Andreas Resch: Rosalia Rendu, Johanna Maria

ROSALIA RENDU
(Johanna Maria)
(1786-1856)

PROFESS-SCHWESTER DER
BARMH. SCHW. DES
Hl. VINZENZ VON PAUL

Selig: 9. November 2003
Fest: 7. Februar

ROSALIA RENDU (bürgerl.: Johanna Maria) wurde am 9. September 1786 in Confort, Kanton Gex im Jura, Frankreich, geboren und noch am gleichen Tag auf den Namen Johanna Maria getauft. Sie war das Älteste von vier Kindern des Jean-Antoine Rendu und der Marie-Anne Laracine. Die Eltern, kleine Bergbauern mit einfachem Lebensstil, verfügten über einen gewissen Wohlstand und waren in der gesamten Region sehr geschätzt.

Johanna war drei Jahre alt, als die Französische Revolution ausbrach. Von 1790 an wurde der Geistlichkeit der Eid der Zivilkonstitution des Klerus auferlegt. Viele Priester, die der Kirche treu blieben (und deshalb „Abtrünnige“ genannt wurden), verweigerten den Schwur, weshalb man sie aus ihren Pfarreien verjagte. Einige wurden hingerichtet, andere gezwungen, sich zu verstecken, um den Verfolgungen der Revolutionäre zu entgehen. Das Haus der Familie Rendu wurde zu einem Zufluchtsort für „abtrünnige“ Priester. Der Bischof von Annecy fand hier unter dem Namen Peter Zuflucht. Die Tatsache, dass er besser behandelt wurde als andere, weckte Johannas Neugier. Eines Nachts entdeckte sie, dass er die Messe feierte. Sie war tief getroffen, dass man sie nicht in die Sache eingeweiht hatte. Einige Zeit später bekam sie während eines Gesprächs mit der Mutter plötzlich einen Wutanfall, in dessen Verlauf sie die Drohung ausstieß: „Gib acht, Mama, sonst sage ich, dass Peter nicht Peter ist!“ Um Indiskretionen von Seiten ihrer Tochter zu vermeiden, klärte die Mutter sie über die gegebene Situation auf.

In einer solchen Atmosphäre starken Glaubens, wo man ständig der Gefahr ausgesetzt war, angezeigt zu werden, wurde Anna erzogen. Zur Erstkommunion ging sie in der Nacht bei Kerzenlicht im Keller des Elternhauses. Das außergewöhnliche Klima formte ihren Charakter.

Der Tod des Vaters am 12. Mai 1796 und des vier Monate alten Schwesterchens am 19. Juli des Jahres waren für die Familie ein harter Schlag. Johanna, die sich ihrer Verantwortung als älteste Tochter bewusst war, ging der Mutter an die Hand, besonders bei der Betreuung der jüngeren Geschwister.

Nach der Zeit der Schreckensherrschaft nahm das Leben seinen normalen Lauf. Im Jahre 1800 ging Johanna nach Gex, um bei den Ursulinerinnen zu studieren. Anschließend verbrachte sie sechs Monate in Carouge (bei Genf) und schließlich im Spital der Barmherzigen Schwestern in Gex, um den Beruf der Krankenschwester zu erlernen. Sie kam so in Kontakt mit den Schwestern und ersuchte, damals sechszehnjährig, um Aufnahme. Am 25. Mai 1802 erhielt sie die Zulassung zum neu eröffneten Seminar in Paris (das Noviziat war von den Revolutionären aufgelöst worden). Nach wenigen Monaten erkrankte sie und wurde daher in das Haus der Barmherzigen Schwestern im Viertel Mouffetard zum Dienst an den Armen versetzt. Dort blieb sie 54 Jahre, bis zu ihrem Tod.

