Andreas Resch: Pierina Morosini

PIERINA MOROSINI
(1931-1957)

LAIENHELFERIN MÄRTYRERIN

Selig: 4. Oktober 1987
Fest: 6. April

PIERINA MOROSINI wurde am 7. Januar 1931 als erstes von neun Kindern der bescheidenen Bauersleute Rocco Morosini und Sarah Noris in Fiobbio di Albino, einem Dorf im Seriana­-Tal, Provinz Bergamo, Italien, geboren und am nächsten Tag auf den Namen Pierina Eugenia getauft.

Von den Eltern wurde sie zu einem soliden christlichen Glauben und zu sozialer Verantwortung erzogen. Als Erstgeborene musste sie ihren Geschwistern mit gutem Beispiel vorangehen und sich schon bald zu Hause nützlich machen, sei es nun bei der Hausarbeit oder der Betreuung der anderen Kinder, welche die Mutter aus Verdienstgründen immer wieder aufnahm. Pierina war ein eher verschlossenes, aber sehr intelligentes Mädchen mit guten Umgangsformen. Am 10. Januar 1937 erhielt sie die Firmung und am darauf folgenden 5. Juni die Erstkommunion.

Die Volksschule besuchte Pierina bis zur vierten Klasse in Fiobbio, während sie für den Besuch der fünften Klasse täglich zu Fuß nach Albino gehen musste. Nach erfolgreichem Abschluss nahm sie an einem Nähkurs teil und fertigte fortan die Kleider für sämtliche Familienangehörige.

Am 18. März 1946 trat die mittlerweile Fünfzehnjährige in die Baumwollweberei Honegger in Albino ein, wo sie im Schichtbetrieb jeweils entweder von 6 bis 14 oder von 14 bis 22 Uhr Dienst tat. Aufgrund der zwischenzeitlichen Arbeitsunfähigkeit des Vaters lastete ein Großteil der Pflichten auf Pierinas Schultern, die mit ihrem Verdienst den Unterhalt der Familie sicherte. Am Arbeitsplatz war Pierina am Webstuhl eingeteilt und wurde von allen als außerordentlich fleißig, respektvoll und freundlich sowie als überzeugte Verfechterin ihres Glaubens beschrieben. Ihre Arbeit verrichtete sie im Bewusstsein einer tiefen und unauflöslichen Verbindung mit Gott. „Sie machte den Eindruck, als befinde sie sich in einem ständigen Einheitsgefühl mit Gott, worin die verschiedenen Stationen des Arbeitstages miteinander verschmolzen.“ „Arbeit ist Gebet“, hatte man sie gelehrt. Und „Lasten sind leichter zu tragen, wenn die Gnade ihnen Halt gibt“.

Neben der Arbeit in der Fabrik gab es aber auch noch die häuslichen Pflichten und die pastorale Tätigkeit in der Pfarre. Pierina beteiligte sich an allen Formen des organisierten Apostolats, mit besonderer Vorliebe aber im erzieherischen Bereich und bei Gebetsaktionen. So schrieb sie sich als Mitglied der weiblichen Katholischen Aktion von Fiobbio ein und übernahm mit sechzehn Jahren die Aufgabe einer Delegierten der „Küken“, während sie dem Vorschlag, sich um die „Nesthäkchen“ zu kümmern, aus Zeitmangel nur mit Mühe zustimmte. Damals schrieben alle Mütter von Fiobbio ihre Töchter bei den „Küken“ ein. Pierina war darüber hinaus noch Mitglied des Weltmissionswerks, der Förderer des Seminars von Bergamo, des Wiedergutmachungsapostolats mit monatlichen Exerzitien, die von den Dehonianern gehalten wurden, der „Töchter Mariä“ sowie des Dritten Ordens des hl. Franziskus. Mit 16 oder 17 Jahren äußerte sie auch den Wunsch, Missionarin zu werden, doch musste sie im Bewusstsein, dass sie in der Familie notwendig gebraucht wurde, davon absehen.
Auf Empfehlung ihres Spirituals legte Pierina die privaten Gelübde der Keuschheit, der Armut und des Gehorsams ab und stellte für sich ein Zwölf­Punkte-­Programm auf. Sie verzichtete auf eine eigenständige Existenz, um sich ganz Gott und den Mitmenschen zu widmen und zu Hause ein frommes Leben zu führen.

Das größte Ereignis in ihrem stillen Dasein, das sich ausschließlich daheim im Dorf abspielte, war die Teilnahme an einer Pilgerreise nach Rom, die von der weiblichen Jugend der Katholischen Aktion anlässlich der Seligsprechung von Maria Goretti am 27. April 1947 organisiert wurde. „Würdest du dich auf diese Weise umbringen lassen?“, wurde sie von einer Freundin gefragt. „Warum nicht?“ meinte Pierina. „Ich möchte Maria Goretti ähnlich sein, ich möchte so sein wie sie.“ Nach der Seligsprechung besuchte die Gruppe eine Kirche, wo ein Bild Maria Gorettis ausgestellt war. Als die anderen gingen, blieb Pierina tief im Gebet versunken zurück. Eine Zeugin erzählt: „Ich betrat die Kirche und fand sie meditierend vor der Urne knien. Ich legte meine Hand auf ihre Schulter und fragte sie vorsichtig, ob sie denn nicht bemerkt habe, dass sie allein sei. Daraufhin erwiderte Pierina, dass sie unbeschreiblich gerne so enden würde wie Maria Goretti. Und ich sagte überrascht: ,Darüber wird wohl der Herr entscheiden, und jetzt lass uns gehen!` Und als eine Frau sie fragte, ob sie denn zur Erinnerung aus Rom nicht etwas mitnehmen wolle, antwortete sie: ,Die Erinnerung trage ich hier im Herzen!`“

Zehn Jahre später, am Nachmittag des 4. April 1957, befand sich Pierina nach der Schicht in der Fabrik auf dem Nachhauseweg entlang des Berges Misma. Es war kurz vor 15.00 Uhr, als sich ihr ein junger Mann näherte und sie brutal zu vergewaltigen suchte. Auf ihren Widerstand hin, der unzweifelhaft in ihrem religiösen Glauben begründet war, tötete sie der Angreifer – er wurde später ausgeforscht und verurteilt – , indem er ihr mit einem Stein das Genick brach.

