Andreas Resch: Theodora Guérin


THEODORA GUÉRIN
(Anna Theresia)
(1798-1856)

GRÜNDERIN
DER VORSEHUNGS-SCHWESTERN
VON „SAINT-MARY-OF-THE-WOODS“

Selig.: 25. Oktober 1998
Heilig: 15. Oktober 2006
Fest: 14. Mai

THEODORA GUÉRIN wurde am 2. Oktober 1798 als Tochter von Laurent und Isabelle Guérin in Étables, Frankreich, geboren und auf den Namen Anna Theresia getauft. Ihr Vater, der unter Napoleon Bonaparte diente, war öfters für länger von zu Hause abwesend. Die Kleine wurde daher von der Mutter großgezogen, die ihre Unterweisungen auf die Religion und die Heilige Schrift gründete. So war die Erziehung des Mädchens von der Beharrlichkeit des Vater und der Frömmigkeit der Mutter geprägt. Schon als Kind suchte sie immer wieder die Einsamkeit entlang der Felsenriffe in der Nähe ihrer Behausung, wo sie stundenlang meditierte und betete. Mit zehn Jahren ging sie zur Erstkommunion und bei dieser Gelegenheit eröffnete sie dem Pfarrer, dass sie ihr Leben Gott weihen und Ordensschwester werden wolle. Verschiedene Unglücksfälle in der Familie verhinderten jedoch den Eintritt in das Kloster. Als sie 15 Jahre alt war, wurde der Vater auf dem Nachhauseweg von Banditen erschossen. Sein Tod war vor allem für die Mutter ein schwerer Schlag, die zuvor schon den Tod zweier jüngerer Brüder und sonstiger Verwandter zu beklagen hatte. Anna Theresia musste daher die volle Verantwortung für den Unterhalt von Mutter und Schwester übernehmen und sich um Haus und Garten kümmern. Erst als die jüngere Schwester in der Lage war, sie zu ersetzen, erhielt sie von der Mutter die Erlaubnis, in eine Schwesternkongregation einzutreten.

Anna Theresia träumte von einem Leben im Karmel, doch veranlasste sie ihr Mitleid mit den armen, verlassenen Kindern, denen es an Unterstützung und Wahrnehmung durch die Umwelt mangelte, bei den Schwestern der Vorsehung einzutreten, die 1806 von dem Priester Jacques François Dujarié mit dem Zweck gegründet wurden, für die immensen Bedürfnissen der Armen und Kranken zu sorgen. Am 18. August 1923 trat sie mit 25 Jahren in das Noviziatshaus in Ruillé-sur-Loire ein. Trotz einer Art Typhus, an dem sie während ihres Postulats zu leiden hatte, wurde sie in das Noviziat aufgenommen. Am 8. September 1825 legte sie die zeitlichen Gelübde ab und erhielt unter dem Namen Schwester Theodora das Ordenskleid. Am 5. September 1831 folgten die ewigen Gelübde, die damals freigestellt waren.

Das Vertrauen ihrer Mitschwestern war so groß, dass diese sie schon 1828 unter die Generalkonsultorinnen wählten und bald darauf zur Oberin des wichtigen und schwierigen Werkes von Rennes, Saint Aubin, eines der berüchtigtsten Viertel der Stadt. Hier offenbarte sich ihre ganze erzieherische und pastorale Fähigkeit. Innerhalb weniger Jahre gelang ihr der Umschwung, was allgemeine Bewunderung und Wertschätzung hervorrief.