Johanna, aus der mittlerweile Schwester Rosalia geworden war, absolvierte hier ihre „Lehrzeit“, in der sie die Schwestern beim Besuch der Kranken und Armen begleitete. Dazwischen setzte sie sich für die Katechese ein und unterrichtete die unentgeltlich in die Schule aufgenommen Mädchen im Lesen. Im Mai 1807 weihte sich Sr. Rosalia bei der Ablegung der Gelübde dem Dienst an den Armen. 1815 wurde sie Oberin der Kommunität. Sie gab das Unterrichten auf und widmete sich fortan Hausbesuchen und der Verteilung der mit dem Bureau de Bienfaisance der Gemeinde vereinbarten Hilfsgüter.

Ihre Armen, wie sie sie nannte, wurden in dieser Zeit der tumultartigen Ereignisse immer zahlreicher. Um allen Notleidenden zu Hilfe zu kommen, eröffnete Schwester Rosalia eine Fürsorgestelle, eine Apotheke, eine Schule, ein Waisenhaus, einen Kindergarten, ein Hilfszentrum für junge Arbeiterinnen und ein Pflegeheim für betagte Arme, wobei sie sich eines Arztes bediente, der die Kranken unentgeltlich besuchte. Rasch bildete sich ein karitatives Netzwerk zur Eindämmung der Not. Ihr Beispiel stimulierte die Mitschwestern, zu denen sie immer wieder sagte: „Eine Barmherzige Schwester muss wie ein Beiwagen sein, auf dem alle, die müde sind, das Recht haben, ihre Lasten abzuladen.“

Darüber hinaus verstand es Schwester Rosalia, sich mit gläubigen, fähigen und immer zahlreicheren Mitarbeitern zu umgeben, die zum Mitmachen bereit waren. Es wurden ihr auch einige katholische Studenten der Sorbonne zugeteilt, die ihre intellektuelle Ausbildung durch ein Praktikum ergänzen wollten. Indem sie die zu besuchenden Familien mit Bedacht auswählte, öffnete sie diesen gleichzeitig die Augen für die Realität ihres Viertels und half ihnen die Elendsbedingungen der Arbeiterklasse zu erkennen. So kam es, dass die Konferenzen des hl. Vinzenz von Paul entstanden, die sich, von Fréderic Ozanam (1813 –1853) und anderen gegründet, auch außerhalb Frankreichs verbreiteten. Die Spenden flossen rasch, da die Reichen und Mächtigen dieser so überzeugenden Frau Gottes nicht widerstehen konnten.

Während der dreitägigen Aufruhr im Juli 1830 zögerte Schwester Rosalia nicht, auf die Barrikaden zu steigen, um den Verwundeten zu Hilfe zu eilen, unabhängig davon, welchem Lager sie angehörten. Dem Polizeipräfekten, der sie beschuldigte, den Aufständischen geholfen zu haben, bot sie die Stirn. Zur Zeit der großen Choleraepidemien, vor allem in den Jahren 1832 und 1849, sprengten die von Schwester Rosalia und ihren Gefährtinnen geleistete Hilfe und die dabei eingegangenen Risiken jede Vorstellung. Sie gingen sogar so weit, selbst die Leichen in den Straßen einzusammeln. Auch Schwester Rosalia wurde dabei beobachtet.
1844 eröffnete sie ein Kinderheim für die Kleinen unter zwei Jahren, um den Müttern die Möglichkeit eines Verdienstes zu geben. Das wurde aber nicht gerne gesehen, denn der damaligen Mentalität entsprechend hatte die Mutter zu Hause zu bleiben.

Sr. Rosalias Nächstenliebe ging auch über die Grenzen des Viertels hinaus. Jahrelang stand sie in Verbindung mit der Psychiatrischen Klinik Bon Sauveur in Caen, die von Pierre Jamet gegründet worden war, um dort Priester, Ordensleute und viele andere Personen aufzunehmen, die an Geisteskrankheiten litten.
Im Februar 1848 brachen nach einer Zeit der Euphorie, in der Kirche und Volk wieder zueinandergefunden hatten, blutige Kämpfe aus, wobei die Macht des Bürgertums und der Arbeiterklasse ungebremst gegenüberstanden. Die Arbeiter hatten nichts mehr zu verlieren, so verzweifelt war ihre Lage. Msgr. Affre, Erzbischof von Paris, der zwischen den Streithähnen vermitteln wollte, wurde ermordet. Schwester Rosalia litt darunter. Auch sie stieg auf die Barrikaden, um den Verwundeten beider Lager furchtlos beizustehen und riskierte bei den Auseinandersetzungen ihr Leben. Ihr Mut und ihr Freigeist riefen bei allen Bewunderung hervor.

