rainimaharavo, Oberbefehlshaber des malgassischen Heeres, adoptiert wurde.

Besonders durch die Mutter erhielt die Kleine eine ausgeprägte moralische Erziehung und nahm in jungen Jahren die alteingesessene Religion ihrer Vorfahren an.

Nachdem es einigen französischen Missionaren der Gesellschaft Jesu gelungen war, sich in Tananarive niederzulassen, unmittelbar gefolgt von den Schwestern der Kongregation des hl. Joseph von Cluny, ließ sich Rasoamanarivo als eines der ersten Mädchen an der von der Mission eröffneten Schule einschreiben.

Der katholische Religionsunterricht und das von den Patres und Schwestern vermittelte Beispiel hinterließen bei der damals Dreizehnjährigen einen so tiefen Eindruck, dass sie um Aufnahme in die katholische Kirche bat. Bei ihrer Taufe am 1. November 1863 erhielt sie den Namen Viktoria, der ein Omen war für die vielen Kämpfe, die ihr aufgrund ihres Glaubens und ihrer Liebe zur Kirche noch bevorstanden.

So kam es mit der Absetzung von König Madama II., der als ein zu enger Freund der Franzosen galt, zum Ausbruch einer mehr oder weniger offenen Verfolgung der katholischen Mission, die wegen der Nationalität der Missionare zu Unrecht mit den kolonialen Interessen Frankreichs identifiziert wurde. Auch Viktorias Adoptivvater und ihre Verwandten bemühten sich mit aller Kraft, das Mädchen dazu zu bringen, ihrem Glauben abzuschwören und stattdessen der anglikanischen Kirche beizutreten, die damals aus politischen Gründen von der Regierung massiv unterstützt wurde. Viktoria aber ließ sich weder von Versprechungen noch von Drohungen und körperlichen Misshandlungen, denen sie ausgesetzt war, beeindrucken. Ihre Eltern mussten schließlich nachgeben, denn gegen Viktorias Standhaftigkeit und Glaubenstreue hatten sie keine Chance. Die Missionare brachten jedoch zum Ausdruck, dass es unter den gegebenen Umständen nicht klug sei, dem Wunsch des Mädchens, sich im Ordensstand gänzlich Gott zu weihen, zu entsprechen. Sie gaben ihr dagegen den Rat, ihr Apostolat vielmehr im Kreise der Familie und des Königshofes auszuüben, wo sie aufgrund ihres gesellschaftlichen Ranges täglich ein und ausging.

Wie es damals auf Madagaskar der Brauch war, wurde Viktoria einem von den Eltern ausgesuchten Mann zur Frau gegeben – dem jungen Radriaka, Sohn des Premierministers und hoher Armeeoffizier. Auf Drängen der Braut fand die Trauung am 13. Mai 1864 in Gegenwart eines katholischen Priesters statt. Die Ehe sollte sich für Viktoria zu einem regelrechten Martyrium entwickeln, entpuppte sich ihr Mann doch als ein zügelloser Mensch, dem Alkohol und dem Laster verfallen. Sein Verhalten war dermaßen skandalös, dass der Vater und auch die Königin Viktoria wiederholt zur Scheidung rieten. Diese aber, sich der Unauflöslichkeit der Ehe wie auch der schweren Folgen, welche die Scheidung einer katholischen Prinzessin dem Katholizismus in der öffentlichen Meinung unweigerlich beschert hätte, wohl bewusst, ignorierte diese Ratschläge und hielt ihrem Mann bis zu dessen Tod im Jahre 1887 auf geradezu heroische Weise die Treue.

Indem sie die vielen Demütigungen selbstlos ertrug und ein durch und durch beispielhaftes christliches Leben führte, erwarb sich Viktoria schon bald die bedingungslose Wertschätzung nicht nur des Hofes, sondern der gesamten Bevölkerung. Gerade diese Hochachtung und moralische Autorität waren es, die sie dann für die katholische Kirche auf Madagaskar während der Abwesenheit der katholischen Missionare (1883 – 1886) zu einer willkommenen Stütze werden ließen.

