Andreas Resch: Nikolaus (Johannes) von Gesturi Medda


NIKOLAUS VON GESTURI MEDDA
(JOHANNES)
(1882-1958)

PROFESSBRUDER
DES ORDENS DER MINDERBRÜDER KAPUZINER

Selig: 3. Oktober 1999
Fest: 8. Juni

NIKOLAUS (Johannes) VON GESTURI MEDDA wurde am 5. August 1882 in Gesturi (CA), Erzdiözese Oristano, Italien, als sechstes von sieben Kindern des Giovanni Medda und der Priama Cogoni Zedda geboren und am darauffolgenden Tag auf den Namen Johannes Angelus Salvator getauft.

Die ersten Jahre verbrachte der kleine Johannes im Schoß der Familie, die in einfachen sozialen Verhältnissen lebte, aber von einer tiefen Religiosität und einer beispielhaften Moral geprägt war. Sie besaß ein kleines Grundstück und einige Stück Vieh, was eine zwar bescheidene, aber angemessene Existenz gewährleistete. Am 2. Juni 1886 erhielt Johannes das Sakrament der Firmung. Schon bald wurde er jedoch in zweifacher Hinsicht zum Waisen. Der Vater starb, als Johannes kaum fünf war, und die Mutter, als er gerade das 13. Lebensjahr erreichte. Er kam daraufhin in die Obhut eines wohlhabenden Dorfbewohners, des Schwiegervaters seiner Schwester Rita, wo er sich als Knecht ohne Lohn verdingte und sich allein mit Unterkunft und Verpflegung begnügte. Seine Zeit verbrachte Johannes mit Feldarbeit und als Hirte. Beim Tod seines Brotherrn zog er endgültig in das Haus der Schwester, wo er weiterhin als Knecht diente und sich von Anfang an durch Pünktlichkeit und Ehrlichkeit hervortat. Nach Beendigung der ersten Klassen Volksschule begann er das Leben eines Bauern.

Als Johannes am 18. Dezember 1896 die Erstkommunion empfing, nahm seine gesamte Lebensausrichtung eine einzigartige Wende, hin auf den Weg der Heiligkeit. Obwohl er für den Schwager arbeitete, wollte er dafür keine finanzielle Entschädigung, sondern gab sich mit einer einfachen Mahlzeit und einer Bleibe in der Abstellkammer zufrieden. Offensichtlich keimte in dieser edlen Seele die Neigung zum Priestertum, doch stellte die Armut ein unüberwindliches Hindernis dar. Sicher ist, dass in Johannes eine religiöse Berufung reifte und ihm die Genesung von einer schmerzhaften rheumatischen Erkrankung Gelegenheit gab, sich seinen Wunschtraum zu erfüllen und Ordensmann zu werden.

Im März 1911 trat Johannes mit 29 Jahren und ausgestattet mit einem besonderen Empfehlungsschreiben des Pfarrers von Gesturi als Tertiaroblate in den Kapuzinerkonvent von S. Antonio in Cagliari ein. Am 30. März 1913 nahm er den Kapuzinerhabit und nannte sich fortan Bruder Nikolaus. Einige Monate später wurde er in den Konvent von Sanluri versetzt. Nach Beendigung des Noviziatsjahres legte er am 1. November 1914 die erste Profess ab; die feierliche Profess folgte am 16. Februar 1919.