Nachdem die Ordnung wiederhergestellt war, versuchte sie viele dieser Menschen, die sie kannte und die Opfer gewaltsamer Unterdrückung wurden, zu retten.

Schwester Rosalia stand bereits im Mittelpunkt einer Bewegung der Nächstenliebe, die Paris und Frankreich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auszeichnete. Herrscher, die einander beim Regieren des Landes ablösten, hatten sie bei ihren Spenden stets im Blick. Die Damen des Wohltätigkeitsvereins unterstützten sie bei den Hausbesuchen. In ihrem Sprechzimmer traf man häufig Bischöfe, Priester, den spanischen Botschafter, Donoso Cortes, Karl X., General Cavaignac, die angesehensten Personen aus Politik und Kultur, bis hin zu Napoleon III. mit seiner Gemahlin; Jura- und Medizinstudenten, Schüler des Polytechnikums sowie der allgemeinen und anderer bedeutender Schulen. Sie alle kamen, um von Schwester Rosalia Informationen und Ratschläge zu erhalten oder zu fragen, bevor sie ein gutes Werk verrichteten, an welche Tür sie klopfen sollten. Ihre Erfahrung war für diese Jugendlichen von unschätzbarem Wert. Sie gab ihrem Apostolat Orientierung, organisierte ihr Kommen und Gehen in der Vorstadt und gab ihnen die Adressen bedürftiger Familien, die sie mit Bedacht auswählte.

Während ihrer unermüdlichen Tätigkeit war Schwester Rosalia immer mit ihrem Gott in Verbindung: sie sprach mit ihm über die in Not geratene Familie, wo der Vater keine Arbeit mehr hatte, über den Alten, der Gefahr lief, allein auf dem Dachboden sterben zu müssen. „Ich bete nie so gut, wie wenn ich unterwegs bin“, sagte sie.

1852 beschloss Napoleon III. Schwester Rosalia das Kreuz der Ehrenlegion zu verleihen. Sie war daran, diese persönliche Auszeichnung abzulehnen, der Obere der Missionspriester und der Barmherzigen Schwestern, Pater Etienne, zwang sie jedoch, sie anzunehmen.

Obwohl gesundheitlich angeschlagen, gönnte sich Schwester Rosalia keine Pause, wobei es ihr stets gelang, alle Anstrengungen und Fieberattacken zu bewältigen. Am Ende siegten das Alter, eine spürbare Schwächung und die Häufung der Aufgaben über den großen Widerstand und den starken Willen der Schwester. Die letzten zwei Lebensjahre waren von zunehmender Erblindung gekennzeichnet. Sie starb nach kurzer Krankheit am 7. Februar 1856.

Eine nicht enden wollende und tief bewegte Menschenmenge folgte dem Sarg bis zum Friedhof von Montparnasse. Auf dem einfachen, von einem großen Kreuz überragten Grab sind die Worte eingemeißelt: „Für Schwester Rosalia: ihre dankbaren Freunde, reiche und arme“.

Am 9. November 2003 wurde Johanna Maria Rendu, Schwester Rosalia, von Papst Johannes Paul II. seliggesprochen.

 

RESCH, ANDREAS: Die Seligen Johannes Pauls II. 2001 – 2004. Innsbruck: Resch, 2015 (Selige und Heilige Johannes Pauls II; 6). XIV, 482 S., 110 Farbtaf., ISBN 978-3-85382-099-5, Ln; EUR 48.60 [D], 49.90 [A]

Bestellmöglichkeit: info@igw-resch-verlag.at