1834 wurde sie auf eine schwere Probe gestellt. Zwischen dem Gründer Dujarié und der Generaloberin war es zu Meinungsverschiedenheiten gekommen. Von irgendeiner Schwester wurde fälschlicherweise verbreitet, dass Theodora die Ansicht des Gründers und nicht der Oberin teile. Wenngleich dies nicht im Mindesten den Tatsachen entsprach, interpretierte besagte Schwester Theodoras Sympathiebekundungen dem Gründer gegenüber als eine Art Rebellion gegen die Oberin, wobei sie die Unterstellungen noch durch schwerwiegende Vorwürfe untermauerte. Ohne das Gespräch mit Theodora zu suchen, um der Sache auf den Grund zu gehen, versetzte sie die Oberin daraufhin zur Strafe von Rennes nach Soulaines. Theodora machte sich in ihrem neuen Aufgabenbereich, ohne zu klagen und mit neuem Schwung, an die Arbeit, so als ob nichts gewesen wäre, und kümmerte sich mit liebevoller Hingabe vor allem um die Armen. In Soulaines wurde ihr in Anerkennung ihrer pädagogischen Fähigkeiten eine Ehrenmedaille der Akademie von Angers zuerkannt. Um bei ihrer Mission besser voranzukommen, studierte sie Medizin und Pädagogik unter Anleitung eines Arztes der Universität von Paris.

1840 wurde sie von den Oberinnen ausgewählt, auf Einladung des Ortsbischofs an der Spitze einer kleinen Gruppe von Schwestern nach Vincennes (USA) zu gehen. Am 27. Juli 1840 verließ Schwester Theodora mit fünf Gefährtinnen Frankreich, allerdings ohne Anwesenheit der Generaloberin. Sie konnten gehen, gehen für immer. Die Reise erfolgte per Schiff. Nach einer strapaziösen Überfahrt in Amerika angekommen, erkrankte Theodora schwer. Man schickte die Schwestern nach Vincennes und dann, anstatt ihnen eine Unterkunft in der Bischofsstadt zuzuweisen, im Zustand äußerster Armut in eine wilde Einöde ohne Straßen, nach Saint Mary-of-the-Woods in Indiana. Es war der 22. Oktober 1840.

Schwester Theodora begann sich sofort um die Bewohner des Gebietes zu kümmern. Sie eröffnete eine Gratis-Apotheke und unterwies die Mitschwestern in der Behandlung der Kranken und der Zubereitung der Arzneimittel. Einige Jahre später eröffnete sie eine weitere Apotheke für die Einwohner von Vincennes. Wenngleich der Einsatz der Schwestern stets an die Grenzen ihrer persönlichen Möglichkeiten ging, stellten sich unendliche Hindernisse in den Weg: Vorurteile gegen die Katholiken, vor allem gegen die katholischen Schwestern, und zwischen 1842 und 1847 das Unverständnis des Bischofs von Vincennes, Msgr. Hailandière, der sich so sehr in die Leitung der Kommunität einmischte, dass Sr. Theodora einen wahren Kreuzweg durchlebte.

Sr. Theodora, inzwischen Mutter Theodora, ließ sich jedoch nicht entmutigen, gründete schon bald ein Mutterhaus und ein Noviziat und weihte die Mission Maria, der Mutter Jesu. Im Juli 1841 eröffneten die Schwestern die Akademie von Saint Mary-of-the-Woods und innerhalb eines Jahres eröffnete die Kongregation Schulen in der Gemeinde Jasper in Süd-Indiana und in St. Francisville, Illinois, das damals zur Diözese Vincennes gehörte.

Neben diesem Einsatz in höchster Armut versuchte Sr. Theodora das schwierige Verhältnis zum Bischof und zur Gemeinschaft von Ruillé zu klären und die materiellen Belange zu ordnen. Aus diesem Grund kehrte sie in den Jahren 1843/44 nach Frankreich zurück, um Spenden zu sammeln und klare Anweisungen von der Oberin einzuholen, wie man sich verhalten und was man machen solle. Der Generalrat beschloss die totale Trennung der amerikanischen Mission von Ruillé. Unter Annahme dieser Entscheidung wurde Mutter Theodora völlig unerwartet zur Generaloberin und Gründerin einer neuen Kongregation mit der Bezeichnung Vorsehungsschwestern von „Saint Mary-of-the-Woods“ (Hl. Maria der Wälder (Abb.). Wieder in Indiana, begann sie die Kongregation aufzubauen. Im Dezember 1844 unterrichteten die Schwestern von der Göttlichen Vorsehung in ihren fünf Schulen 200 Kinder und die Akademie beherbergte 25 Mädchen.