Als die französischen Missionare am 25. Mai 1883 aus dem Land vertrieben wurden, kam es zur Verfolgung der Katholiken, die man häufig als Verräter Madagaskars und der madegassischen Sitten beschuldigte. Viktoria bekannte sich damals nicht nur in aller Offenheit zu ihrem Glauben, sondern machte sich zur Schirmherrin der Kirche, indem sie sich auch öffentlich und bei den einschlägigen Behörden darum bemühte, dass die Kirchen und die katholischen Schulen geöffnet blieben. Sie begab sich sogar höchstpersönlich in die abgelegensten Dörfer, um den Katholiken Mut zu machen, und verschickte überallhin Grußbotschaften mit der Zusage ihrer Unterstützung. Um ihr Versprechen halten zu können, wurde sie zur Verteidigung von deren Rechten auch des Öfteren bei der Königin und dem mächtigen Premierminister vorstellig. Sie avancierte – wie es die Madegassen formulierten – zu „Vater und Mutter“ der Katholiken und bildete jene Säule, auf welche die ihrer Hirten beraubte Kirche baute. Als die Missionare 1886 schließlich zurückkehren durften, fanden sie eine blühende und lebendige Gemeinde vor, was in erster Linie dem Einsatz Viktorias zu verdanken war.

Zum großen Erfolg von Viktorias Arbeit hatten unzweifelhaft ihre einzigartigen organisatorischen Fähigkeiten sowie ihre hohe Stellung innerhalb der madegassischen Gesellschaft und ihre Tapferkeit beigetragen. Das größte Geheimnis der außerordentlichen Tatkraft dieser Frau lag aber in ihrer Spiritualität begründet. „Sie konnte sechs bis sieben Stunden täglich in der Kirche verbringen“, schreibt der Jesuit Paul Molinari. „Jede freie Minute bis tief in die Nacht hinein widmete sie dem Gebet.“ Auch bei ihren zahllosen Werken der Nächstenliebe zugunsten der Armen und Verlassenen, der Gefangenen und Leprakranken ebenso wie in der Führung ihres großen Hauses lebte sie eine tiefe Einheit mit dem Herrn – dem einzigen Zweck ihres Daseins, an dem sie alles ausrichtete.

Bald nach der Rückkehr der Missionare musste Viktoria verschiedene Krankheiten durchleiden, die sie mit großer Geduld ertrug, während sie weiterhin ein bescheidenes und zurückgezogenes Leben führte und viel Zeit auf das Gebet und Werke der Nächstenliebe verwandte.
Sie starb am 21. August 1894, nach kurzer Krankheit, im Alter von 46 Jahren, unter großer Trauer des madegassischen Volkes.
Entgegen ihrem Willen wurde sie am 25. August in einer feierlichen Zeremonie im Mausoleum ihrer Vorfahren begraben. Ihre Ruhestätte blieb für das Volk, das die Verstorbene als eine echte Heilige verehrte, unzugänglich. Wie jedoch aus Zeugenaussagen hervorgeht, wussten die madegassischen Katholiken der ersten Tage noch nicht, wie sie sich einer Person gegenüber, die im Ruf der Heiligkeit verstorben war, verhalten sollten. Zudem ist bekannt, dass sich die Ehrerbietung der Gläubigen solchen Personen gegenüber in Wahrheit auf deren Grabstätten zu konzentrieren pflegte. Das Grab Viktorias aber war unerreichbar. So konnte das Informativverfahren über den Ruf ihrer Heiligkeit aus davon völlig unabhängigen Gründen erst am 14. Januar 1932 aufgenommen werden.

Die große Wertschätzung, die sie genoss, wurde offensichtlich, als der Papst sich 1989 nach Madagaskar begab, um die erste Frau der Insel zur Ehre der Altäre zu erheben. Wie nie zuvor bezeugte die Bevölkerung bei dieser Gelegenheit ihren ursprünglichen Glauben und versammelte sich vor Viktorias Bildnis zum Gebet. 500.000 Menschen waren bei dem feierlichen Ritus auf der riesigen Esplanade Analamahitsy der Hauptstadt, einem natürlichen Amphitheater, anwesend, um Viktoria Rasoamanarivo die Ehre zu erweisen, die von den Gläubigen als leuchtendes Beispiel einer verheirateten Frau gesehen wurde, welche den Pflichten des Ehestandes bis zum Äußersten treu blieb, in der kirchlichen Gemeinschaft und im Dienst an den Armen ihre Hingabe an Christus unter Beweis stellte und ganz im katechetischen und karitativen Werk der Kirche aufging.

Ihr Grab befindet sich nunmehr auf dem katholischen Friedhof von Ambohipo, Madagaskar.

Am 29. April 1989 wurde Viktoria Rasoamanarivo von Papst Johannes Paul II. in Antananarivo auf Madagaskar seliggesprochen.

 

RESCH, ANDREAS: Die Seligen Johannes Pauls II. 1986 – 1990. Innsbruck: Resch, 2005 (Selige und Heilige Johannes Pauls II; 2). XIII, 298 S., 69 Farbtaf., ISBN 978-3-85382-076-X, Ln, EUR 25.70 [D], 26.52 [A]

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