Andreas Resch: Otto Neururer


OTTO NEURURER
(1882-1940)

PRIESTER UND MÄRTYRER

Selig: 24. November 1996
Fest: 30. Mai

OTTO NEURURER wurde am 25. März 1882 als zwölftes und letztes Kind der Bauers- und Müllersleute Alois Neururer und Hildegard Streng in Piller, einem kleinen, 1.350 m hoch gelegenen Dorf in Tirol, Österreich, geboren und am gleichen Tag auf den Namen Otto getauft. Im Schoß einer einfachen Großfamilie zu einem soliden christlichen Leben erzogen, musste er schon bald den Tod des Vater miterleben. Die ganze Verantwortung lastete von da an auf den Schultern der Mutter, sowohl was die Erziehung der Kinder als auch was den kleinen Hof und die Mühle betraf. Sie war eine sehr fromme Frau, litt jedoch wiederholt unter Depressionen, die sich auch bei Otto bemerkbar machten. So war sein ausgeprägtes Pflichtbewusstsein zuweilen von Schwermut begleitet. Trotz seiner außergewöhnlichen intellektuellen Begabung war er eher scheu, so dass man von ihm als einem der „Stillen im Lande“ sprach.

Von 1888 bis 1895 besuchte Neururer die Volksschule seines Heimatdorfes, um dann in das Kleine Seminar nach Brixen zu wechseln, das damals vor dem Ersten Weltkrieg auch für Nordtirol Bischofsstadt war. Da er schon seit geraumer Zeit die Berufung zum Priestertum verspürt hatte, trat er nach glanzvoll bestandener Reifeprüfung 1903 zum Studium von Philosophie und Theologie in das Diözesanseminar von Brixen ein.

Nach Beendigung der Studien wurde Neururer am 29. Juni 1907 im Dom zu Brixen zum Priester geweiht. Zur großen Freude seiner Heimatgemeinde Piller zelebrierte er dort am 3. Juli 1907 seine erste hl. Messe. Heute noch steht auf dem Friedhof von Piller eine Fichte, die zu diesem Anlass gepflanzt wurde. Von 1907 bis 1912 wirkte Neururer als Kaplan in Uderns, Götzens, Fiss und Kappl. 1912 wurde er zum Kaplan und anschließend zum Pfarrer von Silz ernannt; 1913 erfolgte die Ernennung zum stellvertretenden Pfarrer von Oberhofen. Dasselbe Amt bekleidete er während des Ersten Weltkriegs in Hall. Daraufhin war er vierzehn Jahre lang, von 1918 bis 1932, Girardischer Benefiziat und Katechet in der Pfarre St. Jakob, heute Dompfarre zu Innsbruck, wobei er auch als Spiritual der Marianischen Kongregation und als Beichtvater der Ursulinen wirkte.

1932 wurde Neururer schließlich zum Pfarrer von Götzens in der Nähe von Innsbruck ernannt, wo er, von seinen Gläubigen aufrichtig als Vater und Seelenhirte verehrt, mit beispielhaftem pastoralen Eifer ans Werk ging. Er führte ein einfaches und stilles Leben, in ganzer Hingabe an seine priesterliche Tätigkeit. Wenn ihm die Pfarrhaushälterin einen Besuch anzukündigen hatte, traf sie ihn fast immer ins Studium vertieft oder in das Gebet versunken, weil die Zeiten politisch und sozial immer schwieriger wurden.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kam es durch ideologisch-soziale Tendenzen sowohl im politischen als auch im kirchlichen Raum Tirols zu Spannungen. Diese wirkten sich auch auf den Klerus aus und Neururer, der die Botschaft der Enzyklika Leos XIII., Rerum novarum (1881), wohl verstanden hatte, schloss sich der christlich-sozialen Bewegung an. Diese Entscheidung brachte ihm einige Schwierigkeiten seitens der kirchlichen Hierarchie ein, die zum überwiegenden Teil der traditionellen Linie folgte. Wenngleich all diese Erschwernisse seinen großen priesterlichen Eifer in keiner Weise minderten, so litt er doch sehr darunter.

Als 1938 die Nazionalsozialisten an die Macht kamen und Tirol besetzten, begann die erste harte und blutige Verfolgung der katholischen Kirche in der Geschichte des Landes. Diese war von äußerster Brutalität und Radikalität gekennzeichnet, vielleicht weil sie beim gläubigen Teil der Tiroler Bevölkerung auf erbitterten ideologischen Widerstand stieß. Tausende von Personen mussten Schikanen und Verletzungen ihrer Bürgerrechte hinnehmen oder wurden verhaftet und Verhören unterzogen. Viele wurden in die Konzentrationslager verschleppt und eine Reihe von Priestern wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Neururer blieb seinem Eifer und seiner seelsorglichen Verantwortung treu, weil er sich zutiefst im Dienst Gottes fühlte. Als ihn eines Tages einige Frauen zu überreden suchten, sich weniger der Gefahr auszusetzen, antwortete er: „Für mich ist es völlig einerlei, was die andern tun. Ich weiß, dass wir Priester eine enorme Verantwortung auf unseren Schultern tragen. Das Volk will ein Beispiel und sucht dieses in der Person des Pfarrers.“ Er bekannte auch offen, dass er sich dem ideologischen Terror nicht beugen werde.