Bruder Nikolaus wurde für ein paar Monate in Sanluri behalten und dann im Mai 1915 als Kochgehilfe in den Konvent von Sassari geschickt. Von dort kam er nach Oristano, daraufhin nach Cagliari, dann wiederum nach Sanluri, von neuem nach Sassari und wieder zurück nach Sanluri. Er war immer der Küche zugewiesen, wenngleich seine Kochkünste zu wünschen übrig ließen. Ein Mitbruder gab ihm auch tatsächlich zu verstehen, dass er für die Küche ungeeignet, dafür aber umso geeigneter für das Almosensammeln sei. Gleich einem Akt der Vorsehung, griff der Provinz-Minister diese Anregung sofort auf und versetzte Bruder Nikolaus 1924 als Bettelmönch der Stadt Cagliari in den dortigen Konvent. „Betteln“ bedeutet für einen Laienbruder der Kapuziner, einfach ausgedrückt, herumzuwandern und Almosen zu sammeln. Das heißt, die Hand auszustrecken, um die „Liebesgabe“ zu erbitten und entgegenzunehmen; es bedeutet, an alle Türen zu klopfen und immer wieder die gleichen, fast rituellen Worte zu wiederholen, die für Sardinien typisch sind: „a santu Francisco“, für den hl. Franziskus. Es bedeutet auch stundenlanges Wandern in der Kälte des Winters und unter der drückenden Hitze des Sommers. Ebenso begegnet man dabei den verschiedensten Menschen. Die einen sehen im Bettelbruder einen Mann Gottes, die andern hingegen einen Taugenichts und Faulenzer; die einen reichen ihm die „Liebesgabe“ mit Freuden, die andern überhäufen ihn mit Schmähungen und Flüchen.

So wanderte Bruder Nikolaus zwischen 1924 und 1958 zu jeder Jahreszeit und an jedem Tag schweigend und demütig durch die Straßen von Cagliari, jedoch ohne etwas zu verlangen. Die Menschen spürten sofort, dass es sich hier um eine außergewöhnliche Seele handelte, und gaben ihm spontan eine Spende in Geld oder Naturalien. Viele, die ihm begegneten, vertrauten sich ihm an und erbaten sein Gebet für spirituelle oder materielle Hilfen. Es kam der Brauch auf, ihn an das Krankenlager zu rufen, sowohl privat in den Häusern als auch in den Spitälern. Es geschahen außergewöhnliche Heilungen und man erkannte, dass in diesem Bettelmönch die mächtige Hand Gottes wirkte.

Im Lauf der Jahre wurde Bruder Nikolaus in Cagliari und den umliegenden Ortschaften zu einer wohlvertrauten Gestalt: alle wollten ihn kennenlernen und sehen. Es war geradezu zu einem Muss geworden, ihn anzuhalten, wenn er unterwegs war, um ihm eine persönliche Not, ein familiäres Problem ans Herz zu legen. Er wurde allen zur Vertrauensperson und zum Freund, den Großen wie den Kleinen, den Reichen und Armen, den Ungebildeten wie den Gebildeten. Da gab es keine Unterschiede oder sozialen Klassen mehr: für Bruder Nikolaus waren es einfach nur Menschen, die eines guten und aufmunternden Wortes bedurften. Und er, mit seiner Bescheidenheit und Geduld, hatte für jeden ein Ohr und ließ alle durch ein einfaches Wort, eine Geste, ein Gebetsversprechen getröstet zurück. Er war bereits zu einer unverzichtbaren „Präsenz“ geworden.

Seine Nächstenliebe kannte keine Ausnahmen. Die einzigen Privilegierten waren die Armen und Kranken. Sie besuchte er persönlich zu Hause – er, der nie, aus keinem Grund, über jemandes Schwelle schritt.

Es waren damals die traurigen Kriegsjahre. Cagliari war wegen der häufigen und massiven Bombardements die am meisten in Mitleidenschaft gezogene Stadt Italiens. Jene, die konnten, zogen weg. Die Patres des Konvents von Cagliari wurden zusammen mit dem Seraphischen Seminar in andere Konvente geschickt. Nur vier blieben zurück: der Obere und drei Brüder, darunter Bruder Nikolaus, der die Stadt auf keinen Fall verlassen wollte.