In der Zwischenzeit setzte sich der Kreuzweg der Schwestern unerbittlich fort, bis zum Jahre 1847. Einerseits war der Bischof bestrebt, die religiöse Struktur der Gemeinschaft in eine Art Laienverbindung umzuwandeln, andererseits bestätigte er die getreue Befolgung der Regeln und Konstitutionen. Da er dadurch die Approbation hinauszögerte, versetzte er die Schwestern in einen Zustand der Ratlosigkeit. Die Gegensätze mündeten in der Absetzung von Mutter Theodora als Oberin. Er untersagte ihr zudem jeglichen Kontakt zu ihren Schwestern und dispensierte sie sogar von den Gelübden. Die Auflösung der Gemeinschaft schien nahe, als der Bischof, der sich inzwischen auch vom Klerus entfremdet hatte, seinen Rücktritt einreichte, der angenommen wurde. Unter den Nachfolgern von Msgr. Hailandière änderte sich die Situation vollständig und fast wie zur Belohnung für so viel ertragenes Leid konnte Mutter Theodora ihre reichhaltigen spirituellen Schätze entfalten und den Schwestern, die an Zahl rasch zunahmen, eine hervorragende Ausbildung zukommen lassen.

Von 1851 bis 1853 befasste sich Mutter Theodora daher mit dem Bau eines neuen Mutterhauses und im April 1854 teilte sie dem Bischof von Le Mans, Frankreich, mit, dass die Gemeinschaft 64 Schwestern, 12 Novizinnen und 16 Postulantinnen umfasse. Die Schulen hatten fast 1.000 Studenten.

Am 22. Oktober 1855, dem 15. Jahrestag der Ankunft der Schwestern in Saint Mary-of-the-Woods, notierte Mutter Theodora einige Gedanken auf die Innenseite eines Buchumschlags: „Ja meine lieben Töchter, setzt eure Hoffnung auf Gott und ihr werdet nicht verzagen. Haltet euch vor Augen, was Er schon für euch getan hat. Heute vor 15 Jahren, am 22. Oktober 1840, kamen sechs Schwestern in diesen Wald, wo damals noch eine Wildnis herrschte. Sie waren Fremde, kannten weder das Land noch die Bräuche und Sitten von Amerika. Und sie konnten kein Wort Englisch… Inzwischen erhalten mehr als 1200 Kinder eine religiöse Erziehung in unseren 12 Bildungshäusern, die reiche Frucht bringen. Wie viel Gutes haben die Schwestern von Saint Mary-of-the-Woods getan! Und wie viel Gutes können sie noch tun, wenn sie ihrer heiligen Berufung treu bleiben!“

Als Sr. Theodora am 14. Mai 1856 starb, unterhielten die Vorsehungsschwestern bereits Schulen im gesamten Bundesstaat Indiana sowie zwei Waisenhäuser in Vincennes. Ihre letzte Ruhestätte fand Theodora auf dem Friedhof der Schwesterngemeinschaft. Als man 1907 ihre sterblichen Überreste in die Krypta der Kirche von der Vorsehung der Unbefleckten Empfängnis in Saint Mary-of-theWoods, Indiana, übertrug, stellte man fest, dass ein Teil des Gehirns noch völlig intakt war, rosafarben und in gutem Zustand.

Am 25. Oktober 1998 wurde Theodora Guérin von Papst Johannes Paul II. seliggesprochen.

 

RESCH, ANDREAS: Die Seligen Johannes Pauls II. 1996 – 2000. Innsbruck: Resch, 2010 (Selige und Heilige Johannes Pauls II; 4), XIII, 376 S., 86 Farbtaf., ISBN 978-3-85382-088-9, Ln, EUR 39.90 [D], 40.98 [A]

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