Aus dieser hohen priesterlichen Verantwortung heraus riet er einem Mädchen davon ab, einen geschiedenen, vom Glauben abgefallenen und übel beleumundeten Mann zu heiraten, der 30 Jahre älter, noch dazu Parteimitglied der Nationalsozialisten war und fanatisch deren Ideologie vertrat. In Wirklichkeit war er ein Freund des Gauleiters. Als er von dem Mädchen abgewiesen wurde, zeigte er aus Verärgerung darüber den Pfarrer bei der Gestapo wegen „Herabwürdigung der deutschen Ehe“ an, wie die verlogene Anklage lautete.

Neururer wurde, ohne Widerstand zu leisten, am 15. Dezember 1938 verhaftet und zuerst im Gefängnis von Innsbruck inhaftiert, dann am 3. März 1939 in das Konzentrationslager nach Dachau gebracht und von dort am 26. Dezember des Jahres nach Buchenwald bei Weimar überstellt.
Seine Mithäftlinge bestätigten einhellig, dass er trotz seiner körperlichen Schwäche die unbeschreiblichen Folterungen und Schikanen des Lagerlebens geduldig und voller Gottvertrauen ertrug, wobei er immer auch seinen Gefährten Trost und Mut zusprach. In der Tat litt er unsäglich unter den sadistischen Quälereien. Doch selbst in dieser Hölle verabsäumte er es nicht, seine ohnehin spärlichen Mahlzeiten mit den noch schwächeren Mithäftlingen zu teilen.
Während der fünfzehnmonatigen Gefangenschaft in den Konzentrationslagern gewannen alle übrigen Gefangenen nur den besten Eindruck von seiner priesterlichen Qualität. Dr. Hugo Rokyta, Universitätsprofessor aus Prag, schrieb in diesem Zusammenhang: „Alle aus unserem Kreise, die ihn kennengelernt haben, waren von seinem priesterlichen Ernst und seiner Tiroler Frömmigkeit beeindruckt. Man sah ihm geradezu an, wie er auch unter allerschwersten Bedingungen seelsorglich wirksam bleiben wollte.“

Mit unerschütterlicher Geduld ertrug Neururer all die Widerwärtigkeiten, Leiden und permanenten Demütigungen, denen er ausgesetzt war, wobei er jede Gelegenheit nutzte, um in diesem Umfeld des Schmerzes und des Martyriums seine seelsorgliche Mission mit mutigem und liebenswertem Eifer fortzusetzen. Von seinen Mithäftlingen wissen wir auch, dass er nie auch nur ein einziges böses Wort über seine Peiniger verlor. In der Tat führte Neururer stets das Leben eines einfachen, zurückhaltenden und liebenswürdigen Priesters, das jedoch von einer außerordentlichen Treue zu seinen pastoralen Aufgaben gekennzeichnet war. In Buchenwald kam eines Tages ein Häftling zu ihm und ersuchte um die Taufe. Neururer hegte zwar den Verdacht, es könnte sich um eine Falle handeln, doch verbot ihm sein Gewissen, eine solche Bitte auszuschlagen.

Als den NS-Behörden zu Ohren kam, dass er im Lager das Sakrament der Taufe gespendet hatte, wurde er in den „Bunker“ verlegt, was die Höchststrafe bedeutete. Zwei Tage später, am 30. Mai 1940, wurde sein Tod verkündet. Ein im selben Lager inhaftierter Priester erfuhr dann von jemandem, der in besagtem „Bunker“ Dienst getan hatte, auf welche Weise Neururer zu Tode kam: An einen Balken gebunden und mit dem Kopf nach unten aufgehängt, überantwortete er, leise betend, seine Seele dem Herrn.

Neururer war der erste in einem Konzentrationslager hingerichtete Priester. Daher übergaben die Lager-Autoritäten seinen Leichnam dem staatlichen Krematorium. Die von diesem ausgehändigte Urne mit der Asche ist authentisch, was auch durch andere Untersuchungen bestätigt wurde.

Die in Gold gefasste Urne befindet sich im Altar der Pfarrkirche von Götzens in Tirol. Diese Kirche, die schon immer als eine der schönsten Barockkirchen galt, erhielt als letzte Ruhestätte der sterblichen Überreste ihres seligen Pfarrers und Märtyrers die Auszeichnung, durch ihren äußeren Glanz auch das spirituelle Zeugnis eines Priesters zu vermitteln, der sein Leben für die Kirche und die Seinen in Erfüllung der Worte Christi hingab: „Niemand hat eine größere Liebe, als wer sein Leben hingibt für seine Freunde“ (Joh 15, 13).

Otto Neururer wird vor allem als Märtyrer, als Fürsprecher und als Patron der christlichen Ehe und des Priestertums verehrt. Er lebte ein schlichtes, unauffälliges Priesterleben, jedoch gekennzeichnet durch außerordentliche Treue zu seinem Dienst.

Am 24. November 1996 wurde Otto Neururer von Papst Johannes Paul II. seliggesprochen.

 

RESCH, ANDREAS: Die Seligen Johannes Pauls II. 1996 – 2000. Innsbruck: Resch, 2010 (Selige und Heilige Johannes Pauls II; 4). XIII, 376 S., 86 Farbtaf., ISBN 978-3-85382-088-9, Ln, EUR 39.90 [D], 40.98 [A]

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