Die Klausur im Konvent wurde aufgehoben, der fortan Zufluchtsort für all jene war, die ohne Haus und Anverwandte dastanden. Bruder Nikolaus war jedem nahe. Ein Augenzeuge beschreibt diese dunkle Zeit wie folgt: „In den Tagen des Zorns, als Cagliari zum verlassenen Friedhof der Unbestatteten wurde, blieb Bruder Nikolaus im Konvent. Er setzte seine Mission fort und wurde vom Bettler zum Geber: selbst bettelarm, wandelte er sich zum Gast, der gibt. Wie in den dramatischsten Stunden der Vergangenheit, in denen die Konvente Asyl, Speisesaal, Spital und Schule zugleich waren, kehrte der Kapuzinerkonvent von Cagliari zu seiner weltlichen Mission zurück und Bruder Nikolaus von Gesturi wurde den wenigen verbliebenen Mitbrüdern bei der Aufnahme der Asylsuchenden und der Essensausgabe zur unersetzlichen Hilfe. Doch war dies nicht die einzige Tätigkeit in den Jahren des Krieges: die erbärmlichen Gestalten in ihren Lumpengewändern und die Hungrigen, welche in die über die ganze Stadt verstreuten Ruinen geflüchtet waren, hatten ihn zum Helfer und Apostel. Damals erschien uns Bruder Nikolaus noch heiliger. Er opferte sich förmlich auf und es hatte den Anschein, dass ihn dieser öde Ort ohne Zeugen zu neuem Eifer anspornte.“

Kaum hatte ein Bombardement aufgehört, verließ Bruder Nikolaus den Konvent und begab sich in die am meisten betroffenen Gebiete. Überall war seine schmächtige Gestalt zu sehen. Wo ein Toter zu begraben war, ein Verwundeter zu pflegen, eine Träne zu trocknen, tauchte Bruder Nikolaus auf, lautlos wie eine Vision, und seine Gegenwart war immer „ein Zeichen, eine Hilfe“.

In der Tat war eine Eigenschaft, die der Bevölkerung bei Bruder Nikolaus sofort auffiel, sein kontinuierliches Schweigen. So eine Zeugenaussage: „Für Bruder Nikolaus von Gesturi bestand die Heiligkeit im Schweigen. Und sein Schweigen war von besonderer Art, so, als stünde es außerhalb der Welt des Alltags. Es drückte Dank aus, wenn ihm gegeben wurde; war ein Vorwurf an den, der nicht gab, obwohl er konnte; war Antwort auf unnötige Fragen oder auf solche, für die es keine Antwort gab. Bruder Nikolaus brach sein Schweigen nur, um den Willen Gottes in Erinnerung zu rufen.“ Er brach es an jenem 1. Juni 1958, als er, am Ende seiner Kräfte, kurz nach neun Uhr beim P. Guardian vorstellig wurde mit den Worten: „P. Guardian, ich kann nicht mehr!“ Und er bat darum, ihn von der Aufgabe des Almosensammelns zu entbinden. Dieser erkannte sofort, dass Bruder Nikolaus seinem Ende entgegenging. Am darauffolgenden Tag wurde er in die Klinik eingeliefert und einer Notoperation unterzogen. Es war hoffnungslos. Bruder Nikolaus bat um die Krankensalbung und die letzte Wegzehrung. Weitere vier Tage vergingen. Am 8. Juni, das Kreuz fest zwischen seinen Händen, empfahl er dem Herrn seinen Geist. Er stand im 76. Lebensjahr.

Bei seinem Tod tat sich der Ruf der Heiligkeit, der den bescheidenen Bruder jahrzehntelang begleitet hatte, auf ganz besondere Weise kund. Zehntausende Menschen, von den höchsten Autoritäten bis zum einfachen Bürger, machten sich auf, um dem Leichnam die letzte Ehre zu erweisen. So gerieten die Trauerfeierlichkeiten am 10. Juni und die Teilnahme an der Beerdigung zu einer Apotheose.

Am 2. Juni 1980 wurden die sterblichen Überreste in den Konvent überführt und am darauffolgenden 6. Juni wurde der Leichnam endgültig in der Kapelle der Immaculata der Kirche S. Antonio des Kapuzinerkonvents in Cagliari, Italien, beigesetzt.

Am 3. Oktober 1999 wurde Nikolaus von Gesturi von Papst Johannes Paul II. seliggesprochen.

 

RESCH, ANDREAS: Die Seligen Johannes Pauls II. 1996 – 2000. Innsbruck: Resch, 2010 (Selige und Heilige Johannes Pauls II; 4). XIII, 376 S., 86 Farbtaf., ISBN 978-3-85382-088-9, Ln, EUR 39.90 [D], 40.98 [A]

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