Der Erste am Schauplatz des Verbrechens war Pierinas Bruder Santo. Von ihm stammt folgender Bericht: „Als die Mutter gegen drei Uhr bemerkte, dass sich Pierina wohl verspäten würde und auch auf dem Weg am Berg entlang noch nicht zu sehen war, beschloss sie – nachdem sie mir bezüglich der Dinge im Haus ein paar Anweisungen gegeben hatte – sich zu ihren Kindern zu gesellen, die schon auf dem Heuboden waren. Ich war dann allein und deckte für meine Schwester den Tisch. Seltsamerweise machte ich mir aber von dem Augenblick an Sorgen um sie. Nicht, weil sie spät dran war, wo sie sonst für gewöhnlich um 15.10 Uhr nach Hause kam. Die Uhr zeigte noch nicht einmal halb vier, und doch durchjagte mich ein eigenartiger Schauer und machte mich ganz nervös. Ich konnte mich des Gefühls nicht erwehren, dass ihr etwas passiert war. So legte ich die Bücher beiseite – Lernen war bei meiner Aufregung ohnehin zwecklos, ich wollte das abends nachholen – und wechselte mein Gewand, um nach Albino zu gehen und dort etwas einzukaufen. Nie hätte ich gedacht, dass ich beim Abstieg meine sterbende Schwester finden würde. Um die drei Kleinen, die zu Hause schliefen, würden sich schon meine jüngeren Schwestern kümmern, wenn sie von der Kirche nach Hause kamen. Inzwischen versuchte ich mir einzureden, dass Pierina vielleicht am Haus der Großmutter vorbeigekommen war und sich dort wegen irgendeiner Sache aufhielt. Nachdem ich mich dann aber etwa 500 m vom Haus entfernt hatte, bei Nebel und starkem Nieselregen, bemerkte ich auf dem Weg plötzlich die dunklen Umrisse meiner Schwester. Ich blieb stehen, weil ich zuerst dachte, Pierina würde sich wohl etwas ausruhen – schließlich ist der Weg auf den Berg ziemlich anstrengend. Andererseits fiel es mir schwer zu glauben, dass sie ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt und bei dem schlechten Wetter eine Rast einlegte. Ich stand immer noch unbeweglich auf dem Platz, von dem aus ich sie wahrgenommen hatte, und rief mehrmals ihren Namen. Da ich aber keine Antwort bekam und die Regentropfen, die auf das Laubwerk prasselten, das Einzige waren, was ich hörte, lief ich zu ihr hin. Zu meinem Schrecken sah ich, dass sie im Gesicht blutete, ihr Atem ging langsam und schwer. Entsetzt nahm ich ihren Kopf zwischen meine Hände, zog diese aber augenblicklich wieder zurück, weil Blut und Hautfetzen an ihnen klebten. An Pierinas Hinterkopf befand sich eine klaffende Wunde, in die meine Finger geraten waren. Die blutverschmierten Haare überdeckten die grässliche Verletzung. Was tun? Herumzuschreien und zu weinen hielt ich für wenig zielführend, und so versuchte ich, aus ihr herauszubekommen, was geschehen war und wer sie so furchtbar zugerichtet hatte. Pierina gab keine Antwort, sie öffnete nicht einmal die Augen, sondern fuhr sich lediglich mit einer matten Handbewegung an die wunde Stelle am Hinterhaupt. Das war alles. […] Ich nahm mein Halstuch ab und legte es unter ihren Kopf, dann deckte ich sie mit meiner Jacke zu und lief in Richtung der Felder, wo mein Bruder Andreas s arbeitete.“ Dieser bemerkte dazu: „Als ich zu Pierina kam, schlug ihr Herz noch, aber sie rührte sich nicht.“

Inzwischen waren die Karabinieri, der Pfarrer, der Arzt und das Rote Kreuz verständigt worden. Der Pfarrer gab Pierina die Lossprechung und die Krankensalbung, anschließend wurde sie sofort in das Spital von Bergamo gebracht. Die Aussage des Arztes, der bei der Einlieferung anwesend war, ließ keine Zweifel: „Hier haben wir eine neue Maria Goretti.“ Im Spital lag Pierina unentwegt im Koma. So verging die erste Nacht. Am 6. April 1957, gegen 10.15 Uhr, erlag sie ihren tödlichen Kopfverletzungen. Am 9. April wurde sie unter Anteilnahme der Bevölkerung sämtlicher Dörfer im Seriana­-Tal auf dem Friedhof von Fiobbio begraben.

Am 10. April 1983 wurden die sterblichen Überreste in die Pfarrkirche von Fiobbio übertragen und in einem Sarkophag aus weißem Marmor beigesetzt.

Am 4. Oktober 1987 wurde Pierina Morosini von Papst Johannes Paul II. seliggesprochen.

 

RESCH, ANDREAS: Die Seligen Johannes Pauls II. 1986 – 1990. Innsbruck: Resch, 2005 (Selige und Heilige Johannes Pauls II; 2). XIII, 298 S., 69 Farbtaf., ISBN 978-3-85382-076-X, Ln, EUR 25.70 [D], 26.52 [A]

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